Zum aktuellen Live-Album ‚Raw‘

ZZ Top: Das „Jahr eins“ nach Dusty Hill – Billy Gibbons im Interview

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(Bild: Copyright (c) 2017 Debby Wong/Shutterstock)

Ende Juli 2022 haben ZZ Top ihr neues Live-Album ‚Raw‘ veröffentlicht und sind damit prompt auf Platz 3 der deutschen Charts gelandet. Das Besondere daran: Es sind die letzten Aufnahmen mit ihrem im Juli 2021 verstorbenen Bassisten Dusty Hill. Gitarrist Billy Gibbons erklärt im Gespräch, wie die große Lücke mittlerweile geschlossen werden konnte und wie es bei den kultigen Bärterockern nun weitergehen wird.

‚RAW‘, DAS ALBUM

Die seit Dusty Hills Tod im vergangenen Jahr herrschende Wehmut bei den Fans ist sicherlich verständlich, da man dieses fantastische Trio auf ‚Raw‘ vermutlich ein letztes Mal mit ihrem legendären Bassisten zu hören bekommt. Zumal Billy Gibbons und Schlagzeuger Frank Beard nicht nur einen guten Freund, sondern auch einen erstklassigen Musikerkollegen verloren haben.

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Bilder aus der Vergangenheit: the beardy twins (Bild: Matthias Mineur)

‚Raw‘ wurde 2019 in der ‚Gruene Hall‘ im texanischen Örtchen New Braunfels als Soundtrack für die Netflix-Dokumentation ‚That Little Ol’ Band From Texas‘ aufgezeichnet. Gibbons ist Produzent der Tonaufnahmen und gab das Motto aus „so roh und erdig wie nur irgend möglich“. Das Resultat: Der Sound ist so ungeschminkt, wie diese Band ohne studiotechnischen Schnickschnack schon seit ‚Rio Grande Mud‘ (1972) und ‚Tres Hombres‘ (1973) nicht mehr geklungen hat. Zudem begeistert die Scheibe mit einer für ZZ Tops gesamter Karriere durchaus exemplarischen Songauswahl, inkl. Klassikern wie ‚Gimme All Your Lovin’‘, ‚Legs‘, ‚Just Got Paid‘, ‚Tush‘, ‚La Grange‘ oder ‚Heard It On The X‘. Soweit das Erwartbare.

Hinzukommen schroff-rockige Perlen der Sorte ‚Tube Snake Boogie‘, ‚I’m Bad, I’m Nationwide‘ oder ‚Thunderbird‘, die nicht unbedingt zur Grundausstattung einer jeden ZZ-Top-Show gehörten. Und da die Band auf ‚Raw‘ auch die Hits ihrer Synthie- und Sequenzer-animierten Phase um ‚Eliminator‘ (1983) und ‚Afterburner‘ (1985) ohne Netz und doppelten Boden rocken, gibt es hier kantig-puren Bluesrock.

DAS INTERVIEW

Obwohl derzeit mit Fragen zur Zukunft von ZZ Top sicherlich überhäuft, hat sich Gitarrist Billy Gibbons dennoch die Zeit genommen, die wichtigsten Entscheidungen der Band für uns zu kommentieren. Dabei ging es natürlich auch noch mal um die besonderen Aufnahmen zu ‚Raw‘, aber auch um Elwood Francis, den Nachfolger von Dusty Hill, den wir bei unserem großen ZZ-Top-Interview im Sommer 2009 in Mainz bereits persönlich getroffen haben (siehe Foto). Damals war Francis bereits Hills Basstechniker und hatte äußerlich noch ein etwas anderes Aussehen, sprich: Den bärtigen Look der Gegenwart gab es bei ihm seinerzeit noch nicht. Dennoch gehörte er schon damals fest zur ZZ-Top-Familie, wie Gibbons explizit betont.

Billy, welche konkreten Erinnerungen hast du an die 2019er-Aufnahmen zu ‚Raw‘?

Der Filmemacher Sam Dunn ahnte bereits im Vorfeld, dass die Dreharbeiten, die spät abends stattfanden, uns dabei einfangen könnten, in der Gegenwart genau das zu tun, was wir zu Beginn unserer Aufnahmekarriere getan haben: Uns im selben Raum zu treffen, einfach loszulegen und unserer Intuition zu folgen. Auf gewisse Weise sind wir an diesem besagten Abend fast fünf Jahrzehnte zurück in die Vergangenheit gereist. Das Album ist nun so etwas wie die veröffentlichte Bestandsaufnahme dieser recht ungewöhnlichen Session. Die Tracks klingen so sehr nach frühen ZZ Top, dass wir nicht lange darüber nachdenken mussten, sie zu veröffentlichen.

Mit welchen Amps, Gitarren und Effekten habt ihr ‚Raw‘ aufgenommen? Erinnerst du dich auch an das Equipment, das Dusty 2019 gespielt hat?

Unsere Technik-Crew schleppte wie gewohnt die üblichen verdächtigen Instrumente an: Alte und neue Marshall-Amps, Fender-Tweed-Antiquitäten, die wunderbaren neuen Magnatones und eine Reihe ausgewählter Gitarren und Drums, die direkt von unseren Shows der vorausgegangenen Nächte kamen. Es war eine hochwertige Auswahl von allem. Während das Kamerateam seine Filmausrüstung montierte, entstand dann die Idee, ein modern aussehendes Equipment in einen direkten Kontrast zum Vintage-Stil der Band zu setzen. Einfach nur drei Jungs, drei Akkorde und jede Menge Lautstärke.

In einem Interview im Mai 2021 für Gitarre&Bass anlässlich deines Soloalbums ‚Hardware‘ hast du sogar ein neues ZZ-Top-Studioalbum in Aussicht gestellt. Wird es das auch ohne Dusty Hill tatsächlich geben? Und wie könnte es klingen?

Ja, das wird es. Es ist für uns bereits deutlich am Horizont aufgetaucht und gewinnt aktuell an Zugkraft. Unser derzeitiger Plan ist, uns demnächst einzugraben, die besten Ideen zu sammeln und auf eine möglichst gelungene Zusammenstellung hinzuarbeiten. Was die musikalische Richtung betrifft: Nennen wir es einfach „nach oben“.

Hast du etwas von Dustys angeschlagenem Gesundheitszustand geahnt?

Wir waren gerade am Beginn einer neuen Tour, als Dusty merkte, dass er sich körperlich nicht richtig wohlfühlt. Er hat dann einen Arzt aufgesucht, woraufhin wir nach der alten Showbusiness-Tradition „the show must go on“ gemeinsam entschieden, zunächst ohne ihn weiterzumachen. Dusty bat unseren Bühnentechniker Elwood Francis, sich den Bass zu schnappen und für ihn einzuspringen, um die Dinge in Bewegung zu halten, während er sich erholt.

Elwood Francis war für ZZ Top also die einzig logische Entscheidung, richtig?

Ja, denn wir alle drei wussten, dass Elwood Teil der ZZ-Top-Familie und der Richtige für diesen Job ist. Er gehört seit 30 Jahren zu uns und hat uns in dieser Zeit ständig mit seinem technischen Wissen, seiner Musikalität und seiner Zuverlässigkeit begeistert. Er kennt die Songs, unsere Bewegungen, und vor allem besitzt er die gleiche raue Brillanz und Musikalität, wie auch Dusty sie hatte.

Beim großen G&B-Interview 2009 noch ohne Bart: Neu-Bassist Elwood Francis (Bild: Matthias Mineur)

ELWOOD FRANCIS, HILLS NACHFOLGER

Dusty Hills Nachfolger, der 59-jährige Amerikaner und langjährige Basstechniker der Band, Elwood Francis, hat sich mit seinem blonden Wuschelbart schnell an den haarigen Dresscode seines Kollegen Gibbons angepasst. Hill hatte im Vorfeld der Sommertour 2021 seine Bandkollegen darüber informiert, dass er an einer chronischen Schleimbeutelentzündung leide und sich in eine länger andauernde Physiotherapie begeben müsse. Auf seinen Wunsch hin wurde Francis als Ersatzbassist für die anstehenden Konzerte nominiert.

Beim Konzert am 30. Juli 2021 im Amphitheater von Tuscaloosa, Alabama, drei Tage nach Hills Tod, stellte Gibbons den neuen Mann mit den Worten offiziell vor:

„Ich denke, wir alle werden hier heute Abend eine gute Zeit haben. Wie ihr wisst, haben wir einen neuen Kerl hier oben. Dusty gab mir den Auftrag, ihn zu verpflichten. Elwood Francis ist mein und euer Kumpel, er wird hinter mir alles zusammenhalten.“

In einem späteren Interview konkretisierte Gibbons dann:

„Es war eine direkte Anweisung von Dusty. Er packte mich am Arm und sagte: ‚Ich glaube, ich muss zum Arzt, um zu sehen, ob ich wieder auf die Beine komme. In der Zwischenzeit möchte ich, dass du dir Elwood schnappst und ihn aus dem Technikraum holst, ihm meinen Bass umschnallst und ihn dazu bringst, jede einzelne Note weiterzuspielen.‘ Ich entgegnete: ‚Wenn das dein Wunsch ist, werde ich es respektieren.‘ Tatsächlich hatten wir das große Glück, einen treuen Ersatzmann zu haben, der sofort einspringen konnte.“

Neben seiner Tätigkeit als verlässlicher Bühnentechniker von ZZ Top hat Francis auch eine eigene Band, The Mighty Skullhead.


(erschienen in Gitarre & Bass 10/2022)

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