Ende September 2003 stand ihr Album ,Mescalero‘ in den Plattenregalen und setzte diesen Trend back to the roots fort. Die Gitarren klingen auf dem Album staubtrocken, die Drum-Parts zumeist aufs Essenzielle reduziert, die Gesänge typisch schnoddrig und aus tiefster Kehle intoniert. Ein echtes Highlight inmitten gen Chart-Trends geeichter Reißbrett-Veröffentlichungen, zudem ein ZZ-Top-Album, wie es typischer nicht sein könnte.
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Vor der Show in Hannover, Anfang August 2003, traf ich mich mit Billy Gibbons und Dusty Hill, um in einer kleinen Garderobe alles Wissenswerte über das – damals – neue Album ,Mescalero‘ zu erfahren. Herausgekommen ist ein kurzweiliges Gespräch mit zwei der witzigsten Typen der Rock-Geschichte, die ihrem interessierten Gegenüber so ganz nebenbei auch eine kleine Einführung in die mexikanische Sprache gaben.
G&B: Die Deutschland-Tour findet bereits im August statt, das neue Album kommt aber erst im September in die Läden? War jetzt die Tournee zu früh oder ist die Scheibe zu spät dran?
Hill: Weder noch. Ursprünglich war geplant, ,Mescalero‘ im Frühjahr zu veröffentlichen. Die Aufnahmen waren komplett fertig, doch die Plattenfirma wollte noch einige Sachen hinzufügen und verschob deswegen das Veröffentlichungsdatum auf September.
Wir waren ja eh in Amerika auf Tournee und kamen dann wie geplant nach Europa, um all die Sommerfestivals zu spielen. Die Festival-Saison kann man aber aus bekannten Gründen nicht verschieben. Für uns ist es eh egal, ob wir mit oder ohne aktuelles Album auf Tour gehen.
G&B: Das heißt, ihr habt euch nicht bei eurer Plattenfirma beschwert?
Hill: Nein, weshalb auch? Das Ding ist, dass wir viel zu gerne spielen, um uns ständig von bestimmten Terminen abhängig machen zu wollen. Zum Glück spielt es für uns keine Rolle, wann wir touren, wir können immer und überall die Hallen füllen. Natürlich hilft eine Tournee immer, ein neues Album zu verkaufen. Aber wo ist das Problem? Dann touren wir halt noch ein weiteres Mal.
G&B: Das neue Album ist ungewöhnlich rau und schroff …
Hill: Ich würde es „edgy“ nennen
G&B: OK, das heißt auf Deutsch in etwa „scharf“. Inwiefern passt es in die Geschichte von ZZ Top, mit den Mainstream-Sachen wie ,Sharp Dressed Man‘ und ,Gimme All Your Lovin‘ auf der einen Seite und den reinen Blues-Sachen der letzten Jahre auf der anderen?
Hill: Nun, zunächst einmal: Ich glaube, dass ,Mescalero‘ nicht nur in eine einzige Richtung tendiert. Es sind 16 verschiedene Songs darauf und damit 16 verschiedene Stilrichtungen. Das ist das Tolle für uns, dass wir so viele verschiedene ZZ-Stile unter einen Hut bringen können. Egal welche Art Musik wir machen, es klingt immer nach ZZ Top. Es gibt die reinen Blues-Tracks, die härteren Songs, es gibt zwei Stücke auf der Scheibe, die in Spanisch verfasst sind. Man kann die Scheibe im Grunde genommen gar nicht genau umschreiben, jeder Song steht für sich allein, ohne dass er vom ZZ-Top-Stil abweicht.
Gibbons: Um an Dustys Ausführungen anzuschließen: Die Zahl von 16 Songs deutet darauf hin, dass wir jede Menge Ideen hatten. Normalerweise braucht man nur 10 Nummern für ein Album, wir jedoch haben sechs weitere darauf gepackt. Wir hatten eine Menge Spaß im Studio, und wir hatten viele Ideen. Montags schrieben wir einen reinen Blues-Song, dienstags kam uns ein Rock-Stück in den Sinn, mittwochs wurde es plötzlich irgendetwas Verrücktes.
Jeden Tag passierte etwas ganz Besonderes. Aber egal was wir machten, es hatte immer den typischen ZZ-Top-Sound. Hill: Wir hatten ja noch weitaus mehr Songs, als man nun auf ,Mescalero‘ findet. Die Hauptschwierigkeit lag eher darin, die 16 Besten von ihnen für das Album auszuwählen.
G&B: Wie arbeitet ihr im Studio? Sind alle Songs komplett fertig arrangiert, wenn die Aufnahmen beginnen? Oder schreibt ihr dort weiteres Material?
Gibbons: Halb und halb. Wir spielen heute Abend beispielsweise ein Stück – das übrigens Dusty singt – ,Piece‘, mit der Textzeile „I want a little piece of your love“‘. Dieser Song wurde an einem einzigen Tag geschrieben und auch sofort aufgenommen. Wir hatten sozusagen eine innere Eingebung.
Ich wünschte, alle Stücke würden sich so leicht schreiben wie dieses kleine Lied … Die Idee kam ganz natürlich, Dustys Stimme war in guter Verfassung, es war wirklich ein guter Tag. Aber wir komponieren auch auf Tournee, wir komponieren Zuhause, wir komponieren im Studio. Wir schreiben über Orte, an denen wir waren …
Hill: … über Frauen, die wir getroffen haben und über Frauen, die wir gerne einmal getroffen hätten (lacht). Das Gute ist: Seitdem Billy unsere Alben produziert, können wir ganz spontan arbeiten. Egal an welchem Ort wir uns befinden, wir können jederzeit Dinge aufnehmen.
Gibbons: Wir hatten das Glück, in Texas ein Studio nur für unsere privaten Belange bauen zu können. Es ist klein aber sehr gemütlich und hat …
Hill: … eine tolle Couch! Gibbons: (lacht) Ja , eine wirklich tolle Couch. Du musst uns unbedingt mal besuchen und dir diese tolle Couch anschauen. Wir haben zudem das Glück, dass unsere beiden Engineers Mr. Joe Hardy und G.L. G Main Moon immer zur Verfügung stehen.
G&B: Stimmt es, dass Joe Hardy extra deswegen nach Texas gezogen ist, um immer in eurer Nähe zu sein.
Gibbons: Ja, er zog nur wegen uns von Memphis, Tennessee nach Texas. Das muss man sich mal vorstellen: Er verkaufte sein Haus, zog nach Texas, nur um in der Nähe von ZZ Top zu sein. Deshalb haben wir nun alle wichtigen Personen in direkter Umgebung zu unserem neuen kleinen Studio.
G&B: Eigentlich gibt es dieses Studio doch schon seit über zehn Jahren, oder?
Gibbons: Ja, das stimmt, aber wir haben es vor ungefähr einem Jahr komplett renoviert. Wir kauften neues Equipment, das kleiner und leichter zu bedienen ist.
G&B: Heißt das, es wurden all die schönen alten Geräte verkauft, mit denen ihr früher aufgenommen habt?
Gibbons: Nein, natürlich nicht. Wir besitzen noch immer einige sehr, sehr alte Geräte, die aber tolle Sounds erzeugen. Eine uralte Bandmaschine, einige betagte Limiter, Kompressoren und Preamps. Hill: Das hilft uns dabei, unterschiedliche Sounds zu erzeugen
G&B: Das heißt, ihr bevorzugt weiterhin analoge Geräte?
Gibbons: Wir verwenden sie weiterhin.
Hill: Ehrlich gesagt: Wir bevorzugen all das, was gut funktioniert. Es ist so, wie Billy schon sagte: Wir haben unterschiedliches Equipment in einem sehr schönen Studio. Und das alles in einem Ort, an dem alle wichtigen Personen schnell verfügbar sind, seitdem Joe dorthin gezogen ist. Innerhalb von zehn Minuten können wir alle Mann zusammentrommeln und mit der Arbeit beginnen.
Gibbons: Mr. Hardy sagte zu uns: „Wo genau ist das Studio? Ich meine: Wo ganz genau?“ Wir fragten: „Wozu muss du das wissen“? Er antwortete: „Ich bringe meine Frau mit nach Texas und ich kenne euch Jungs. Ich werde mir deshalb ein Haus suchen, dass höchstens eine Minute vom Studio entfernt liegt. Dann könnt ihr mich morgens um drei Uhr anrufen und ich werde sofort kommen.“ Hill: Und so hat er es dann auch tatsächlich gemacht. Er wohnt nun in direkter Nähe des Studios und kann stets sofort da sein.
G&B: Wie nehmt ihr auf? Instrument für Instrument? Oder die Basic-Tracks alle zusammen?
Gibbons: Die Grundversion wird gemeinsam eingespielt.
G&B: Also live im Studio?
Gibbons: Meistens. Wir machen anschließend natürlich auch noch Overdubs, vor allem die Gesänge und die Soli.
G&B: Wie oft spielt ihr für gewöhnlich ein Stück, bis es euren Vorstellungen genügt?
Gibbons: Drei, vier Mal. Manchmal sogar zehn Mal hintereinander.
Hill: Und dann nehmen wir die erste Version (lacht).
Gibbons: Der Gesang wird immer getrennt aufgenommen. Mit einer Ausnahme: ,AlleyGator‘ wurde in einem Track gespielt und gesungen. Das war ein weiterer sehr guter Tag für das neue Album. Hill: Vor einigen Jahren produzierten wir eine Version von ,Viva Las Vegas‘. Billy nahm damals meinen Gesang in einer Garderobe nach einer unserer Shows auf. Weshalb ich das erzähle: Wir arbeiten immer so, wie es das Stück verlangt.
Bei ,Viva Las Vegas‘ war es eben diese Garderobe, die es für meinen Gesang unbedingt sein sollte. Er kam und fragte mich, ob ich singen könnte. Ich antwortete zunächst: „Wie bitte? Jetzt?“
Gibbons: Kennst du das Stück ,Viva Las Vegas‘?
G&B: Natürlich, es ist auf eurem Best-Of-Album zu finden.
Gibbons: Wir hatten die Musik bereits auf DAT aufgenommen, allerdings noch ohne Gesang. Ich erinnere mich, dass wir eines Abends in Louisiana spielten und ich Dusty nach der Show fragte, ob er das Stück einsingen könnte. Es war heiß und stickig und er wollte eigentlich nicht. Er sagte: „Lass es mich morgen machen, wenn es nicht unbedingt heute sein muss.“
Ich erklärte ihm: „Deine Garderobe ist der Raum, in dem Elvis Presley sich das allerletzte Mal für einen Auftritt umzog.“ Sofort sagte Dusty: „OK, dann muss ich das Lied unbedingt in dieser Garderobe einsingen.“ Dusty ist ein riesiger Elvis-Fan.
Hill: Hinzu kam, dass meine Stimme in der perfekten Verfassung war. Sie war zwar etwas müde, hatte aber gerade deswegen diesen leicht rauen Zustand, der zu dem Song perfekt passte. Das war eigentlich der Hauptgrund, weshalb ich es an diesem Abend tat.
Gibbons: Die Umgebung, die Atmosphäre machen so viel aus. Unser kleines Studio ist wirklich winzig klein, aber hat die perfekte Atmosphäre. Ursprünglich war der Aufnahmeraum etwas größer, aber aus Schallschluck-Gründen bauten wir einen Raum in einen Raum.
Die Wände waren vorher zu dünn, so dass wir ständig die Nachbarn belästigten. Durch diese neue Innenkonstruktion ist aus dem vorher bereits kleinen Raum jetzt eine winzige Box geworden, bei der man aufrecht stehend die Decke berühren kann.
G&B: Und jetzt sind eure Nachbarn zufrieden gestellt?
Gibbons: Unser direkter Nachbar, ein Photograph, kam letztens zu uns und fragte: „Sagt mal, nehmt ihr Jungs heute wieder auf?“ Wir dachten, er wollte sich beschweren, zumal wir aus akustischen Gründen die Boxen verkehrt herum im Raum stehen haben, so dass die Speaker direkt gegen die Außenwand abstrahlen. Wir antworteten: „Tja, eigentlich schon, es sei denn, wir stören dich?“
Er aber meinte nur: „Nein ganz im Gegenteil. Ich bekomme heute Besuch, ein ganz heißes Mädchen, und sie liebt diese tiefen Basstöne so sehr. Sie sagt, die kribbeln so schön …“ Wir wussten genau, was er meinte (grinst breit).
Hill: Er wollte sich nicht beschweren, sondern uns nur freundlich bitten, den Bass diesmal möglichst laut knurren zu lassen.
G&B: Nicht zum ersten Mal dokumentiert ihr eine enge Verbundenheit mit Mexiko. Auf ,Mescalero‘ gibt es gleich zwei Stücke mit spanischem Titel. Hat sich eure Liebe zu diesem Land in den vergangenen Jahren noch verstärkt?
Gibbons: Die erste Zeile des Songs ,Que Lastima‘ lautet „Nosotros pobres borrachos más bien no tenemos mujer“, was so viel bedeutet wie: „Wir sind ganz arme Schlucker, die kein Mädchen im Arm halten.“ Ich habe einen mexikanischen Freund, der direkt an der Grenze zu den USA lebt. Er kam nach Texas, um einige Kumpels zu besuchen und wir gingen in ein mexikanisches Restaurant.
Wir saßen draußen auf der Terrasse und tranken dieses tolle kühle mexikanische Bier. Doch bevor wir einen Schluck nahmen, sagte er: „Nosotros pobres borrachos más bien no tenemos mujer.“ Ich fragte: „Was war denn das jetzt?“ Er antwortete: „Was glaubst du denn, was es war?“ Ich darauf: „Ich habe wohl den Inhalt verstanden, aber ich weiß nicht, woher diese Redensweise stammt.“
Er erklärte es mir: „Es ist ein traditioneller Trinkspruch, der an der Grenze zwischen Mexiko und den USA üblich ist.“ Wir lachten darüber, und später am Abend kam Dusty zu mir und fragte: „Meinst du nicht, es wä- re irgendwann einmal eine coole Zeile für einen ZZ-Top-Song?“
G&B: Und so entstand dann tatsächlich der Song.
Gibbons: Ja genau. Schon am nächsten Tag stand Dusty wieder vor mir und sagte: „Mir geht dieser mexikanische Trinkspruch nicht aus dem Kopf …“
Hill: Auch ,Mescalero‘, der Titel-Song, ist ein toller Song zu diesem Thema.
Gibbons: Ja, die Leute fragen uns: Was zum Kuckuck ist ein Mescalero? Die Antwort lautet: Ein Mescalero ist ein Indianer aus einem winzig kleinen mexikanischen Volksstamm, der viel kleiner als beispielsweise die Apachen war. Die Mescaleros waren für ihre Brutalität gefürchtet. Die Apachen sagten zu ihnen: „Wir können Brüder werden, aber nur wenn ihr in eurem Terrain bleibt.“ Die Mescaleros galten als unberechenbar, als geradezu unzivilisiert.
G&B: Die ,Mescaleros‘ waren also kriegerisch?
Hill: Und wie! Die Apachen waren wirklich gefürchtete Krieger, aber sie kämpften für eine gute Sache. Die ,Mescaleros‘ dagegen waren heimtückisch, the bad ass of a bad asses ass (Das kann man nicht übersetzen, d. Verf.). Ich will damit nicht sagen, dass die Mescaleros nicht irgendwie auch für eine gute Sache standen, aber sie waren halt unglaublich rabiat bei deren Durchsetzung.
Gibbons: Das Wort ,Mescalero‘ hat eine sehr starke Assoziation. Daher kommt auch der Name ,Mescal‘ für ein Getränk. Es hat so viel Prozente wie Tequila, aber es ist … wie soll ich sagen ….
Hill: … the bad ass of a bad asses ass! Hahaha!
Gibbons: Besser könnte man es nicht ausdrücken (lacht ebenfalls).
Hill: Mescal ist noch härter als Tequila!
G&B: Wie kommt es, dass ihr ausgerechnet jetzt eure Vorlieben für Mexiko wiederentdeckt. In euren Anfangstagen waren die ja bereits offenkundig.
Gibbons: Wir haben in den letzten Monaten viel Zeit zwischen Houston/Texas und der mexikanischen Grenze verbracht. Man fährt etwa fünf Stunden von Houston bis ins Grenzgebiet, eine wundervolle Region, die man unbedingt einmal gesehen haben muss.
Hill: Das Problem ist nur, dass man auch fünf Stunden braucht, um wieder zurück nach Houston zu kommen (lacht). Wir hatten schon immer einen engen Bezug zu Mexiko.
G&B: Du meinst Alben wie ,Rio Grande Mud‘, ,Fandango‘ oder auch ,El Loco‘.
Hill: Genau. Diese Region ist wirklich unglaublich aufregend. Wenn man in Texas aufwächst, wird man davon einfach inspiriert.
Gibbons: ZZ Top würden ohne diese ganz spezielle Beziehung zu Mexiko in dieser Form gar nicht existieren. Man lebt dort, man atmet die Luft, man spürt etwas von der rauen Stärke Mexikos, man interessiert sich für ihre Geschichte, für ihre Lieder, und man stellt fest, dass sie ganz ähnliche Themen wie der Blues haben. Und schon hast du Stoff, der für viele Jahre reicht. Deswegen ist ein Ende dieser Band auch noch lange nicht in Sicht (grinst).