Klassiker aus dem Archiv

The Rolling Stones: Keith-Richards-Interview zu ‘A Bigger Bang’

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Ron Wood und Keith Richards auf der Bühne

Die Rolling Stones touren, touren und touren – und vergessen darüber manchmal fast, auch mal ein paar neue Songs zu schreiben. Aber mit ,A Bigger Bang‘ meldete sich die dienstälteste und erfolgreichste Rock-Band der Welt 2005 nach achtjähriger Schaffenspause zurück. Und wie: 16 Tracks aus der Feder von Jagger/Richards, die so frech und frisch klingen, dass man sich verwundert die Ohren reibt. Wir trafen den Rock-Gitarristen schlechthin in Toronto. 

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Die Green-Wood-Schule in Uptown ist nicht gerade das, was man als zurückgezogen oder abgeschirmt bezeichnen könnte. Im Gegenteil: Der mehrstöckige Flachdachbau liegt mitten in einem besseren Viertel, dessen Bewohner ganz genau wissen, welche berühmten Besucher sich da sechs Wochen lang in unmittelbarer Nachbarschaft eingemietet haben. Doch niemanden stört’s. Hier herrscht kein Menschenauflauf, keine Fan-Hysterie, kein Geschrei, sondern völlige Ruhe. Jagger, Richards, Watts, Wood & Co. können das Gebäude ganz unbehelligt durch den Haupteingang betreten. Vielleicht, weil sich die Bewohner der kanadischen Metropole längst an die regelmäßige Anwesenheit der Rock-Dinos gewöhnt haben, die hier seit 1989 für jede Tour proben.

Vielleicht aber auch, weil gerade Schulferien sind und sämtliche Familien (mittlerweile die erklärte Stones-Zielgruppe) im Urlaub weilen. Tatsache ist: Das Szenario ist geradezu gespenstisch normal. Zumindest rein äußerlich. Denn im Inneren sieht es ganz anders aus. Ein Ameisenhaufen aus Roadies, Technikern, Managern, Köchen und Springern. Alle mit dicken Pässen, Crew-Shirts und jahrelang antrainierten Bier-Bäuchen. Dazu jede Menge Security und ein schier unglaubliches Arsenal an Equipment, das sich auf drei Etagen stapelt – und die sind streng durchorganisiert. Das Erdgeschoss dient als Hospitality-Bereich, der 1. Stock ist der eigentliche Proberaum, in dem sich eine ansehnliche Bühne befindet, und in Etage 2 residieren – ganz Penthouse-mäßig – die „Jungs“. Mit mehreren Aufenthaltsräumen, die so witzige Namen wie „Voodoo Lounge“ und „Havana Bar“ tragen.

Und natürlich hat jedes Mitglied seine eigene, geräumige Garderobe. Die von Keith liegt ganz am Ende eines engen Korridors, der einmal mehr von zwei Security-Schränken kontrolliert wird. Ca. 25 Quadratmeter Allerheiligstes – mit knallroten Wänden, zwei monströsen schwarzen Leder-Couchen, brennenden Kerzen und Räucherstäbchen. Dazu ein Couch-Tisch, auf dem ein riesiger Ghetto-Blaster alte Motown-Hits dudelt und eine Hausbar, die Alkoholika für jeden Geschmack und jeden Durst bietet. Keith, wie immer im Piratenlook aus Blue Jeans, T-Shirt und Stirnband, tänzelt singend durch den Raum, inhaliert den Rauch seiner Kippe und schlürft an einem Mix-Getränk. Der Besuch aus Deutschland bringt ihn kein bisschen aus der Ruhe. „Hey, Mann, klasse, dass du da bist. Hattest du ‘nen guten Flug? Wie lange bleibst du in der Stadt? Willste was trinken? Bedien dich – da sind Säfte, Bier und Vodka!“

Was für ein Empfang. Und als hätte er das Wort „Vodka“ als Einladung verstanden, steht plötzlich Ron Wood in der Tür, sagt kurz Hallo, leiht sich ein Päckchen Zigaretten und verschwindet wieder. Jetzt ist da nur noch das kehlige Lachen, die obligatorische Rauchwolke und ein Zettel mit Fragen. Vielen Fragen.

A Bigger Bang

‘A Bigger Bang’ EPK:

G&B: ,A Bigger Bang‘ ist euer erstes Studio- Album seit ,Bridges To Babylon‘. Und das liegt geschlagene acht Jahre zurück…

KR: Es wurde wirklich langsam Zeit, oder? (lacht) Ich meine, bei uns ist es immer so, dass jede Tour mit einem neuen Album einhergeht. Und wenn du so viel unterwegs bist, merkst du gar nicht, dass plötzlich schon acht Jahre vergangen sind. Verrückt, oder? So ist das. Dabei war die letzte Tour zwar großartig, aber im Grunde doch ziemlich retro. Denn darum ging es auf ,40 Licks‘ – um die alten Kamellen. Und die haben wir gebracht, was ziemlichen Spaß gemacht hat. Aber wir haben es eben auch vermisst, neue Sachen zu spielen. Und diesmal ist es so, dass eine Menge Spannung in der Luft liegt. Denn es gibt wieder neuen Stoff… (lacht)

G&B: Ein weiteres Live-Album hättet ihr euch wohl kaum leisten dürfen.

KR: Ganz genau – obwohl das nach diesem Album durchaus wieder passieren könnte. (lacht) Das hängt davon ob, wie wir spielen.

G&B: Aber vier Live-Mitschnitte in zehn Jahren – ist das nicht etwas viel

KR: Doch, das ist es. Aber ich muss sagen, dass Live-Alben der Stones heute allein deshalb interessant sind, weil wir einen viel besseren Sound haben. Das ist eine Tatsache. (lacht) Wir sind nun mal in erster Linie eine Live-Band. Das ist unser Ding. Auch, wenn man es mit solchen Platten natürlich nicht übertreiben darf. Aber mit dem Live-Aufnehmen ist es so eine Sache. Wenn du – wie wir – wirklich alles aufnimmst, findest du ständig tolle, neue Versionen von irgendwelchen Songs. Und die rauszubringen ist eine tolle Sache, auch wenn das natürlich pure Nostalgie ist, und schon allein deshalb nicht unser Hauptaugenmerk. Wir nehmen nur einfach alles auf – jede Show, jeden Soundcheck, alles. Da sind wir wie Frank Zappa. (lacht)

 


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Keith-Richards-Themenspecial


G&B: Wie steht es mit dem Album-Titel? ,A Bigger Bang‘! Angeblich rührt der von eurer Begeisterung für die Urknalltheorie…

KR: Das spielt da sicherlich mit rein. Aber das war nicht meine Idee, und ich habe mir auch noch keine wirklichen Gedanken darüber gemacht. Irgendwann hieß es einfach, dass sie die Tour so nennen wollten. Und weil wir in sehr großen Venues spielen und etwas richtig Monströses auffahren, schien das auch angemessen. Dann hieß es plötzlich, dass das Album genauso heißen soll, was mir zunächst nicht wirklich gefiel. Aber dann erkannte ich, dass Album und Tour eben unmittelbar zusammenhängen. Und dagegen anzugehen und lange zu debattieren hätte geheißen, gegen den Strom zu schwimmen. Das habe ich mir gespart. Es ist also mit Sicherheit nicht der beste Titel für ein Album, aber in Zusammenhang mit der Tour macht er schon Sinn. Und es ist ja auch nicht entscheidend, was auf der Platte steht, sondern was drauf ist – eben ob die Musik gut ist.

G&B: Hast du dich denn privat mit dem Urknall beschäftigt – mit der Frage, warum wir alle hier sind?

KR: Das habe ich wirklich. Und ich sag dir was: Ich werde meine Ergebnisse publizieren, sobald ich mir darüber im Klaren bin. (lacht) Denn: Denken wir nicht alle darüber nach? Ich meine, ob das jetzt ein großer Knall war oder ob Gott einfach nur einen abgeseilt hat, wer weiß? Mir ist das egal. Das überlasse ich anderen Leuten, die nichts anderes zu tun haben, als das Universum zu studieren. Ich studiere lieber Menschen. (Keith schlürft an seinem undefinierbarem Kaltgetränk)

G&B: Aber so viele Tracks auf einmal – immerhin 16 – habt ihr zuletzt in den frühen 70ern, genauer auf ,Exile On Mainstreet‘, veröffentlicht. Wie kommt’s? Hattet ihr einen Lauf?

KR: Stimmt. Und dafür gibt es keinen besonderen Grund, außer dem, dass es halt alle Songs waren, die wir bis zu einem gewissen Punkt geschrieben und aufgenommen haben. Wir haben zwar noch etliche mehr geschrieben, aber diese waren fertig. Und als es darum ging, welche wir mitnehmen und welche wir weglassen, kam halt die moderne Technik ins Spiel, die dir erlaubt, wirklich so viele auf einen Schlag zu veröffentlichen. Da kannst du dann 16 Stücke auf eine CD pressen, was früher, bei einer einzelnen LP unmöglich gewesen wäre. Allein schon wegen der Sound-Qualität. Wir verfuhren also nach der Maxime: Das ist es, was wir gemacht haben, also lasst es uns veröffentlichen – lasst uns sehen, was davon fliegt. Wie Pfannkuchen.

G&B: Wenn man sich die Vielfalt der Platte vor Augen führt, hat man das Gefühl, als wäre es eine Art Bestandsaufnahme – ein Zeugnis dessen, wer ihr seid und was ihr könnt.

KR: Das ist mir auch erst vor einer Woche oder so klar geworden. Eben als Mick und ich uns erstmals das ganze Ding angehört haben. Obwohl das nie unsere Absicht war und wir keinen cleveren Plan verfolgten, deckt es doch wirklich alles ab, was wir so machen. Eben alle Facetten. Dabei war das nicht geplant. Wir haben uns nicht hingesetzt, und gesagt: Oh, jetzt brauchen wir eine schnelle Nummer, eine langsame, einen Rocker oder was auch immer. Wir haben einfach aufgenommen. Und das war ein Riesenspaß. Hinterher stellten wir dann fest, dass wir wirklich alles abgedeckt hatten. Was ich toll finde. Ich mag es, wenn sich Dinge einstellen, ohne dass man sie groß geplant hat. Denn wenn du Dinge planst, funktionieren sie hinterher eh nicht.

G&B: Du selbst hast diesmal zwei Solo-Auftritte, die sich im positiven Sinne vom Rest des Materials abheben.

KR: Oh, danke! Es war ‘ne sehr interessante Sache. Weißt du, ich mag es einfach, meinen Teil zu einem Album beizutragen. Und ,This Room Is Empty‘ ist wirklich ein netter Song.

G&B: Gibt man dir den Platz dafür oder forderst du ihn ein?

KR: Ich brauche gar nichts verlangen – der Platz war einfach da. Die Frage war eigentlich nur, welche Songs ich benutzen sollte, denn ich hatte noch drei bis vier weitere geschrieben. Und dann kommt es auch immer wieder vor, dass sich Mick zu mir umdreht und sagt: „Also, diesen Song solltest besser du singen. Denn das bist du.“ Dabei schreibe ich sie ja eigentlich alle für ihn. Die Frage ist halt, was dabei rauskommt, und welche er machen will bzw. welche nicht. (lacht) Wenn er nicht will, mache ich es halt. Dann bin ich der Pausenclown.

 

Live

G&B: Ihr startet Ende August eure nächste große Tour. Gibt es schon Daten bzw. Pläne für Europa?

Zunächst einmal geht es durch die USA, und dann nach Südamerika und Japan. Europa ist für Mai/Juni 2006 angedacht. Wir sind also länger unterwegs.

G&B: Was dir nichts ausmacht?

KR: Eigentlich nicht. Du merkst erst nach dem allerletzten Gig, wie müde und ausgepowert du wirklich bist. Dann musst du erst mal durchatmen und willst nur noch ins Bett. Aber ansonsten? Kein Problem!

G&B: Werdet ihr wieder größere Stadien und kleinere Clubs kombinieren?

KR: Ich hoffe, wir bleiben bei dieser Mischung. Ganz einfach, weil sie das letztes Mal so toll war. Und vielleicht können wir das ja noch ein bisschen ausdehnen. Denn es ist ja nicht nur toll fürs Publikum, sondern auch für uns. Wir können da ganz unterschiedliche Sachen bringen und einfach ein bisschen mehr variieren, als wenn wir nur diese großen Stadien-Dinger abreißen. Das kann auf Dauer ganz schön ermüdend sein. Trittst du dagegen mal in einer Halle, mal in einem Theater und mal in einem Stadion auf, sorgt das für Abwechslung. Gerade für uns als Band. Bei den kleineren Gigs kannst du immer viel ausprobieren, und das dann auf der großen Bühne wiederholen. Insofern dient jede Show als Testfeld für die nächste. Und wenn du uns in einem kleinen Club siehst: Zieh bloß nicht zu viel an, Mann. Das wird verdammt heiß!

G&B: Ihr habt diesmal sehr angesagte Vorgruppen. Etwa Metallica, Wilco oder Pearl Jam. Inwieweit verfolgst du die aktuelle Musikszene? Gehst du in Clubs und schaust dir Bands an?

KR: Es ist nicht so, als ob ich danach suche. Wir haben einfach offene Ohren. Und wenn jemand sagt, habt ihr schon diese Jungs gehört, die sind sehr interessant, sehr gut live, dann höre ich mir das an. Aber es ist schon oft passiert, dass dir eine Platte gefällt, aber es dann heißt: „Mann, schau dir die bloß nicht live an, die können gar nichts!“ Während es wieder andere Bands gibt, bei denen es genau andersherum ist. Und wir suchen nun mal Bands, die live spielen können, die es drauf haben, und nicht irgendwelche süßen Jüngelchen, die nur zufällig ein gutes Album hingekriegt haben. Damit kannst du mir gestohlen bleiben.

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