Death-Metal-Meisterklasse

Cannibal-Corpse-Bassist Alex Webster im Interview

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Websters Setup mit seinem schwarzen Spector-Signature-Fünfsaiter (Modell: Euro5 LX Alex Webster) (Bild: Alex Webster)

Dafür hast du selbst eine ziemlich ausgefeilte Drei-Finger-Technik entwickelt, wer waren da deine Vorbilder?

Ich hatte nur eines: Steve Di Giorgio, der heute bei Testament spielt. Mitte der 1980er war Steve Harris von Iron Maiden im Metal-Bereich das Maß aller Dinge, was Tempo und Virtuosität anging, doch als es mit Cannibal Corpse losging, war eine noch schnellere Spielweise erforderlich, und es muss Ende 1988 gewesen sein, als ich die Demos von Di Giorgios Band Sadus hörte, die mich umgehauen haben, weil man hörte, dass er dieses irre Zeug mit den Fingern spielte. Als mir unser damaliger Gitarrist Jack Owen dann ihr Debütalbum ‚Illusions‘ vorspielte, wollte ich unbedingt wissen, wie Steve das anstellte, also suchte ich seine Telefonnummer und rief ihn an. Er war schon damals ein unheimlich netter Typ und erklärte mir sein Anschlagmuster: Ring-, Mittel-, Zeige- und wieder Mittelfinger. Es ist ein gleichmäßiges Vor und Zurück, wobei die Eins im Viervierteltakt immer auf denselben Finger fällt. Ich versuchte, mir diese Technik anzueignen, sparte mir aber schließlich die Rückwärtsbewegung über den Mittelfinger, mein Pattern ist also 3-2-1-3-2-1, und die Betonung im Takt fällt immer auf einen anderen Finger. Damit stehe ich nicht alleine da, Billy Sheehan, John Myung von Dream Theater und Felipe Andreoli von Angra spielen genauso.

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Diese und andere Dinge hast du 2011 in deinem Lehrbuch ‚Extreme Metal Bass‘ erörtert – mit welchem Ziel?

Ich greife selbst immer noch gerne zu Büchern, obwohl Informationen heutzutage per Klick abrufbar sind. Sich in die Seiten eines Buches vertiefen zu können, ist einfach etwas Besonderes, ich bin so aufgewachsen, übte mit Büchern Bass und habe immer noch ein Regal mit 30, 40 Titeln hier, die teilweise auch Musik allgemein behandeln. Über extremen Metal findet man mittlerweile vieles online, aber spezifische Bücher gibt es nach wie vor kaum. Death Metal bildet die Grundlage für ‚Extreme Metal Bass‘, aber ich wollte auch, dass Bassisten etwas damit anfangen können, die eher auf Bands wie Exodus oder Meshuggah stehen. Es sollte etwas sein, dass ich mir selbst mit 20 gekauft hätte.

Stattdessen musste man mit solcher Musik um Anerkennung ringen, weil einem die Ernsthaftigkeit abgesprochen wurde.

Die Anfänge des Death und Thrash Metal klangen vergleichsweise primitiv, die frühen Bands taten einfach das, was sie konnten, was nicht viel war, also kann ich nachvollziehen, dass Außenstehende sie nicht ernst nahmen. Der Anspruch hat aber im Lauf der Jahre zugenommen, und jetzt weiß so gut wie jeder, dass diese Stile hohe Anforderungen an Instrumentalisten stellen. Natürlich gab es schon in den 1980ern technische Bands wie Annihilator oder Watchtower, doch heute sind es deutlich mehr.

Dass man als Musiker körperlich fit sein muss, gilt umso mehr für extreme Spielarten. Dir dürfte das spätestens dann bewusst geworden sein, als du unter Fokaler Dystonie gelitten hast.

Das fing im Spätsommer 2015 nach einer Europatournee an. Ich hatte damals keine gesunde Einstellung zu meinem Spiel und mäkelte an Kleinigkeiten herum, die eigentlich niemandem im Publikum aufgefallen waren. Obwohl ich nicht weiß, wie ich mir die Krankheit zugezogen habe, kenne ich Kollegen mit Fokaler Dystonie, die ebenfalls sehr selbstkritisch waren, vielleicht hängt es tatsächlich damit zusammen. Jedenfalls bekam ich während der Vorbereitungen zu unserer nächsten Tour Koordinationsprobleme mit der rechten Hand, sodass ich die einfachsten Dinge nicht mehr spielen konnte. Der Zeigefinger bewegte sich nicht so, wie ich wollte, und streckte sich zum Beispiel, wenn ich eine Saite anschlagen wollte. Dass mir etwas, das mir jahrzehntelang so natürlich vorgekommen war, plötzlich so schwerfiel, verwirrte mich und machte mir Angst, obwohl ich keine Schmerzen hatte.

Trotzdem ist Fokale Dystonie unter Musikern weitverbreitet und sollte in den Fokus der allgemeinen Wahrnehmung rücken wie das Karpaltunnelsyndrom oder Sehnenscheidenentzündungen auch. Es handelt sich vermutlich um eine neurologische Störung, aber gründlich erforscht ist sie immer noch nicht. Ich recherchierte und erfuhr schließlich von dem beliebten Onlinelehrer Scott Devine, dass man das Leiden bis zu einem gewissen Grad eindämmen kann, indem man beim Spielen einen Handschuh trägt. Das versuchte ich, und es klappte wirklich, bloß konnte das kein Dauerzustand bleiben. Dann stieß ich auf den Spezialarzt Joaquin Farias in Toronto, bei dem ich eine viertägige Therapiesitzung machte, die gut anschlug. Mit seiner Methode bekam ich das Problem in den Griff, dadurch ist mir auch klar geworden, wie wichtig Ergonomie und eine natürliche Körperhaltung beim Spielen sind; schon eine kleine Korrektur der Schulterstellung oder eine andere Platzierung des Daumens der Schlaghand kann Wunder wirken. Wer Symptome einer Fokalen Dystonie an sich entdeckt, dem empfehle ich www.fariastechnique.com.

Um zum Ende zu kommen: Welcher jüngere Bassist hat dich in letzter Zeit besonders beeindruckt?

Oh, ich lege meistens Klassiker von früher auf, Autopsy oder Morbid Angel, das muss am Älterwerden liegen. Was moderneren Kram angeht, fallen mir spontan nur Avatar aus Schweden mit ihrem aktuellen Album ‚Devil Dance‘ ein; der Bassist Henrik Sandelin ist echt stark, und ich mag das ganze Konzept der Band. Da draußen tummeln sich etliche überragende Techniker, bei denen mir die Musik an sich ein bisschen zu kurz kommt. Der Song muss Priorität genießen, denn wen interessiert schon, wie schnell du deine Finger bewegen kannst? Ich weiß, das klingt aus meinem Mund merkwürdig, doch am Ende des Tages geht es nur darum, dass man Musik macht, die von Herzen kommt und dann hoffentlich auch von anderen Menschen gemocht wird.


(erschienen in Gitarre & Bass 11/2023)

Produkt: Gitarre & Bass 11/2023
Gitarre & Bass 11/2023
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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Hi,

    ich interessiere mich nicht nur für Death Metal, sondern spiele selber zumeist ziemlich schnelle Riffs und Sweeping-Licks. Alex seine Beschreibung mit dem kritischen Blick aufs eigene Spiel kann ich ebenfalls bestätigen. Die psychologische Seite und der eigene Anspruch und die daraus resultierende Übungsdichte scheint hier ein großer Teil des Problems zu sein. Leider bin ich ebenfalls im kleinen Finger von einer Dystonie betroffen, was mir lange Zeit das Leben sehr schwer gemacht hat. Der Trick mit dem Handschuh hat bei mir leider nicht geklappt. Ich würde mich freuen, wenn ihr euch weiter mit dem Thema auseinandersetzen und berichten würdet.

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