Die Kinder der 90er

Die Wiedergeburt: Marshall Guv’nor, Drive Master, Bluesbreaker, Shredmaster Reissue Pedals im Test

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(Bild: Dieter Stork)

Manchmal werden Träume wahr. Schon in den 90ern hatte Ibanez ein Einsehen mit den zu spät geborenen Gitarristen und legte die TS9 und TS808 Tube Screamer als Reissue wieder auf. Marshall ließ sich dagegen lange bitten, aber jetzt ist es so weit: seine Kulteffektgeräte werden wieder als Neuware verkauft! Es gibt nicht nur die Wiederauflage des Guv’nor, eines der meist kopierten und gemoddeten Distortion-Pedale überhaupt, sondern auch die drei Nachfolger aus den Neunzigern, Drivemaster, Bluesbreaker und Shredmaster, dürfen wieder im neuen Glanz erstrahlen.

Ich freue mich wie Bolle! Gehören die alten Originale doch schon seit Jahren zu den liebsten Stücken in meiner Pedalsammlung. Ich nutze meinen Guv’nor und meinen Bluesbreaker immer wieder mal und erfreue mich vor allem an den Booster-Qualitäten der beiden vor meinen Verstärkerklassikern. Mein alter JCM 800 2203 und der Guv’nor sind ein perfekt eingespieltes Team, wenn es darum geht, mehr Gain aus dem alten Amp herauszuholen, ohne den Klangcharakter des Verstärkers zu ändern. Die Erfahrung gönne ich gerne jedem Gitarristen, der Spaß an Vintage-Sounds hat.

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In den letzten Jahren sind die Gebrauchtmarktpreise für die drei Pedale allerdings so sehr gestiegen, dass man sich den Kauf eines alten Marshall-Pedals zweimal überlegt. Gut, dass Marshall zum Firmenjubiläum auch ein Einsehen mit den Pedal-Nerds hat. Marshall hat mit der Wiederauflage seiner 80er- und 90er-Kultverzerrer den Anspruch definiert, die alten Originale wiederzubeleben. Dafür werden die Pedale mit konventionellen Bauteilen im englischen Firmensitz in Handarbeit nach den Originalplänen der alten Serie gefertigt.

Das Ergebnis der Mühe ist auf den ersten Blick auch ziemlich gut gelungen: Die Gehäuseform und Abmessungen sind schon mal identisch. Selbst die unseligen Plastikabdeckungen der Batteriefächer von Drivemaster, Bluesbreaker und Shredmaster, die so gerne verloren gehen, hat man wieder kopiert. Nur wer sehr genau hinschaut, bemerkt, dass z. B. die Farben und die Größe der Schrift nicht hundertprozentig stimmen. Aber geschenkt, und vielleicht haben sich ja auch die Farben meiner Pedale im Laufe der letzten dreißig Jahre verändert.

Zeitgemäßes Update: In den Reissues werden konsequent Metallfilmwiderstände verbaut. (Bild: Marc-Oliver Richter)

Aber wie sieht es mit den inneren Werten aus? Hier hat Marshall zum Glück wohl keinen Zugriff mehr auf die alten Potis und Buchsen gehabt, sodass nun eine bessere Qualität verbaut wurde. Gut so, denn die Potis meiner alten Originale halte ich schon seit Jahren nur noch mit DeoxIT-Spray am Leben. Auch bei den anderen elektronischen Bauteilen gibt es zeitgemäße Updates; so sind z. B. nun konsequent Metallfilmwiderstände verbaut.

Die entscheidende Frage ist aber, ob die neuen Pedale auch wirklich so klingen wie ihre Vorbilder. Ich lege den Schwerpunkt des Tests daher auf den Vergleich der Reissues mit meinen Vintage-Schätzchen.

(Bild: Dieter Stork)

DER GUV’NOR

Okay, es gab natürlich schon vor dem Guv’nor Distortion-Pedale. Also verkneife ich mir den naheliegenden Ehrentitel „Godfather of Distortion“. Aber ich würde den Guv’nor schon neben Big Muff, MXR Distortion Plus, Tube Screamer und Rat in die Top 5 der einflussreichsten Verzerrerpedale wählen. Der Klang des Guv’nor dürfte daher wohl bekannt sein. Schließlich ist er das Pedal für „heiße“ Marshall-Distortion im Stil des JCM 800 und JCM 900. Der Guv’nor transportiert die britische Rauheit mit einer beeindruckenden Leichtigkeit und klingt dabei erfreulich direkt – als wäre man nah dran. Er hat im positiven Sinne Ecken und Kanten, an denen sich das Ohr festbeißen kann und ist kein Schönfärber für Wohnzimmer-Sounds, sondern ein Teamplayer, der im Bandkontext geschickt die Frequenzlücken der Gitarre nutzt.

(Bild: Dieter Stork)

Diese Eigenschaften kann man dem Reissue-Pedal auf jeden Fall attestieren. Im direkten A/B-Vergleich mit meinem originalen Pedal aus den 80er-Jahren klingt der Neue etwas kräftiger im unteren Mittenbereich. Dafür sind die Präsenzen, also die Frequenzen im oberen Mittenbereich, etwas dezenter. Die Höhen sind im Direktvergleich „fizzeliger“ und kratzen mehr als beim Original. Man ertappt sich daher dabei, sie etwas weiter zurückzunehmen. Insgesamt ist die Distortion etwas weniger transparent und aufgeräumt als beim Vorbild. Aber Leute, das sind Nuancen! Bitte entspannt bleiben.

Nicht nur optisch etwas anders, der alte und der neue Guv’nor unterscheiden sich auch klanglich ein wenig. (Bild: Marc-Oliver Richter)

HISTORY – DIE GUV’NOR STORY

Nach frühen und nicht sehr erfolgreichen Versuchen in den 60ern auf dem Pedalmarkt mitzuspielen, konzentrierte sich Marshall in den 70er- und 80er-Jahren ganz auf die Verstärkerproduktion: Die JCM-800-Serie wurde zum Inbegriff des Rock-Sounds und der Marshall-Sound in Transistor-Technologie wurde erfolgreich auf dem Markt eingeführt. Ein unscheinbares kleines Produkt aus dieser Transistor-Sparte sollte dann den Anstoß zum erneuten Versuch in der Effektgeräteproduktion geben.

Ein 12 Watt starker Micro Stack – eher stylisches Wohnzimmer-Accessoire als ein ernstzunehmender Gitarrenverstärker – bot den typischen rauen Marshall-Klang in so guter Qualität, dass einige Gitarristen das Topteil als Vorstufe für einen großen Verstärker missbrauchten. Selbst namhafte Profis integrierten den Winzling in ihre damals sehr populären Rack-Systeme.

Der nächste Schritt lag also auf der Hand. Jim Marshall steckte die Vorstufe des Micro Stacks in ein Fußpedal, gab ihm seinen persönlichen Spitznamen mit auf den Weg und kreierte mit dem Guv’nor 1988 das Kulteffektgerät der Marshall-Geschichte. Aber was lässt eigentlich ein Gerät zum Kultgerät werden? Nun, zuerst einmal muss es natürlich gut klingen. Dann sollte es eine Innovation sein oder zumindest als erstes Gerät eine Neuheit beinhalten, und drittens schadet es auch nichts, wenn ein Prominenter das Gerät nutzt oder zumindest genutzt hat. All das trifft auf den Guv’nor zu.

Den guten Klang bewies es bereits als Micro Stack. Die ursprüngliche Konzeption als Verstärker machte den Guv’nor zudem außerordentlich flexibel, und der Gitarrenheld, der den Sound des Guv’nor nutzte, war niemand Geringeres als Gary Moore, der mit seiner Les Paul, einem JTM 45 und eben jenem Verzerrerpedal das Meisterwerk ‚Still got the Blues‘ eingespielt haben soll. Die neuartige Schaltung des Guv’nor fand im Laufe der Zeit zahlreiche Nachahmer, und letztendlich beweist die Tatsache, dass der Guv’nor-Sound in nahezu jedem Modeling-Multi-Effektgerät steckt, dass das Gerät ein Klassiker ist.

Mit 190 DM war der Guv’nor 1989 etwas teurer als die Konkurrenz, was seinem Erfolg aber keinen Abbruch tat. Dennoch wurde er insgesamt nur drei Jahre gebaut. Eine Tatsache, die den Kultfaktor natürlich auch unterstützt. Die Preise auf dem Gebrauchtmarkt lagen vor etwa 10 Jahren noch bei moderaten 60 bis 80 Euro, mittlerweile rufen Anbieter auch schon mal über 200 Euro für ein altes Original auf.


Die übrigen Reissue-Pedals im Praxistest auf Seite 2

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ich beziehe mich hier mal direkt auf den alten Marshall Guv‘nor, das damalige Original,und war doch etwas überrascht von eurem Testbericht.

    Was schon recht unverständlich ist,scheint die Tatsache,daß selbst der neue Guv’nor von Marshall mit den identischen Bauteilen 1:1 nachgebaut wurde,und letztendlich dann doch,wenn auch minimal,anders klingt als das alte Original. Ist hier evtl. doch Voodoo,bzw. unheimliche Magie mit im Spiel,oder sind vielleicht doch winzig kleine Bauteile oder Schaltungen bei der neuen Guv’nor anders,als beim Original aus der damaligen ersten Serie?

    Ich besitze noch den alten Original Marshall Guv’nor der ersten Produktionsserie,bei dem die Potis bekanntlich etwas kratzen,das extrem robuste Metallgehäuse schon damals unter Insidern sehr berühmt war,und der amtliche Marshall Sound des besagten Guv’nor bis heute in Erinnerung blieb.

    Und dennoch klingt der neueste Nachbau dieser kleinen „Kiste“ schlußendlich dann doch ganz anders. Ich habe derzeit selbst gar keinen Vergleich,weil ich meinem uralten Guv’nor treu bleibe,und nicht unbedingt den neuen Nachbau kaufen möchte,daher vertraue ich eurem objektiven Vergleichstest,und freue mich,daß ich das originale Relikt aus vergangenen Tagen bis dato mein Eigen nennen darf.

    Vielen Dank für den Testbericht des Marshall Guv’nor.

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    1. Da sind sie wieder… die Korkenschnüffler mit den goldene Ohren.
      Die Zauberworte lauten Bauteiltoleranzen und -alterung.
      Die alten Kohlepresswiderstände hatten damals schon mindestens 10% Toleranz, Kondensatoren üblicherweise 20% und was ein paar Jahrzehnte unsachgemäße Lagerung auf Bühnen und in Probenräumen mit den Bauteilwerten angestellt haben können wir sowieso nur mutmaßen.
      Es dürfte so gut wie unmöglich sein zwei gleich klingende alte Originale zu finden.
      Brian Wampler hat dazu schon vor etlichen Jahren ein nettes Youtube-Video produziert wo er das am Beispiel Tubescreamer vorexerziert wie sich dieselbe Schaltung benimmt, wenn man ein paar Bauteile innerhalb üblicher Herstellertoleranzen verändert.

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      1. Ach,ja,Toleranzen sind super,dies gilt ja z.B. auch für zwei (fast) baugleiche E.-Gitarren aus der Serienproduktion,die kurioserweise häufig völlig unterschiedlich klingen können,-oder scheint dies etwa doch nur Mystic oder gar Voodoo zu sein???

        Klar,es existieren auch bei Effektpedalen stets gewisse Toleranzen,doch sind diese oft viel zu gering,daß man von deutlich gravierenden Unterschieden sprechen kann.

        Ich habe meinen alten originalen Marshall Guv’nor der „First Edition“ aus England auch noch in meiner Bodentretersammlung,und möchte ihn nie mehr missen,denn er ist auch nach all den Jahren weiterhin in Betrieb. Die leicht kratzigen Potiregler geschenkt,kann ja leicht behoben werden,ist definitiv gar keine Tragik.

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