Tone Research:

Rock mit kleiner Lautstärke – Teil 2

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In der letzten Folge habe ich einleitend etwas weiter ausgeholt, um zu verdeutlichen, um was es in den nächsten Folgen geht. Die Rede war vom „Rock-Sound“, ganz unprätentiös auch Brit-Sound genannt, weil er aus England stammt.

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Marshall- 2203-Layout (Bild: Udo Pipper)

Aus diesem Land kommen schließlich die Marshalls, Hiwatts, Laneys und Orange-Boliden. Auch wenn diese Amps heute noch heiß begehrt unter Rockern sind, haben wir offenbar den Umgang damit verlernt. Die meisten von uns spielen unter Bedingungen, wo man ein Fullstack mit 100 Watt und zwei 4×12- Boxen nicht mehr aufdrehen darf. Und Roadies haben wir auch nicht. Wer will solche Anlagen schon noch schleppen? Dennoch bleibt die Liebe zu fetten und gleichzeitig dynamischen Riffs, die eben diese typische Rockkralle in ganzer Blüte entfalten. Mich hat es in den Anfängen meiner eifrigen Gitarren-Magazin-Lektüre verblüfft, als ich las, dass zum Beispiel Ted Nugent sein ‚Cat Stratch Fever‘ angeblich aus einem kleinen braunen Fender Deluxe Amp abfeuerte.

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Genauso wunderte es mich, dass Billy Gibbons im Studio und sogar live oft über kleine Tweed Amps aus den Fünfzigern spielte. Dabei waren die Sounds manchmal sogar fetter als ein voll aufgedrehter Marshall. Jimmy Page vertraute bei Aufnahmen auf einen kleinen Supro-Amp und Deep Purples Ritchie Blackmore auf einen Vox AC30. Vielleicht braucht man die angeblich magischen 100-Watt auch gar nicht. Schauen wir uns zunächst die klassischen Konstruktionsmerkmale der üblichen Boliden genauer an. Nehmen wir zum Beispiel die sogenannte Plexi-Ära. Die frühen Marshall-Boliden hatten noch KT66-Röhren und eine als „shared-cathode“ bekannte Vorstufen-Schaltung. Dabei teilten sich die beiden Kathoden der ersten Doppeltriode einen gemeinsamen 250-uF-Kathoden-Elko. Ganz wie es das Vorbild „Fender Tweed Bassman“ vorschrieb.

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60s Marshall JMP20 (Bild: Udo Pipper)

Das Ergebnis hören wir vor allem bei Jimi Hendrix‘ und Eric Claptons frühen Werken. Besonders eindrucksvoll bei ‚Spoonful‘ vom Cream Debut-Album ‚Fresh Cream‘ aus dem Jahr 1966. Diese Amps lieferten weit aufgedreht einen unglaublich fetten Blues-Ton. In unteren Lautstärke-Bereichen hatten sie ein sehr breites Frequenzspektrum, ähnlich einem Fullrange- oder HiFi-Amp, da der große Elko eine besonders tiefe Basswiedergabe ermöglicht. Aber da waren die klassischen Rockriffs immer noch nicht geboren. Das geschah erst, als die Gitarrenhelden entweder den Treble-Booster, der die für das markante Riff störenden Bässe beschnitt, entdeckten oder die Verstärker-Hersteller ihre Amps für höhere Lautstärken rüsteten, indem sie den großen Elko an der ersten Röhre schließlich in einen fast 500 Mal kleineren 0.68-uF-Typen änderten.

Ähnlich wie beim Treble-Booster wurden hier die Bässe stark beschnitten und die hohen Mitten angehoben, wodurch die Amps auch bei höheren Lautstärken immer noch straff und knackig klangen. Das geschah etwa Anfang der Siebzigerjahre. Somit gliedert sich die Entwicklung der Rocksounds in drei Abschnitte. Ganz am Anfang stand der JTM45 oder JTM45/100 mit seinem fetten Sound, der aber bei hohen Lautstärken zu fett und daher „unscharf“ wurde. Kurz darauf kamen die Treble-Booster zum Einsatz, die dieses Manko erfolgreich beheben konnten und die ersten berühmten Rockriffs ermöglichten. Deep Purple, Jethro Tull oder T.Rex und nicht zuletzt Sweet und Slade sind Beispiele dafür. Eine Zeitenwende – so Marshall-Entwickler Steve Grindrod – geschah dann Mitte der Siebziger, als der „split-cathode“-Schaltung mit dem erwähnten 0.68-uF-Kondensator in Verbindung mit einem Master-Volume in den meisten 100-Watt-Amps der Vorrang gegeben wurde. Und das ist bis heute so geblieben.

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60s JMP 20 Layout (Bild: Udo Pipper)

Eine kräftige 100-Watt-Endstufe mit einer sehr schlank abgestimmten Vorstufe ist immer noch das gängige Rezept sowohl bei Marshall als auch bei sämtlichen Nachfolgern wie Bogner, Soldano, Engl, Diezel oder Larry. Und um eines gleich vorweg zu nehmen: Diese Sounds bekommt man in voller Ausprägung mit einem 18-Watt-Amp einfach nicht hin. Egal, ob wir uns von AC/DCs ‚Back In Black‘-Album entzücken lassen, von Iron Maiden, Motörhead, van Halen oder Metallica: Immer steht diese Kombination im Mittelpunkt.

Man könnte nun einfach dieses Prinzip auf kleinere Amps übertragen. Etwa einen Treble-Booster vor einen Tweed Deluxe schalten. Oder seinen Fender Princeton Reverb mit dem magischen 0.68-uF-Kondensator bestücken und dann voll aufdrehen. Aber so einfach ist es dann eben doch nicht. Die Boliden hatten Dioden-Gleichrichtung für satte Dynamik, teils hohe Anodenspannungen und Trafos mit sehr viel „Eisen“. Von nichts kommt nichts. Für kleinere Konstruktionen müssten all diese Merkmale erfolgreich kompensiert werden. Und das macht es schwierig. Wäre es einfach, stünden in jedem Musikgeschäft zuhauf Brit-Rock-Amps mit 15 Watt.

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Getunter Marshall 2061 (Bild: Udo Pipper)

Aber die sucht man leider vergeblich. Obwohl es in jüngster Zeit ein paar recht gute Ansätze gab. Aber dazu später mehr. Zunächst betrachten wir die gängigen Layouts kleinerer Amps, denen eine Tauglichkeit für Rockriffs nachgesagt wird. Ende der Sechziger brachte Marshall etwa den JMP 20 auf den Markt. Dieser Amp wurde in den letzten 20 Jahren ein oft kopiertes Vorbild für zahlreiche Boutique-Hersteller. In der Endstufe arbeiten zwei Gain-freudige EL84-Röhren mit Kathoden-Bias-Schaltung und ohne Gegenkopplung. Im Grunde gleicht dieses Konstrukt einem Vox AC30 mit halber Leistung (und diesen gab es auch als AC15). Die Anodenspannung liegt, wie es diese Röhren verlangen, weit unter 400 Volt. Die Vorstufe ist stark entkoppelt, das heißt die Bässe werden durch besonders kleine Koppelkondensatoren für einen harmonischen Overdrive-Sound beschnitten.

Der einzige Nachteil dieser Amps bestand in dem Verzicht auf eine übliche Treble-, Mid-, Bass-Klangregelung. Stattdessen gibt es zwei etwas unterschiedlich abgestimmte Kanäle mit je einem Volume- und einem Tone-Regler. Die Schaltung ist so einfach und schnörkellos, dass sich praktisch jedes Bauteil in das Gesamtergebnis einmischt. Sie verlangen somit meist einen Techniker, der diese Amps auf optimalen Sound abstimmt. Eine Kopie der Schaltung allein ergibt noch keinen vollständig zufriedenstellenden Rock-Sound. Man erfährt das meist erst dann, wenn man ein besonders gelungenes Original von 1967 mit dem Reissue 1974X von Marshall vergleicht. Aus der Entwicklungsabteilung von Marshall hieß es damals (etwa 2004), dass man einen ungeheuren Aufwand betreiben musste, um Bauteile zu finden, die dem Original nahekamen. Die Trafos mussten analysiert und akribisch genau nachgewickelt werden, passende Kondensatoren fand man bei Roederstein, und der Celestion G12M-Speaker musste künstlich gealtert werden, um seinem Urahn klanglich näherzukommen.

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Bauteile aus alten Mini-Marshalls (Bild: Udo Pipper)

Das Ergebnis beeindruckte mich damals im Test für unser Magazin. Der 2061/JMP 20 Reissue oder 1974X sind gelungene Wiederauflagen eines fantastischen Rock-Amps mit geringer Lautstärke. Ich kenne jedoch einen Sammler, der beide Amps besitzt und von mir verlangte, dass ich dem Reissue durch die richtige Bauteilausstattung genau denselben Sound bescheren würde wie seinem Original von 1967. Ich kam nach einigen Mühen zwar sehr nah heran, konnte diese unvergleichlich gute Klangfarbenpalette des alten Amps aber dennoch nicht komplett nachstellen. Hier wurde deutlich, dass alte Philips Mustard Kondensatoren, RS-Elkos und Vintage Mullard-Röhren noch nicht das ganze Rezept ausmachen. Der neue Amp blieb immer einen Hauch steriler und eindimensionaler. Umwerfend empfand ich den Besuch vom Fanta-4-Gitarristen Markus Birkle, der mit seinem alten Marshall Mini-Bluesbreaker hier aufschlug. Im Grunde besitzt dieser Amp die gleiche Schaltung wie der 1974X Reissue. Er ist jedoch mit zwei Zwölfer Celestions bestückt. Und leider sind diese Amps heute sagenhaft selten und teuer. Aber die Rockriffs, die man diesem kleinen Monster entlocken konnte, waren von allerbester Güte. Ein Avatar in Sachen Rocksound. Es gab da einen idealen Lautstärke-Bereich, in dem dieser Amp zwar noch relativ stabil blieb, aber dieses typische Whole-Lotta-Love-Schmatzen aufwies, das man einfach nicht missen möchte, hat man es einmal gehört.

Einen ähnlichen Amp habe ich vor einigen Jahren erfolgreich restauriert. Das war jedoch nur möglich, weil mir der Besitzer einen großen Karton mit Originalbauteilen lieferte, darunter ein alter Ausgangs- übertrager, zahlreiche Mullard-Röhren und Allen-Bradley-Kohlepress-Widerstände. Ein wenig Experimentierfreude seitens der Röhrenbestückung kann aber auch jeden JMP20 (oder 2061) und 1974X Reissue in einen sehr guten Rockamp verwandeln. Außerdem können die Bausätze von TAD auf diesem Niveau beachtlich überzeugend eingreifen. Einst haben wir einen dieser kleinen Brit-Rocker als Bausatz in einem Give-Away verlost.

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1967 Marshall Mini-Bluesbreaker (Bild: Udo Pipper)

Den Amp durfte ich damals zusammenbauen und war von dem Ergebnis ziemlich positiv überrascht. Da der Gewinner in meiner Nähe wohnte, habe ich ihn persönlich abgeliefert und mit dem neuen Besitzer einige sehr rockige Stunden genießen können, obwohl er seine Nachbarn nicht mit zu hohen Lautstärken nerven durfte. Eine Stufe besser habe ich diese Sounds mit den sagenhaft guten Trafos von Ingo Gorges (IG Wickeltechnik) erlebt. Sie bieten noch mehr Stabilität und wunderschöne Klangfarben. TAD, Ceriatone sowie zahlreiche Boutique-Hersteller bieten mittlerweile eine sogenannte TMB-Version dieser Schaltung an. Dabei handelt es sich um eine Ableitung mit Treble-, Mid- und Bass-Regelung, die zudem durch ein Master-Volume verfeinert werden kann. Diese Amps sind eine sehr gute Tuning-Basis.

Von Haus aus klingen sie zwar etwas zahmer und cleaner als die Vorbilder, können mit ein paar Umbauten der Vorstufe jedoch schnell in einen fantastischen Mini-Rocker umgebaut werden. Das soll freilich die Qualität des Ausgangsproduktes nicht schmälern. In der nächsten Folge betrachten wir weitere Beispiele amerikanischer Herkunft.

Bis zum nächsten Mal!

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