Inklusive Video und Backing-Track!

Interview & Transkription: Tobias Hoffmann – ‚Chitlins Con Carne‘

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(Bild: Markus Braun)

Ende September kontaktierte mich der Kölner Gitarrist Tobias Hoffmann, dessen neue Platte ‚Slow Dance‘ wir ja schon in der Ausgabe 10/22 vorgestellt haben. Ich kenne Tobias von den vielen tollen Videos, die er für Vintage Guitar Oldenburg eingespielt hat. Er schrieb mir: „Träume ja ein bisschen davon, dass du mal was von meinen Sachen transkribierst.“

Im Gespräch stellte sich heraus, dass Tobias in den 90ern meine Jazz-Workshops über Mike Stern, John Scofield und Pat Metheny in G&B gelesen hat, und das Magazin ihn seither begleitet. Tobias schickte mir die CD, korrigierte meine Transkription von ‚Chitlins Con Carne‘ und gab mir ein tolles Interview.

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Außerdem lernte er für die G&B-Leserschaft sein improvisiertes Solo, spielte ein Video ein und stellte den Backing-Track von der Original-Aufnahme zur Verfügung:

INTERVIEW

Tobias, mit welchem Besteck hast du ‚Chitlins Con Carne‘ eingespielt?

Das war meine rote Custom-Shop-54er-Strat und mein geliebter 1975er Fender Deluxe Reverb. Der Loop kommt vom Line 6 DL4. Den Crunch-Sound im zweiten Teil des Solos erzeugte der Ghetto Stomp von Greer Amps, eine Art „Low Fuzz“-Distortion. Und man hört den Hall vom Amp.

Erzähl doch mal über deine Beziehung zu Kenny Burrell und dem Song ‚Chitlins Con Carne‘.

Ja, gerne. Das Stück ist ein Blues und stammt von Kennys Album ‚Midnight Blue‘, ein echtes Meisterwerk. Die Essenz des „Blue Note“-Sounds. Für mich fast schon wie ‚Kind Of Blue‘, in puncto wie stimmungsvoll und geschlossen ein Jazz-Album sein kann. Und es gibt eine Version von Stevie Ray Vaughan. Ich glaube, du hast davon mal eine Transkription in G&B veröffentlicht.

Ich erinnere mich an ‚Lenny‘, so eine Chord-Melody-Ballade, die ich mal transkribiert habe.

(Tobias spielt spontan den Anfang von Lenny) … klar. ich war schon sehr früh SRV-Fan, ich glaube, ich habe ‚Chitlins‘ zuerst von ihm gehört. Ich kenne das Stück also schon ewig und wollte es gerne mit meinem Trio spielen. Wir haben dann nach einer Form gesucht, die ein bisschen mehr ist, als einfach nur die Bluesform, aber es sollte auch nicht kompliziert werden.

Die zwei Elemente, die unserer Version letztendlich ihre Stimmung verleihen, sind dieser C#(add#9)-Akkordloop der durch das ganze Stück wabert, auch wenn die Changes wechseln. So entsteht über F# eine Art Cluster F#7/F#maj9. Und über der Dominante G# ergibt sich G#13/#5/11. Ich sehe das aber gar nicht so theoretisch. Für mich ist das, als würde man mit einer Farbe über eine andere drübermalen. Es entsteht auf jeden Fall dieser schwebende, tonal etwas mysteriöse Eindruck.

Das zweite Element, das unsere Version vom Original unterscheidet, ist das Interlude. Hier geht es für acht Takte nach Bbm, wobei durch den Loop-Akkord auch wieder mehr Optionstöne drin sind, als eigentlich reindürfen. Theoretisch ein Bbm7/11/#11(Takte 25 – 32). Es gibt ein erstes cleanes, eher jazziges Solo und ein zweites bluesigeres.

(zum Vergrößern klicken!)

Die Transkription zeigt viele Elemente, die ich in meinem Spiel generell verwende. Da sind typische Blues-Phrasen (Takt 33 & 48-50), Double Stops (Takt 6-8) bis hin zu zu ziemlich eindeutigen Zitaten (Takt 37 & 54, schönen Gruß an Albert Collins!) Und dann mag ich gerne leicht dissonante Klänge, hier haben mich sicher Swing, Bebop und 60s-Jazz-Musik beeinflusst.

Diese Klänge gibt es jedoch auch in alter Film- und Serienmusik und auch in lateinamerikanischer Musik. Alles Genres, zu denen es mich hinzieht. Hierzu verwende ich oft die verminderte Tonleiter und deren Dreiklänge, aber auch Chromatik (Takt 16-19 & 55-56) – und die Bluestonleiter, also Pentatonik plus b5 ist davon nicht weit entfernt! (Takt 1-3) Diese Sachen sind eng verbunden und ich mische sie auch innerhalb von Phrasen. Welcher Eindruck entsteht, konsonant, dissonant, Blues, oder eher Jazz, das kommt darauf an, wie man welche Töne arrangiert und natürlich in welchem Gestus man sie spielt.

Ihr habt in eurer Version ja das Originaltempo quasi halbiert. Aber eine treffende Beschreibung dieses Grooves ist mir noch nicht eingefallen.

Ich finde es ein bisschen Bossa-Nova-mäßig, obwohl es keine durchgehende Clave gibt.

Das wäre dann aber ein sehr langsamer Bossa.

Ja, sehr langsam! Diese Tempi fühlen sich für uns gut an. Das hat sich in den letzten Jahren entwickelt, und wir haben es ein bisschen zu unserem Ding gemacht.

(Bild: Tobias Hoffmann)

Generell finde ich an der ganze Platte euren Umgang mit der Time sehr spannend, der ja sehr flexibel ist.

Als Band improvisieren wir viel damit, gemeinsam langsamer oder schneller zu werden, oder bestimmte Stellen sehr swampy, also im Grunde ungenau, zu spielen. Wir hören sehr gut aufeinander, und sobald jemand so etwas anzettelt, sind die anderen dabei, oder gehen dagegen. Ein großer Spaß! Ich halte Timing für ein entscheidendes Element von guter Musik und habe mich damit viel beschäftigt. Beispielsweise wie unterschiedlich man ein Swing Feel auffassen kann, oder wie Quintolen-Hip-Hop-Beats funktionieren. Solche Sachen habe ich sehr bewusst geübt. Ich stehe auch sehr auf Musik, bei der nicht alles mathematisch genau gespielt ist, das lebt für mich mehr. Ich gebe auch an der Hochschule ein Seminar darüber.

Trotzdem kriegen die meisten Normalsterblichen ein gutes Time-Feel nicht in die Wiege gelegt. Oft stellt man ja beim Anhören seines Spiels fest, dass man nicht so klingt, wie man klingen möchte. Wie war da dein Prozess?

Als ich ein Teenager war, hatte mein Vater einen Vierspur-Cassetten-Recorder. Damit habe ich mich aufgenommen. Aber das, was ich dann auf der Aufnahme hörte, war nicht das, was ich während des Spielens gehört hatte! Die größte Diskrepanz lag aber nicht in der Tonauswahl, sondern im Timing. Ich habe viel zu weit vorne gespielt und es klang extrem uncool. Das hat mich so genervt, dass ich angefangen habe, mit dem Metronom zu üben und mir viele Übungen dazu auszudenken. Ich habe mich durch die verschiedenen rhythmischen Ebenen gespielt, Phrasen durch Raster verschoben, ich habe versucht, so laid back zu spielen, dass ich hinten aus dem Metronom herausfalle, oder auch umgekehrt so weit vorne spielen wie möglich und vieles mehr.

Das hat Zeit gebraucht, aber es hat geholfen. Ich bin sicherer und dadurch auch flexibler mit meinem Timing geworden und übe das auch heute noch. Außerdem habe ich immer viel Musik gehört, versucht meine Helden zu kopieren, deren Timing zu erfühlen, und ich erinnere mich an Momente, wo es Klick gemacht hat. Da hatte ich dann irgendwann das Gefühl, ich komme dahin, Melodien so zu platzieren wie beispielsweise mein Hero Bill Frisell. Mit so viel Überzeugung, so als würde jemand singen. Seit ein paar Jahren höre ich viel Ry Cooder. Von ihm habe ich auch nochmal viel gelernt. Es wurde mir klar, dass für die Wirkung eines Grooves neben dem Timing auch die Dynamik eine wichtige Rolle spielt.

Danke für die Einblicke in dein Spiel!


(erschienen in Gitarre & Bass 12/2022)

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