Workshop

Extended Range Guitars: Kiesel Guitars Factory Tour

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Nachdem ich im letzten Teil schon ausführlich von der NAMM berichtet habe, möchte ich euch meinen nächsten Stopp in Kalifornien nicht vorenthalten!

(Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Nur eine Woche nach der NAMM lud uns der äußerst gastfreundliche Jeff Kiesel zu sich nach Hause und in die Kiesel Guitars Factory ein. Dort bekamen wir nicht nur eine umfangreiche Tour – ich konnte darüber hinaus noch persönlich ein Top für meine nächste Gitarre aussuchen und meinen neuen Bass anspielen!

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Meet the Kiesels

Von Los Angeles aus machten wir uns am Donnerstag nach der NAMM auf in Richtung Escondido in der Nähe von San Diego, dem Standort von Kiesel Guitars. Die Factory Tour war erst für den nächsten Vormittag eingeplant, also trafen wir uns mit Jeff Kiesel an diesem Abend lediglich zum Essen und wurden dann herzlich zur Übernachtung eingeladen. Von familiärer Atmosphäre sprechen ja viele Companies gern, aber im Hause Kiesel meint man es offensichtlich ernst damit!

Nach einer kurzen Nacht ging es mit Umweg über einen Donut Shop mit zwei vollen Boxen zur Kiesel Factory – so macht man sich Freunde! Nach einer kurzen Wiedersehens- und Kennenlern- Runde ging es dann erst mal in den Showroom. In diesem hingen ca. 70 zum anspielen bereite Instrumente und so fiel es mir nicht schwer, dort noch ein bisschen Zeit bis zur Factory Tour totzuschlagen. Jeff ließ allerdings nicht lange auf sich warten und holte uns nach wenigen Minuten ab, um uns chronologisch durch die verschiedenen Fertigungsstationen der Fabrik zu führen.

Unser erster Stopp waren mehrere deckenhohe Regale voll mit allen nur erdenklichen Tonhölzern. Ich werde an dieser Stelle die englischen Namen dieser Holzarten nennen, da viele der deutschen Bezeichnungen den meisten von euch wahrscheinlich gar nicht so super geläufig sind. Also dann: Von planen Alder- Planken bis hin zum hochgradig gemaserten Buckeye Burl konnte man auf diesen Stapeln wirklich alles finden, was das Herz begehrt. Auch Hölzer, die aufgrund von limitierten Quantitäten im Kiesel Online Builder gar nicht aufzufinden sind, bestaunten wir in diesen Regalen. Redwood, Ziricote oder Pale Moon Ebony zum Beispiel, um mal ein paar zu nennen. Alle gelieferten Hölzer werden bei Kiesel Guitars im ersten Schritt „kilndried“, also im Ofen getrocknet, was den Feuchtigkeitsanteil im Holz reguliert und es für den Gitarrenbau stabilisiert. Jemand der schon mal mit einem gewarpten Hals zu tun hatte, wird das zu schätzen wissen. Ich zum Beispiel …

Gut zu wissen! (Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Weiter ging es zu einem Regal voller bereits geleimter Hälse. Bei Kiesel Guitars werden die Hälse in Masse vorgefertigt – wenn ihr also eure Bestellung tätigt, liegt der Hals schon bereit, statt von Grund auf pro Order gebaut werden zu müssen. Das hat den einfachen Grund, dass der Prozess sonst mehrere Wochen länger dauern würde. Denn auch die zusammengeleimten Hälse gehen nochmal in den Ofen zum trocknen – und das dauert! Auf Lager hat man in der Kiesel Factory also ständig ein- bis siebenteilige Halsplanken – vom 25“ bolt-on bis 36“ neck-thru ist alles dabei, um das Angebot von der klassischen 6-String bis hin zum Multiscale Bass abdecken zu können.

Jeffs persönlicher Favorit in Sachen Tonhölzer für den Hals ist übrigens die fünfteilige Kombination aus Walnut und Purpleheart, verrät er uns. Und wer die vergangenen Teile dieser Kolumne aufmerksam gelesen hat, weiß, dass auch ich auf Walnuss-Hälse schwöre, wenn auch bisher mit Ahorn-Sperrstreifen. Im nächsten Schritt geht es für die Halsplanken in eine Haas CNC-Maschine. In dieser werden sie per Vakuum an der richtigen Stelle fixiert und präzise auf das gewünschte Halsprofil gefräst. Das Gleiche gilt auch für Fretboards, in die nicht nur die Fret Slots, sondern auch die Side Dots automatisch und punktgenau gefräst werden. Natürlich wird auch der Korpus von einer Haas CNC auf Form getrimmt, aber nichtsdestotrotz wird am Ende bei all diesen Bauteilen nochmal zum Feinschliff Hand angelegt. Allein dafür stehen bei Kiesel Guitars 8 Mitarbeiter bereit.

Tonhölzer bis unter die Decke (Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Jeff führte uns im Anschluss an vielen kleineren Stationen und Werkbänken vorbei, an denen unter anderem Fretwork, Hals-Radius und -Finish in akribischer Detailarbeit erledigt werden. Die Bünde sind übrigens Made in Germany und werden von Jescar in Spindeln im bereits richtigen Radius geliefert (zwischen 10“ und 20“), statt bei Kiesel noch auf den richtigen Radius gebogen werden zu müssen. Zwischen all diesen Stationen stapelten sich unfertige Instrumente, die schon erahnen ließen, wie spektakulär sie am Ende aussehen würden. Besonders Buckeye-Burl-Tops sahen wir zu Hauf – laut Jeff auch ganz klar eines der populärsten Hölzer im Kiesel Guitars Angebot.

Wir bewegten uns dann durch eine automatische Tür von einer Halle in die nächste, direkt ins Finishing Department. Das Timing stimmte und wir konnten durch das Fenster einer der Kabinen beim Auftragen eines Finishes zusehen. Davon haben wir für euch ein Video auf dem Gitarre & Bass YouTube-Channel bereitgestellt, also schaut mal rein! Auch auf die anderen beiden Kabinen durften wir noch einen Blick erhaschen – in einer werden lediglich die Farben für die Finishes gemischt und in der anderen die Clear Coats aufgetragen. Dieser Teil der Kiesel Factory erinnerte geradezu an ein Kaufhaus. Wie T-Shirts auf einem Kleiderständer hingen unzählige Gitarren an Rollwagen zum Trocknen – darunter ein paar wirkliche Schmuckstücke.

Vorgefertigte Neck-Planks (Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Und die Tour war noch nicht mal vorbei! Zunächst ging es vorbei an der Station zum Wickeln der hauseigenen Pickups – eine Aufgabe die übrigens ausschließlich von Kiesels weiblichen Angestellten erledigt wird – zur Endmontage. Eine schier erschlagende Anzahl von Gitarren überflutete diverse auf Rollen oder wahlweise in Werkbänke integrierte Racks, darauf wartend Hardware montiert, Tonabnehmer verlötet oder Saiten aufgezogen zu bekommen. Auch die finalen Setups werden an dieser Stelle erledigt. Und wer z. B. seine eigenen Saiten einschicken und sein Instrument in einem speziellen Tuning eingestellt haben möchte, muss das bei der Bestellung nur durchgeben – auf Sonderwünsche der Kunden wird bei Kiesel Guitars ausdrücklich Rücksicht genommen! An dieser Stelle werden die Gitarren dann auch direkt verpackt.

Pro Tag verlassen übrigens ca. 20 Instrumente die Fabrik. Unsere letzte Station führte in ein Lager, in dem nicht nur fertiggestellte Instrumente zum Verkauf via kieselguitars. com, sondern auch Prototypen, ausgemusterte Modelle und einige der ersten Kiese Instrumente überhaupt gelagert waren. Unter anderem zeigte uns Jeff 70 Jahre alte Kiesel-Lapsteels und weitere Meilensteile der Geschichte der Gitarren-Manufaktur.

Auch ein K-Series Prototyp der sich deutlich von dem unterschied, den Jeff mir 2014 gebaut hatte, stand dort in einem Rack und ließ erkennen, wie sich das Modell von den frühen Entwürfen zu seiner endgültigen Form entwickelt hatte. Vielleicht darf die Außenwelt ja auch bald mal einen Blick darauf erhaschen…

Zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Das Timing unseres Besuches hätte kaum besser sein können! Ich hatte kürzlich nämlich eine Kiesel C66 bestellt und durfte mir am Tag des Besuches persönlich ein Top für diese aussuchen. Dafür führte uns Jeff während der Tour durch die Fabrik in sein persönliches Holzlager, in dem ausschließlich Master-Grade-Tops und edle Tonhölzer gelagert sind. Ich hatte mich zwar bereits für Claro Walnut entschieden, stand aber nun vor der Qual der Wahl mich zwischen zwei wirklich spektakulären, wenn auch grundverschieden aussehenden, Tops entscheiden zu müssen. Eines der beiden erinnerte dank seiner gold-orangenen Kontraste und dreidimensionaler Flammung eher an Flamed Koa, aber ich entschied mich für ein satt braunes Claro Top mit Chevron- förmiger Maserung, welches sogar noch während unserer Anwesenheit mit dem Korpus verleimt wurde – toll diesen Prozess live miterleben zu dürfen!

(Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Unter anderem stolperten wir dann noch über die Gitarre von meinem Freund und Kollegen Jörg, der sich quasi als Buddy-Guitar eine Kopie meiner matt schwarzen Kiesel DC7X bestellt hatte. Die ist mittlerweile übriges wohlbehalten bei ihm in Deutschland eingetroffen. Und zu guter Letzt erspähte ich in einem Rack zufällig auch noch meinen im Dezember bestellten Kiesel PB4 Bass. Dieser stand zwar noch gänzlich ohne Pickups, Pickguard, Saiten und Elektronik reichlich nackt im Rack, befand sich aber schon im Department für die Endmontage. Jeff ließ diesen dann noch in Windeseile für mich fertig montieren und einstellen, damit ich ihn vor dem Weiterleiten ins Shipping-Department noch ausführlich antesten konnte.

Die Vorfreude auf den Feierabend (Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Direkt mitnehmen konnte ich den Bass hingegen leider nicht, da wir sonst ein extra Gepäckstück für den Flug nach Hause hätten buchen müssen, was am Ende teurer und umständlicher geworden wäre. Aber immerhin bekam ich das gute Stück schon mal zu Gesicht und in die Hände!

Da noch etwas Zeit war, kam Jeff spontan noch auf die Idee, ein Live-Interview auf meinem Instagram Channel zu machen – siehe www.instagram.com/simonxsludge.

Wir sprachen selbstverständlich über die Kiesel Factory Tour und die NAMM, aber auch über meine persönlichen Kiesel Gitarren und wie ich diese in meiner Band Nightmarer benutze. Darüber hinaus konnten die Zuschauer Fragen an Jeff und mich stellen. Coole Aktion, und bestimmt nicht das letzte Mal, dass ich die Funktion nutzen werde!

Der Verkaufsschlager: Buckeye Burl Tops (Bild: Simon Hawemann/Sandy Zapata)

Aufbruchstimmung

So langsam wurde es dann aber Zeit für uns, Abschied zu nehmen und Jeff Kiesel und Kollegium nach einem interessanten und aufschlussreichen Besuch in der Factory wieder ihrer Arbeit zu überlassen. Die Detailverliebtheit, mit der das beachtliche Volumen von Gitarren im Hause Kiesel Guitars tagtäglich produziert wird, hat uns wirklich beeindruckt. Und ein großer Teil dieses Volumens kommt dank des großen Erfolges in der ERG Community zustande, in der Kiesel Guitars einen ausgezeichneten Ruf genießt. Darüber hinaus verspürten wir bei Jeff und seinen Kollegen einen ungemein starken Drang zur ständiger Innovation und Verbesserung – und so kann man auf die Zukunft nur gespannt sein! Wenn ihr diese Zeilen lest, wird Jeff übrigens schon wieder ein neues Modell vorgestellt haben …

Das Sahnehäubchen auf der Factory Tour war für mich natürlich, aktiv an der Zusammenstellung meiner neuen Gitarre mitzuwirken und mir auch noch persönlich ein Top aussuchen zu dürfen! Neben Jeffs Gastfreundschaft und der familiären Atmosphäre im Hause Kiesel stärken diese Dinge die Bindung zum Hersteller und den Instrumenten natürlich ungemein.

Alles in allem festigte sich bei unserem Besuch in der Factory der Eindruck, dass es sich bei Kiesel Guitars um die perfekte Mischung aus Custom Shop und Serienproduktion handelt. Einen Einblick in die dahinterstehenden Abläufe zu bekommen, machte uns dabei genauso deutlich warum das Konzept so erfolgreich ist, wie die vielen spektakulären Instrumente, die wir an diesem Tag bestaunen konnten.


Aus Gitarre & Bass 05/2017

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