Meilenstein ‘66:

The Yardbirds & Over Under Sideways Down

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In den 60er-Jahren explodierte die britische Musikszene geradezu. Befeuert vom frühen Erfolg der Beatles und der Rolling Stones etablierten sich nach und nach weitere Rhythm-&-Blues-Bands wie The Pretty Things, The Kinks oder The Who.

1998 Remastered plus zehn Bonus-Tracks: Over Under Sideways Down – Roger The Engineer (Bild: Columbia, Repertoire, Epic)

Musikalisch beeinflusst wurde diese Entwicklung durch amerikanische Blues-Master wie z.B. Elmore James, Jimmy Reed und B.B. King – und natürlich auch durch den moderneren Rock & Roll von Chuck Berry oder Elvis Presley. Auch The Yardbirds aus der südenglischen Grafschaft Surrey begannen als Blues- Band. Keith Relf (voc), Paul Samwell-Smith (b), Chris Dreja (g), Jim McCarty (dr) und Eric Clapton (g) waren bekannt für ihre Konzerte mit ausschweifenden Blues-Jams. Doch mit dem ersten Hit ,For Your Love‘ begannen die Musiker sich von den blauen Wurzeln zu entfernen. Nur Eric Clapton gefiel die neue, eher rockige Richtung nicht, er wechselte zu John Mayall‘s Bluesbreakers. Mit dem neuen Yardbirds-Gitarristen Jeff Beck, der zuvor bei den nur lokal bekannten Tridents gespielt hatte, entstanden als erstes die Singles ,Heart Full Of Soul‘ und ,Shapes Of Things‘. In beiden Songs erzeugte die Band für die Zeit ausgefallene Stimmungen, die Beck in Ersterem mit einer orientalisch anmutenden Melodielinie prägte und in Letzterem durch ein virtuoses Solo mit Feedback- Sounds – beides klang nur noch wenig nach Blues.

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Und diese Single-Erfolge waren der Auftakt zu noch größeren Experimenten auf ,Over Under, Sideways, Down‘, wie das neue Album in den USA hieß. In der Heimat erschien es schlichter als ,The Yardbirds‘ betitelt, wurde jedoch unter Musik-Fans bekannt als ,Roger The Engineer‘, abgeleitet von der gleichnamigen schrägen Cover- Karikatur von Chris Dreja – die war eine Anspielung auf Tontechniker Roger Cameron, der das Album in den Londoner Advision Studios mit einer Vierspur- Tonbandmaschine aufnahm. Und das jener tatsächlich, wie in der Karikatur zu sehen, im Studio müde durch die Gegend schlurfte und dicke Ohren und Falten bekam, scheint wahrscheinlich. Denn in gerade mal knapp einer Woche wurden die diesmal ausschließlich selbst komponierten zwölf Stücke eingespielt, und überraschten mit vielen ungewöhnlichen Ideen und Sounds. Mit einem scharfen Bass-Lauf startet das bluesige ,Lost Woman‘, steigert sich in einen wilden Jam inklusive Gitarren-Feedbacks, dann noch eine kurze Strophe, Schluss! Auffällig ist Paul Samwell-Smiths tragender Bass-Sound, den er mit einem semiakustischen Epiphone-Rivoli-Viersaiter produzierte.

Das UK-Cover (Bild: Columbia, Repertoire, Epic)

Der vorab als Single veröffentlichte Titel-Track beeindruckt mit einer knackigen Gitarrenmelodie, viel Dynamik und einer exotischen Atmosphäre, die an den Hit ,Shape Of Things‘ erinnerte. Und damit sind wir bei ,Hot House Of Omagararshid‘, der schrägsten Nummer des Albums: Über einem monotonen Groove singt ein Chor immer wieder eine Nonsense-Zeile, die sich im Deutschen anhört wie „Ja-ja-ja-jajaja“. Dazu kommen rhythmische Waschbrett-Sounds, die Dreja mit Hilfe einer Hartfaserplatte erzeugte, die im Studio zufällig herumlag. Als Gitarrist verwendete er übrigens ausgesuchteres Equipment: meist sieht man ihn mit einer Gibson ES-335 oder auch mal einer Fender Jaguar. Verstärkt wurde mit Amps wie den Vox-Modellen AC15, AC30 und einem Fender Showman.

The Yardbirds live! (Bild: Columbia, Repertoire, Epic)

Im hart rockenden Shuffle ,The Nazz Are Blue‘ kommen die Blues-Einflüsse durch. Klasse kommt im Solo ein langes Feedback über acht Takte. Auch ,Rack My Mind‘ folgt dem Blues-Schema, wirkt aber durch den stoischen Bass und die gerade Rhythmusbegleitung mit Tremolo-Effekt wie ein Gitarren-Instrumental à la Shadows. Hier allerdings mit neuen und raueren Zwischentönen, wie verhallten Flageoletts und Deadnote-Betonungen. Es ist schon frappierend, wie sehr gegen Ende die dynamischen Bendings nach dem Jeff Beck der 70er-Jahre klingen. Und auch Becks Vorliebe für einen verzerrten, sustainreichen und dennoch präsenten Klang zeigte sich hier bereits. Damals spielte er eine ‘54er Fender Esquire. Jeff hatte sie 1965 John Walker (Walker Brothers) für 75 britische Pfund abgekauft. Zudem setzte er einen Vox-AC30-Verstärker mit einem Tone-Bender-Fuzz-Pedal ein.

Chris Dreja, Paul Samwell-Smith, Jim McCarty, Keith Relf und Jeff Beck (Bild: Columbia, Repertoire, Epic)

Die Möglichkeiten dieses Setups hört man im schnellen ,Jeff‘s Boogie‘, mit Sounds die von clean über angezerrt bis hin zum fetten Soloklang reichen. Die Nummer zeigt Bezüge zu Swing-Jazz und Rockabilly. Und die schnellen Lefthand-Tappings sowie tolle Flageoletts und von unten angesteuerte Noten, die nach Neck- Bending klingen, verraten Country-Einflüsse. Ganz anders dann das Bild in ,He‘s Always There‘, wo harsche Fuzz-Verzerrung und Gesang mit Reverb-Effekt über Moll-Harmonien dominieren. Überhaupt sind die verhallten und düsteren Hintergrundchöre, die an gregorianische Kirchen-Choräle erinnern, typisch für die Yardbirds. Sie bildeten einen Kontrast zur sonoren Stimme von Frontmann Keith Relf.

Der sorgte mit seinen blonden Haaren in Prinz-Eisenherz-Optik plus Sonnenbrille – als eine Art Doppelgänger von Rolling-Stone Brian Jones – für einen hohen Wiedererkennungswert. Zudem trieb er die Songs immer wieder mit scharfen Blues-Harp-Licks nach vorne.

Das US-Cover des Albums (Bild: Columbia, Repertoire, Epic)

Mit ihren frischen Sounds und Ideen waren die Yardbirds ein Impulsgeber des progressiven Zeitgeists des Jahres 1966. Die Beatles begannen auf ,Revolver‘ neues musikalisches Terrain zu erkunden, wie auch Eric Clapton mit Ginger Baker und Jack Bruce auf ,Fresh Cream‘. Und die Rolling Stones gingen auf ,Aftermath‘ mit dem Hit ,Paint It Black‘ neue Wege.

Im Vergleich waren die Yardbirds eine eher kantige und inkonsistente Band, die immer in Bewegung war. ,Over Under …‘ war für Jeff Beck das erste und zugleich letzte Album mit dieser Formation. Für ihn kam Session-Player Jimmy Page, zunächst am Bass und dann an der Gitarre. 1968 lösten sich The Yardbirds auf, aus den Trümmern formierte Page Led Zeppelin. Die Bedeutung der Yardbirds für die Entwicklung von Prog- und Hardrock wurde erst im Laufe der Jahre nach und nach entdeckt bzw. erkannt. Die 1998er Neuauflage ,Over Under Sideways Down – Roger The Engineer‘ ist empfehlenswert, enthält sie doch als Bonus u.a. auch zwei Nummern der kurzlebigen Besetzung mit Jeff Beck und Jimmy Page. Speziell der harte Blues-Rock in ,Psycho Daysies‘ ist eine Entdeckung wert.


Aus Gitarre & Bass 03/2017

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