Zurück in die Zukunft

The Night Flight Orchestra: Zurück in die Zukunft

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The Night Flight Orchestra(Bild: Carlos Holmberg Nuclear Blast)

Als die schwedische Band The Night Flight Orchestra nach zwei Veröffentlichungen bei einer kleinen italienischen Company plötzlich im Herbst 2016 von einem großen deutschen Metal-Label unter Vertrag genommen wurde, staunte die Fachwelt. Nicht etwa, weil es sich bei den Musikern um unerfahrene Newcomer handelt – mit den Soilwork-Mitgliedern Björn Strid (Gesang) und David Andersson (Gitarre) sowie Arch Enemy-Bassist Sharlee D´Angelo befinden sich gleich drei prominente Instrumentalisten in der Band –, sondern weil die für ihre martialische Metal-Ausrichtung bekannte Firma überraschenderweise eine traditionelle Classic-Rock-Gruppe ins Programm holte.

Mittlerweile sind insgesamt vier NFO-Studioalben mit Pop-lastigen Classic-Rock-Stücken im Stile der 70er/80er-Jahre erschienen (das aktuelle Werk ‚Sometimes The World Ain’t Enough‘ schaffte sogar den Sprung hoch in die Charts), zudem folgte im Winter 2018/2019 die erste große Europatour. Wir haben uns beim NFO-Gastspiel im Bremer ‚Tivoli‘ mit David Andersson (DA), seinem Gitarrenpartner Sebastian Forslund (SF) und Sharlee D`Angelo (SA) zum Soundcheck getroffen und lüften nun ein paar Geheimnisse dieser ungewöhnlichen Gruppe.

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Das Night Flight Orchestra wurde 2012 als Nebenprojekt eurer Hauptbands Soilwork, Arch Enemy oder Spiritual Beggars gegründet. Der Erfolg ist jedoch so groß, dass ihr jetzt sogar auf eine erste große Europatournee gegangen seid. Wie ist die Tour gelaufen?

DA: Ausgesprochen gut! Die Tour begann schon vor zwei Monaten mit einer Reihe von Wochenend-Shows in Skandinavien, dann ging es rüber – sozusagen – aufs Festland mit einer langen und sehr erfolgreichen Vollzeit-Tour. Wir waren in Städten, in denn wir noch niemals zuvor gespielt haben, alles lief phantastisch. Heute Abend findet die vorletzte Show statt, wir sind alle sehr müde und freuen uns auf Zuhause.

Sharlee und David, ihr seid aufgrund eurer unterschiedlichen Verpflichtungen das lange Touren gewohnt. Was unterscheidet The Night Flight Orchestra von den anderen Bands, in denen ihr spielt?

SA: Die Art der Musik. Das hat zwar keinen Einfluss auf unsere grundsätzliche Haltung zu dieser Band, aber die Songs von NFO erlauben uns eine freiere Herangehensweise. Wenn man extremen Metal spielt, sind die Stücke zumeist Gitarrenorientiert und man muss sich als Bassist an den Riffs und Licks orientieren. Ich mache das zwar bei Arch Enemy immer nur partiell und behalte auch stets den Schlagzeuger im Blick. Aber beim Night Flight Orchestra sind mehr Freiräume vorhanden. Das war schon im Studio der Fall, als sich unser Sound wie ein Puzzle zusammensetzte und der Produzent mich ständig aufforderte, mehr zu spielen. Das macht sehr viel Spaß und ist außerordentlich befreiend.

The Night Flight Orchestra
David Andersson mit seiner ESP M-II Horizon, Baujahr 2008 (Bild: Mineur)

Erstaunlich, dass bei zwei Gitarren plus Keyboards plus Chorgesänge trotzdem so viel Freiraum herrscht.

SA: Das stimmt, aber im Metal sind die Gitarren häufig tiefer gestimmt, im Studio werden ganze Soundwände aufeinandergetürmt, die man als Bassist berücksichtigen muss. Bei NFO gibt es zwar zwei Gitarren plus Keyboards plus Chorgesänge, aber die Musik an sich lässt mehr Freiraum, weil man hinsichtlich der Harmonien größere Möglichkeiten hat. Außerdem gibt es bei NFO deutlich mehr Stilvarianten, sodass man als unmittelbar Beteiligter Dinge in seiner eigenen musikalischen DNA entdeckt, die man gar nicht kannte oder die im Laufe der Jahre verschüttet waren. Privat höre ich ganz unterschiedliche Arten von Musik, hier habe ich jetzt die Möglichkeit, diese auch selbst zu spielen.

Sebastian, gilt das auch für dich? Immerhin spielst du bei NFO nicht nur Gitarre, sondern bist zwischenzeitlich auch Teil der Rhythmusgruppe.

SF: Eigentlich ist mein Hauptinstrument das Schlagzeug, deswegen fühle ich mich bei rhythmischen Dingen etwas sicherer. Außerdem habe ich vor meinem Einstieg bei NFO etwa zehn Jahre lang keine Gitarre mehr auf der Bühne gespielt. Deswegen ist es für mich etwas ungewohnt, an vorderster Front zu stehen. Aber ich mag die Herausforderung, und natürlich spiele ich auch sehr gerne mal wieder Gitarre.

The Night Flight Orchestra
Zwei Blackstar HT Metal 100 plus 4x12er Box (Bild: Mineur)

Die größte Herausforderung für die Band scheint generell zu sein, den bombastischen Sound ihrer CDs ohne Reibungsverluste auf die Bühne zu bringen.

DA: Na ja, unsere Songs sind auch im Studio durchaus heavy, und selbst bei den kommerzielleren Stücken haben wir schon während der Produktion im Hinterkopf, dass man sie auf der Bühne spielen können muss. Ich berücksichtige dies bereits beim Songwriting und achte darauf, dass wir im Studio nicht zu viele Spuren übereinander türmen, sodass man den Sound später reproduzieren kann. Außerdem: Wenn man die Keyboards abzieht bleiben Songs übrig, die aufgrund ihrer interessanten Akkordstrukturen trotzdem funktionieren. Man könnte durchaus einen Teil der Soundeffekte weglassen und würde immer noch den Song dahinter erkennen.

SA: Die Stücke basieren allesamt auf interessanten Akkordwechseln, guten Grooves und starken Gesangsmelodien. Wenn wir das Material aufnehmen, ergänzen wir es mit Soundeffekten, die uns die Studiotechnik ermöglicht. Bei der Vorbereitung auf Konzerte betrachten wir zunächst die Basis der Stücke und überlegen, welche Soundeffekte sich auch auf der Bühne umsetzen lassen. Einige Sounds müssen dann zwar eingespart werden, weil sie live nicht umsetzbar wären, jedenfalls nicht, wenn man möglichst keine Samples verwenden will. Aber diese Band wächst ja noch. Zurzeit sind wir auf der Bühne acht Musiker, es sollen jedoch noch mehr werden, also Bläser und so weiter. Wenn es denn finanzierbar ist.

The Night Flight Orchestra
Das spartanische Pedalboard mit Boss Chorus CE-2, MXR
Carbon Copy Delay, Custom Audio Electronics MC 401
Boost und TC Electronic Polytune
(Bild: Mineur)

Die Band soll personell noch größer werden?

SA: Ja, wenn es machbar ist. Wir verdienen mit NFO eh kein Geld, es geht hier wirklich nur darum, das musikalische Optimum herauszuholen, ohne mit Tricks arbeiten zu müssen.

Dann wird es für euch drei vermutlich noch schwieriger, die richtigen Frequenzen für einen geeigneten Sound zu finden, oder?

SF: Mein Sound ist sowieso nicht so fett, sondern eher mittig.

DA: Wir nennen das „nice and crispy“.

SF: Im Unterschied zu vielen anderen Rockbands ist der Gitarrensound vergleichsweise dünn, mit wenigen Effekten, nur etwas Chorus und Delay. Den Grad der Verzerrung reguliere ich fast ausschließlich über meine Volume-Potis, da die meisten Songs relativ wenig Distortion benötigen.

The Night Flight Orchestra
Sebastian Forslund mit weißer Ibanez Artist, Baujahr 2000 (Bild: Mineur)

Ihr spielt ausschließlich in Standardtuning, nicht wahr?

DA: Ja, ausnahmslos. Als ich das NFO gründete war mir wichtig, dass die Musik atmen kann. In vielen Metal-Bands wird ein ultrafetter Sound gefahren, der kaum Freiräume lässt. Wir dagegen platzieren die Gitarren in die Mitte des Sounds, so wie es in den 1970ern und 1980ern gemacht wurde. Ich finde, diese Art von Musik muss man atmen lassen. Ich sehe mich eher in der Rolle eines Malcolm Young, der nur die Grundlage schafft und allen anderen Instrumenten Freiräume gibt. Ich finde es langweilig, wenn alle anderen Instrumente den Gitarren folgen müssen oder man ständig nur Gitarrenriffs hört. Ein gutes Programm braucht auch andere Elemente.

Würdet ihr die Musik von NFO unter dem Begriff Classic Rock zusammenfassen?

DA: Ja, das trifft die Sache sehr gut. Wenn man denn unbedingt eine Schublade aufmachen will. Eigentlich ist es nämlich nur die Musik, die wir selbst gerne hören wollen.

The Night Flight Orchestra
Sein Pedalboard mit Ibanez Tubescreamer TS Mini, TC Electronic Polytune und Ibanez PUE 5 Multieffekt (Bild: Mineur)

Seid ihr mit dieser Art Musik aufgewachsen?

SA: Musikalisch bin ich in den Siebzigern und Achtzigern großgeworden, meine ersten Helden waren The Sweet. Steve Priest ist nach wie vor einer meiner Lieblingsbassisten. Das Album ‚Burn‘ von Deep Purple war für meine musikalische Laufbahn ein weiterer wichtiger Bezugspunkt, anschließend folgten Kiss und dann Heavy Metal. Wobei ich immer schon auf die melodischeren Bands stand. Deswegen macht es auch so viel Spaß bei NFO, weil ich hier Musik machen kann, mit der ich aufgewachsen bin, die ich aber bislang noch nie irgendwo spielen konnte. Wenn man dann die Gelegenheit bekommt, ist das natürlich eine Herausforderung, bei der man sich fragt: Kann ich so etwas überhaupt spielen? (lacht)

Stimmen bei euch Vision und Entwicklung der Band überein? Klingt das NFO exakt so, wie ihr es in eurem Kopf hattet?

DA: Im Grunde genommen schon, nur mit dem Zusatz, dass wir anfangs nicht genau wussten, wie weit wir uns vom reinen Rock-Genre entfernen können, ohne dass darunter die Identität der Band leidet. Jetzt, nach vielen Erfahrungen, wissen wir, dass wir eigentlich alles tun und lassen können, was wir wollen. Der Grad der Experimentierfreudigkeit hat zu-, die Sorge vor Fehlschüssen dagegen abgenommen. Das macht die Sache für uns noch interessanter. Das grundsätzliche Songwriting hat sich nicht geändert, es war und ist geradlinige Rockmusik mit interessanten Akkordstrukturen und starken Melodien. Unterschiede zu unseren Anfängen gibt es nur in der Art, wie wir die Songs arrangieren und produzieren.

SA: Das NFO hat eine eigene, Band-typische Melodieführung. Und immer auch ein klein wenig Drama. Zwar nicht so super Gothic-/Opern-mäßig, aber eben doch Drama in etwas kleinerem Format.

The Night Flight Orchestra
Forslunds Laney Tube Fusion Combo (Bild: Mineur)

Was hat die Band bei dieser Tour gelernt, immerhin die mit Abstand längste in der NFO-Karriere? Über ihre Songs, ihr Publikum, die Erwartungshaltung der Fans?

SF: Erstaunlicherweise funktionieren alle Songs auch live. Außerdem werden wir offenbar Abend für Abend besser, ohne es zu merken. Ansonsten wird man erst nach der Tour wissen, welchen Einfluss sie auf die Band hatte, da ich unterwegs nicht komponieren kann.

DA: Ich übrigens auch nicht. Grundsätzlich gilt: Wir spielen besser als zu Beginn der Bandgeschichte, und wir haben jetzt deutlich mehr Selbstbewusstsein. Deswegen werden wir bei der nächsten Scheibe auch so viel Material wie möglich live im Studio einspielen. Darüber haben wir schon früher nachgedacht. Jetzt, nach dieser Tour, trauen wir es uns auch zu.

SF: Wir sind selbst gespannt, ob es funktioniert und welche Lehren wir dann daraus ziehen können. (lacht)

SA: Generell ist es ja immer wieder lehrreich, welche Songs das Publikum am meisten feiert. Man selbst hat seine Lieblingsstücke, stellt dann auf Tour aber fest, dass es ganz andere Nummern sind, bei dem das Publikum steil geht. So etwas wirkt sich natürlich auch auf das Songwriting aus.

Welche Stücke lieben eure Fans am meisten, die langsamen oder die schnellen?

SA: Das Verrückte ist: Sie lieben alles, unabhängig von Stil oder Tempo. Wenn man mit Metal-Bands tourt, weiß man nach ein paar Abenden, bei welchen Nummern die Stimmung am stärksten hochkocht. Bei NFO ist das anders, hier wird alles gleichermaßen bejubelt.

Weil ihr eine solch große Bandbreite an Songs anbietet?

SA: Ja, das könnte tatsächlich einer der Gründe sein. Wenn ein bestimmtes Maß an Energie vorhanden ist, funktioniert das Stück. Wie sagt man so schön: a good song is a good song is a good song…

The Night Flight Orchestra
Sharlee D`Angelo (Bild: Mineur)

Letzte Frage: Was steht nach dem Ende der NFO-Tour an? Ihr drei seid bekanntlich auch anderweitig vielbeschäftigt.

DA: Ich werde weiter an neuen Songs arbeiten und hoffentlich schon im Frühjahr die ersten aufnehmen. Außerdem sind wir für eine Reihe von Festivals gebucht, auf denen wir noch nie zuvor gespielt haben. Aber natürlich muss ich mich auch um Soilwork kümmern, die im Januar ein neues Album veröffentlicht haben. Es wird für mich also ein sehr arbeitsreiches Jahr.

SA: Bei mir stehen für 2019 vor allem Arch Enemy und Night Flight Orchestra auf dem Terminkalender. Im Unterschied zu anderen Bands arbeiten wir bei NFO immer nur etappenweise. Es sind nicht durchgehende Produktionen, sondern kürzere Phasen, in denen im Studio immer nur an Teilen des Albums gearbeitet wird. Deshalb weiß man nie, wie der Zeitplan konkret aussieht.

Für mich steht allerdings schon jetzt fest, dass mein letztes Konzert 2019 mit Arch Enemy am 21. Dezember ist. Es wird für mich also erneut ein langes Jahr. Aber ich mag das, außerdem: Was soll ich sonst tun? Ich kann nichts anderes. Ich würde auch gerne mal Auto fahren, hab aber keinen Führerschein. (lacht)

SF: Ich werde meinem täglich Brot als Songschreiber in meinem Stockholmer Studio nachgehen und dort voraussichtlich viel Zeit verbringen. OK, danke, ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg und vor allem eine stabile Gesundheit, um dieses kraftraubende Leben durchzuhalten!

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2019)

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