„Ich kann mit Stolz verkünden, dass ich gerade mal drei Gitarren besitze …“

Zwischen Orient und Okzident: Jonny Greenwood im Interview

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(Bild: Frank Lebon)

Jonny Greenwood ist Mr. Umtriebig: Ein begnadeter Gitarrist und Multiinstrumentalist, der Kunst-Filme vertont, Hauptsongwriter von Radiohead ist, sich mit Kumpel Dudu Tassa an arabischer Pop-Musik versucht und jüngst mit ‚Wall Of Eyes‘ ein neues Album seines Projekts The Smile veröffentlicht hat. Leider ist er – wie alle Radiohead-Mitglieder – nicht sonderlich kommunikativ: Interviews mit dem 52-Jährigen sind eine Rarität. Doch für Gitarre & Bass macht er eine Ausnahme.

INTERVIEW

Jonny, was hat dich veranlasst, das arabische Album ‚Jarak Qaribak‘ zu veröffentlichen, das Dudu Tassa und du im November bei einer Reihe von Konzerten live aufgeführt haben?

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Ganz einfach: Ich liebe Dudus Platten, auf denen er gerne die Musik seines Großvaters interpretiert. Der war in den 1920/30er ein großer Star im Irak. Seine Formation hieß The Kuwaitis und wird bis heute von arabischen Sendern in aller Welt gespielt. Solche Sachen finde ich inspirierend – zumal sie nichts anderes sind, als das Gegenstück zu Hal Porter, der heute auch immer noch sehr populär ist. Und Dudu und ich haben in der Vergangenheit viel und oft über unsere arabischen Lieblingssongs gesprochen – was für die Idee sorgte, uns durch einen riesigen Katalog von Songs aus dieser Zeit zu hören. Einige davon aus den 30ern, andere aus den 80ern. Es ist ein wirklich großer Rahmen.

Wieso bist du überhaupt ein Freund von arabischer Musik – wie bist du dazu gekommen?

Die Familie meiner Frau stammt aus Bagdad und Kairo. Von daher bin ich zwangsläufig mit dieser Musik in Berührung gekommen, und habe sie von Anfang an gemocht. Wobei es gar nicht so leicht ist, sie zu finden. Also vieles davon ist nur in bestimmten Ländern und auf Vinyl oder Kassette erschienen − es hat nie irgendeine digitale Streaming-Plattform erreicht. Wenn man Glück hat, entdeckt man Sachen bei YouTube, wo sie dann vielleicht 17 Aufrufe haben. Der Song ‚Ahibak‘ wurde z.B. in den 1950ern von irakischen Immigranten in Israel geschrieben – und Dudu und ich haben es tatsächlich geschafft, die Enkelin des Original-Komponisten ausfindig zu machen. Sie war völlig aus dem Häuschen, dass wir diesen Song, an den sie sich nicht einmal erinnern konnte, zu neuem Leben erwecken wollten. Und es ist ein großartiger Song – wir schätzen uns glücklich, dass er Teil des Albums geworden ist.

Dudu Tassa & Jonny Greenwood (Bild: Shin Katan)

Du bist diese Songs mit E-Gitarre, Drum-Machines und Synthesizer angegangen. Ist das noch authentisch oder entspricht das eher einer westlichen Herangehensweise?

Einige der Songs stammen ja aus den 80ern. Von daher könnten sie auch schon in der ursprünglichen Version Drum-Machines enthalten haben. Und wir haben zwar bewusst auf Computer und digitale Instrumente verzichtet – weil sie grundsätzlich nicht Teil dieser Musik waren – aber doch Sachen wie frühe Synthesizer verwendet. Einfach, weil wir diese verrückte Idee hatten: Wie hätten Kraftwerk geklungen, wenn sie 1973 von Düsseldorf nach Kairo umgesiedelt wären – und wir quasi ihre Songs interpretieren? Das war der Ansatz: Also statt einfach arabische Musikstile der letzten 90 Jahre zu kopieren, wollten wir aus einer fantasievollen Richtung kommen. Denn wir hatten ein wenig die Befürchtung, dass das Ganze seinen Charme verliert, wenn die Arrangements zu modern und zu rhythmusbetont ausfallen. Wenn sie zu aufgeblasenen, komprimierten Disco-Nummern mit arabischem Gesang würden. Das wollten wir auf jeden Fall vermeiden. Deshalb kamen wir auf Kraftwerk – denn das Tolle an ihren Alben ist doch, wie fein und leichtfüßig ihre Rhythmen klingen. Also kein bisschen brutal, sondern sehr zurückhaltend.

Wie komplex und schwierig sind arabeske Rhythmen?

Sie sind allein deshalb heftig, weil arabische Tonleitern ganz anders sind als europäische. Da gibt es zum Beispiel keine Dur- und Molldreiklänge, an denen man sich orientieren könnte. Die Musik steht im völligen Kontrast zu westlichen Musikvorstellungen. Es ist inspirierend, sich mit dieser völlig anderen Herangehensweise an Musikstrukturen zu befassen.

Wie bist du das angegangen? Musstest du alles neu erlernen und hast dafür Unterricht bei einem lokalen Lehrer genommen?

Es ist schwierig, weil du einen Song ja regelrecht zerstören kannst, indem du da – aus Unwissenheit oder Ignoranz – einfach irgendwelche fremden, falschen Akkorde hinzufügst und sagst: „Das klingt doch wie G-Dur.“ Weil in der Original-Tonleiter aber auch Viertelnoten und sogar noch leichte Abweichungen und Unterformen davon vertreten sind, machst du den fatalen Fehler, dem Ganzen etwas aufzudrücken, das es simplifiziert – und das ist immer eine schlechte Idee. Also war mein Ansatz, das Ganze so anzugehen, wie einen Talking-Heads-Song. Etwa ‚Remain In Light‘, wo es keinen richtigen Akkord-Wechsel gibt, sondern nur eine Art Grundton und einen bestimmten Rhythmus.

Hast du dich auch an regionalen Saiteninstrumenten versucht oder hältst du allein aus Prinzip an der konventionellen westlichen E-Gitarre fest?

Für die Aufnahmen in Tel Aviv hatten wir richtige Oud- und Ney-Spieler sowie Perkussionisten aus dem mittleren Osten. Und das ist gut so. Ich habe und hatte nie vor, mich da heranzuwagen – also vielleicht mit Ausnahme eines Fagotts oder einer Piccolo-Flöte. Einfach, weil ich nicht das Ego habe, alles alleine machen zu wollen und so zu tun, als ob ich alles beherrsche. Das tue ich nicht und dazu stehe ich auch. Meine Rolle bei der Produktion dieses arabischen Albums bestand einzig und allein im Rhythmus-Bereich. Ich spiele Gitarre und Bass, aber auch ein bisschen Ondes Martenot (Monophones elektronisches Instrument, Anm. d. Red.).

Eben Instrumente, mit denen ich mich auskenne und mit denen ich versucht habe, die jeweiligen Songs zu verstärken und zu vervollständigen. Aber ich würde mir nie anmaßen, mich z.B. an arabischen Percussions zu vergehen. Einfach weil ein Tambourin gleich wie ein regelrechtes Schlagzeug klingen kann, wenn es von einem guten Spieler angegangen wird. Es ist irre zu hören, welche Farben, Muster und Klänge man da hinbekommt – und wie sich das von unserem Kulturkreis unterscheidet. Es ist eine ganz andere Welt. Und auf authentische Klänge zurückzugreifen, macht einen Riesenunterschied. Ganz abgesehen davon, dass es von Respekt zeugt.

Hast du für dieses Projekt andere Gitarren verwendet, als du es für Radiohead oder The Smile tun würdest?

Nein, ich greife einfach zu dem, was ich habe. Und für mich sind ohnehin alle Gitarren gleich. Also ich finde, dass sie ein Instrument sind − und fertig aus. Dieses ganze Philosophieren hinsichtlich Marken, Formen, Farben, etc. kann ich nicht nachvollziehen. Ich schätze, jeder bevorzugt einfach das, woran er gewöhnt ist.

Das meinst du, der als einer der besten Gitarristen der späten 90er/frühen 2000er gilt, nicht wirklich ernst, oder?

Doch! Ich wehre mich dagegen, mehr aus diesem Instrument zu machen, als es ist. Nämlich ein Stück Holz mit Saiten. Fertig aus. Und ich spiele keine Telecaster, weil ich sie für wer-weiß-wie-toll halte, sondern einzig aus Gewohnheit. Eben, weil ich damit vertraut bin und mich insofern sicher fühle. Aber es ist für mich nicht das Nonplusultra oder der heilige Gral.

Mehr Gear-Talk und die Zukunft von Radiohead auf Seite 2

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