Mit Transkription zum Song ‚Haunted Ballroom‘!

Jahrmarktbesuch: Scott Henderson im Interview

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(Bild: ProTon Musikagentur)

Scott Henderson ist ein Sound-Magier, das hat der Gitarrist in Joe Zawinuls Syndicate genauso unter Beweis gestellt wie in dem Fusionquartett Tribal Tech oder seinem aktuellen Bluestrio. Scotts neues Album ‚Karnevel!‘ nimmt den Zuhörer mit auf die Kirmes, er liebt verrücktes Essen und Fahrgeschäfte.

„Meine Musik ist genauso. Du weißt nie, was du bekommst, es ist ein Mischmasch aus Jazz, Funk, Blues und Rock.“

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INTERVIEW

Du hast mit Romain Labaye am Bass und Archibald Ligonniere am Schlagzeug zwei Franzosen in deinem Trio, die in Paris leben. Wie funktioniert die transatlantische Zusammenarbeit?

Auf unserer Tour 2023 haben wir schon Songs der neuen CD gespielt. Die Basistracks haben wir in LA aufgenommen, danach habe ich noch viel addiert. Live mit dem Trio klingt es anders, aber die Essenz der Songs bleibt.

Du hast sehr viel Arbeit in das Album gesteckt. Wie viele Versionen gab es von jedem Song?

Immer nur eine, ich arbeite an einem Song, bis er fertig ist. Zuerst gibt es die Trio-Parts. Alles ist so komponiert, dass es live gespielt werden kann. Danach habe ich reichlich weitere Gitarren-Voicings oder weitere Gitarrenparts hinzugefügt.

‚Covid Vaccination‘ ist mit den Bläsersätzen ein tolles Tribute an Tower of Power.

Alles auf Gitarre eingespielt! Für den Trompetensound kam ein WahWah zum Einsatz, für Saxophon war es ein Fuzztone, für Posaune ein Trombetta-Pedal. Statt die Bläser in einem Voicing zu spielen, habe ich es wie eine Bigband arrangiert und jede Stimme einzeln eingespielt. Tower of Power war immer eine meiner Lieblingsbands. Von deren Song ‚Soul Vaccination‘ kam die Idee für den Groove.

Für ‚Bilge Rat‘ hast du mit verschiedenen Gitarren experimentiert.

Ich wollte meine Gitarrensammlung verwenden, die sonst nur zu staubt. Das meiste wurde auf einer Danelectro-Resonator eingespielt, die zwei Pickups hat. Damit hast du total unterschiedliche Sounds.

‚Greene Mansion‘ ist ein ungewohntes Sologitarrenstück.

Das ist nur Gitarre mit Reverb ohne Overdubs. Das Stereo-Reverb macht den Sound groß. Es ist ein Tribute an Ted Greene, einen der größten Sologitarristen. Ich hatte vier oder fünf Stunden bei ihm, die ich noch auf Band habe. Er wohnte in Los Angeles in einem riesigen Apartmentkomplex. Du hattest Unterricht bei einem der größten Musiker, und er lebte in diesem total anonymen Bienenstock? Er hätte eine Villa auf dem höchsten Hügel verdient!

Wie bekommst du die aufwendige Produktion auf die Bühne?

Ich muss Melodie und Akkorde gleichzeitig spielen können, was ich mit Üben eigentlich immer schaffe. ‚Covid Vaccination‘ muss im gleichen Arrangement gespielt werden, es gibt keinen Platz für Improvisationen. Ich mag aber Songs, die ich jede Nacht anders spielen kann wie ‚Bilge Rat‘.

Wie arbeitest du mit deiner französischen Rhythmusgruppe? Probt ihr vor der Tour?

Wir werden einen Tag proben, weil wir einige Stücke bisher nur im Studio gespielt haben. Aber die Jungs lernen ihre Parts vorher, wir werden nur die Abläufe checken.

Du hast inzwischen auch eine exakte Kopie von deinem Amp-Setup in Europa stehen.

Ja, ich bringe nur mein Pedalboard und meine Gitarre mit. Auf den Aufnahmen habe ich über hundert Effekte verwendet. Wenn ich es mir leisten könnte, würde ich ein großes Pedalboard mitnehmen.

Wie kam dir die Idee für ‚Karnevel!‘?

Ich liebe den Jahrmarkt! Die Horrorhäuser sind eher lustig als gruselig, du kannst die verrücktesten Sachen essen, Hamburger mit Donuts drin oder frittierte Oreos. Irgendwie ist meine Musik genauso. Du weißt nie, was du bekommst.

Was gibt es Neues in deinem Equipment?

Ich habe nach verrückten Effekten gesucht. Ein Pedal war das ZOIA von Empress, es ist das fortschrittlichste Pedal, das ich kenne. Es würde Jahre dauern, bis ich es richtig programmieren kann. Aber es gibt Leute, die ihre Patches in einer Soundlibrary hochladen.

Hendersons Pedalboard (Bild: Ballhorn)

Welche anderen technischen Neuerungen hast du verwendet?

Den Chase Tone Secret Preamp! Er liefert einen funkelnden dreidimensionalen Sound, wenn du ihn hinter einen Chorus oder ein Boost-Pedal schaltest.

Du hast dein Album auch selbst gemischt und produziert.

Viele Jazzmusiker wie Scofield sind nur beim Gitarrenpart involviert. Das verstehe ich, denn du musst die Gitarre beiseitelegen und Produzent/Techniker werden. Ich liebe es, nach Sounds zu suchen und zu mischen. Es frisst viel Zeit, danach war ich eingerostet. Jetzt übe ich acht Stunden täglich, um wieder fit zu werden. Leute wie Allan Holdsworth oder Michael Landau sind hervorragende Produzenten. Jimmy Page war vermutlich der erste, der nicht nur Gitarrist, sondern auch ein exzellenter Produzent war. Weather Report hat Sounds und Multitracks hinzugefügt und nicht nur live im Studio gespielt. Wayne Shorter war ebenfalls unglaublich, schon vor Weather Report und vor allem danach. Beim Album ‚Quiet‘ von John Scofield hörst du, wieviel Arbeit in den Kompositionen und Arrangements steckt. Bei seinen anderen CDs hat man das Gefühl, Sco hat Songs auf einer Serviette notiert, sie aufgenommen und dem Tontechniker die restliche Arbeit überlassen. Die Alben sind gut, weil Sco ein toller Musiker ist, aber ‚Quiet‘ ragt heraus. Ich bin bei meinem Album von der ersten geschrieben Note bis zum Master dabei.

Ich will nicht angeben, aber das neue Album klingt verdammt gut.

Wie viele von deinen Improvisationen hast du im Studio nochmal überarbeitet?

Sobald der Aufnahmeknopf gedrückt ist, macht sich Nervosität breit. Red Light Fever habe ich leider auch. Auf ‚Karnevel!‘ habe ich mehr von den Basic Tracks übriggelassen als sonst, vielleicht weil mein Sound besser war oder wir die Songs schon live gespielt hatten. Im Studio kannst du Fehler fixen, wofür ich mich nicht schäme. Ich analysiere meine Improvisation aber nicht mehr so wie früher. Für einige Musiker ist Improvisation alles, für mich ist die gesamte Musik wichtiger. Auf ‚Karnevel!‘ spiele ich nicht, um Leute zu beeindrucken. Über den Punkt, Leute mit schnellen Licks zu beeindrucken, bin ich lange hinweg.

Wie groß ist die Rolle von Impulse Responses bei ‚Karnevel!‘?

Es gab einen technischen Durchbruch auf dem Album: Impulse Responses! Ich habe nach einer Lösung gesucht, um zuhause leiser spielen zu können. Die Fenster in meinem Zimmer habe ich verschlossen, damit die Nachbarn nicht dauernd die 4×12“-Marshall-Cabinets hören müssen. Sonst wäre die Polizei jeden Tag da. Von meiner Familie mal ganz zu schweigen, wir haben unser Zweifamilien-Haus zu einem gemacht, die Zwischenwand aber für die Soundisolierung beibehalten. Trotzdem hörst du die Gitarre überall. IRs gibt es schon länger, es klang zwar nach echtem Speaker, aber nicht nach mir. Also habe ich mein eigenes 4×12“-Cabinet nach Nashville geschickt, um es von York Audio erfassen zu lassen. Nur drei Songs des Albums wurden mit echten Speakern aufgenommen und niemand wird erkennen, welche das sind. Impulse Responses sind ein Geschenk Gottes für jemanden wie mich mit Familie und Nachbarn.

Die Live-Amps: Suhr SH-100 & Fender Hot Rod Deluxe (Bild: Ballhorn)

EQUIPMENT


GITARRE:

    • Suhr Scott Henderson Signature

VERSTÄRKER:

    • Suhr SH-100, Fender Hot Rod Deluxe

CABINET:

    • Kerry Wright 4×12

EFFEKTE:

    • Xotic RC Booster
    • TWA SH9
    • Fulltone Octafuzz
    • Z.Vex Fuzz Factory
    • Arion Chorus
    • Chase Tone Script Wah
    • E.W.S. Subtile Volume Control
    • Boss RC-3 Loop Station
    • Boss SE-70 Multi-FX

Scott Henderson live mit seinem Trio (Bild: Ballhorn)

TRANSKRIPTION: ‚HAUNTED BALLROOM‘

‚Haunted Ballroom‘, ein Shuffle, beginnt mit einer Melange aus Lead-Guitar und chorusgeschwängerten Fusion-Chords, die Assoziationen an Allan Holdsworth wecken. Ab 02:19 hören wir dann ein Gitarrensolo über die klassischen Blues-Changes in E-Dur.

(zum Vergrößern klicken!)

Beispiel 1 zeigt die ersten drei Chorusse, denen man anhört, dass Scott die Blues-Geschichte kennt und akribisch gelernt hat. Wir hören zahlreiche Open-String-Licks mit unüberhörbarer Delta-Blues-DNA, zum Teil ohne Pick mit den Fingern gezupft.

(zum Vergrößern klicken!)

Eine kurze Passage aus Chorus 4 des Solos (Beispiel 2) zeigt, wie er in Double Time eine Line über die letzten vier Takte mit Bebop-Chromatik beginnt, die dann in einer spektakulären One-String-Sequenz mündet. Ganz großes Kino.


(erschienen in Gitarre & Bass 03/2024)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Das Cover der neuen CD / LP ist für meine Begriffe eigenwillig, schräg, völlig daneben.
    Was sich der Protagonist der dieses Cover zu verantworten dabei gedacht hat bleibt sein Geheimnis.
    Ich jedenfalls finde es einfach nur Scheiße, der Musik die dieses Cover-Machwerk covert nicht gerecht.
    Wegen des Covers würde ich dieses stück Musik garantiert nicht erwerben.
    Sorry, Mr. Scott Henderson…….

    Auf diesen Kommentar antworten
    1. Ha, das ging mir genauso und war mir von Anfang an ein Rätsel! Das Cover ist mit seinem primitivsten Photoshop-Dilettantismus tatsächlich so grottig, dass es darauf angelegt scheint, potenzielle Käufer erst einmal gründlich abzuschrecken… Oder ist es vielleicht in Wirklichkeit ein Test, um die der (im Gegensatz dazu wirklich tollen) Musik wirklich Würdigen und Unerschrockenen aus der Zahl derer auszusieben, die sich von einem möglicherweise „schönen“ ködern lassen…? Wenn man den letzteren einfach nichts verkaufen will, erfüllt es vermutlich seinen Zweck.

      Der gute Scotty hat ja definitiv seinen eigenen schrägen Humor (wovon man sich u.a. auch in den „Guitar Wank“ Podcasts überzeugen kann/konnte), aber ökonomisch sinnvoll ist so etwas sicher nicht und letztlich in seiner – wie ich zumindest finde – Unangemessenheit zur Musik auch einfach ästhetisch schade.

      Auf jeden Fall hätte man da bei der Entscheidungsfindung gern mal mitgehört…

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  2. Es geht um die Musik, nicht um das Cover.
    Das Cover ist so zweitrangig, wenn überhaupt.
    Ich freue mich auf jede neue Veröffentlichung von Scott Henderson.
    Cover hin, Cover her.
    Wer schöne Bilder sehen will, sollte ins Museum gehen.

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    1. Nein, sehe ich nicht so. Ein Album in physischer Form ist mehr als die darauf enthaltene Musik (auch wenn die selbstverständlich die Hauptsache ist). Wenn ich einen physischen Tonträger in Händen habe, dann mache ich damit eine ganzheitliche, sinnliche Erfahrung, bei der neben dem Hören sowohl der visuelle als auch ggf. noch der haptische Moment eine wesentliche Rolle spielt.

      Da hat sich immerhin jemand Gedanken (auch wenn die hier nicht unbedingt nachvollziehbar sind) gemacht, wie so ein „Package“ aussehen sollte und wie das, was man hört, mit dem was man dazu sieht, in Beziehung steht bzw. stehen sollte.

      Ist einem das komplett egal, dann ist man wahrscheinlich der ideale, auf nur eine Dimension des Erlebens reduzierte Streaming-Kunde – er (oder sie) verzichtet m.E. dann aber eine umfassendere sinnliche Erfahrung…

      Auf diesen Kommentar antworten

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