Louder Than Noise… Live In Berlin

Motörhead: Posthumes Lebenszeichen

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(Bild: EMI)

Der Zufall wollte es wohl so: Am 4. Dezember 2012 traf sich eine Abordnung von GITARRE & BASS bei einem Konzert in Hannover mit den Motörhead-Mitgliedern Lemmy Kilmister und Phil Campbell. Man unterhielt sich über Musik, Studioarbeit und Instrumente, machte Fotos, schaute sich das zum Teil legendäre Equipment der Band an und erfuhr viel Wissenswertes über die Philosophie der beiden ungleichen Kollegen. Soweit nichts Ungewöhnliches.

Auf dem überall aushängenden Tour-Schedule konnte man erkennen, dass der nächste Stopp des charismatischen Rock’n’Roll-Trios schon am nächsten Tag im Berliner ‚Velodrom‘ an der Landsberger Allee sein würde. Was die G&B-Abgesandten damals noch nicht wussten: In der Hauptstadt sollte am 5. Dezember 2012 vor 12000 begeisterten Fans die Show für eine spätere Veröffentlichung mitgeschnitten werden.

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Und genau das ist vor wenigen Wochen geschehen: Seit dem 23. April 2021 steht ‚Louder Than Noise… Live In Berlin‘ in den Läden und weckt wehmütige Erinnerungen an ein Treffen, das genauso war wie die Band selbst: direkt, hemdsärmelig, ohne Star-Allüren, mit britisch rauem Charme und großer Offenheit. Wir blicken zurück auf eine unvergessliche Verabredung, wie sie heute aus bekannten Gründen leider nicht mehr möglich wäre.

(Bild: Silver Lining)

LEMMY KILMISTER

Denn, erinnern wir uns: Am 28. Dezember 2015, vier Tage nach seinem 70. Geburtstag, starb Lemmy Kilmister, und mit ihm einer der charismatischsten Musiker der Rockgeschichte. In seiner Funktion als Bandchef der sagenhaften Band Motörhead hat der Mann mehr als 40 Jahre lang die heftigsten Stürme überstanden, die härtesten Klippen umschifft und die wildesten Dispute geführt, ohne sich dafür menschlich verbiegen zu müssen.

Ein Beispiel gefällig? Als er Anfang der 1990er auf der Flucht vor den britischen Steuerbehörden seine Heimat England verlassen musste und sich in Los Angeles niederließ, höhnte die englische Presse „Lemmy Goes To Hollywood“, als Persiflage auf den Pop-Act Frankie Goes To Hollywood. Aber Lemmy wehrte sich: „Ich verstehe nicht, weshalb ich von den Medien beschuldigt werde, England verraten zu haben, obwohl ich es nicht getan habe“, schimpfte er. „Ganz im Gegenteil: England hat uns verraten. Lange bevor ich nach L. A. ging, verdiente ich in diesem Land einfach kein Geld. Ich durchlief drei Plattenfirmen, hatte drei Manager, einer von ihnen, ein Engländer, beraubte uns jeden Pennys, den wir verdienten. Ich konnte nichts anderes machen, als umzusiedeln. Ich habe jedes Jahr Steuern bezahlt, und das einzige Mal, als ich staatliche Unterstützung brauchte, wollten sie mir keine geben, weil ich nicht die richtige Briefmarke auf die Karte geklebt hatte. Also, was schulde ich denen?“

Was zeigt diese kleine Anekdote? Dass Lemmy nie jemandem zu Kreuze gekrochen ist, weder den Steuerbehörden und am allerwenigsten Journalisten, die ihn und seine Lebensphilosophie nicht verstehen konnten. Oder nicht wollten. Und deshalb auch nicht wussten, wie seine Karriere überhaupt begonnen hatte, nämlich als bettelarmer Roadie, u. a. für Jimi Hendrix.

1972 stieß Lemmy zu Hawkwind, den Pionieren des sogenannten Space Rock, und zwar genau in dem Moment, als die Band mit ‚Silver Machine‘ ihren größten und einzigen Hit landete. Zunächst war Lemmy davon ausgegangen, dass er die Nachfolge von Gitarrist Huw Lloyd Langton antreten solle. Doch Hawkwind-Boss Dave Brock wies Lemmy den ebenfalls vakanten Posten des Bassisten zu. „Im Grunde genommen habe ich das Bass-Spielen erst auf der Bühne während der laufenden Konzerte gelernt“, erzählte Lemmy später von seinen ersten Erfahrungen als Bassist: „Dave brüllte mir irgendetwas wie „Spiel in E!“ herüber und ich legte einfach los. Einen eigenen Bass besaß ich damals noch gar nicht. Mein Vorgänger war zum Glück so blöd, seinen Rickenbacker im Tourbus zu vergessen. Also schnappte ich ihn mir und spielte damit.“

1975 formierte er die Band Bastard, den direkten Vorläufer von Motörhead. Der Name Motörhead war eine Slangbezeichnung für Temposüchtige, die sogenannten Motor-Köpfe. Die erste Besetzung, die wirklich von Belang war, bestand aus Lemmy (Bass, Gesang), Fast Eddie Clarke (Gitarre) und Phil Taylor (Schlagzeug) und durfte sich, nachdem Ende der Siebziger ihr Debütalbum veröffentlicht wurde, über die schmeichelnde Auszeichnung als „schlechteste Band der Welt“ freuen.

Lemmy konnte dies anschließend sogar bestätigen. „Die erste Motörhead-Besetzung war technisch wirklich grottenschlecht“, gab er unumwunden zu. „Die Songs, die wir später locker aus dem Ärmel schüttelten, hätten wir mit Phil Taylor und Fast Eddie Clarke niemals spielen können.“ Trotz anfänglich eher bescheidener Darbietungen verfolgten die Medien die Geschicke der Band stets mit besonderem Interesse. Wie schrieb 1977 das Magazin ‚Stereo Review‘ halb fasziniert, halb angewidert: „Sie wissen, dass sie wie die Tiere sind, und sie wollen auch als gar nichts anderes erscheinen. Wo im Heavy Metal so viele hässliche Frösche herumspringen, die sich einbilden, sie seien Gottes Geschenk an die Frauen, kommen einem diese Quasimodos sogar irgendwie charmant vor.“

Ab Anfang der Achtziger wurden Motörhead und ihre Alben jedoch zunehmend besser. 1980 landeten sie mit dem Titelsong des Albums ‚Ace Of Spades‘ einen ersten Klassiker. Bereits ein Jahr danach folgte der zweite Höhepunkt, der ebenfalls in die Rockgeschichte eingehen sollte: ‚No Sleep ‘Til Hammersmith‘, mit Live-Aufnahmen aus Leeds und Newcastle, anstatt – wie der Titel suggeriert – aus dem legendären Londoner Club ‚Hammersmith Odeon‘.

Ganz in der Tradition der ersten Motörhead-Livescheibe steht nun auch ‚Louder Than Noise… Live In Berlin‘, zumal Lemmys Equipment von 1981 bis 2012 mehr oder minder unverändert blieb. Bereits seit 1976 vertraute er seinem legendären Marshall JMP Superbass II 100 Watt „Murder One“, bevor ihm 2008 der britische Verstärkerhersteller den 100 Watt starken 1992LEM Signature Super Bass Head widmete, mit vier EL34-End- und drei ECC83-Vorstufenröhren, zwei Kanälen und einer Dreiband-Klangregelung.

Auch in Leeds und Newcastle spielte Lemmy bereits Rickenbacker-Bässe. Viele Jahre später entwickelte ihm die Firma seinen Signature 4004LK, mit Walnuss-Korpus, Ahorn-Hals und Palisander-Griffbrett, 20 Bünden, goldener Hardware und Rickenbacker-Humbucker.

Allerdings war Lemmy auf manche Machenschaften des Herstellers nur semi-positiv zu sprechen: „Ich hatte mein verfluchtes Signature-Teil schon sieben Jahre, ehe sich Rickenbacker entschieden, ein paar mehr davon zu bauen“, maulte er. „Und dann wurden gerade mal 60 Stück produziert und diese nur im Internet verkauft. Natürlich war bereits nach vier Wochen alles vergriffen. Aber anstatt weitere Bässe herzustellen, wurde die Produktion eingestellt. Ganz schlau! Weißt du, wie viel für den letzten von ihnen gezahlt wurde? 18.000 Dollar, bei ‚Ed Roman Guitars‘ in der West Harmon Avenue Suite in Las Vegas! Ein Wahnsinnspreis, der nur dadurch zustande kam, dass es so wenige Exemplare gibt. Hätten sie mehr gebaut, gäbe es solch astronomische Preise nicht.“

Den Bass selbst jedoch fand Lemmy Zeit seines Lebens tadellos. Öffentlich lobte er seine Rickenbacker-Modelle 4001, 4003 und 4004: „Ich liebe den Hals und ihre Form. Über viele Jahre sahen die meisten Bässe anderer Firmen wie Kopien von Fender oder Gibson aus. Total einfallslos! Rickenbacker dagegen sind völlig eigenständig und daher perfekt für Musiker wie mich, die vom Gitarristen zum Bassisten umgeschult haben!“

Equipment 2012 / Lemmy Kilmister

● Rickenbacker Limited Edition Lemmy Kilmister Signature 4004LK
● Gibson SG Bass
● 2x Marshall 1992 LEM Lemmy Kilmister Signature
● 2x Marshall MF280L, 4x12er-Box plus 1979L, 4x15er-Box

Rickenbacker Lemmy Kilmister Signature
Lemmys Gibson SG als Ersatzbass
Lemmys legendäre „Murder One“-Bassanlage
1992LEM Signature Super Bass Head

 


PHIL CAMPBELL

So laut seine Gitarre bei Motörhead auch sein konnte, so leise und zurückhaltend zeigte sich der geborene Waliser in der Hannoveraner AWD-Hall im Dezember 2012. Man hätte ihn leicht übersehen können, als er nachmittags mit Strickpulli und tief ins Gesicht gezogener Wollmütze zum Soundcheck schlurfte, dabei kaum jemanden grüßte und sich einfach eine seiner Gitarren schnappte, um ein bisschen zu jammen. Er hatte sich erst unmittelbar vor dem Soundcheck in die Halle begeben und war bereits eine Minute nach Ende des alltäglichen Testdurchlaufs wieder in seiner Garderobe verschwunden. Zum Ende der Herbsttournee war Campbell müde und angeschlagen. Zudem quälte ihn ein hartnäckiger Husten, der allerdings auch durch seinen Nikotingenuss hervorgerufen sein konnte.

Als wir Campbell in Hannover zum ersten Mal seit 2004 wieder trafen, hatte sich seine Gitarrenauswahl komplett verändert. Anstatt, wie beim letzten Mal, Vintage-Gitarren zu spielen, besaß er nun überwiegend neue und moderne Modelle.

„Privat habe ich mir allerdings auch ein paar alte Exemplare zugelegt“, erzählte er. „Meine Frau hat mir eine 57er Les Paul gekauft, eine schwarze Custom mit Bigsby und originalem Koffer. Außerdem eine 65er Firebird, die von Jackson Brownes Gitarristen stammt, ebenfalls ein wundervolles Instrument. Hinzu kommt eine 61er Gibson ES-125 sowie die Gitarre von Elvis Presleys Gitarristen Scotty Moore. Ich mag die unterschiedlichsten Formen von Gitarren, vor allem die älterer Modelle.“

Auf der 2012er Motörhead-Tour hatte Campbell stattdessen drei Lag-Gitarren dabei, eine originale Lag in Explorer-Form plus seine No. 2, die nur ein klein wenig anders ausfiel, sowie eine Lag-Explorer mit einem Marshall-Logo. „Ich hatte sogar zwei davon, aber diejenige, die ich bei dem großen Marshall-Event in London gespielt hatte, habe ich dem Marshall-Museum geschenkt“, erzählte er.

Hinzu kamen zwei sehr seltene Framus-Gitarren und eine Les Paul, die Lemmy ihm etwa 15 Jahre zuvor in Texas geschenkt hatte. Campbell: „Es ist eine von den leichten Modellen, wie sie auch Gary Moore gespielt hat. Diese Les Paul ist nicht so schwer wie üblich, klingt aber dennoch sehr gut. Das Modell ist relativ unbekannt, ich habe mich schon mit so vielen Leuten darüber unterhalten, sogar mit Angestellten von Gibson, aber kaum einer kennt dieses Modell. Die Gitarre scheint ein kleines Mysterium zu sein.“

In Hannover im Dezember 2012 waren Campbells Gitarren kaum modifiziert. Er hatte im Vorfeld der Tour lediglich die Vibrato-Arme abmontieren lassen, nach seinen Aussagen wegen einer besseren Stimmungssicherheit auf der Bühne. Außerdem hatte er in den meisten seiner Gitarren Seymour-Duncan-Tonabnehmer verbaut, entweder das Jeff-Beck- oder am Hals ein 59er-Modell. Auffälligste Gitarre der ‚The Wörld Is Yours‘-Tour war eine Caparison mit – für Campbell ungewöhnlich – zwei EMG-Pickups.

Was aber braucht ein Instrument, damit der Motörhead-Klampfer sich mit ihm wohlfühlt? „Wichtig für mich ist vor allem die Stimmstabilität, denn wir spielen so dermaßen laut, dass sich die kleinsten Tuning-Probleme über eine 100.000 Watt-PA enorm verstärken würden, was natürlich keine gute Sache wäre. Ich mag es, wenn eine Gitarre einfach zu spielen ist, ich brauche keine unzähligen Optionen. Brian May schenkte mir zu meinem 50. Geburtstag eine seiner Gitarren, eine Black Red Special, ein tolles Instrument mit 24 unterschiedlichen Soundmöglichkeiten. Ich spielte sie auf ‚Orgasmatron‘, eine wirklich sehr gute Gitarre. Eigentlich ist sie eine dieser komplizierten Modelle, die ich nicht mag, aber sie klingt fantastisch, hat drei Singlecoils, mit denen man diverse Optionen hat. Ich mag sie wirklich. Ansonsten bevorzuge ich es simpel. Yngwie hat all seine Gitarren gescalloped, aber für mich ist nur wichtig, dass sie in tune bleiben und sich gut anfühlen.“

Und welche Modelle kamen auf dem im Herbst 2012 aktuellen Album ‚The Wörld Is Yours‘ zum Einsatz? Campbell: „Als die Produktion begann, wurde mein Vater schwer krank, also kehrte ich von Los Angeles nach Hause zurück und nahm meine Parts in Wales auf. Deshalb setzte ich nur zwei Gitarren ein: Die Rhythmusgitarren habe ich mit einer Gibson Les Paul Silver Burst gespielt, alle Soli auf einer Gibson ES-325.“

Bei den Amps bevorzugte der heute 60-Jährige natürlich weiterhin ausschließlich Marshalls. Campbell: „Auf dieser Tour habe ich drei Topteile in meinem Rack. Das weiße ist ein Randy-Rhoads-Modell, bei den Effekten hat mein Techniker Roger mir geholfen. Ich spiele den MXR Octaver von Slash, ein Steve Vai Bad Horsey Wah und einen 16 Jahre alten weißen MXR Micro Amp, um die Soli etwas zu boosten. Der MXR ist kein Verzerrer, sondern nur Booster. Auch hier mag ich es lieber simpel, außerdem übernimmt Roger die meisten meiner Schaltungen, vor allem das An- und Abschalten der Delays. Er kennt zum Glück jeden Song und alle Abläufe.“

Equipment 2012 / Phil Campbell

Lag S1000PC Phil Campbell Signature
Lag Phil Campbell Signature „50 Years Of Marshall“-Finish
Framus Panthera
Dean Zelinsky Custom Phil Campbell Strongbow
Framus Panthera „Motörhead England
Caparison Angelus M3B mit EMG-Pickups
Phils Pedalboards: 1) Boss PS-5 Super Shifter, MXR Micro Chorus, MXR Phase 90, MXR Octaver, MXR Micro Amp und Steve Vai Bad Horsey Wah & 2) MXR Smart Gate + zwei MXR Carbon Copy Analog Delays
Campbells Rack mit (v.o.n.u.) Fuhrmann M-8D, Whirlwind Multi Selector, AKG DSR 700, Rocktron Hush, Cry Baby Wah & Radial JD 7 sowie drei Marshall-Tops

 

● Lag S1000PC Phil Campbell Signature
● Lag Phil Campbell Signature No.2
● Lag Phil Campbell Signature „Marshall“-Finish
● Framus Panthera
● Framus Panthera „Motörhead England“
● Gibson Les Paul
● Caparison Angelus M3B mit EMG-Pickups
● Dean Zelinsky Custom Phil Campbell Strongbow
● 2x Marshall JVM 410 H
● Marshall JMP Randy Roads
● Radial JD 7 Injector
● Cry Baby Wah
● Rocktron Hush Super C
● Whirlwind Multi Selector 4 Channel
● Fuhrmann M-8D Merit Series
● AKG DSR 700
● Peterson Strobe Tuner
● Boss TU-2 Chromatic Tuner
● TC Electronic Polytune
● Boss PS-5 Super Shifter
● MXR Phase 90
● MXR Octaver
● MXR Micro Chorus
● MXR Micro Amp
● Steve Vai Bad Horsey Wah
● MXR Smart Gate
● 2x MXR Carbon Copy Analog Delay

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2021)

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