Captain Fingers

Interview: Lee Ritenour

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(Bild: Copyright: Alex Solca 2020. All rights reserved.)

2018 hat Lee Ritenour fast alles verloren, was ihm lieb und teuer war: sein Haus, seine Gitarren, sein Studio, seine Masterbänder. Die Waldbrände von Malibu haben erbarmungslos zugeschlagen, und auch gesundheitlich ging es dem Ausnahmegitarristen alles andere als gut. Umso stärker präsentiert er sich nun auf ,Dreamcatcherʻ, seinem 32. Solo-Studio-Album, auf dem er gezielte Selbsttherapie betreibt. Eine systematische Aufarbeitung der letzten Jahre mit all ihren Rückschlägen – eingespielt mit den sieben Gitarren, die er aus den Flammen retten konnte.

INTERVIEW

Lee, ‚Dreamcatcher‘ ist das erste Solo-Gitarren-Album deiner Karriere. Warum hat das so lange gedauert? Warum bist du das nicht schon früher angegangen?

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Das ist schon seltsam, oder? Aber Tatsache ist: Ich war immer eine Art Band- oder Ensemble-Typ. Und obwohl ich seit den frühen 70ern Soloalben veröffentliche, bin ich gleichzeitig immer meiner Session-Arbeit nachgegangen. Sprich: Ich habe im Verbund mit anderen Musikern gearbeitet und das sehr geliebt. Mit den Jahren habe ich dann mehr getourt und angefangen, Solo-Sachen zu improvisieren und auf meinen Alben das eine oder andere kurze Solo-Gitarren-Stück zu veröffentlichen. Mehr aber auch nicht – obwohl viele Leute aus meinem Umfeld meinten, dass ich das forcieren sollte. Und es hat mich allein deshalb nie richtig interessiert, weil ich das – mit Ausnahme von Klassik-, Flamenco- oder Jazz-Gitarristen wie Joe Pass – nie besonders spannend fand.

Also: Es fällt mir schwer, mich auf ein komplettes Album in dieser Manier zu konzentrieren. Ich finde es spannender, etwas zu arrangieren und zu produzieren, das im Verbund mit anderen Musikern entsteht. Bis ich Ende 2018 dachte: „Vielleicht versuche ich es einfach mal.“ Und das war, nachdem mir unglaublich viel Mist passiert ist – zuerst sind mein Haus und mein Studio abgebrannt, dann musste ich mich noch in derselben Woche der ersten Operation meines Lebens unterziehen. Was bedeutete, dass ich schlagartig jede Menge Stoff hatte, an dem ich arbeiten konnte. Ende 2019 fing ich an. Ich hatte nur noch eine Tour Anfang 2020 vor der Nase, danach wollte ich das abschließen. Doch dann brach die Pandemie aus, und ich habe mich voll und ganz auf diese Songs konzentriert. Deshalb sind sie sehr reflektiv ausgefallen. Sie sind ein Spiegelbild der letzten drei Jahre.

Also ein therapeutisches Album – im wahrsten Sinne des Wortes?

Ganz genau. Und die Sache ist die: Ich bin 68 Jahre alt und spiele seit meinem achten Lebensjahr Gitarre. Insofern bin ich seit 60 Jahren aktiv. Und wenn mir die Gitarre je so etwas wie ein Sicherheitsgefühl gegeben hat, dann jetzt.

Wie viele Gitarren hast du vor dem Waldbrand retten können?

Sieben.

Aus einer wie umfangreichen Sammlung, die du über die Jahre zusammengetragen hast?

Erinnere mich nicht daran. (lacht) Ich hatte ja auch noch ein paar Gitarren aus der Zeit, als ich zwölf Jahre alt war. Aber was ich gerettet habe, waren meine 49er Gibson L-5, die mir mein Vater geschenkt hatte, als ich 13 war und zum ersten Mal Wes Montgomery gehört hatte. Dann noch meine Lieblings-Les-Paul, die mir Mike McGuire von Gibson gebaut hat, meine klassische Ramirez und ein paar Yamahas. Sie alle waren Teil des Setups für das neue Album. Genau wie das Apogee-Symphony-System. Das ist der Ersatz für dieses wunderbare Trident-Board, das ich in Malibu hatte, und das ebenfalls den Flammen zum Opfer fiel. Natürlich hat Apogee nicht dieselbe Wärme, aber doch eine unglaubliche Klarheit und Simplizität. Von daher habe ich also nicht nur ein Solo-Gitarren-Album aufgenommen, sondern auch einen kompletten Neustart hingelegt.

Lee Ritenour mit neuem Studio-Equipment (Bild: Copyright: Alex Solca 2020. All rights reserved.)

Einfach, weil ich wieder bei Null anfangen musste. Ich habe mir ein paar Mikrofone und den Apogee-Kram besorgt, meinen Computer ans Laufen gebracht, mir ein paar tolle Genelec-Lautsprecher zugelegt und angefangen. Klar, hat mich das eine Stange Geld gekostet, aber im Grunde bin ich jetzt auf demselben, reduzierten Niveau wie jeder andere: Ich arbeite ebenfalls in meinem Wohn- oder Schlafzimmer. (lacht) Und ich habe ja auch schon vor dem Feuer mit Logic gearbeitet. Logic habe ich bereits verwendet als es noch Teil von Atari war, also ehe es von Apple übernommen wurde. Das war in den 90ern und ich habe die Entwicklung sehr genau verfolgt. Das habe ich als Herausforderung empfunden. Genau wie die Tatsache, jetzt alles auf einmal zu machen: Also da ganz alleine anzutreten, zu komponieren und aufzunehmen. Es war eine Herausforderung auf ganzer Linie.

Was sich auch in den Songs niederschlägt, die in alle erdenklichen Richtungen gehen und auch mal Prog-Rock-Elemente aufweisen?

Ja, ich habe mich da einfach gehen lassen. Was auch damit zu tun hatte, dass ich zu dem Zeitpunkt der Aufnahmen noch keinen Plattenvertrag unterschrieben hatte. Aber Yamaha in Japan boten mir einen neuen Endorsement-Deal an und meinten: „Mach einfach dein Ding, Lee. Tu das, worauf du Lust hast.“ Und das habe ich – ich habe losgelegt und erst dann geschaut, wo ich es veröffentliche. Den Titel und das Konzept des Dreamcatchers, also die Gitarre zum Einfangen von Träumen, hatte ich aber schon im Vorfeld.

Für dich ist Songwriting instrumentales Geschichtenerzählen. Vermisst du es nicht manchmal, mit Texten zu arbeiten – oder drückst du dich mit Noten besser aus als mit Worten?

Mir ging es immer um die Gitarre – ich war nie ein Sänger oder Texter. Ich wünschte, das wäre ich. Denn wenn man beides hinbekommt, sorgt das zumeist für eine unglaubliche Karriere. Nur: Selbst so ein toller Sänger und Jazz-Gitarrist wie George Benson ist ja kein Texter. Und unter den ganz großen Gitarristen ist das auch eher eine Seltenheit. In der Rockwelt gibt es ein paar, aber nur wenige von ihnen sind auch toll in anderen Belangen. Ich für meinen Teil war immer nur der Gitarrist. Und ganz ehrlich: Das reicht mir. Es ist genug, um die Ereignisse der letzten Jahre und mein Leben als Musiker in L.A. zu reflektieren. Mehr brauche ich nicht.

Du arbeitest seit deinem 16. Lebensjahr als professioneller Studio-Musiker und hast u.a. auf Alben von Tonny Bennet, Frank Sinatra, Michael Jackson, Quincy Jones oder Aretha Franklin mitgewirkt. Was ist das für ein Gefühl, auf ein solches Portfolio zurückblicken zu können?

Darauf bin ich wahnsinnig stolz. Zumal das alles in kürzester Zeit geschah – zwischen den späten 60ern und den mittleren 70ern. Da war unglaublich viel los, es wurde großartige Musik produziert und wenn du gut warst, wurdest du von einer Session zur nächsten weitergereicht. Das war wie zur Schule zu gehen oder eine gute Ausbildung zu erhalten. Und nachdem ich dann 1976 auf ,Mind Transplantʻ, einer Platte von Alphonse Mouzon, mitgespielt hatte, bot mir dasselbe Label, auf dem das Album erschien, meinen ersten Solo-Vertrag an. Da war ich dann bei Epic und nahm ,Captain Fingersʻ auf – zur selben Zeit als auch Al Di Meola, Carl Carlton und Mahavishnu anfingen – genau wie all die zeitgenössischen Künstler wie z.B. Scofield und Metheny. Wir kannten uns untereinander alle ganz gut und erlebten großartige Karrieren. Aber ich habe dem Braten erst nicht so recht getraut und deswegen weiter Session-Jobs angenommen. Bis in die frühen 80er, als ich mich dann auf meine eigenen Platten konzentriert habe.

(Bild: Copyright: Alex Solca 2020. All rights reserved.)

Gibt es jemanden, mit dem du gerne arbeiten würdest, sofern sich die Gelegenheit dazu ergibt? Hast du eine Wunschliste?

Nun, ich war und bin ein großer Peter-Gabriel-Fan. Das begann mit der ,Shock The Monkeyʻ-Periode und setzt sich bis zum heutigen Tag fort. Außerdem denke ich, dass jeder von uns seine ganz persönliche Phase in der Musikgeschichte hat, von der er sich wünschen würde, er hätte sie miterleben können. Gerade, wenn die Gegenwart da offensichtlich etwas hinterherhinkt, wie es aktuell definitiv der Fall ist. Und ich denke manchmal, dass ich noch gerne etwas mehr von den 60ern erlebt hätte – von den frühen und mittleren, und eben nicht nur von den späten. Aber gleichzeitig bin ich unglaublich dankbar, dass ich die Gelegenheit hatte, mit so vielen tollen Leuten zu arbeiten. Also mit echten Koryphäen wie Dizzy Gillespie, Sonny Rollins und all diesen großartigen Jazzern.

Leider nicht an ihren besten Alben, denn ich wurde damals ja hinzugerufen, um etwas Kommerzielleres zu ermöglichen. Was nicht ganz das war, was ich mir davon erhofft hatte. Ich wollte Jazz mit Sonny Rollins spielen, wurde aber engagiert, um da ein bisschen Funk und Rock hinzuzufügen. Etwas Zeitgemäßes, das nichts mit Sonny und Dizzy zu tun hatte. Das war dann ziemlich ernüchternd. Aber wenn man Glück hatte und alles klappte, war es pure Magie. Insofern kann ich mich nicht beschweren.

Wie bist du zu deinem Spitznamen Captain Fingers gekommen?

Ich weiß bis heute nicht, wie der Typ hieß. Aber es war ein Fan, der immer zu meinen Auftritten in einem Laden namens ,The Baked Potatoʻ kam und Sachen sagte wie: „Was geht ab, Captain Fingers?“ (lacht) Ich fand das so cool, dass ich ein Album und meine Produktionsfirma danach benannte. So ist es bis heute geblieben, ohne dass ich weiß, wem ich die Ehre verdanke.

Gibst du deinen Gitarren auch Namen, wie es viele deiner Kollegen zu tun pflegen?

Nicht wirklich. Lustigerweise war es B.B. King, der mir mal genau diese Frage stellte – bei einer gemeinsamen Session. Da konfrontierte er seinen Techniker mehrfach damit, wo denn Lucille abgeblieben sei, er könne sie partout nicht finden. Sie war in irgendeinem Koffer und er wusste nicht, in welchem. Bis es hieß: „Alles gut, B.B., ich habe sie entdeckt. Sie ist da vorne …“ Nachdem ich die Situation ein paar Minuten verfolgt hatte, musste ich lachen und meinte zu ihm: „Dann stimmt es also wirklich, dass du deine Gitarre so nennst?“ Und er: „Ja, machst du das etwa nicht – gibst du deinen Teilen keine Namen?“ Worauf ich nur meinte: „Vielleicht sollte ich mal damit anfangen.“

Nur sieben von Lees Gitarren haben das Feuer überlebt: Hier zu sehen die von Mike McGuire gebaute Gibson Les Paul und eine Yamaha-Acoustic (Bild: Copyright: Alex Solca 2020. All rights reserved.)

Es scheint eine Tradition in der Rockmusik zu sein, eine Art erotische Beziehung zu seiner Lieblingsgitarre zu haben.

Wahrscheinlich hätte ich die am ehesten zu der L-5, die mir mein Vater geschenkt hat. Ich erinnere mich noch, dass ich damals zu ihm meinte: „Das wird garantiert die Letzte sein, die ich mir zulege.“ (lacht) Mein Dad hat sie von einem Typen gekauft, der im Begriff war, nach Las Vegas zu ziehen und der Geld für den Umzug brauchte. Eine großartige Gitarre, die zwar viel zu groß und schwer für mich war, aber in die ich mich augenblicklich verliebt habe. Meine nächste war dann eine rote 335. Und der einzige Grund, warum sie nicht auf diesem Album vertreten ist, ist der, dass sie damals das Feuer nicht überstanden hat. Ich habe die Les Paul, die L-5, die Sadowsky, die Ramirez und die Yamaha gerettet. Und eigentlich sind sieben Gitarren – ohne Namen – auch genug für mich.

(erschienen in Gitarre & Bass 02/2021)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Sehr bedauerlich,daß ein Großteil seiner Gitarren das Feuer leider nicht „überlebte,“ jedoch sind bestimmt viele andere Gitarristen ja schon total happy,daß sie wenigstens eine einzige Gitarre ihr Eigen nennen dürfen.

    So ist es nun mal.Wer viel mehr hat als alle Anderen,kann unter Umständen sicherlich auch mehr verlieren,dies ist Fakt.

    Es geht aber offensichtlich immer irgendwie weiter.

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    1. es war sicherlich nicht Carl Carlton sondern Larry

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  2. Na, da wünsche ich zunächst einmal viel Kraft, für die Neuanfänge. Das ein Großteil des “Werkzeuges” von den Flammn heim gesucht wurde ist einfach nur tragisch.

    Liebe Grüße aus Hamburg Germany, Michael

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