Der Rock-Missionar

Interview: Jack White & The Raconteurs

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(Bild: DAVID JAMES SWANSON)

Facebook, Instagram und Spotify haben uns lang genug verblödet – jetzt ist es wieder Zeit für etwas Echtes. Für lebendige, schweißtreibende Rockmusik. Eine Mission, die sich die Raconteurs um Mastermind Jack White in großen Lettern auf die Fahne schreiben.

Jack White ist das, was man einen Workaholic nennt: Ob als Frontmann der White Stripes oder als Solist, mit Bands wie The Dead Weather oder als Chef der Plattenfirma Third Man Records – der 43-Jährige steht ständig unter Strom.

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Vor wenigen Monaten hat er die Raconteurs wiederbelebt – ein Quartett, das bereits Mitte der 2000er zwei erfolgreiche Alben veröffentlicht hat und mit einem Grammy prämiert wurde, nur um dann eine langjährige Auszeit einzulegen. Jetzt präsentieren Brendan Benson, Jack Lawrence, Patrick Keeler und Jack White ihr Comeback namens ,Help Us Stranger‘.

Höchste Zeit also für eine Audienz bei Maestro White, der mit ungewohnter Redseligkeit und interessanten, neuen Gitarren aufwartet.

Interview

Jack, das letzte Album der Raconteurs erschien 2008. Warum ein Comeback nach so langer Pause?

Leider habe ich keine richtige Antwort darauf. Ich kann nur sagen, dass ich für mein letztes Solo-Album ein Stück namens ,Shine The Light On Me‘ aufgenommen hatte, das irgendwie nicht zum Rest des Materials zu passen schien. Es fühlte sich eher wie ein Raconteurs-Song an. Ich habe ihn Brendan vorgespielt und der empfand das genauso. Also haben wir die Nummer im Studio umgesetzt.

Nach dem Motto: „Lasst uns da ein paar Tage verbringen und vielleicht eine Single machen.“ Einfach, um zu sehen, was dabei rumkommt. Ich denke, das war der Ausgangspunkt – eben einfach den einen oder anderen Song festzuhalten und ein paar langsame, kleine Schritte zu machen. Schließlich ist es eine Weile her, seit wir das letzte Mal gemeinsam im Studio waren.

(Bild: DAVID JAMES SWANSON)

Also kein großes Konzept, kein Masterplan?

Nicht wirklich. Und um ehrlich zu sein: Den habe ich fast nie. Es ist immer ein Ausprobieren – ein spontaner Prozess. Ich versuche nie, zu viel und zu weit im Voraus zu planen, auch wenn das manchmal so rüberkommt. Es geht nur darum, leidenschaftlich zu sein und etwas mit Herz und Seele zu tun.

Rockmusik findet kaum noch im Radio oder TV statt? Sorgst du dich um ihren Fortbestand?

Es ist eine interessante Zeit, was den Rock’n’Roll betrifft. Und ich denke, es ist etwas Zyklisches, etwas das – historisch gesehen – immer mal wieder vorkommt. Ich will hier nicht zu negativ klingen, aber momentan habe ich schon das Gefühl, dass heutzutage niemand mehr bereit ist, etwas Vernünftiges zu studieren, geschweige denn eine Fertigkeit oder ein Handwerk zu erlernen. Die Kids wollen alles auf einmal, alles sofort und umsonst. Wir dagegen kommen aus einer Generation, in der man noch Zeit investieren musste, um gut in dem zu sein, was man tut. Ich denke, das ist es, was der Jugend fehlt. Heute kann man schon berühmt werden, indem man anderen ein Stück Käse an den Kopf wirft.

Das klingt ziemlich frustriert.

Ist es auch. Gleichzeitig haben wir aber gerade in London, Paris, Tokio und Australien gespielt – vor all diesen enthusiastischen, jungen Kids. Sie haben richtig Gas gegeben und das war eine unglaublich positive Erfahrung. Also: Vielleicht haben sie ja die Nase voll von Spotify und Instagram und wollen wieder ein richtiges physisches und spirituelles Erlebnis. Etwas Echtes.

Wobei das Erdige und Direkte von ,Help Us Stranger‘ im krassen Gegensatz zu deinem letzten Solo-Album steht, das auch R&B- und HipHop-Elemente enthielt. Ist das hier eine bewusste Rückkehr zum Rock?

Durchaus möglich. Ich will schließlich immer etwas anders machen. Bei meinem letzten Solo-Album war es z. B. Musik, an die ich mich so noch nie gewagt hatte und dafür habe ich mich einem regelrechten Boot-Camp unterzogen. Als wir uns dann für die Aufnahmen zu diesem Album trafen, fühlte es sich an, als ob ich mir das regelrecht verdient hätte. Es war wie ein kleines Geschenk, sich das Songwriting, die Studioarbeit und alles andere mit den Jungs zu teilen.

Neben Garagenrock weist das Ergebnis auch noch starke Anleihen bei Folk, Glam und Detroit Funk auf. Sprich: Es lässt nichts aus.

Genau – und das liebe ich. Ich bemühe mich bei jedem Album, an dem ich beteiligt bin, so viel Wachstum wie eben möglich zu zeigen. Die allererste Single, die die White Stripes je aufgenommen haben, bestand zum Beispiel aus diesem punkigen Garagen-Rock-Song auf der A-Seite und einer Piano-Ballade von Marlene Dietrich auf der Rückseite. Das war so etwas wie eine Blaupause für meine Karriere. Und deshalb will ich auch nicht nur eine Sache machen, sondern immer etwas möglichst Vielseitiges und Abwechslungsreiches. Etwas, das Maßstäbe setzt und Eindruck hinterlässt. Das setzt sich auch in dem fort, was wir hier tun. Und der Grund, warum dieses Album von Song zu Song unterschiedlich klingt, ist einfach der, dass wir Vier so aufgeregt waren, endlich wieder miteinander zu spielen. Deshalb haben wir buchstäblich einen Song nach dem anderen rausgehauen – und hatten dann wahnsinnig viele. Was ein großartiges Problem ist. Eines, das man sich im Grunde nur wünschen kann. Nämlich gleich drei Mal so viel Material am Start zu haben, wie man es für ein Album braucht. Das macht es leichter, daraus etwas wirklich Wunderbares zusammenzustellen.

Brendan Benson & Jack White
Jack White 5: Brendan Benson & Jack White (Bild: DAVID JAMES SWANSON)

Zumal ihr auch noch auf Coverversionen zurückgreift. Etwa ,Hey Gyp (Dig The Slowness)‘ von Donovan. Warum habt ihr euch für dieses Stück von 1965 entschieden?

Weil ich über die Jahre diese Technik entwickelt habe, einfach zu Beginn einer Session einen Song zu covern, um das Gehirn zum Laufen zu bringen. Und um jeden im Raum zu motivieren.

Also zum Warmspielen?

Ganz genau. An dem Morgen, als wir uns für die zweite Session getroffen haben, habe ich noch kurz die Kinder zur Schule gefahren – und dabei Donovan im Radio gehört. Meine Reaktion war: „Wow, das war mir komplett entfallen – was für ein cooles Stück.“ Also meinte ich zu den Jungs: „Habt ihr Lust, es mal zu versuchen?“ Brendan kannte es sehr gut und hat es sogar mal gecovert. Also haben wir direkt damit losgelegt und festgestellt, dass es wie für Patrick und LJ geschaffen war. Also für unsere Rhythmus-Section, die ja sonst bei den Greenhorns spielt. Sie sind Experten für diese Art von Rhythmen. Von daher hat es sich toll angefühlt. Trotzdem hatten wir nicht vor, es mit auf das Album zu nehmen. Wir hielten es lediglich für eine coole Einstimmung – um dann mit unseren eigenen Songs weiterzumachen. Aber als wir es unseren Freunden vorspielten, waren alle total begeistert.

Der Opener ,Bored And Raised‘ ist ein Abgesang auf Kalifornien und eine Lobeshymne auf Detroit. Hast du, der schon seit Jahren in Nashville lebt, etwa Heimweh?

Nicht wirklich. Was nicht bedeutet, dass ich Detroit nicht lieben würde. Doch ich habe Kinder, die in Nashville zur Schule gehen, die dort ihre Freunde haben. Die kann man nicht einfach aus ihrer gewohnten Umgebung herausreißen. Selbst, wenn Detroit momentan wieder sehr aufregend und spannend ist. Ich habe da vor ein paar Jahren ein Haus gekauft. Eines, das über 100 Jahre alt ist, und das ich nach und nach restauriere. Insofern habe ich dort wieder einen Wohnsitz. Was praktisch ist, denn Third Man hat vor Kurzem eine Außenstelle und ein Presswerk in Detroit eröffnet. Eine tolle Sache – wir sind jetzt komplett unabhängig. Und es hat dafür gesorgt, Arbeitsplätze in der Gegend zu schaffen, in der ich zur High School gegangen bin. So etwas zu erreichen, gibt dir ein gutes Gefühl.

In den USA erhält jeder Käufer eines Raconteurs-Konzerttickets eine Gratis-CD von ,Help Us Stranger‘. Ist ein Album demnach nur noch ein Beiprodukt? Ist das nicht kreative Verschwendung?

Na ja, es ist eine harmlose Form der Verführung. Die Musikindustrie steckt in der Klemme, weil sich mit Streams oder CDs kaum noch Geld verdienen lässt. Heute erreicht man schon mit 70.000 verkauften Einheiten pro Woche Platz 1 der USCharts. Vor 15 Jahren waren es noch 300.000-400.000 Exemplare. Deshalb ist unser erklärtes Ziel auch, Vinyl unter die Leute zu bringen. Das ist ein Medium, mit dem sich sehr wohl Geld verdienen lässt – einfach, weil es ein qualitativ hochwertiges Produkt mit einer vernünftigen Marge darstellt. Etwas, für das die Leute wirklich noch zu zahlen bereit sind. Und Third Man tut alles, um den Verkauf anzukurbeln. CDs sind dagegen ein reines Lockmittel, um die Leute anzufixen. Denn wenn sie das Album mögen, erwerben sie vielleicht noch die Vinyl-Ausgabe. Das ist die Hoffnung.

Dann lass uns über deine Gitarren reden, bei denen sich einiges getan hat: Nach einer jahrzehntelangen Passion für billiges Plastik der Marke Airline wartest du nun mit richtig teuren und vor allem modernen Modellen auf. Was ist passiert?

Ich habe es selbst nicht für möglich gehalten, aber Tatsache ist: Ich habe mich darin verliebt – wie vorher in die Montgomery Airline-Modelle. Und da gibt es kein Zurück.

Was spielst du jetzt?

Ich habe zwei Wolfgang USA Edward Van Halen Signature-Gitarren – eine mit Standard-Specs, die andere mit drei Humbuckern.

Wie bist du ausgerechnet darauf gekommen – schließlich agiert Eddie Van Halen auf einem ganz anderen Planeten als du?

Das würde ich so unterschreiben – und das ist immer noch der Fall. Aber ich habe ein Interview gelesen, in dem er meinte, das Wichtigste an einer Gitarre wäre, dass er beim Spielen nicht gegen sie ankämpfen muss. Und da musste ich laut lachen – weil das alles ist, worum es bei mir immer ging. Nämlich, dass ich da eine regelrechte Schlacht mit meinem Instrument austrage und die Musik, die dabei entsteht, halt das Ergebnis dieses Kampfs ist. Aber ich wollte wissen, was er meint und was an seinen Signature-Gitarren dran ist. Ich habe mir dann so ein Teil besorgt, und was soll ich sagen: Es war viel angenehmer zu spielen. Ich habe mich wirklich gefragt, warum ich mir das all die Jahre angetan habe – warum ich so dumm war.

Das klingt nach einer regelrechten Erleuchtung?

Oh ja! Als ich sie in Händen hielt, ist mir schlagartig bewusst geworden, wie schwer ich mir das Leben gemacht habe – mit diesen klapprigen, alten Plastik-Teilen, die sich ständig verstimmt haben. Dagegen war die Wolfgang-Gitarre eine Wohltat. Selbst wenn man das Vibrato ganz exzessiv einsetzt, verstimmt sie sich kein bisschen. So etwas kannte ich gar nicht. Ich denke, für mich war das der Auftakt zu einem neuen Kapitel in Sachen Gitarrenspiel. Einem mit wesentlich weniger Ärger und Stress. Anschließend habe ich mir noch das St.-Vincent-Signature-Modell von Ernie Ball und eine Gibson Firebird besorgt. Die Firebird ist eine Maßanfertigung im Stil der Fort Knox Les Paul. Das Teil habe ich mal bei einem Grammy-Event gespielt und war schwer beeindruckt.

Jack White(Bild: BEGGARS - XL RECORDINGS)

Angeblich habt ihr euch für die Live-Präsentation des neuen Albums einiges einfallen lassen, um zu verhindern, dass sich die Leute während der Shows zu sehr von ihren Mobiltelefonen ablenken lassen. Stimmt das?

Es ist dieselbe Idee, die ich auf meiner Solo-Tour 2018 verfolgt habe: Wir benutzen diese sogenannten Yondr-Taschen. Sprich: Das Handy wandert in eine versiegelte Hülle und ist während des Auftritts nicht zu benutzen. Das Ergebnis ist umwerfend – die Konzerte sind wie vor 15 Jahren. Alle sind voll bei der Sache und keiner checkt seine Mails. Ich habe Kommentare gelesen, dass daraus wunderbare Momente resultieren. Etwa in der Umbaupause zwischen der Vorgruppe und uns.

Da wissen viele nicht, was sie mit sich anfangen sollen – und beginnen, sich mit anderen zu unterhalten. Oh, mein Gott! Menschen, die miteinander reden. (lacht) Ich denke, sie gehen alle sehr zufrieden und erfüllt nach Hause. Nach dem Motto: Sie haben sich gut unterhalten und wurden gut unterhalten – das ist alles, worum es bei einem Konzert geht. Und vor ein paar Jahren habe ich wirklich gedacht: „Wenn sich hier nichts ändert, weiß ich nicht, ob ich überhaupt noch live spielen möchte.“ Einfach, weil es mit den ganzen Mobiltelefonen keinen Spaß mehr gemacht hat. Ich dachte: „Da läuft was schief – da fehlt was.“

Ende Mai habt ihr zwei Konzerte in Berlin und Köln gespielt. Plant ihr noch einen Nachschlag im Herbst?

Nichts lieber als das. Das deutsche Publikum ist umwerfend. Ich habe das Gefühl, dass es uns wirklich versteht. Aber: Soweit sind wir mit der Planung noch nicht. Bis November stehen erst einmal Nord- und Südamerika auf dem Programm – dann sehen wir weiter.

Diskografie

Broken Boy Soldiers (2006)

Consolers Of The Lonely (2008)

Help Us Stranger (2019)

Jack White(Bild: BEGGARS - XL RECORDINGS)

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2019)

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