Fender 60th Anniversary Telecaster & Precision Bass im Test

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Fender Telecaster und Precision Bass, stehend
(Bild: Dieter Stork)

 

Vor 60 Jahren stellte ein Elektriker die Instrumentenwelt mit seinen radikal neuen Gitarren- und Basskonzepten völlig auf den Kopf und die Musiker vor die Gewissensfrage: „Wollt ihr mit auf den Zug aufspringen – oder nicht?“ Wer mit Ja antwortete, musste sich mit zwei paddelartigen Instrumenten anfreunden, die aus einfachen Brettern auf billige Art und Weise zusammengezimmert waren, und die nur im Verbund mit einem Verstärker überhaupt einen Ton von sich gaben. Nicht wenige warteten erst einmal ab, was aus diesen merkwürdigen Er findungen des Clarence Leonidas Fender werden würde – und schon hatten sie den Einstieg in die neue Welt verpasst.

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Heute wissen wir, dass die Erfindungen Leo Fenders den Weg für alle anderen Firmen freimachten, um auch das E vor ihre Gitarren und Bässe setzen zu können. Zwar gab es vor Fender auch schon andere Hersteller, die Ähnliches versuchten, aber keiner war so radikal und gleichzeitig so realitätsbezogen wie eben dieser kleine Elektriker, der nicht umsonst schon zu Lebzeiten eine Legende war und es auch heute, genau 20 Jahre nach seinem Tod, immer noch ist.

 

Konstruktion von Fender 60th Anniversary Telecaster und Precision Bass

Prima, dass Fender sich zum 60-jährigen Geburtstag neue, frische Versionen ihrer beiden Klassiker ausgedacht hat, anstatt wiederum Neuauflagen der historischen Modelle rauszubringen, die es mittlerweile in fast jedem Preissegment des Gitarren-Giganten reichlich gibt. Dennoch – und das liegt in der Natur der Sache, wenn man Geburtstag feiert – ist ein Blick zurück in die eigene Geschichte natürlich erlaubt. So hat Fender die vielleicht klassischste aller Fender-Lackierungen für seine beiden Anniversary-Modelle gewählt, das Blonde, das geschichtsträchtig Blackguard Blonde getauft und in der modernen Thin-Skin-Lackvariante aufgetragen wurde, die die Maserung des Eschen-Holzes deutlich durchscheinen lässt. Beim Precision Bass ist das Blackguard, also das Pickguard, tatsächlich wie früher einschichtig, die Tele hat dagegen ein dreischichtiges (schwarz/weiß/schwarz) bekommen, was ein bisschen ungewohnt anmutet. Grundsätzlich stellen beide Instrumente eine gute Mischung aus Alt und Neu dar (Vintage <> Modern), was sich bei der Beschreibung der Details sehr gut nachverfolgen lässt.

Die 60th Anniversary Telecaster hat einen One-piece-maple-Hals, dessen Griffbrett in einem Radius von 9,5″ gewölbt ist, auf den Esche-Korpus geschraubt bekommen. 22 Bünde im modernen Medium-Jumbo-Format verteilen sich auf dem Griffbrett, das wie der gesamte Hals leicht dunkler getönt wurde, aber nicht den dunkel-gelblichen Farbton älterer Telecaster erreicht. Die Mechaniken sind geschlossene und dauergeschmierte Typen, deren Schäfte „staggered“ sind, was in diesem Fall heißt, dass die beiden für die E6- und A5-Saiten zuständigen länger sind als die vier anderen. Trotzdem wurde nicht auf einen modernen Saitenniederhalter für die E1- und H2-Saiten verzichtet, und ein Feldversuch ohne diesen zeigt, dass dieser auch berechtigt ist. Denn die beiden Saiten werden ohne Niederhalter nicht mit ausreichend Druck in die Kerben des aus synthetischem Knochenmaterial gefertigten Sattels gepresst. Im Hals sitzt ein moderner Bi-Flex-Einstellstab, der die Halskrümmung in beide Richtungen regulieren kann und seinen Zugang – Vintage-Puristen schlagen nun zum wiederholten Mal die Hände über dem Kopf zusammen! – oberhalb des Sattels hat. Im reichhaltigen Zubehör, das mit im Koffer liegt, befindet sich übrigens ein klasse Einstellschlüssel in griffiger T-Form für den Trussrod. Mit vier Schrauben inkl. spezieller Geburtstags-Halshalteplatte und der legendären Micro-Tilt-Einstellmöglichkeit für den Halswinkel ist der Hals fest mit dem Korpus verankert. Dass sich am Rand zur Halstasche ein Spalt in der Breite von vier Blatt Papier zum Hals hin auftut, ist ein kleiner Schönheitsfehler, der jedoch die Performance und Konstruktion der Gitarre nicht mindert.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Die Pickup-Bestückung stammt von der American-Standard-Serie und baut auf Alnico-V-Magnetmaterial auf. Abgesehen vom NoLoad-Ton-Poti, das in voll aufgedrehtem Zustand den angelöteten Widerstand umgeht und für einen weiteren Schub Höhen sorgt, weist die Elektronik keine Besonderheiten oder Gimmicks auf. Der Steg wirkt außerordentlich massiv, besteht aus verchromtem Messing und hat sechs einzelne Saitenreiter, sogenannte New American Standard Bent Steel-Typen, die optisch an die alten, gebogenen Stahlblech-Reiter erinnern, aber wesentlich massiver daherkommen. Wenn ich mir das Angebot der 60th Anniversary so anschaue, hätte ich es mir auch einfacher mit der Beschreibung machen können, denn abgesehen von der Lackierung in Blackguard Blonde sind alle Eigenschaften dieser Telecaster mit denen der American Standard identisch.

Das sieht beim Anniversary Precision Bass schon anders aus, denn diesen gibt es so nicht in der American Standard Serie. Rein optisch stellt er eine gelungene Mischung des ersten Precision und dessen Nachfolgemodell dar. Vom Ur-Preci stammt die elegante Form des Pickguards, die charmante Kontrollplatte, auf der die beiden Regler sitzen, und die Saitenführung durch den Korpus, während der große Rest dem Precision-Design entspricht, dass seit 1957 erfolgreich um die Welt zieht. War der Ur-Preci wie seine Schwester, die Telecaster, noch ein flaches Brett, hat sein Geburtstagsmodell Konturen an den üblichen Stellen bekommen, die die Handlichkeit dieses Basses deutlich erleichtern. Die gesamte Ausstattung des Anniversary-Preci stammt denn auch erwartungsgemäß vom American Standard Precision, wie z. B. die verkleinerten, halb offenen Mechaniken, die Medium-Jumbo-Bünde, der flachere Griffbrett-Radius (9,5″), der graphitverstärkte Hals und der massive HMV-Steg. HMV bedeutet High Mass Vintage, und dieser Steg erlaubt die Saitenführung durch den Korpus, aber auch das direkte Einhängen der Saiten in die hochgezogene Steg-Kante. Etwas unglücklich wirkt ein zusätzlicher Saitenniederhalter für die A-Saite, der Teil der Mechanik für diese Saite ist und den man beim American Standard Precision nicht findet.

Ein einzelner Split-Coil-Pickup sitzt anstelle des Singlecoil des Ur-Preci in bester P-Bass-Manier mitten auf dem Korpus – dieser Pickup steht für Rock, und ich finde, das sieht man ihm auch an! Neu ist diese schicke Mischform zwischen altem und neuerem Preci-Design nicht, denn Mike Dirnt hat seinen Signature-Bass genauso gestaltet. Aber das nimmt diesem Anniversary-Bass, der wie ein typischer Fender daherkommt und allzeit bereit ist, sein fundamentales Statement abzugeben, nicht seinen Reiz.

Beide Anniversary-Instrumente werden in einem neuen, von SKB hergestellten Kunststoff-Hardshell-Koffer ausgeliefert, dass schützende Flightcase-Qualitäten besitzt, aber längst nicht so schwer ist. Klasse!

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Praxis

Wenn Esche nicht gerade aus dem Sumpf gezogen wurde, dann ist sie meist recht schwer. So auch und vor allem bei der Telecaster, die genauso schwer wie ihr Precision-Bruder daherkommt. Und das macht sich natürlich auch im Klang bemerkbar. So hat die Anniversary Telecaster vor allem eins: Sustainnnnnn! Das kommode Halsprofil, nicht zu dick, nicht zu dünn, die schön verrundeten Griffbrettkanten und die seidenmatte Lackierung sorgen für eine prima Haptik und eine gute Spielbarkeit, die – wie gesagt – dank des starken Sustains und der Medium-Jumbo-Bünde erst mal keinen Vintage-Charakter erkennen lässt, sondern einen für eine Tele eher modernen Stil vertritt. Das zeigt sich auch am Verstärker, denn die blonde Anni hat einen Klangcharakter, der in etwa zwischen typischen Esche-Vintage- und Erle-Vintage-Welten liegt, und das lauter! Sie hat also nicht den Monster-Twang und die Schnellfeuerwaffenleidenschaft einer guten Esche/One-piece-maple-Tele-Konstruktion und auch nicht den seidigen Glanz und die schmatzende Sattheit einer Erle/Maple/Rosewood-Tele. Dafür zeigt sie mehr Ellenbogen, setzt sich sehr gut durch und glänzt vor allem in Crunch- und Zerr-Sounds.

Der Precision Bass ist auch ein strammer Bursche! Er entwickelt einen straffen Ton mit viel Punch, der überragend nach Rock klingt, wenn er mit dem Plektrum gespielt wird. Mit einem Röhren-Boliden samt Boxen-Park hinter sich wird jeder gestandene Bassist, der traditionelle Bass-Sounds pflegt, von diesem Anniversary Bass begeistert sein und wie von selbst in eine breitbeinige Bühnenpositur gleiten, auch wenn es nur vor dem heimischen Spiegel ist. Die Spielbarkeit und die Ergonomie des Preci sind bestens, selbst die leichte Kopflastigkeit, die den gemeinen Vintage-Precision kennzeichnet, stellt sich hier nicht ein – u. a. dank der leichteren Mechaniken, die vom amerikanischen Hersteller Hipshot stammen. Das Halsprofil ähnelt dem eines Jazz Basses – also am Sattel eher schmal und dann nach oben hin deutlich breiter werdend. Über das ganze Griffbrett ist der Anschlag und die Tonentfaltung ausgewogen und gleichmäßig, mattere oder gar tote Stellen, die man bei Bässen dieser Bauweise oft im Bereich zwischen dem fünften und siebten Bund findet, treten hier überhaupt nicht auf. Auch schwingt der Ton sich schnell auf, ist nicht träge und klingt satt und lange aus. Es macht Spaß, auf diesem Schlachtross zu spielen, auch wenn sensible Tonartikulation nicht seine Stärke ist. Er will lieber hart rangenommen werden und pflügt sich dann willig mit einem drückenden, mittig-satten Sound seinen Weg am liebsten durch fulminante Rock-Songs.

 

Alternativen

Warum in die Ferne schweifen …vor allem bei der Telecaster, da brauchen wir doch nur im Fender-Katalog zu blättern, um zig Alternativen vorstellen zu können. Machen wir aber nicht, sondern empfehlen lieber die einen knappen Hunderter günstigeren üblichen American Standard Telecaster-Versionen in den Farben Natural, Crimson Red Transparent, Candy Cola und 2-Color-Sunburst, denn unter deren Polyurethan-Lacken versteckt sich ebenfalls ein Esche-Korpus – wie eben auch bei der 60th Anniversary, die dafür den Thin-Skin-Lack in Blackguard Blonde zu Markte trägt, aber ansonsten identisch ausgestattet ist. Nicht so eindeutig sieht es da bei dem 60th Anniversary Precision aus. Zwar gibt es natürlich auch die American Standard Precis, aber die sind kaum günstiger als der Geburtstags-Bass (ca. € 30) und haben die Optik eines normalen Precision. Der Fender Mike Dirnt Signature Bass (UVP: € 779) kommt ähnlich wie der Anniversary Precision daher, allerdings mehr wie ein Ur-Preci mit kleiner Kopfplatte und nicht konturiertem „Slab“-Korpus.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Resümee

Mit den beiden 60th-Anniversary-Instrumenten stellt Fender im Prinzip zwei Sondermodelle ihrer American Standard Serie vor, die optisch an die Anfangstage der Solid-Body-Instrumente erinnern sollen, aber durch ihre moderne Ausstattung und neuzeitlichen Konstruktionsdetails die Brücke aus dem Damals ins Heute zu schlagen wissen. Besonders gelungen ist dies dem Precision Bass, der optisch nicht nur angenehm auf-, sondern auch aus dem bekannten Rahmen der American Standard Precis herausfällt, währenddessen die Telecaster optisch eher etwas bieder und uninspiriert daherkommt. Was sich ändert, wenn man sie spielt, denn da liefert sie genau das ab, was eine moderne Fender Tele heute drauf hat: Sounds, die am besten mit Crunch und Zerre klingen, und die ein langes Sustain und eine große Durchsetzungskraft besitzen. Der Precision kann nicht viel, aber das, was kann, macht er richtig gut: Voll auf die Glocke, ein mittig-drückender, klassischer Rock-Sound ohne jegliche Schnörkel. Einfach ein sympathischer Kerl!

 

Übersicht

Fabrikat: Fender

Modell: 60th Anniversary Precision Bass (limitiert)

Typ: Solidbody-E-Bass

Herkunftsland: USA

Mechaniken: Fender by Hipshot, konische Schäfte, halb offen

Hals: Ahorn, einteilig, mit Posiflex Graphiteinlagen

Sattel: Knochen-Imitat

Griffbrett: Ahorn, nicht eingefasst, Punkteinlagen

Radius: 9,5″

Halsform: C-Profil

Halsbreite: Sattel 42,05 mm; XII. 57,05 mm

Halsdicke: I. 21,85 mm; XII. 23,10 mm

Bünde: 20, Medium-Jumbo-Format

Mensur: 863 mm

Korpus: Esche

Oberflächen: Blackguard Blonde, Thin Skin

Schlagbrett: schwarz, einschichtig

Tonabnehmer: 1x Fender Split Coil Pickup (10,34 kOhm)

Bedienfeld: 1x Master-Volume, 1x Master-Tone

Steg: Fender HMV, Saitenführung wahlweise durch Korpus oder Steg

Hardware: verchromt

Saitenabstand Steg: G-1st – E-6th 62,80 mm

Gewicht: 3,45 kg

Lefthand-Option: nein

Vertrieb: Fender Musical Instruments GmbH

Zubehör: Fender by SKB Koffer, Kabel, Gurt, Poliertuch, Trussrod-und – Saitenreiter-Einstellschlüssel

Preis: ca. 1807

 

Plus

  • Sounds
  • Hardware
  • Spielbarkeit
  • Koffer
  • Zubehör
  • Charakter (Precision)
  • Optik (Precision)
Produkt: Jimi Hendrix Technik
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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Weiß irgendjemand, ob das Griffbrett und die Kopfplatte (Vorderseite) auch mit Nitrolack lackiert ist?

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