Aus dem Nähkästchen der Nashville-Stars

Songwriter-Talk mit Michael Tyler und Levi Hummon

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Michael Tyler (Bild: Matejka, Jason Kalish, Archiv, Reviver Records, CMA)

Normalerweise bleiben Songschreiber im Hintergrund. Nicht aber in der Country-Musik. Seit 2005 organisiert die Country Music Association (CMA) die „CMA Songwriters Series“ – kleine Tourneen, bei denen die Songschmiede im Mittelpunkt stehen und live ihre besten Werke präsentieren.

Beim ersten Gastspiel in Berlin trafen wir die jungen Nashville-Songwriter Levi Hummon und Michael Tyler, um mit ihnen über ihr kreatives Handwerk zu sprechen. 

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Interview

Michael, kannst du das Gefühl beschreiben, wenn du mit nichts als einer kleinen Idee anfängst – und später einen fertigen Song hast?

Michael Tyler: Ehrlich gesagt, ist das jedes Mal anders. Manchmal wache ich nachts auf und eine Songidee kommt mir in den Kopf. Dann nehme ich mein immer griffbereites Handy und murmle oder pfeife die Idee ein. Am nächsten Morgen höre ich mir das dann an. Manchen Einfall – unter dem Licht des Tages betrachtet – halte ich dann doch nicht für so toll und verwerfe ihn. Andere Ideen finde ich aber immer noch gut – und dann arbeite ich weiter daran.

Gilt dasselbe für dich, Levi?

Levi Hummon: Also ich muss sagen, dass ich am kreativsten bin, wenn es drauf ankommt. Wenn ich beispielsweise auf dem Weg zu einer Writing-Session in der Music Row in Nashville bin. Ich sitze dann im Auto und von irgendwoher taucht plötzlich eine Melodie oder eine Textzeile auf. Genau wie Michael halte ich diese Einfälle sofort mit dem Handy fest.

Levi Hummon (Bild: Matejka, Jason Kalish, Archiv, Reviver Records, CMA)

Was ist der erste Schritt beim Songwriting?

MT: Manchmal kann sich die Idee für ein Lied aus einem Gespräch oder aus einem Telefonat heraus entwickeln. So wie kürzlich. Da rief mich nachts ein guter Freund an. Er erzählte mir, dass er auf einer Party irgendwo in Missouri war und dass dann urplötzlich seine Ex aufgetaucht sei – und er deshalb schnell das Weite gesucht hat.

Ich sagte ihm: Hey, notiere dir das und lass uns morgen darüber sprechen. So haben wir das dann auch gemacht. Er kam zu mir und wir haben aus dieser Grundidee einen Song geschrieben. Keine Frage: Das Leben ist die beste Inspirations-Quelle.

Ist man als Songwriter immer auf der Suche nach einer neuen Idee? Hört ihr nie auf, Einfälle aufzugreifen und Songs zu schreiben?

LH: Ich schätze, ein echter Songwriter kann einfach nicht anders, als sich von bestimmten Dingen inspirieren zu lassen. Manchmal hört man eine Person sagen: „Ich weine nie deswegen.“ Und man denkt sofort: Das ist ein Songtitel.

Verschiedene Dinge inspirieren mich – manchmal inspiriert mich eine wirklich coole Melodie, manchmal eine coole Textzeile, Aussage oder Antwort – und manchmal ist es nur ein bestimmtes Gefühl, das man spürt und das man dann in Worte und Textzeilen verpacken möchte.

Wenn ihr mit Freunden unterwegs seid und euch unterhaltet, sagt ihr dann manchmal mittendrin: Stopp, wiederhol’ das!?

LH: Ja, so ist es tatsächlich. Vor ein, zwei Wochen war ich mit meinen Freunden was Trinken, da sagt einer von ihnen: Ich hasse diese Bar, aber ich liebe diesen Ort. Habe ich natürlich sofort notiert. Okay, manchmal nerve ich meine Jungs damit schon etwas. Aber was kann man machen, das ist einfach mein Job.

MT: Man verarbeitet in den Songs natürlich auch sein Privatleben. Das gilt auch für meine Single ,They can’t see‘, ein Satz, mit dem ich eine Ex-Freundin aufheitern wollte. Ich denke, dass die meisten Songwriter viel von ihrem Innen- und Privatleben preisgeben. Geht ja gar nicht anders.

LH: Und manches ist schon etwas peinlich, muss man ja zugeben. Mein Song ,Stupid‘ etwa. Den habe ich meinen Brüdern zu verdanken, die, als wir auf dem Weg zu einer Party waren, meinten, dass wir uns heute so richtig schön dumm und dämlich aufführen werden. Schon war die Idee für einen Song da.

Könnt ihr ein wenig die Entwicklung eines neuen Songs beschreiben?

MT: Normalerweise schreibe ich gerne folgendermaßen: Ich habe eine Idee, die ich in die Co-Writing-Session einbringe und dann schreibe ich mit dem Produzenten, der schon Musik vorbereitet hat, daran weiter. Dann nimmst du ein paar Gitarren auf, singst die Idee ein, um sie festzuhalten. Am Ende der Session sollte der Song fix und fertig und im besten Falle in sich stimmig sein.

LH: Normalerweise sind ein Texter, ein Künstler und ein Produzent im Raum. Das ist die Art, wie es hier in Nashville klassischerweise gemacht wird. Wir treffen uns manchmal fünfmal die Woche. Das ist schon ganz schön fordernd.

(Bild: Matejka, Jason Kalish, Archiv, Reviver Records, CMA)

Verwendet ihr Tools wie Garageband, um die Demos anzufertigen?

LH: Ich nicht, aber mein Vater macht das. Es ist einfach der leichteste Weg, wie man ein ordentliches Demo ohne großen Aufwand hinbekommt. Da gibt es in Nashville einige echte Spezialisten auf diesem Gebiet. Die zaubern dir innerhalb von vier Stunden ein Demo hin, das wie eine fertig produzierte CD klingt. Kein Wunder, dass viele Studios in Nashville pleite gehen, der Demo-Markt ist ja völlig dahin.

Das Problem kennt ihr bestimmt: Man hat eine tolle Strophe, findet dazu aber nicht den passenden Refrain. Was macht ihr dann?

MT: Ich bin tatsächlich oft in dieser Situation. Und es kann manchmal den ganzen Tag oder länger dauern, bis man den passenden Refrain zur Strophe gefunden hat. Aber irgendwann und irgendwie geht es dann doch. Das ist ja auch unser Job.

LH: Ja, das kann einen schon wahnsinnig machen. Ein Freund von mir hat sich mal mindestens zwei Wochen lang herumgequält. Das würde ich nicht machen. Da ist es besser, man legt die Idee erst mal zur Seite und holt sie später wieder raus.

MT: Oder man lässt einen Kollegen ran, dem vielleicht schnell etwas Passendes einfällt.

Wie fit seid ihr in Sachen Musiktheorie?

LH: Okay, ich gebe es zu: Ich habe Musiktheorie am College nicht bestanden. Ich bin also definitiv kein Experte für Musiktheorie, sondern ein reiner Bauch- und Herz-Musiker.

MT: Ich habe ein gewisses Grundwissen, aber viel weiß ich nicht von Musiktheorie. Wie jeder in Nashville habe ich mich in das Numbers-System eingearbeitet. Das gibt es wohl nur in der Studio-Szene von Nashville. Es wurde für die Musiker in der Stadt gemacht, die keine Ahnung von Musiktheorie hatten – eine simple Zahlen-Skala für Akkorde.

Wie steht ihr zum Thema Bridge? Ist sie für einen Song notwendig – oder geht es auch gut ohne?

LH: Eine Bridge braucht es in meinen Augen nur, wenn der Song dieses harmonische Element nötig hat. Wenn sich der Song also sehr mit Strophe und Refrain wiederholt und ein zusätzliches Element benötigt. Dann kann eine Bridge wertvoll sein – aber elementar wichtig ist eine Bridge für einen guten Song nicht, finde ich.

MT: Eine Bridge ist nur dann notwendig, wie Levi sagte, wenn es so klingt, als ob der Song eine Bridge braucht. Ich habe schon seit ein paar Monaten keine Bridge mehr geschrieben. Vor allem im Mainstream gibt es nur noch selten Songs mit einer Bridge, und wenn, dann nur in einem ernsten, emotionalen Story-Song.

Was kommt zuerst: Die Melodie, die Akkorde oder der Text?

MT: Das variiert. Das kann eine Idee für eine Melodie oder eine textliche Idee sein. Je nachdem. Für mich ist die erste Zeile der ersten Strophe extrem wichtig. Sie ist die Eröffnungszeile, mit der man den Song beim Zuhörer einführt. Diese Zeile muss gut sein, muss den Hörer packen. Da sollte man sich etwas Originelles oder etwas, das neugierig macht, überlegen.

LH: Das mache ich etwas anders als Michael. Ich bin absolut Melodie-orientiert, ich schreibe meine Songs also immer auf Grundlage von Harmonie basierten Einfällen. Der Text kommt dann erst später. Und je nachdem, ob es eine fröhliche oder eine Moll-gefärbte Melodie ist, texte ich den Inhalt – mal ist es ein Party-Song, mal eine Ballade.

Viele Hits kommen mit nur drei oder vier Akkorden aus – dennoch hat man nicht das Gefühl, dass etwas fehlt. Wie geht das?

MT: Witzig, dass du das ansprichst. Über genau das haben wir vorher im Bus gesprochen. Das ist manchmal ein Phänomen. Drei, vier Akkorde reichen tatsächlich oft aus – Voraussetzung ist: man hat eine starke Melodie, einen guten Inhalt und ein cleveres Arrangement.

Es scheint so, als ob die Leute heute viel einfachere Musik hören, als noch in den 70er- und 80er Jahren. Da hatten die Songs noch viel mehr Akkorde als heute. Vermutlich haben die Menschen damals Musik noch intensiver gehört. Heute achten sie nur noch auf die Melodie und den Beat.

LH: Mit drei Akkorden lässt sich eine ganze Menge machen. Man hat ja so viele Möglichkeiten, rhythmisch und in Sachen Sound. Ich glaube, dass die Leute heute nicht mit so vielen Akkorden konfrontiert werden wollen, im Pop schon gar nicht. Drei reichen, man muss sich nur die Songs von Ariana Grande oder selbst von Ed Sheeran anhören.

Wie lang sollte ein Song sein?

MT: Maximal drei Minuten und 20, höchstens 30 Sekunden. Das ist die Obergrenze. Warum? Weil das Mainstream-Radio einfach keinen vierminütigen Song spielt. Wer sich nicht daran hält, minimiert seine Chancen auf Airplay. Das muss man jetzt nicht gut finden, aber es ist so.

Levi, dein Vater ist die Songwriter-Legende Marcus Hummon. Was war der beste Ratschlag, den er dir gab?

LH: Er hat mir gesagt, dass ich eine einzigartige Stimme hätte und dass diese Stimme – auch als Songwriter – extrem wichtig ist, um eine eigene Identität zu bekommen. Die Stimme, meinte mein Dad, sei das stärkste Instrument für einen Künstler.

MT: Ich habe von einem älteren Musiker einen ähnlichen Rat bekommen. Er meinte, dass ich, bevor ich mit dem Musikmachen überhaupt anfange, herausfinden soll, wer ich überhaupt bin: als Mensch, als Künstler, als Songwriter.

Das habe ich für mich geklärt, und das war auch wichtig. Diese eigene Stimme bringe ich bei allen Songwriting-Sessions mit ein, egal, wer gerade im Raum ist. Ganz wichtig: Du solltest nie deine eigene, persönliche Stimme verlieren.

LH: Sehr guter Ratschlag! Lerne zu schreiben und lerne, wer du bist. Selbstfindung ist für einen Songwriter sehr wichtig.

Letzte Frage: Welchen Song hättet ihr selbst gerne geschrieben?

MT: Ich denke, das wäre ,Imagine‘ von John Lennon. Ein positiver Song, der den Hörer für ein paar Minuten zum Träumen bringt. Das ist es, was ich auch mit meiner Musik schaffen möchte: dass die Menschen vor ihrem inneren Auge etwas Positives sehen.

LH: Ich hätte liebend gerne ,Hallelujah‘ geschrieben. Mit diesem Song ist Leonard Cohen etwas Großartiges gelungen. Inspirierend, hymnisch, mystisch und bewegend. Er erzählt darin eine kleine Geschichte, die aber unglaublich mächtig ist. Klarer Fall von Meisterleistung.

Der Autor mit Levi Hummon (l) und Michael Tyler (r). (Bild: Matejka, Jason Kalish, Archiv, Reviver Records, CMA)
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