Ein lautes Drittel Motörhead

Phil Campbell: Motörhead ist keine Heavy-Metal-Band

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Sicherlich ist der Waliser kein spektakulärer Flitzefinger wie Steve Vai, Joe Satriani oder Paul Gilbert. Phillip Campbell zeichnet sich vor allem durch sein geradliniges Songwriting und sein von harten Riffs und kantigen Rhythmen geprägtes Spiel aus. Im Frühjahr 1984 stieß er zu Motörhead, hatte mit ,Orgasmatron‘ zwei Jahre später sein Album-Debüt und tourt seither regelmäßig mit der Rock-Legende um die ganze Welt.

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(Bild: Archiv)

Als im Sommer 1995 der zweite Motörhead-Gitarrist Michael „Würzel“ (= Vogelscheuche) Burston unmittelbar vor Beginn der ,Sacrifice‘-Tournee seinen Ausstieg bekannt gab, schien die Band kurzzeitig in der Bredouille zu stecken. Doch – typisch Motörhead – Probleme sind für diese Truppe dazu da, um unkompliziert gelöst zu werden. Nach kurzer Rücksprache mit seinen beiden Kollegen Lemmy Kilmister (Gesang/Bass) und Mikkey Dee (Schlagzeug) entschied Campbell einfach, die komplette Tournee als einziger Gitarrist zu bestreiten. Die Fan-Gemeinde zeigte sich begeistert, Lemmy anschließend in seiner eher unorthodoxen Entscheidung bestätigt.

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„Wir haben Phil ausdrücklich auf eigenen Füßen stehen lassen“, erklärte er. „Man muss ihn einfach machen lassen, ihn mit niemanden vergleichen, sondern ihn immer als Phil Campbell an der Gitarre beurteilen.“ Seit damals spielen Motörhead also wieder als Trio. Das weckt fast zwangsläufig Erinnerungen an die Anfangstage der Band. Mitte der Siebziger, als Lemmy soeben mit Gitarrist Fast Eddie Clarke und Schlagzeuger Phil Taylor das Motörhead-Debüt eingespielt hatte und sich in jenen Tagen noch allenthalben über die fragwürdige Auszeichnung als „schlechteste Band der Welt“ freuen durfte. Das Trio tourte seinerzeit mit Blue Oyster Cult und Lemmy zählte, kurz nachdem er aufgrund einer Haftstrafe den Dienst bei den britischen Space-Rockern Hawkwind quittieren musste, schon in jenen Tagen zu den am buntesten schillernden Figuren der Szene.

Phil Campbell
(Bild: Matthias Mineur; Thomas Brill)

Die Band galt trotz anfänglicher Medienschelte von Beginn an als authentisches Rock-Urgetier, das den Rock ’n‘ Roll ohne Firlefanz spielt und auch seine Bühnen-Show aufs Wesentliche beschränkt. Zudem freute sich die Öffentlichkeit über die Ungeschminktheit der audio-visuellen Darbietungen, die sämtliche halbgaren Heavy-Metal-Bübchen jener Tage ad absurdum führten. „Sie wissen, dass sie Tiere sind, und sie wollen auch als gar nicht anderes erscheinen.

Wo im Heavy Metal so viele hässliche Frösche herumspringen, die sich einbilden, sie seien Gottes Geschenk an die Frauen, kommen einem diese Quasimodos sogar irgendwie charmant vor“, kommentierte 1977 das Musikmagazin Stereo Review zutreffend. Mittlerweile sind jedoch Dank des smarten Skandinaviers Mikkey Dee und des ansehnlichen Campbell aus den öffentlich titulierten hässlichen Fröschen, die ihre musikalischen Visionen schnörkellos von der Bühne brüllten, eine ernsthafte Rock-Band geworden.

Motörhead begeistern mit ihren Veröffentlichungen regelmäßig die Massen und konnten ihr aktuelles Album ,Inferno‘ bis hoch in die deutschen Charts katapultieren. Vor dem Konzert im Braunschweiger Jolly Joker Anfang August 2004, bei dem auch ein Konzertmitschnitt für MTVivas „Hell’s Kitchen“ aufgezeichnet wurde, trafen wir uns mit Campbell und versuchten, von dem eher wortkargen Musiker ein paar Hintergrundinformationen über sein immerhin 15. Motörhead-Album zu bekommen. Typisch sein britischer Humor, ehrlich seine Einblicke in das Innenleben von Motörhead.

Wann entstand dein Faible für Rock Musik? Was war die Initialzündung?

Phillip Campbell: Mit neun Jahren hörte ich zum ersten Mal ,Hendrix In The West‘ (übrigens ein fabelhaftes Live-Album mit großartigen Aufnahmen von 1969/70, u. a. vom Isle-Of-WightFestival in England; d. Verf). Mein Cousin hatte die Scheibe und ich war von Hendrix’ Spiel total fasziniert. Von meinem Cousin kaufte ich wenig später auch meine erste Gitarre, eine ziemlich abgewetzte Hofner Colorama (die gerade von Höfner wiederveröffentlicht wurde, allerdings Made In China; d. Red).

Mit zehn besaß ich zwei oder drei verschiedene Gitarren, mit dreizehn legte ich mir dann noch ein Drum-Kit zu und fing gleichzeitig an, Posaune und Trompete zu spielen. Außerdem brachte ich mir ein paar Dinge auf dem Klavier bei. Ich bin zwar nicht unbedingt ein besonders großartiger Pianist, aber es reicht für den Hausgebrauch.

Klingt, als ob du in einem sehr musikalischen Haushalt aufgewachsen bist.

Phillip Campbell: Nein, dem war nicht so. Meine Mutter spielte zwar etwas Klavier, als sie noch lebte, aber das war’s auch schon. Allerdings sind meine eigenen Kinder sehr musikalisch. Meine 17jährige Tochter ist eine wirklich passable Schlagzeugerin. Das erste, wozu sie damals spielte, war irgendein Stück von Jaco Pastorius. Sie zeigte mir die Noten und sagte: „Schau mal Dad, da gibt es gleich vier Harmonien in nur einem Takt.“ Ich fragte: „Wie bitte? Wovon redest du eigentlich?“ Du siehst: Mittlerweile lebe ich in einer richtig musikalischen Familie.

Wie lange dauerte es, bis du in einer Band spielen konntest?

Phillip Campbell: Nur ein paar Monate, allerdings wurde ich als Schlagzeuger verpflichtet. Ich kaufte mir ein geeignetes Kit und schon ging es los. Meine erste Band war eine Kabarett-Gruppe. Wir blieben alles in allem vier Jahre zusammen und spielten so’n Zeugs wie ,Tie A Yellow Ribbon Round The Old Oak Tree‘ (grinst). Schlimmster Folk also. Zuhause spielte ich allerdings immer Gitarre zu Schallplatten.

Phil Campbell
(Bild: Archiv)

Zu welcher Art von Musik hast du damals geübt?

Phillip Campbell: Vor allem zu Rock-Scheiben, zum Beispiel von Deep Purple, UFO, Led Zeppelin und Black Sabbath. Mit 17 lernte ich dann meine Ehefrau kennen. Sie war ein großer Fan von Todd Rundgren und weckte auch mein Interesse für ihn. Er ist seitdem ein riesiger Einfluss für mich.

Das heißt, deine Ehefrau war ein ebenso leidenschaftlicher Rock-Fan wie du selbst?

Phillip Campbell: Ja, wie gesagt, vor allem von Todd Rundgren. Sie besaß all seine Schallplatten und kannte quasi jeden seiner Songs auswendig. Unser erstes Kind heißt nach ihm Todd Rundgren Campbell. Eine Art Huldigung, Mein Sohn ist mittlerweile 21 und hat gerade das erste Staatsexamen in Wissenschaft und Musiktechnologie bestanden. Ich bin sehr stolz auf ihn. Er hat ein kleines Studio zuhause, besitzt etwa 75 Gitarren und VDrums, dazu komplettes Bass-Equipment. Er ist quasi ein Multi-Instrumentalist.

Wie ging es für dich nach dem Kabarett-Duo weiter?

Phillip Campbell: Ich spielte Gitarre in einer Rock-Cover-Band mit Namen Rocktopus. Aber meine erste ernsthafte Gruppe war Persian Risk, bei der ich insgesamt fünf Jahre lang (von 1979 bis 1984) blieb. Dann ging ich zu Motörhead. Das war so etwa Anfang 1984.

Gibt es einen Zeitraum in deiner Karriere, in der du aus heutiger Sicht die größten Fortschritte als Gitarrist gemacht hast?

Phillip Campbell: Nein, ich glaube bei mir gibt es keine spezielle Phase. Ich habe mich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, zwar langsam aber stetig. Mit der wachsenden Erfahrung wurde ich halt immer etwas besser. Ich übe ja nicht allzu viel. Ich höre zwar eine Menge anderer Bands, aber ich setze mich nie gezielt hin, um etwas zu lernen. Anders als heutige Jugendliche habe ich nie monatelang in meinem Zimmer gehockt und irgendwelche Übungen auf der Gitarre gemacht.

Ich spielte schon immer einfach nur das, was mir Spaß machte. Außerdem hatte ich ja auch relativ schnell eine eigene Band. Damals dachte ich übrigens, ich wäre ein verdammt fixer Gitarrist (lacht). Heute weiß ich, dass ich es nicht bin und auch niemals war. Wenn ich mir heutige Gitarristen anhöre, weiß ich, dass ich eigentlich sogar ziemlich langsam spiele (lacht).

In einem typischen Rock-’n‘-Roll-Stil eben, oder?

Phillip Campbell: Das kommt darauf an, ob du mich als Gitarristen generell oder als Mitglied von Motörhead klassifizierst. Motörhead ist keine Heavy-Metal-Band. Wir sagen immer: Motörhead spielen Motörhead-Musik. Ich denke, wir spielen lauten Blues und Rock ’n’ Roll in ungewöhnlichem Tempo. Daneben spiele ich aber auch viel melodisches Zeugs, ein wenig Jazz und noch so einiges mehr. Aber das hat dann nichts mit Motörhead zu tun. Gestern Abend spielte ich im Kölner Hard Rock Cafe den Song ,Purple Rain‘ von Prince. Hat viel Spaß gemacht, das Stück nach 15 Jahren mal wieder anzustimmen.

Ich finde, es gibt viel zu viele unterschiedliche Kategorien. Eigentlich existiert doch nur gute oder schlechte Musik. Warum muss in einem Schallplattenladen alles so akribisch unterteilt sein? Man sollte nur den Bandoder Künstlernamen abdrucken und alphabetisch einordnen. Das wäre viel übersichtlicher.

Hattest du jemals Gitarrenunterricht?

Phillip Campbell: Nur ein paar Stunden in der Schule und eine in Los Angeles vor zwölf Jahren: Eine Jazz-Stunde, dreißig Minuten lang. Dann bin ich nicht wieder hingegangen.

Der typische Autodidakt also?

Phillip Campbell: Könnte man so sagen. Ich habe in der Schule Noten gelernt, vor allem für Posaune, Horn und Trompete. Und ich lese manchmal noch heute Gitarren-Notationen, obwohl ich vieles vergessen habe und auch nicht mehr flüssig vom Blatt spielen könnte.

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(Bild: Archiv)

Bis Mitte der Neunziger hattest du bei Motörhead mit Würzel noch einen zweiten Gitarristen neben dir. Wie hat sich die Situation für dich seit seinem Ausstieg verändert?

Phillip Campbell: Nicht sonderlich. Als Würzel die Band verließ, sagte ich zu Lemmy und Mikkey: „Ein Trio ist doch optimal für uns. Lasst es mich allein versuchen. Ihr könnt euch darauf verlassen, dass ich der erste bin, der es wieder ändern wird, wenn es nicht funktioniert.“ Nun, Lem und Mikk waren einverstanden und seitdem bin ich der einzige Gitarrist bei Motörhead. Alle sind sehr zufrieden damit. Motörhead sind als Trio einfach am besten.

War es anfangs schwer, Würzels Parts mit zu übernehmen?

Phillip Campbell: Nein, denn die meisten Sachen waren eh nur gedoppelt. Meistens spielten wir synchron, das heißt, wenn die Gitarren ausnahmsweise mal gestimmt waren (grinst). So wie wir es heute machen, klingt es einfach besser, solider und erdiger. Manchmal ist es schwieriger, die Songs aus dem Studio auf die Bühne zu übertragen. Wenn ich im Studio einen coolen Overdub-Part habe, spiele ich ihn trotzdem, egal ob er auf die Bühne zu übertragen ist oder nicht.

Klingt relativ unkompliziert.

Phillip Campbell: Ist es auch. Ich habe außerdem mehr Platz auf der Bühne und kann herumtoben. Lemmy und Mikkey sind ja ziemlich fest an ihre Plätze gebunden, ich dagegen kann frei herumlaufen, so viel ich will.

Inwiefern musstest du dein LiveEquipment aufrüsten, um es Soundmäßig der neuen Situation anzupassen?

Phillip Campbell: Ich habe das Equipment einfach verdoppelt.

Das heißt, bei Motörhead steht links auf der Bühne das gleiche Stack wie rechts?

Phillip Campbell: Ja, genau so funktioniert Verdoppeln generell (grinst schelmisch)

Mehr nicht?

Phillip Campbell: Nein, eigentlich nicht. Weshalb auch? Weißt du: Man kann es auch komplizierter machen, als es notwendig wäre. Rock ’n’ Roll ist doch die Philosophie des Einfachen, oder nicht?

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(Bild: Archiv)

Wie entstehen bei Motörhead neue Songs?

Phillip Campbell: Zum aktuellen Album habe ich einige Stücke Zuhause mit meinen Kindern vorbereitet. Ich spielte Gitarre und sie halfen mir mit Schlagzeug und Bass. ,In The Black‘ ist beispielsweise eines der Stücke, das von einem Demo mit meinen Kindern stammt. Drei Nummern entstanden auf diese Weise, den Rest habe ich zusammen mit Mikkey geschrieben. Eigentlich hatte ich sogar sieben Stücke vorbereitet, aber beim Sondieren wurden nur drei davon genommen. Lem ist leider oft etwas faul, so dass Mikkey und ich die Hauptarbeit machen müssen. So funktioniert es schon seit 20 Jahren, beziehungsweise mit Mikkey seit etwa vierzehn Jahren. Wir schreiben die Stücke so weit wie wir kommen und stellen sie dann Lemmy vor. Entweder er mag sie oder er sagt (macht Lemmys schroffen Ton nach): „That’s shit!“ Dann streiten wir eine Zeitlang und schließ- lich einigt man sich irgendwie. Wir ändern ein paar Dinge oder verwerfen die Idee komplett. Etwa 70% der Stücke stammen von Mikkey und mir.

Wisst ihr beim Komponieren des Song-Gerüsts immer schon, was später Strophe und was Refrain werden soll? Oder ändert sich das während des Entstehungsprozesses?

Phillip Campbell: Es gibt einen Song auf dem neuen Album, da ging es hinsichtlich dieser Frage ziemlich hoch her. Das Stück heißt ,Down On Me‘, es ist eine der beiden Nummern, auf denen Steve Vai spielt. Mikkey und ich schrieben es und hatten eine genaue Vorstellung, was Strophe und was der Refrain sein soll. Lemmy hörte ihn und sagte: „Großartig, ganz großartig, aber dies ist die Strophe und das andere der Refrain!“ Wir sagten: „Falsch, genau umgekehrt.“ Fünf Wochen lang stritten wir uns um diesen Song.

Und wer hat sich schlussendlich durchgesetzt?

Phillip Campbell: Lem natürlich (grinst).

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(Bild: Archiv)

Weil er immer das letzte Wort hat?

Phillip Campbell: Nein, überhaupt nicht. Aber eigentlich war es offensichtlich, dass er doch Recht hat. Manchmal holen wir eine dritte Meinung ein, um zu einer Entscheidung zu kommen. Bei ,Down On Me‘ gab sich Lemmy alle Mühe, um uns zu überzeugen. Er sagte: „Es tut mir wirklich leid, aber ich sehe diesen Part nicht als Refrain. Ich fühle es genau umgekehrt wie ihr.“ Er schrie laut herum: „Obvious! Obvious!!! Das müsst ihr doch selbst merken!“ Irgendwie hatte er ja auch Recht.

Motörhead-Scheiben setzen also immer harte band-interne Kämpfe voraus?

Phillip Campbell: Ja, normalerweise schon. Denn wir drei sind sehr ehrgeizig. Wenn uns alles egal wäre, würden diese Streitereien wohl nicht entstehen. Aber jeder will das beste Resultat, und das setzt dann auch schon mal harte Kämpfe voraus. Obwohl es gerade beim neuen Album ,Inferno‘ ganz ungewöhnlich friedlich zuging. Es gab eigentlich nur diesen einen Streitpunkt. Wir merkten schnell, dass ,Inferno‘ eine besonders gute Scheibe wird. Die Energie war von Beginn an für alle offensichtlich.

Das heißt: Ihr habt schon früh gemerkt, dass ,Inferno‘ ein besonders ambitioniertes Werk wird?

Phillip Campbell: Ja, im Grunde genommen bereits beim Komponieren. Manchmal hat man sechs oder sieben Stücke zusammen und denkt: Na ja, sie sind OK, mehr aber nicht. Aber diesmal waren wir ziemlich aufgeregt und dieses Gefühl hielt sich bis zum Ende der Produktion.

Gibt es dafür einen bestimmten Grund?

Phillip Campbell: Einerseits natürlich Zufall, andererseits aber auch eine Frage von Erfahrung. Wir wissen, was wir bei Motörhead wollen und haben eine genaue Vorstellung, wie man an sein Ziel kommt. Mikkey und ich waren sehr konzentriert beim Schreiben, dann kam Lem und kniete sich ebenfalls komplett in die Produktion. Er hat wirklich eine Menge sehr guter Melodien geschrieben. Und wenn er mit einer halbgaren Idee kam, sagten wir: „Vergiss es. Das ist große Scheiße.“ Er war dann jedes Mal total sauer: „Was meint ihr damit? Was heißt: große Scheiße?“ Wir dann: „Du kannst es besser. Also setz dich gefälligst noch mal dran.“ Dann trollte er sich und arbeitete weiter an dem Stück.

Erstaunlich, dass man mit dem als jähzornig verschrienen Lemmy so reden kann.

Phillip Campbell: Wir reden schon seit zwanzig Jahren so mit ihm (lacht laut los). Jeder will doch nur das Beste für die Band. Wir haben großen Respekt voreinander, wir sagen so etwas ja nicht, nur um ein Arschloch zu sein. Das Leben ist dafür zu kurz.

Wessen Idee war es, Steve Vai zwei Gitarrensoli spielen zu lassen? Und wie habt ihr es organisiert?

Phillip Campbell: Lemmy war in Los Angeles eines Abends auf dem Weg in den Rainbow Club und traf dort in der Tür Steve Vai. Steve fragte: „Hey Lemmy, wie sieht es aus? Woran arbeitet ihr zurzeit?“ Lemmy antwortete: „Wir sind gerade im Studio und produzieren ein neues Album.“ Steve sagte daraufhin: „Klingt interessant. Wenn ihr wollt, dass ich auf der Scheibe mitspiele, ruft mich an.“ Er gab Lemmy seine Nummer.

Lemmy kam zu mir und fragte: „Hör mal Phil, Steve Vai hat angeboten, auf dem neuen Album zu spielen. Was hältst du davon?“ Meine erste Reaktion war: „Vergiss es. Steve passt nicht zu Motörhead.“ Aber je länger ich darüber nachdachte, um so reizvoller fand ich das Angebot. Also schickten wir ihm zwei Songs und er spielte in seinem eigenen Studio die Soli darauf.

Und wer durfte entscheiden, auf welchen Songs er spielen soll?

Phillip Campbell: Das war meine Entscheidung. Es gab sowieso zwei Soli, mit denen ich nicht richtig zu Recht kam. Ich versuchte es ein paar Mal, doch als es nicht richtig besser wurde, sagte ich zu Lem: „OK, hier sind die beiden Stücke für Steve.“

Hattet ihr keine Sorge, das euch die Fans diese Idee ebenso um die Ohren hauen werden wie damals bei Whitesnakes ,Slip Of The Tongue ‘, als Vai den verletzten Adrian Vandenberg ersetzte?

Phillip Campbell: Nein, denn wir kümmern uns nicht darum, was die Fans davon halten. Hauptsache, es gefällt uns. Steve ist ein grandioser Gitarrist. Ich sah ihn vor ein paar Wochen im Rahmen der G3-Tour. Ich habe ihn schon oft im Konzert angeschaut und nahm diesmal meine beiden Jungs mit nach Wolverhampton, um Vai und Satriani zu bewundern. Als Steve Vai auf die Bühne kam, spielte er zusammen mit Billy Sheehan das Stück ,Shy Boy‘.

Es war die phantastischste Performance, die ich jemals von ihm gesehen habe. Genial, Gott-gleich! Dann kam Joe Satriani auf die Bühne. Ich bin der totale Satriani-Fan, aber im Vergleich zu Vai war es langweilig. Man darf so etwas ja eigentlich nicht laut sagen, aber es war tatsächlich so. Mir standen bei Steve Vai die Tränen in den Augen, so gut spielte er an diesem Abend. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so brillant gesehen. Welch ein verdammtes Talent!

Wie wirst du es mit den beiden Steve Vai-Soli auf der Bühne halten? Oder werdet ihr ,Down On Me ‘ und ,Terminal Show ‘ gar nicht im Konzert spielen?

Phillip Campbell: Oh doch, wir werden. Und ich werde dann meine eigenen Interpretationen dieser Soli spielen.

Interpretationen oder freie Improvisationen?

Phillip Campbell: Natürlich werde ich versuchen, seinem Solo möglichst nahe zu kommen. Ehrlich gesagt: Ich habe mir darüber noch keine konkreten Gedanken gemacht. Wenn es soweit ist, werde ich mir etwas einfallen lassen. Ton für Ton kann man das, was er gespielt hat, sowieso nicht rekapitulieren.

Aber möglicherweise die Eckpfeiler der Soli übernehmen, damit die Fans es wieder erkennen.

Phillip Campbell: Das mache ich ja nicht einmal bei meinen eigenen Soli (lacht). Ich spiele jeden Abend sehr spontan und variiere häufig. Das ist es ja gerade, was ich bei Michael Schenker immer vermisst habe, obwohl ich ihn sehr verehre. Ich sah ihn jedes Jahr, sowohl mit UFO als auch mit MSG. Aber er spielte jedes Solo Ton für Ton gleich. Ich stand im Publikum und wusste schon vorher jede Note, die anschließend kommen würde. Da fehlt mir dann die Spontaneität.

Ich will gar nicht wissen, was als nächstes kommt. Natürlich gibt es bestimmte Melodien, die unbedingt kommen müssen. Aber doch nicht Ton für Ton das gesamte Solo. Das wird doch sehr schnell langweilig. Natürlich gibt es Zuschauer, die am liebsten die Platte Note für Note nachgespielt haben wollen. Ich halte davon nichts. Das ist nicht die Art, in der ich mich auf der Bühne präsentieren möchte.

Das heißt, es gibt in Motörhead-Soli auch gar keine Eckpfeiler?

Phillip Campbell: Also bisher hat noch nie jemand zu mir gesagt: „Hey Phil, dies sind die Eckpfeiler“ (grinst wieder frech). Vielleicht gibt es einige, aber wenn, dann laufen sie bei mir unterbewusst ab.

In welcher Reihenfolge nimmst du im Studio deine Gitarren auf?

Phillip Campbell: Als erstes trommelt Mikkey seine Drums ein. Dann kommen meine Rhythmusgitarren. Meistens sind es vier verschiedene Gitarren mit unterschiedlichen Sounds. Anschließend kommt Lem mit dem Bass. Dann singt er und lässt mich hinterher meine Soli dazu spielen. Manchmal kommen die Soli auch schon vor dem Gesang, je nachdem, was der Zeitplan vorsieht. Wenn der komplette Gesang drauf ist, habe ich die Möglichkeiten, noch ein paar Overdubs, einige Fills und so weiter beizusteuern.

Auf der Bühne spielst du normale Marshall-Stacks. Wie sieht das im Studio aus?

Phillip Campbell: Auf ,Inferno‘ habe ich diesmal ebenfalls Marshalls eingesetzt (JCM-900-Stacks), ansonsten spiele ich auch sehr gerne Engl Amps. Zudem halte ich von Line6-Verstärkern eine Menge, das gleiche gilt für Gallien-Krueger-Amps. Ich mische diese unterschiedlichen Sounds …

… die auf ,Inferno ‘ erstaunlich modern klingen.

Phillip Campbell: Oh danke, das höre ich gerne. Wir spielen ja sowieso mit tiefer gestimmten Instrumenten. Damals auf ,Sacrifice‘ (1995) fingen wir mit D-Tuning an, weil es gut zu den Riffs passte. Auf ,Inferno‘ sind 60 bis 70 Prozent der Nummern tiefer gestimmt, damit es moderner klingt.

Du orientierst dich also auch an zeitgemäßen Rock-Produktionen?

Phillip Campbell: Ja, natürlich. Dennoch wird es jedes Jahr schwieriger, frisch und aufregend zu klingen. Aber diesmal hatten wir einen guten Lauf. Das Album ist sehr knackig, mit relativ lauten und crispy klingenden Gitarren. Ich stehe total darauf, denn es repräsentiert die enorme Energie dieser Band.

Welches sind momentan deine Hauptgitarren?

Phillip Campbell: Meine wichtigste Gitarre ist eine Lag, die ich schon seit fünfzehn Jahren besitze. Ein Freund zeigte sie mir und sagte: „Wenn du willst, kannst du sie mal ausprobieren. Sie wurde für jemanden konstruiert, der sie jetzt nicht mehr haben will.“ Ich war total begeistert. Deswegen bauten sie mir vor ein paar Jahren ein zweites ganz ähnliches Modell, so dass ich die Gitarre jetzt quasi doppelt besitze.

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(Bild: Archiv)

Was magst du besonders an ihr?

Phillip Campbell: Sie ist sehr simpel aufgebaut. Kein Vibrato, nur einen Volumenregler und einen Schalter für die Jeff-Beck-Pickups von Seymour Duncan. Ich besitze eine Menge guter Gitarren von Paul Reed Smith, von Framus, Gibson, von Brian Moore, aber immer wieder entdecke ich diese Lag-Gitarre neu. Sie ist und bleibt mein Lieblingsmodell.

Wenn ich mir ,Inferno ‘ anhöre, klingt es allerdings gar nicht so sehr nach deiner Lag-Explorer.

Phillip Campbell: Gut beobachtet. ,Inferno‘ ist das erste Album, auf dem ich sie nicht eingesetzt habe. Als ich in Amerika war, gefiel mir aus irgendwelchen Gründen ihr Sound nicht mehr. Deswegen habe ich sie im Studio nicht verwendet. Aber kaum waren die Aufnahmen fertig, war ich wieder ganz begeistert von ihr. Gitarren sind wie Frauen: Sie haben ein ganz eigenes Temperament und sind sehr launisch.

Welche Effekte verwendest du auf der Bühne?

Phillip Campbell: Ein Steve-Vai-„Bad Horsie“-Wah von Morley und für die Soli einen MXR … – also diese kleine weiße Box, die man mir vor etlichen Jahren schenkte (ein MXR Micro Amp). Das Echo nehme ich vom FOH-Mischpult, außerdem mischt mein Gitarrentechniker irgendein Delay hinzu (Boss Digital Delay). Ich bin leider kein Techniker, deswegen kann ich dir die genaue Typenbezeichnungen der Geräte gar nicht nennen. Ich spiele schon seit 24 Jahren, aber kann noch immer nur so gerade eben selbst Saiten aufziehen. Wie man die Dinger dann allerdings komplett zerschreddert, das weiß ich ganz genau, hahaha!

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