Im Interview

John Petrucci: Zweites Soloalbum

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(Bild: Larry DiMarzio)

Augenzeugen der 2018er-G3-Tour mit Anchorman Joe Satriani und dem früheren Scorpions-Gitarristen Uli Jon Roth ahnten bei der Show von Dream-Theater-Chef John Petrucci bereits, dass der New Yorker nach seinem 2005er-Solodebüt ‚Suspended Animation‘ ein zweites eigenes Album plant: Bei zwei der insgesamt sechs Stücke, die Petrucci im Rahmen der G3- Show spielte, handelte es sich um brandneues und bis dahin nicht veröffentlichtes Material.

Nun also kommt diese gewissermaßen indirekt angekündigte Scheibe sogar noch früher als erwartet. Denn Corona und der damit verbundene, generelle Lockdown für sämtliche Dream-Theater-Aktivitäten haben dem 53-Jährigen ein Zeitfenster geöffnet, das er in diesem Frühjahr genutzt hat. Und so erblickte ‚Terminal Velocity‘ – übrigens die erste Zusammenarbeit Petruccis mit seinem früheren Dream-Theater-Drummer Mike Portnoy! – noch im August 2020 das Licht der Öffentlichkeit und zeigt den Ausnahmegitarristen abermals nicht nur als grandiosen Techniker, sondern auch als vielschichtigen Komponisten, der neben atemberaubender Fingerakrobatik auch mit einigen stilistischen Überraschung aufwartet.

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John, welche Auswirkungen hat Corona auf Dream Theater?

Natürlich hat Corona so ziemlich alles, was wir im Leben gekannt haben, völlig verändert. Dies gilt aber nicht nur für Dream Theater, sondern für nahezu alle Musiker auf diesem Planeten. Es gibt schon seit Monaten so gut wie keine Konzerte mehr, Tourneen wurden abgesagt oder verschoben, und somit sind nicht nur wir Musiker von der Pandemie betroffen, sondern auch die Crew, die Backliner, die Lichttechniker, die Busfahrer. Sie alle befinden sich derzeit in einer sehr schwierigen Situation. Es ist unheimlich hart für sie, all diese Ausfälle zu kompensieren.

Für uns Musiker von Dream Theater ist das Problem demgegenüber vergleichsweise gering. Wir haben genügend Tourneen absolviert, haben im Februar noch in London die aktuelle Show für eine DVD aufgezeichnet und konnten unser letztes Album ‚Distance Over Time‘ lediglich nicht mehr in Australien und Japan spielen. Natürlich ist auch für uns die Zukunft im Moment absolut unplanbar. Der Unterschied zu unserer Crew ist nur: Wir können kreativ bleiben, deshalb habe ich die Zeit für mein zweites Soloalbum genutzt. Außerdem werden wir die Aufnahmen für das kommende Dream-Theater-Album zeitlich vorziehen, sodass wir sofort loslegen können, wenn dies wieder erlaubt ist.

Auf ‚Terminal Velocity‘ gibt es mindestens zwei Songs, die ich bereits von der G3-Tour im März 2018 kenne. Wurden sie für das Album noch einmal überarbeitet?

Richtig, das sind ‚Happy Song‘ und ‚Glassy-Eyed Zombies‘. Und ich habe sie nur ein klein wenig verändert. Außerdem gibt es auf ‚Terminal Velocity‘ mit ‚Gemini‘ ein Stück, das bereits Mitte der 90er entstanden ist, als ich noch regelmäßig Gitarren-Clinics gegeben habe und entsprechende Nummern brauchte, um meinen Spiel-Stil vorzustellen. Fünf Songs auf ‚Terminal Velocity‘ habe ich erst im Frühjahr 2020 geschrieben.

(Bild: Darko Boehringer)

Erkennst du selbst signifikante Unterschiede zwischen deinen etwas älteren und den brandneuen Stücken?

Eigentlich nicht, außer eben, dass – wie schon gesagt – ‚Gemini‘ eigentlich ein Gitarrendemonstrations-Song ist. Ansonsten sind Herangehensweise und Strukturen der Kompositionen gleich geblieben, und auch das generelle Konzept: ausschließlich instrumentale Stücke, eingespielt als Trio mit Gitarre, Bass und Schlagzeug. Wenn es kleinere Unterschiede gibt, dann mögen sie vielleicht in der Person Mike Portnoy zu finden sein, der nun einmal einen ganz eigenen Drum-Stil und in jede einzelne Note seine eigene Persönlichkeit eingebracht hat. Ansonsten ist es natürlich ein Unterschied, ob man einen Song – so wie auf der G3-Tour – live spielt oder ihn im Studio aufnimmt. Man doppelt die Rhythmusgitarren, fügt ein paar kleinere Overdubs hinzu. Und man achtet natürlich darauf, dass alles exakt auf den Punkt gespielt ist.

Dein erstes Soloalbum liegt 15 Jahre zurück. Eine lange Zeit, in der du dich ebenso weiterentwickelt hast wie das Musikbusiness generell. Haben sich damit auch deine Ziele, Wünsche und Visionen für ‚Terminal Velocity‘ geändert?

Nein, meine Ziele und Visionen waren im Grunde genommen die gleichen wie 2005 bei ‚Suspended Animation‘: Ich wollte eine Trio-Besetzung, nur Gitarre, Bass und Schlagzeug, keine Gäste und ausschließlich Instrumentalnummern. Aber natürlich gibt es auf der Platte musikalische Herausforderungen, an die 2005 noch nicht zu denken waren. Auf ‚Suspended Animation‘ gab es zum Beispiel keine Nummer im Jazz/Blues-Stil wie ‚Out Of The Blue‘, zudem findet man diesmal mit ‚Snake In My Boot‘ auch einen Shuffle-Rocker, und mit ‚Happy Song‘ eine Nummer mit poppig-punkiger Note.

Natürlich habe ich heutzutage viel mehr Erfahrung als 2005, weiß noch besser als damals, welche Art von Song funktioniert und welche nicht. Außerdem habe ich mittlerweile eine Reihe erstklassiger Signature-Instrumente an den Start gebracht, die ich ebenfalls weitaus besser kenne als in ihrer Anfangszeit. Das ist auch der Grund, weshalb ‚Terminal Velocity‘ exakt den Sound hat, den ich mir in meinem Kopf vorgestellt hatte. Das Album klingt noch wesentlich besser als ‚Suspended Animation‘, man hört, dass ich eine Menge mehr Erfahrungen gemacht und noch stärkere Songs als damals geschrieben habe. Ich bin halt in jeder Hinsicht reifer geworden.

Schaut man sich das Equipment an, das du auf ‚Terminal Velocity‘ verwendet hast, sieht man eine überwiegende Übereinstimmung mit dem auf eurem letzten Dream-Theater-Album ‚Distance Over Time‘. Zufall?

Nein, natürlich nicht. Meine 6- und 7-saitigen Ernie-Ball-Music-Man-Majesty-Signature-Gitarren mit meinen DiMarzio-Signature-Pickups Dreamcatcher und Rainmaker gehören ebenso seit Jahren zu meiner festen Ausrüstung wie mein Mesa-Boogie-Signature-JP2C-Amp mit der 4x12er-Rectifier-Box und mein Dunlop-Trinity-Signature-Plektrum. Hinzu kamen auf ‚Terminal Velocity‘ zwei Akustikgitarren, nämlich eine Taylor Builder’s Edition 614CE und eine Volkert D-Form ‚Maccaferri/Selmer‘.

Bei den Effektgeräten stehe ich derzeit auf Pedale, die für beide Projekte, also Solo und Dream Theater, perfekt passen. Darunter befinden sich mein Signature-Cry-Baby-JP95-Wah von Dunlop, ein TC-Electronic-Signature-Dreamscape-Modulation-Pedal, ein Boss-PH-3-Phaser und ein Robert-Keeley-Ibanez-Turbo-Screamer. Da ich zunehmend mehr Erfahrung mit diesem Equipment bekomme, ist die Produktion zu ‚Terminal Velocity‘ meines Erachtens sogar noch gelungener als bei ‚Distance Over Time‘.

Music Man John Petrucci Carbon Blue mit Spalted Maple
Music Man John Petrucci Siberian Saphiro Blue
Petruccis Music Man Majesty Purple Sparkle
Mesa/Boogie JP-2C

Gehst du kompositorisch an deine Solo-Songs mit einem anderen Konstrukt heran als an Nummern für Dream Theater? Oder sind deine Solostücke im Grunde genommen Dream-Theater-Kompositionen, nur ohne Gesang?

Nein, bei Dream Theater gibt es ganz andere Regeln, die es zu befolgen gilt. In der Band haben wir deutlich mehr Orchestrationen, außerdem denkt man als Komponist für Dream Theater weitaus konzeptioneller, da Songs mit Texten ja immer auch eine bestimmte Aussage haben. Bei meinen Soloscheiben steht nicht der Gesang, sondern die Gitarre im Mittelpunkt, und in dem Fall muss man mit noch mehr Akribie darauf achten, dass ein Stück nicht schon nach 90 Sekunden zu Ende erzählt ist und anschließend langweilig wird. Man muss sich also so einiges einfallen lassen, um das Interesse des Hörers zu wecken und es bis zum Ende der Nummer aufrecht zu erhalten.

Wagen wir mal einen Ausblick in deine Zukunft als Instrumentenentwickler: Sind neue Produkte angedacht oder sogar bereits in der Pipeline?

Du kennst mich schon seit vielen Jahren, Matthias, du weißt, dass ich nie aufhören werde, neue Dinge auszuprobieren und neue Ideen zu verfolgen. Ich habe mit der Music-Man-Majesty und der JP-Serie tolle Gitarren geschaffen, deren Entwicklung noch nicht abgeschlossen ist. Derzeit arbeiten wir an einer neuen achtsaitigen Version, das ist eine riesige Herausforderung. Ich kann zurzeit noch keine exakten Details nennen, auch weil es dafür tatsächlich noch zu früh wäre.

Du bist also trotz Lockdown und Corona-Krise nicht demotiviert oder gar frustriert?

Natürlich erleben wir alle zurzeit eine schwierige Phase, die keinem von uns gefällt. Viele Freunde waren krank, es sind unglaublich viele Menschen an diesem schlimmen Virus gestorben. Das einzig Positive daran: Wir, die wir einigermaßen unbeschadet davonkommen, wissen mehr denn je die scheinbar selbstverständlichen Dinge des Alltags zu schätzen. Wir stellen fest, was wirklich wichtig im Leben ist, und was nicht. Gesundheit steht über allem. Ohne Gesundheit ist alles nichts.

Ich als Künstler war in der glücklichen Lage, dass ich meiner Berufung weiterhin nachgehen und kreativ bleiben konnte. Das hat mir enorm geholfen. Der Job eines Musikers ist es nun einmal, kreativ zu sein und Dinge zu erschaffen, die einen zufriedenstellen. Am Ende ist dabei mein zweites Soloalbum entstanden, 15 Jahre nach meinem Debüt. Für mich ist dies ein großartiger Moment, auf den ich sehr stolz bin und über den ich mich sehr freue. Das Gleiche gilt für die Wiedervereinigung mit Mike Portnoy, den ich als Mensch und Musiker weiterhin sehr schätze.

Wird es zu ‚Terminal Velocity‘ irgendwann eine Solo-Tournee geben?

Ganz ehrlich? Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Generell gilt mein Hauptaugenmerk jetzt wieder Dream Theater und wie wir mit der Band diese Krise überstehen. Deshalb werde ich mich jetzt auch sofort um das nächste Dream-Theater-Album kümmern und alle Hebel in Bewegung setzen, um mit der Band so schnell wie möglich wieder auf die Bühne zu kommen.

Vielen Dank, John, und alles Gute für die Zukunft!

Petruccis langjähriger Gitarrentechniker Matthew ‚Maddi‘ Schieferstein (Bild: Matthias Mineur)

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2020)

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