Im Interview

Joanna Connor: Chicago Blues

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(Bild: Maleki Raei)

Geschichten über Joanna Connor gibt es zahllose, sicherlich weit mehr als der breiten Öffentlichkeit bekannt sind. Die Amerikanerin hat schon mit vielen Blues-Legenden gespielt und u. a. Luther Allison über viele Jahre auf seinen Tourneen begleitet. Connors größte Stärke neben ihrem Gesang: ein leidenschaftliches und geradezu urwüchsiges Slide-Spiel, das ihr eine glänzende Reputation beschert hat, speziell auch in der Musiker- und Blues-Szene in und um Chicago.

Vor einigen Jahren ist Superstar Joe Bonamassa auf die heute 58-Jährige aufmerksam geworden und hat sie nun für sein neu gegründetes Independent-Blues-Label ‚Keeping The Blues Alive‘ verpflichtet. Das erste Produkt dieser aufsehenerregenden Kooperation ist das Album ‚4801 South Indiana Avenue‘, bei dem Bonamassa nicht nur fortan die wirtschaftlichen Fäden im Auge behält, sondern auch gleich selbst Hand angelegt hat. Das wiederum hat nicht nur künstlerische Vorteile, sondern beschert Connor natürlich auch eine weitaus größere Aufmerksamkeit als bei ihren bisherigen zwölf Soloalben.

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Wir haben uns mit Joanna Connor zu einem Gespräch verabredet und sie zu ihrem neuen Album befragt, das auf raffinierte Weise die lange Tradition des Chicago-Blues in die Gegenwart transformiert, ohne dabei Zugeständnisse an Trends oder Moden machen zu müssen. Bonamassa sei Dank, sagt jedenfalls Connor selbst.

Joanna, kannst du erzählen, wie du Joe Bonamassa kennengelernt und mit ihm an ‚4801 South Indiana Avenue‘ gearbeitet hast?

Genau genommen handelt es sich bei ‚4801 South Indiana Avenue‘ um eine Kooperation zwischen Joe Bonamassa, Josh Smith und mir. Wir beschlossen, ein gemeinsames Album aufzunehmen und dafür einige eher unbekannte Tracks legendärer Blues-Künstler in ein neues Gewand zu kleiden. Joe hatte diese ganz klare Vision und sich in den Kopf gesetzt, mich dafür zu gewinnen. Offenbar kannte er meine bisherigen Alben und hatte sich wohl eine Reihe meiner Videos angeschaut, daher besaß er ein klares Bild von dem, was ich musikalisch mache.

Bei unserem ersten Treffen besprachen wir das grobe Konzept der Scheibe und waren uns sofort einig: ‚4801 South Indiana Avenue‘ soll eine Verneigung vor dem traditionellen Blues sein, gleichzeitig aber auch moderne Ansätze beinhalten. Ich sagte zu Joe: „Tolle Idee, aber vermutlich wird das kein einfaches Unterfangen.“

Hat Bonamassa dir konkret mitgeteilt, was er sich von dir auf diesem Album wünscht, beziehungsweise was er sich von der Zusammenarbeit generell erhofft?

Joe sagte zu mir, dass er unbedingt meine Kraft, speziell auch die meines Gesangs, wie ich sie immer schon mal in einzelnen meiner Songs gezeigt habe, auf ein komplettes Album übertragen möchte. Er sagte: „Ich möchte, dass dein Gesang genauso stark ist wie dein Gitarrenspiel.“ Er war sich seiner Sache absolut sicher und meinte: „Vertrau mir! Ich habe ein klares Bild vor Augen, wie das Ergebnis klingen soll.“

Ich war natürlich total begeistert und antwortete: „Joe, keine Sorge, ich vertraue dir ganz und gar. Ich kenne deine Alben, ich verfolge schon seit vielen Jahren deine bewundernswerte Arbeitsmoral, und ich weiß, dass immer großartige Ergebnisse dabei herauskommen. Ich bin mir sicher, dass ich mich komplett auf deine Vision verlassen kann.“ So haben wir angefangen, und jetzt haben wir tatsächlich ein erstklassiges Album am Start, wie ich finde.

Von wem wurden die Songs ausgewählt?

Joe hatte ein paar konkrete Ideen, ihm ging es vor allem um einige legendäre Blues-Künstler. Gemeinsam hörten wir uns eine Reihe unterschiedlicher Songs an und entschieden dann, welche davon wir nehmen sollten. Das wichtigste Kriterium bei der Auswahl der Nummer lautete: Jeder Song soll sich von dem vorherigen grundlegend unterscheiden, er sollte einen unnachahmlichen Stil und eine eigene Botschaft haben.

Immer dann, wenn wir uns für eine Nummer entschieden hatten, wurde sofort an neuen Arrangements gearbeitet, mitunter eine andere Tonart gewählt, damit sie besser zu meiner Stimme passt. Die Grooves wurden verändert, jeder Part genau analysiert, und so weiter. Und natürlich durften auch Stücke von Luther Allison oder Albert King nicht fehlen. Unsere neuen Versionen sind als Verneigung vor ihnen gedacht.

Kannst du ein paar Beispiele nennen?

Gerne. Der Song ‚Destination‘ ist eine kernige Rocknummer und stammt von einer Band, die leider zu häufig übersehen wurde: The Assassins mit ihrem Kopf Jimmy Thackery. Unsere Version klingt etwas süßlicher, auch durch Jimmy Halls Chor-Gesang. Dann gibt es da ‚Bad News‘ von Luther Allison, von dem wir alle Riesenfans sind. Mit Luther habe ich fast zehn Jahre lang als Vorband in Europa getourt, deswegen war es für mich eine besondere Ehre, diese fabelhafte Nummer aufzunehmen.

Die Glocke, die man hören kann, war übrigens Joes Idee. Von Albert King haben wir ‚For The Love Of A Man‘ ausgewählt, ein Song, der auf keinem ambitionierten Bluesalbum fehlen darf. Und ‚Please Help‘ ist unsere Hommage an Hound Dog Taylor. Ich schätze, er hätte diese Version sehr gemocht.

Connor mit Gibson Les Paul Modern und Orange Crush Pro 120 (Bild: Maleki Raei)

Apropos: Wie dicht an den Originalen sind eure Versionen? Und wie lautete diesbezüglich eure Zielsetzung?

Ich finde, es gibt so unendlich viele moderne Blues-Scheiben, die allesamt zu glattpoliert und harmlos klingen. Wir dagegen wollten unbedingt die Rohheit, die Energie und die Leidenschaft dieser Musik dokumentieren. Es geht hier um die Erhaltung einer großen Tradition, um eine Huldigung der Urväter und -mütter des Blues, die alle einen ganz eigenen Stil hatten. Ich spiele schon seit Jahrzehnten in der Chicagoer Blues-Szene und ich kenne mich in keiner Musik so gut aus wie in dieser. Deswegen lag mir die absolute Authentizität meiner Versionen besonders am Herzen.

War es schwierig, diese Authentizität bei jedem Song zu gewährleisten?

Nein, ich fand es sogar ziemlich einfach. Das gesamte Album wurde live im Studio eingespielt, in gerade mal vier Tagen! Später wurden zwar noch ein paar Gesänge ausgetauscht und einige Chöre hinzugefügt, aber die Basis fand live im Studio statt, und zwar alle Musiker im gleichen Raum! Ich fand das Konzept großartig, denn natürlich kommt es dadurch auch zu Übersprechungen einzelner Mikrofone. Und genau das wollten wir, denn dadurch entstand die gewünschte Rohheit.

Joe sagte immer: „Hört mal: Wenn wir mit einer Nummer nach zwei Durchläufen immer noch nicht vollauf zufrieden sind, wenden wir uns zunächst einer anderen zu und kommen erst später noch einmal auf sie zurück. So halten wir uns mental frisch und sorgen indirekt dafür, dass die Scheibe am Ende nicht überproduziert klingt.“ Die Band war einfach großartig, wir hatten immer sofort den perfekten Groove gefunden und ruckzuck mehr als nur respektable Versionen aufgenommen. Lediglich der Lead-Gesang war für mich nicht ganz so einfach, weil ich versuchen wollte, so tief wie möglich in die Emotionen der Originalversion einzutauchen.

Das muss für eine Sängerin, die Nummern von männlichen Blues-Musikern interpretieren will, ziemlich schwierig sein.

Auf den ersten Blick klingt es ja auch wie ein Widerspruch, aber man darf eines nicht vergessen: Letztlich waren es zu Beginn überwiegend Frauen, die den traditionellen Blues gesungen haben. Außerdem bin ich es gewohnt, Texte männlicher Musiker zu singen, insofern war dies zumindest keine unüberwindbare Hürde für mich.

Gibson Les Paul Classic 60 Reissue, Delaney LaGrange Joanna Connor Signature, Gibson Songwriter, Jay Turser Resonator, Gibson Les Paul Modern und ihre Laute (Bild: Maleki Raei)

Mit welchen Gitarren hast du ‚4801 South Indiana Avenue‘ aufgenommen?

Ich habe fast alles mit meiner neuen Gibson Les Paul Modern gespielt, die ich seit etwa einem Jahr besitze. Ich bin ein riesengroßer Les-Paul-Fan. Neben meiner eigenen Les Paul durfte ich mir Joes Gibson Micky Baker Les Paul mit Flatwound-Saiten ausleihen, ebenso wie einen seiner Fender-Deluxe-Amps.

Und Effekte?

Keine! Ich wollte diesmal den puren Sound. Es gibt von mir kaum Alben, auf denen mehr als ein oder zwei Effekte zu hören sind. Aber in diesem Fall fiel es mir auch nicht sonderlich schwer, auf Effekte zu verzichten, denn der Fender Deluxe klang einfach großartig.

Auf dem neuen Album kamen keine Pedale zum Einsatz, doch sonst ist Connor Fan von minimalem Effekteinsatz: Rocktron Short Timer, Boss BD-2 Blues Driver & Way Huge Blue Hippo (Bild: Maleki Raei)

Hast du eine besondere Lektion aus der Zusammenarbeit mit Bonamassa gelernt? Oder aus der Beschäftigung mit diesen vergleichsweise obskuren Blues-Tracks?

Ich muss zugeben, dass ich zu den Songs sehr schnell einen engen emotionalen Bezug hatte, was mich ehrlich gesagt ziemlich überrascht hat. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich zögern oder zweifeln würde, alles fühlte sich absolut natürlich und organisch an. Aber ich denke, dass dies viel mit Joe zu tun hatte, mit seinen Ideen und seiner Arbeitsweise. Auf diese Art hatte ich noch nie zuvor gearbeitet. Ich weiß, dass es auch ein Desaster hätte werden können, da ich mich früher im Studio nie wohlgefühlt habe. Meine Welt war immer und ausschließlich die Bühne.

Darüber hinaus konnte ich auf diesem Album ein Menge Interessantes übers Slide-Spiel lernen, weshalb ich mit meiner Performance absolut zufrieden bin. Auch mein Gesang ist exakt so geworden, wie ich es gehofft hatte. Joe hat zusammen mit mir meine Stimme genau analysiert und dabei geholfen, sie richtig einzusetzen. Überhaupt konnte ich von Joe eine Menge lernen, vor allem, wie er im Studio arbeitet.

Und denkst du, dass auch Joe etwas von dir lernen konnte?

Zumindest hat er dies behauptet. Er sagte: „Ich wünschte, ich hätte deine Intensität und deine Spontaneität!“ Das hat mir natürlich enorm geschmeichelt.

Woran machst du deinen Lernprozess fest? Erkennst du signifikante Unterschiede zwischen deinen früheren Aufnahmen und ‚4801 South Indiana Avenue‘?

Ich bin mein Leben lang auf der Suche nach Möglichkeiten, mich immer weiter zu verbessern. Bessere Technik, besseres Rhythmusgefühl, bessere Improvisationsfähigkeiten. Ich denke, mit diesem Album ist mir einiges davon gelungen, weshalb ich ausgesprochen glücklich bin. Früher war ich mit mir nie ganz zufrieden, hatte immer das Gefühl, mein gesamtes Potential nicht abgerufen zu haben. Auf diesem Album ist das anders, hier spüre ich, dass ich meinem Optimum zumindest phasenweise nahegekommen bin. Intensiv und aggressiv war mein Spiel immer schon, diesmal hat sich mein Vokabular auf der Gitarre allerdings noch einmal spürbar vergrößert.

Wird es auch gemeinsame Konzerte geben?

Na ja, das weiß man erst, wenn Corona vorüber ist. Aber natürlich möchte ich unbedingt mit Joe auf die Bühne, und er möchte das offenbar auch. Im April werden wir einen Live-Stream mit meiner Band in Chicago aufnehmen, an dem Joe voraussichtlich beteiligt sein wird. Und natürlich hoffe ich, dass ich und meine Band vielleicht auf einer der nächsten Bonamassa-Tourneen als Gäste aufspringen dürfen. Joe hat mir von seinem Publikum erzählt, und ich bin mir sicher, dass es auch für meine Musik perfekt wäre.

EQUIPMENT

● Gibson Songwriter Acoustic, Baujahr 2019
● Gibson Les Paul Classic 60 Reissue, Baujahr 1990
● Gibson Les Paul Modern, Baujahr 2019
● Delaney LaGrange Joanna Connor Signature Model, Baujahr 2020
● Orange Crush Pro 120, Combo mit 2×12″-Speaker
● Roland Jazz Chorus mit 2×10″-Speaker
● Cry Baby Wah
● Boss Super Chorus
● MXR Analog Delay
● Boss BD-2 Blues Driver
● Way Huge Blue Hippo
● Rocktron Short Timer

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

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