Der verrückte Pro(g)fessor

Devin Townsend: Kreativität ist die Spitze von dem, was wir als spirituelle Wesen zu bieten haben

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(Bild: Inside Out/Christie Goodwin)

Devin Townsend eilt ein gewisser Ruf voraus. Mit seinen schier unzähligen Projekten, ungewöhnlichen Instrumenten und einem Output, der für zehn Bands reichen würde, scheint er ein Sklave seiner eigenen Kreativität zu sein. Dies führte in seiner Vergangenheit durchaus zu düsteren Phasen mit Depressionen und Drogenkonsum. Als wir den Kanadier vor seiner Headliner-Show auf dem Kölner Euroblast-Festival treffen, ist davon jedoch nichts zu spüren. Der Mann sieht fit aus, ist bestens gelaunt und antwortet höflich und selbstironisch auf unsere Fragen, während er unermüdlich Tee aus seiner Thermoskanne nuckelt.

interview

Devin, du bist im Signature-Bereich ziemlich umtriebig. Neben Gitarren hast du dir von Mooer vor einiger Zeit mit der ‚Ocean Machine‘ auch ein Signature-Effektpedal entwickeln lassen. Ein Hersteller aus China ist auf den ersten Blick eine recht ungewöhnliche Wahl – wie kam es zur Kooperation?

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Devin Townsend: Naja – sie haben mich gefragt, ob ich nach China reisen will und ich dachte mir, das klingt verdammt geil! (lacht) Ich wollte da schon immer mal hin. Als ich mit anderen Herstellern über dieses Pedal geredet habe, meinten sie, dass man es aufgrund der hohen Kosten nicht machen könne. Also reiste ich nach China und bekam ein tolles Pedal. Die Leute dort waren unglaublich freundlich und kennen sich hervorragend aus.

Mooer Ocean Machine
(Bild: Mooer)

Also kein Mentalitäts-Schock?

Devin Townsend: Nein, überhaupt nicht. Ich meine, wir haben gestern in Russland gespielt, kurz davor in Tel Aviv. Egal, wo man ist, es sind immer nur ganz normale Leute, die ihre Familien versorgen und eine gute Zeit haben wollen. In China war es nicht anders. Natürlich gibt es einige kulturelle und religiöse Unterschiede. Manchen Humor versteht man nicht auf Anhieb, weil er in etwas Kulturelles verpackt ist. Doch das hat man meist schnell durchschaut und denkt sich: „Ach du magst also auch Sex und Essen und all die anderen Dinge, die Menschen so mögen?“ (lacht)

Würdest du selbst ein Signature-Instrument von anderen Künstlern spielen?

Devin Townsend: Ich würde einfach eine Telecaster benutzen. Aber ich bin nun mal in der Position, in der viele Unternehmen Interesse daran haben, mit mir Dinge zu entwickeln. An manchen dieser Modelle verdiene ich überhaupt kein Geld. Ich habe für mich selbst einfach die professionelle Entscheidung getroffen, dass ich bestimmte Bedürfnisse habe. Meine Signature-Produkte sind in erster Linie für mich selbst praktisch. Ich nutze sie wirklich unglaublich gerne. Ehrlicherweise habe ich keine Ahnung, ob sie für irgendjemanden sonst überhaupt etwas taugen. Bei der Ocean Machine saß ich zu Weihnachten klimpernd bei meinen Eltern und dachte mir, dass es cool wäre, für solche Anlässe kein Axe-FX anschleppen zu müssen. Ich nutze ein Delay, welches in ein Reverb und danach wieder in ein Delay geht. Dafür müsste ich mehrere Pedale zusammenschalten. Mit der ganzen Strom-Verkabelung wird das schnell lästig. Mit der Ocean Machine habe ich jetzt ein Pedal, das das kann. Ich nutze selten mehr als das erste Preset! (lacht)

Devin Townsend
(Bild: Inside Out/Christie Goodwin)

Warum ist es dann so kompliziert?

Devin Townsend: Weil es das sein sollte. Sicherlich gibt es einige Menschen, die gerne exakt so klingen würden wie ich. Ich denke aber, dass die meisten das Ganze gern auch nach ihren Bedürfnissen einrichten würden, mit all den verrückten Sounds. Ich selbst nutze es jedoch nicht dafür, sondern für die eine Funktion, die mir kein anderes Produkt bieten konnte. Das ist ähnlich wie mit den Transcendence-Pickups (Devins Signature-Pickups von Fishman, Anm. d. Red.). Ich habe nach etwas gesucht, das sowohl einen Heavy-Metal-, als auch einen Singlecoil-Sound drauf hat und das konnte nur dieser Pickup. Ähnlich ist es auch mit meiner Framus. Die aktuelle Gitarre ist übrigens nicht das endgültige Resultat, dieses wird erst auf der NAMM veröffentlicht. Ich wollte, dass sie wie eine Les Paul Custom klingt, sich dabei aber wie ein Raumschiff anfühlt.

(Bild: Eugen Lyubavskyy)

Du meinst also nicht die ‚The Blank‘ von Framus.

Devin Townsend: Genau, die ist für mein Projekt ‚Causalties of Cool‘. Framus hätte es ungern gesehen, dass ich eine Telecaster spiele. Natürlich hätte ich das schon noch machen können, aber sie haben mir diese Alternative angeboten. Also sagte ich – OK, machen wir etwas, das zwar nicht nach Telecaster aussieht, ihr in Klang und Konstruktion jedoch nahekommt. Jedoch ist die Version der Blank, die auf dem Markt ist, nicht die Gitarre, die ich spiele. Meine ist größer und der Body ist anders geformt. Framus fand das nicht so toll. Also half ich ihnen einfach, dieses Modell rauszubringen, ohne es zu meiner Signature-Gitarre zu machen. Ich hatte auch Angebote, Signature-Amps zu entwickeln, entschied mich aber für das Axe-FX, auch wenn es mir finanziell nichts bringt.

Als ich mit Peavey gearbeitet habe, stellten sie eine Gitarre für mich her, die ich nicht mochte. Ich sollte sie spielen, aber das wollte ich nicht, also beendeten wir die Zusammenarbeit. Ich habe sehr spezielle und konkrete Vorstellungen und Bedürfnisse. Die gewünschte Gitarre wäre als Serienmodell zu teuer geworden. Aber mir war es egal, denn die Gitarre sollte ja für mich sein. Als Framus mir also die Gitarre baute, war für mich klar, dass ich erstmal mindestens anderthalb Jahre damit touren müsste. Erst dann konnte ich sie richtig bewerten. Sie stellte sich als zu dünn, leicht und rund heraus. Ich kam auch nicht gut mit der Mensur klar. Aber es war schon alles ziemlich nah dran. Und dafür hatten sie Verständnis. Ich mag halt große Gitarren. Das neue Modell wird also optimiert werden. Es wird auch kochen und Windeln wechseln können. (lacht)

Ich habe mal gelesen, dass du dir sehr gerne unterschiedliche Gitarren schnappst, um dich von ihrem Sound inspirieren zu lassen.

Devin Townsend: Ja, ich bin gerne in eine Gitarre verliebt. Aber aktuell bin ich es nicht.

In keine?

Devin Townsend: Nein. Ich meine, ich habe wundervolle Gitarren. Es gibt jedoch immer diese eine spezielle Gitarre pro Album. Diese Telecaster hat ‚Causalties of Cool‘ geschrieben, diese Stratocaster hat ‚Key‘ geschrieben, diese Les Paul hat ‚Alien‘ geschrieben – verstehst du was ich meine? Als ich das Design für die Signature-‚Stormbender‘ abgeschlossen hatte, war ich in … Marknieu (versucht Markneukirchen auszusprechen) … jedenfalls war ich dort bei Framus, habe das Instrument finalisiert, angespielt und es war wundervoll. Also haben sie mir zwei davon gebaut und ich hoffe, dass sie dann das nächste Album „schreiben“ werden.

Devin Townsend
(Bild: Inside Out/Christie Goodwin)

Für welche Band?

Devin Townsend: Keine Ahnung. Was auch immer es dann am Ende wird. Ich weiß das vorher nie. Aktuell bin ich in einer Zwischenphase und weiß nicht, was passieren wird. Aber das ist okay, ich bin nicht unglücklich.

Wie entsteht deine Musik?

Devin Townsend: Da gibt es drei Möglichkeiten. Die erste ist eine Vision. Eine Idee kommt spontan oder nach einem Traum in meinen Kopf und ich weiß Bescheid. Ich spiele das nach und wenn sich das für mich richtig anfühlt, ist es fertig. Der andere Weg ist, eine Gitarre in die Hand zu nehmen und so lange Sachen auszuprobieren, bis sich eine Idee herauskristallisiert.

Der dritte Weg ist die Kooperation mit anderen Menschen. Man sitzt im Raum und wirft sich gegenseitig Ideen zu. Manche Leute fragen mich immer wieder, warum ich Strapping Young Lad nicht wiederbelebe. Aber damals war ich 25 und jetzt bin ich 45. Dinge, die mich heute beschäftigen, sind die eines 45-Jährigen. Damals konnte ich im ‚Strap‘-Modus denken, denn das machte mich aus. Es geht immer um das Gefühl. Deswegen finde ich Menschen interessant, die sehr an ihrer eigenen Musik hängen. Denn ich hänge sehr an dem Gefühl und die Musik ist ein Nebenprodukt davon. Es ist, als würde man durch ein großes Feld aus Scheiße laufen. Und die Scheiße spritzt zu allen Seiten und diese Spritzer werden dann zu Alben. (lacht)

Es klingt für mich wie ein großes Privileg, dass du deine Projekte loslassen und dich auf neue Dinge fokussieren kannst.

Devin Townsend: Ich denke auch. Andererseits bin ich auch ziemlich besessen von Dingen. Ich lasse sie erst los, wenn ich denke, dass es so perfekt wie möglich ist. Was mich motiviert, ist das Wissen, dass ich als Perfektionist nicht perfekt bin. Ich bin also nie wirklich fertig und ich weiß das. Es ist eine Art Zwang. Deswegen mag ich die Idee von der Motte und darum wird das nächste Projekt vermutlich „The Moth“ sein (Devin plant ein aufwendiges Symphonie-Projekt unter diesem Namen, Anm. d. Red.). Man wird zu etwas hingezogen, das das Potenzial hat, dich zu zerstören.

Stimmt es eigentlich, dass du Synästhetiker bist?

Devin Townsend: Ja. Rot ist eine Fünf. Blau ist ein C und eine Zwei.

Devin Townsend
(Bild: Inside Out/Christie Goodwin)

Ist nicht jeder Mensch irgendwie davon betroffen? Bei Rot denkt man an Feuer, bei Blau ans Meer oder den Himmel.

Devin Townsend: Ja, natürlich. Es hat etwas mit Empathie zu tun. Ich habe nie über Synästhesie nachgedacht, bis man mich darauf aufmerksam gemacht hat. Ich trage kein Shirt, auf dem steht – „Hey, ich bin Synästhetiker – du auch?“ Ich verarbeite Emotionen auf eine bestimmte Art und Weise, indem ich Menschen absorbiere. Vielleicht hängt es mit meiner Erziehung zusammen – meine Familie hat eine Veranlagung dazu. Jedenfalls hilft es mir bei zwischenmenschlichen Interaktionen, und das greift auch auf die Musik über.

Wenn ich an Emotionen teilnehme – und das klingt vermutlich arrogant – habe ich oft das Gefühl, dass vor mir noch nie jemand genauso gefühlt hat. Es gewinnt dadurch stark an Signifikanz. Ich steigere mich da rein und denke: „Ah, das ist Liebe und Hass und es hat diese und diese Farbe und eine ganz bestimmte Form und so riecht es und so muss das Cover dazu aussehen, und wenn ich es nochmal höre, werde ich mich davor fürchten und so weiter.“ Wie auch immer die Menschen also diesen Zustand benennen möchten, für mich ist es eine Art Schatzsuche. Mir fällt es auch schwer zu glauben, dass diese Veranlagung nicht in jedem Menschen vorhanden ist.

Was auch immer ich der Welt musikalisch biete, ist eine weiße, männliche, kanadische, Mittelklasse-Version von dem, was ich unter unendlich oder göttlich verstehe. Ich bin aber nichts Besonderes. Das ist vielleicht das Interessanteste daran. Dadurch, dass ich seit 25 Jahren in Interviews irgendeinen Scheiß von mir gebe, bekommen die Dinge eine besondere Bedeutung für die Öffentlichkeit. Leute sagen dann: „Du hast eine besondere Gabe, du verbindest Wut mit Dreiecken” oder was auch immer … Aber es wird nur von mir erwähnt, weil ich danach gefragt werde. Eigentlich mache ich nur mein Ding und habe es geschafft, darauf eine Karriere aufzubauen. Die Analyse der eigenen Kreativität ist etwas, das man einfach übergestülpt bekommt. Als Resultat des Interviewt-Werdens. Man muss sich quasi rechtfertigen.

Vor ungefähr 15 Jahren hatte ich eine Phase, in der ich dachte: „Scheiß drauf, ich erkläre jetzt gar nichts mehr. Ich bleibe ich selbst und jeder hat damit umzugehen.“ Das hat dann überhaupt nicht funktioniert. Denn die ganze Welt reagiert auf die Dinge, die man sagt. Und die Menschen werden von dieser Energie angezogen. Ich hatte die Wut nicht verstanden und sie deswegen einfach reflektiert. Das hat aber nur dazu geführt, dass ich plötzlich von Wut umgeben war. Und das war richtig scheiße. Ich hatte nur die eigene Unsicherheit kaschiert. Man sollte bewusst verletzbar sein.

Devin Townsend
(Bild: Inside Out/Christie Goodwin)

Als Musikjournalist ist man ja in der von Frank Zappa beschriebenen Situation, denn er sagte mal „Über Musik zu reden ist wie über Architektur zu tanzen.“ Aber trotzdem gibt es den Bedarf danach und es muss getan werden.

Devin Townsend: Exakt. Ich denke, dass Kunst an sich eine Art Adoration ist. Ohne das Feedback von Dritten existiert man als Künstler nicht. Andererseits ist Kreativität vielleicht die Spitze von dem, was wir als spirituelle Wesen zu bieten haben. Denn was unterscheidet uns sonst von künstlicher Intelligenz? Roboter werden auf Dauer alles besser machen können als wir. Das Einzige, was uns dann von ihnen unterscheidet, ist unsere Kunst. Ich pendle also zwischen diesen zwei Interpretationen und manchmal ist das wirklich ermüdend.

Mal was Handfesteres – welches Equipment wirst du heute Abend auf der Bühne nutzen?

Devin Townsend: Heute wird es das Axe-FX sein, welches ich neben dem Kemper und der Helix am meisten verwende. Ich nutze so viele unterschiedliche Effekte und Axe-FX fasst sie so kompakt zusammen – es wäre für mich absurd, irgendetwas anderes zu verwenden. So unromantisch das für einen Gitarristen auch sein mag – digitale Technik erlaubt es mir, mich genau auf das zu fokussieren, was ich eigentlich will. Ich habe seit zehn Jahren kein Album mehr mit einem normalen Amp aufgenommen. Und es klingt perfekt für mich. Ich nutze also QSC Stereo Monitore und zwei Axe-FX. Sollte eines davon ausfallen, drücke ich einen Knopf und das zweite springt sofort ein. Ich nutze nur eine Gitarre, die Strat, Tele und Laser kann (lacht). [3365]

Axe FX II
(Bild: Fractal Audio)

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2018)

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