„Natürlich kann am Ende in einem fertigen, komprimierten Mix auf Spotify niemand mehr den Unterschied zwischen verschiedenen Pickups hören.“

Der Pickup-Papa: Larry DiMarzio im Interview

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Eines der beliebtesten Modelle: Den Super Distortion gibt es seit 1972 (Bild: DiMarzio)

Ok, lass uns doch mal einen kleinen Schlenker machen: Wenn du neue Designs entwirfst, denkst du darüber nach, wie lange sie wohl bestehen werden? Ein Tonabnehmer wie beispielsweise der Super Distortion ist ja nun schon eine ganze Weile auf dem Markt.

Als ich den Super Distortion entworfen habe, war ich 22 oder 23 Jahre alt. Ich habe damals in einer Band gespielt und hatte den Sound im Kopf, den wir auf unseren Aufnahmen hatten. Das war der Sound, den ich mochte: Ein dunkler Ton mit sehr viel Sustain und Distortion, wie bei Eric Clapton zu dieser Zeit. Wisst ihr, damals war es viel schwieriger, Details über das Equipment von Gitarristen zu erfahren. Ich war so froh, im Guitar-Player-Magazin zu lesen, welche Saitenstärke Eric Clapton benutzte. Sowas haben die großen Pop-Magazine natürlich nicht gefragt. Damals gab es keine Ernie Ball Super Slinky. Wenn man dünnere Saiten wollte, kaufte man sich einen Satz Saiten und eine einzelne Banjo-A-Saite. Die hat man dann als E-Saite benutzt, alle anderen Saiten einfach für die jeweils tiefere Saite verwendet, und die tiefe E-Saite einfach weggeworfen. Ich habe damals schon versucht, die Dinge aus möglichst vielen Perspektiven zu betrachten. Das galt auch für so etwas wie Tonabnehmer.

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Larry (links, mit den Stiefeln) auf der Bühne mit der Baskerville Band (Bild: DiMarzio)

Wenn wir heute über einen dunklen und sustainreichen Sound reden, ist damit natürlich etwas ganz anderes gemeint, als in den frühen 70er-Jahren.

Ich habe das Glück, zwei Töchter zu haben, die mich immer daran erinnern, wie altmodisch ich bin. Dann wird mir immer klar, dass ich nicht ständig sagen kann: „Oh, die Harmonie-Gesänge waren damals aber viel besser als es Crosby, Stills and Nash noch gab“. Die Gitarre und der Bass sind so vielfältige Instrumente, dass sie sich von ganz allein durch die Kreativität der Musiker immer weiterentwickeln. Meine absoluten Helden damals waren Clapton, Beck, Hendrix und Page. Ich habe nie mit ihnen gearbeitet, aber ich durfte beispielsweise mit Leslie West arbeiten. Leslie brachte einen ganz eigenen, sehr dunklen und fetten Ton mit.

Gitarrist & Gitarrenbauer Jol Dantzig und Larry DiMarzio bei der NAMM in Chicago (Bild: DiMarzio)

Nicht wenige sagen ja, Mississippi Queen sei die erste Heavy-Metal-Single gewesen.

Dem würde ich niemals widersprechen. Als sich Cream auflösten, gab es ein großes Verlangen bei jungen Gitarristen wie mir, wieder einen neuen Gitarren-Helden zu finden. Als Clapton anfing Stratocaster zu spielen, fand ich das furchtbar. Nachdem ‚Layla‘ rauskam, habe ich das natürlich nochmal überdacht und mir eine alte Strat gekauft. Aber Clapton klang einfach anders, als er keine Humbucker mehr benutzt hat.

Müssen Pickups denn heutzutage anders sein? Vor allem mit den tiefen Tunings, den High-Gain-Amps und dicken Saiten?

Klar, ein bisschen Fein-Tuning ist immer gut! Natürlich kann am Ende in einem fertigen, komprimierten Mix auf Spotify niemand mehr den Unterschied zwischen verschiedenen Pickups hören. Wenn du aber in dem Raum mit dem Verstärker stehst und selbst das Solo spielst, macht dich ein bestimmter Tonabnehmer vielleicht glücklich oder eben nicht. Jedes Element an einem Bass oder einer Gitarre hat eine Bedeutung, völlig egal ob gut oder schlecht.

Das originale Verpackungsdesign der Super Distortion (Bild: DiMarzio)

Dein Katalog an Tonabnehmern ist ja ziemlich groß und ihr habt eine Menge Signature-Pickups. Wie groß sind denn die Unterschiede zwischen einem der regulären Pickups und einem Signature-Modell?

Anfangs gab es eine kleine Auswahl, die wir mit Steve Vai, Steve Morse und Al DiMeola entwickelt haben. Sie alle hatten einen bestimmten Sound im Kopf und haben anfangs den Super Distortion gespielt. Zusammen haben wir uns dann gefragt, was wir feintunen müssen, um an einen bestimmten Punkt zu kommen. Wichtig war uns, dass der Pickup, direkt in den Verstärker gespielt, auf Anhieb funktioniert. Also Plug and Play! Mein Job ist es, dafür zu sorgen, dass ein Tonabnehmer so ist, dass John Petrucci auf Anhieb das bekommt, was er will. Natürlich ist jeder Künstler ein bisschen anders in der Zusammenarbeit. Eddie Van Halen zum Beispiel hat bei einem neuen Tonabnehmer einfach den Amp voll aufgedreht und sich nur das Feedback des Pickups angehört. Ich war zunächst völlig verwundert – warum würde man so etwas tun?

Steve Vai war einer der ersten, mit dem Larry einen Signature-Pickup entwickelte. (Bild: DiMarzio)

Er wollte einfach die Obertöne genau hören und so kam es, dass wir auf diese Weise die Tonabnehmer für sein damaliges MusicMan-Signature-Modell entworfen haben. Heute ist es meistens so, dass ich ein paar Informationen bekomme, was sich der jeweilige Künstler wünscht. Aber es ist noch nichts in Stein gemeißelt, wenn wir anfangen zu arbeiten. Meistens nehmen wir uns einen der Standard-Tonabnehmer als Grundlage und entwickeln ihn weiter. Mit Joe Duplantier von Gojira war es zum Beispiel so.

Joe ist ja eher ein ungewöhnlicher Gitarrist, was seine Tonabnehmer angeht. Er bevorzugt ja eher Pickups mit etwas weniger Output.

Na ja, er ist eben aus einer Generation, die mit Verstärkern mit unglaublich viel Verzerrung aufgewachsen ist. Als ich bei ihm in seinem Studio war, hatte er da all diese EVH-Verstärker, und natürlich habe ich mir dann auch so einen für mein Studio hier in Montana gekauft. Ich mochte alle Versionen des 5150- Verstärkers, auch den Soldano SLO, der ja im Grunde die Vorlage dafür war. All diese Verstärker führten dann zum aktuellen EVH 5150, den ich ebenfalls großartig finde. Nur die Speaker in den Boxen mag ich überhaupt nicht.

Der originale Super Distortion & Pickupkappen von Bill Lawrence (Bild: DiMarzio)

Also geht es beim Entwickeln eines neuen Tonabnehmers vor allem um das Hinhören und weniger darum, zu reproduzieren, was beispielsweise Gibson in den 50er-Jahren gemacht hat?

Völlig richtig! Engineering by ear! Als ich den Super Distortion entwickelt habe, habe ich an unzähligen Gibson-Cherry-Sunburst-Les-Pauls Reparaturen durchgeführt – unter anderem auch an der von Rick Derringer. Ich hatte also eine Vorstellung von einem guten Sound. Beim Design des Super Distortions ging es darum, den Sound einer Les Paul durch einen 100-Watt-Marshall in einem kleineren Rahmen, wie beispielsweise einem Club, zu bekommen. Über eine Zeitspanne von 18 Monaten habe ich dann meine eigene Les Paul so oft zerlegt und wieder zusammengebaut, dass ich die Befestigungslöcher der Tonabnehmer komplett erneuern musste, einfach weil sie total durchgenudelt waren. Während der Entwicklung ging es vor allem darum, den Output der Humbucker zu erhöhen und die EQ-Kurve anzupassen. Ich habe damals den Tonabnehmer gebaut, den Gibson hätte bauen sollen. Ich war ein junger, rebellischer Typ und wollte Teil der „neuen Underground-Bewegung“ sein. Unsere Kunden waren Hamer, Jackson oder auch Charvel – also junge Marken, die bewusst nicht wie Gibson sein wollten. Mein Tonabnehmer hatte nichts mit Gibson zu tun – er passte einfach nur in die Fräsung, die Gibson in den Gitarren hatte.

Was uns aufgefallen ist: Ihr habt – bis auf einige Ausnahmen in den 90er-Jahren – eigentlich nie aktive Tonabnehmer produziert, oder?

Wir haben Booster-Schaltkreise gebaut, aber keine richtig aktiven Pickups. Das liegt einfach daran, dass ich mehr dynamischen Headroom wollte, als eine 9V-Batterie liefern kann. Die EMG-Bass-Pickups sind ein gutes Beispiel: Für meine Ohren klingen sie einfach sehr komprimiert; ein Sound, den ich nicht mag. Wir haben immer mal wieder mit Booster-Schaltungen experimentiert, aber da ging es nur darum, etwas mehr Gain aus dem Sound herauszukitzeln. Und das kann man genau so gut mit einem Pedal machen. Außerdem fand ich den Nebengeräuschpegel immer problematisch, der durch die geringe Spannung zustande kommt. Dann gibt es ja noch den Ansatz, den Fishman verfolgt. Grundsätzlich funktioniert das, schwierig wird es meiner Meinung nach nur in bestimmten Live-Situationen. Im A/B-Vergleich zu passiven Tonabnehmern klangen die Fishmans für mich nie so gut. Aber natürlich gibt es für alles einen Markt. Ich könnte mir beispielsweise vorstellen, dass es Sinn ergibt, mit dem Signal der Pickups direkt in den Rechner zu spielen und einfach in der „digitalen Welt“ zu bleiben.

Wisst ihr, letztendlich ist es doch wie mit Bier: Die Zutaten sind fast immer die gleichen, aber jede Brauerei hat so ihre eigenen Tricks und ihren eigenen Geschmack. Ich liebe mexikanisches, japanisches und vor allem deutsches Bier. Ich habe quer durch Deutschland verschiedene Biere probiert und seitdem kann ich kein amerikanisches Bier mehr trinken. Eines meiner absolutes Lieblingsbiere ist Kölsch. Das ist für mich der olympische Maßstab. Das muss man erlebt haben: Du sitzt da in Köln vor dieser gigantischen Kirche und trinkst dieses unglaubliche Bier. Wer das nicht erlebt hat, kann einfach nicht mitreden, wenn es um den olympischen Standard von Bier geht. Außerdem fahre ich ausschließlich deutsche Autos. (lacht)

Was für eine schöne Geschichte! Larry, danke für das Gespräch!

Ich danke euch und bitte, trinkt das nächste Mal ein Bier für mich mit!


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2024)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Ein sehr interessantes und aufschlussreiches Interview mit Larry DiMarzio!
    In meiner alten Fender Classic Floyd Rose Stratocaster (made in U.S.A.) wurde werksseitig ein DiMarzio „The Fred Humbucker“ in der Bridge Position eingebaut,der wirklich sehr gut klingt.

    Die zwei originalen DiMarzio Humbucker in meiner 1982er B.C.Rich Mockingbird (made in Japan!) mit aktiver Elektronik,bedienen hingegen die vollen satten Heavy Metal Riffs,für die B.C.Rich Gitarren bereits damals sehr bekannt waren. Wer jedoch glaubt,daß besonders die besagten alten B.C.Rich E.-Gitarren mit den DiMarzio Humbuckern ausschließlich nur extrem brachial und höllisch laut klangen,der liegt hier (leider) völlig daneben.
    Ich war doch selbst sehr überrascht darüber,daß meine B.C.Rich Mockingbird (Longhorn/durchgehender Hals/obligates „R“-Logo auf dem Headstock) aufgrund der zwei DiMarzio‘s mit bestimmten Einstellungen (und B.C.Rich war stets berühmt für die etlichen Einstellungs-Möglichkeiten seiner Elektronik) ein Klang-Repertoire der Superlative zu erschaffen. Fast identische Klänge einer Geige sind mit den DiMarzio Pickups in meiner Mockingbird durchaus möglich. Mir ist es deshalb unverständlich,daß Larry DiMarzio himself im Interview nicht weiter auf die aktive Elektrik eingeht. Aber es liegt wohl eher daran,daß er ihm aufgrund seiner Kompetenzen im Pickupbereich anscheinend leider nie wirklich bewußt war,wie dynamisch und ausgewogen seine Tonabnehmer in den vornehmlich alten B.C.Rich Gitarren klangen.

    Es scheint auch maßgeblich seine Bescheidenheit zu sein,denn,egal,wie man zu dem Markenlabel B.C.Rich in Verbindung der DiMarzio Humbucker steht,diese Kombination funktioniert bis dato sehr gut!

    Ich bin jedenfalls überaus glücklich,Larry DiMarzio ist für mich der Pickup Pionier,der mit seiner Erfahrung und Innovation weltweit für positive Schlagzeilen sorgt,und somit uns Gitarristen mit absolut top klingenden Tonabnehmern versorgt.

    Herzlichen Dank ❤️ dafür!

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  2. Scheint ja ein richtig netter Typ zu sein. Am besten gefällt mir (als Kölner) natürlich, was er über das Kölsch gesagt hat. Dem kann ich nur vollinhaltlich zustimmen! 🤩

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