Im Interview

Blackout Problems: 808s & Klimakrise

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(Bild: Moritz Schinn)

Seitdem sich die Münchner in den letzten Jahren mit hunderten Konzerten einen Ruf als unbändige Club-Macht erspielt haben, sind sie aus der deutschen Alternative-Szene nicht mehr wegzudenken. Mit ‚Dark‘ hat das Quartett nun endgültig seine emotionalen Gitarren-Hymnen mit Trap-Einflüssen und elektronischen Pop-Experimenten verbunden.

Die beiden Gitarristen Moritz Hammrich und Mario Radetzky, auch Frontsänger der Band, erzählen von ihrer Entwicklung von der Punkband zu Sound-Vorreitern, exklusiven Kemper-Profilen für unser Magazin und einem Schaffensprozess, in dem Drum-Computer und rotzige Gitarrenwände keine Widersprüche bilden.

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Euer Rocksound wurde mit jedem Album experimenteller und elektronischer. Wie hat sich durch neue technische Mittel euer Songwriting auf ‚Dark‘ entwickelt?

Mario: Da hat sich bei uns viel geändert. Vorher haben wir die Songs ganz klassisch im Proberaum auf der Gitarre geschrieben. Wir waren eine Band, die viel gejammt hat, und so sind dann auch die Songs entstanden. Irgendwann ist aber der Tank leer und du kommst wieder mit denselben drei Chords. Eine gute Entwicklung waren aber neue Dinge, wie die MPC, mit der wir auch Beats machen konnten. ‚House On Fire‘ ist da ein gutes Beispiel, der ist komplett so entstanden.

Gleichzeitig kam dieses Herumexperimentieren am Computer mit Ableton Live dazu. Vor allem aber auch das Reflektieren: Wir spielen in dem einen Raum live und recorden das kurz, gehen dann in den anderen Raum und nehmen den Song total auseinander. Beispielsweise der Song ‚Dark‘. Die Chords haben auf dem Klavier angefangen, im Proberaum haben wir dann zusammen dazu gespielt. Danach sind wir zum Computer gegangen und haben da das Outro gemacht. Wenn du den Song hörst, checkst du das auch sofort.

Klingt nach einem sehr zeitgenössischen Ansatz, Rockmusik zu schreiben.

Mario: Viele probieren ja, einen Rocksong zu schreiben, und dann einen Synthesizer oben drauf zu legen. Und gerade im Produktionsprozess funktioniert das nie so richtig gut und klingt oft affektiert. Denn eigentlich ist der Song gar nicht dafür gemacht! Sondern, dass du ihn mit Schlagzeug, Bass und Gitarre spielst, weil er dafür auch geschrieben wurde. Wenn du diesen Songwriting-Prozess aber erstmal durchbrichst und sagst: „Ich schreibe nur auf dem Keyboard, oder nur auf dem Drumcomputer“, dann kommt dieser anfängliche Funke viel früher. Das Zeitgenössische entwickelt sich so von innen heraus und wird nicht auf etwas übergestülpt.

Mario mit Squier Telecaster (Bild: Paul Ambrusch)

Für ‚Dark‘ habt ihr erneut an einer Fan-Box gearbeitet. Was macht die für eure Fans so interessant?

Mario: Einerseits haben wir uns echt ein Riesen-Konzept in dieser Dark-Welt ausgedacht, eine sechsteilige Doku produziert und für jede Episode auch einen Song geschrieben, die dann alle auf Vinyl in der Box enthalten sind: ‚Dark Moods‘ nennt sich das. Allerdings ist das musikalisch was völlig anderes, als das, was auf dem Album drauf ist.

Moritz: Aber wir haben für die Box auch ein Buch gestaltet, was wir schon immer mal machen wollten: Da sind Tabs drin, Noten und Lyrics. Ich habe nach unserer Studiozeit zuhause immer gemeinsam mit Mario die Gitarrenparts in Tabs runtergeschrieben. Und das haben Michi und Marcus für Drums und Bass auch gemacht. In dieser Box steckt wirklich viel Liebe und Arbeit drin.

Mario: Im Endeffekt war der Zweck dieses Buches, dass eine Band, die Bock hat unser Album nachzuspielen, das mit dem Buch auch komplett machen kann.

Mit diesem Interview veröffentlicht ihr auch eigene Kemper-Profile mit den Sounds aus ‚Dark‘. [Die Profile gibt es hier zum DOWNLOAD]

Moritz: Eigentlich waren wir mit unserem Equipment immer sehr zufrieden: Ich mit meinem Vox AC15, Mario mit seinem ENGL. Wir haben aber auch gesehen, wie viele Vorteile ein Kemper live hat. Du hast weniger Zeug, kannst aber wirklich sehr viel rausholen. Und wir sind eine Band, die mit vielen Sounds und Effektpedalen spielt. Im Studio haben wir von allen Sounds, die wir kreiert haben, Profile erstellt. Wir proben auch gerade mit Kemper, denn eigentlich wollten wir das dieses Jahr auf den Festivals ausprobieren. Die Profile sind also sowohl für unsere Hörer, als auch für uns selbst.

Stereo-Amp-Setup mit Vox AC15 und Roland Jazz Chorus (Bild: Paul Ambrusch)

Im Studio habt ihr aber analog mit Amps und Pedalen gearbeitet?

Mario: Ja, ich will es auch weiterhin so machen. Ich bin eigentlich überhaupt kein Kemper-Verfechter, sondern ein Fan von Gitarre umschnallen, aufdrehen, rotzen. Es muss einfach dirty sein. Wenn du schonmal eine Liveshow gesehen hast, weißt du auch, dass bei uns gerne mal was rumfliegt. Da hatten wir schon oft das Problem, dass Crowdsurfer auf der Bühne gelandet und Sachen kaputt gegangen sind. Es gibt also bestimmt sinnvollere Möglichkeiten als ein großes Effektboard. Aber ich bin halt der Typ Gitarrist, der das Chaos auch mag. Und ich will es auch verstehen: Wo kann ich drehen, um was zu erreichen?

Auf eurem Vorgängeralbum ‚Kaos‘ habt ihr komplett ohne Synthesizer, dafür mit sehr verfremdeten Gitarrensounds gearbeitet. Auf ‚Dark‘ bedient ihr euch nun einer sehr breiten Klangpalette.

Mario: Es ist ein bisschen was von allem dabei, aber dieses Mal gibt‘s tatsächlich auch Synthies auf dem Album. Wir haben jetzt mit einem Produzenten zusammengearbeitet, der sonst Techno produziert, das war eine interessante Mischung. Live ist ja immer die Frage: Wie setzt man das um? Will man sich ein Ableton-System auf die Bühne stellen, und alles auf Click machen?

Gerade ist die Stimmung bei uns so, dass wir uns nicht von einem Computer einengen lassen wollen, der uns sagt, wann wir den Refrain zu spielen haben, sondern wir wollen Loop-basiert spielen. Sprich: Wir wollen auch mal einen Song länger oder kürzer spielen können. Wir wollen die Freiheit haben, dass wir, wenn wir auf die Bühne gehen, nicht hundertprozentig wissen, was passiert. Sonst ist die Spannung weg, das wäre langweilig und schade. So können wir auch auf Situationen eingehen, weil man nicht einfach nur eine Show runterballert, und es bleibt auch für die Zuschauer interessant.

Wie spielt ihr denn die elektronischeren Songs des Albums live?

Mario: Die Songs klingen dann einfach anders. Im Studio macht es Spaß, alle Möglichkeiten zu nutzen und Songs mit 180 Spuren zu schreiben. Aber wenn man merkt, dass man das live nicht umsetzen kann, weil man nur 32 Kanäle hat, muss man versuchen das Beste rauszuholen. Das ist total interessant. Manche wichtigen Momente oder Hooks kann man ja durch Loops von einem Roland SPD-SX oder einer MPC starten, auf die sich unser Drummer Michi dann drauflegt. Gleichzeitig war ich auch immer ein Fan von Bands, die es geschafft haben, ihre Songs live anders als auf Platte zu spielen. Das macht es ja auch erstrebenswert, ein Konzert zu besuchen: Dass man weiß, da wird etwas passieren, das ich mir nicht für 99 Cent bei iTunes kaufen kann. Da muss ich hingehen.

Moritz: Genau: Songs zu produzieren und aufzunehmen ist die eine Sache – aber zu sehen, wie wir das live machen, hat dann viele Leute erst so richtig von uns überzeugt. Es ist schade, dass das gerade nicht passieren kann.

Moritz mit Fender American Vintage Stratocaster (Bild: Paul Ambrusch)

Euch haben schon immer soziale und globale Probleme und Missstände beschäftigt. Was hat nun ganz konkret zu Songs zur Klimakrise, wie ‚Lady Earth‘, geführt?

Mario: Mich beschäftigt das schon eine Weile, zum ersten Mal, als wir in der Schulzeit Al Gores Film ‚An Inconvenient Truth‘ geguckt haben. Ich habe damals als Kind einfach nicht gecheckt, dass wir auch die Möglichkeit hätten, auf die Straße zu gehen und etwas zu ändern. Als wir dann Fridays For Future gesehen und auch an den Demos teilgenommen haben, ist mir klar geworden: Scheiße, ich hätte viel früher meinen Teil dazu beitragen müssen. Und jetzt haben wir mit der Musik die Möglichkeit, auch ein paar Menschen zu erreichen. Und ganz banal gesagt: Was mich beschäftigt, landet auch in den Songs. Da ist dann eben die Klimakrise zu finden, aber auch der wachsende Rechtsruck im Song ‚Germany, Germany‘ – oder ganz persönliche Themen, wie auf ‚Darling‘.

Gleich die ersten vier Songs auf ‚Dark‘ sind geprägt von durchgehenden, treibenden Beats. Ein neuer Mut zur Eingängigkeit?

Mario: Ich bin ein großer Fan von elektronischer Musik. Ein Elektro-Set von DJs wie Kiasmos baut eine Stimmung auf, es wird step by step immer mehr und mehr, während der Grund-Beat immer derselbe bleibt. Das fanden wir interessant, deshalb gibt es bei uns Songs mit langen, treibenden Beats. Wenn man in einem Song zu oft die Bewegung ändert – und das haben wir ja auch schon gemacht – dann nimmt man sich manchmal die Chance, eine Stimmung aufzubauen. Es kann viel effektiver sein, wenn sich die kleinen Dinge ändern: Ein Basslauf, eine Note, eine HiHat-Figur. Sowas entsteht dann, wenn man die Demospuren vor sich hat und mit im Baukasten-System arbeitet.

Welche Künstler haben euch denn für das Album inspiriert?

Mario: Vieles aus dieser Monkeytown- oder Ki-Records-Ecke finde ich spannend. Also Moderat, Modeselektor oder Apparat, diese ganze Kiste um Christian Löffler oder Janus Rasmussen, weil es etwas komplett anderes war als das, was wir gemacht haben. Einen Vibe aus einem anderen Genre zu nehmen, macht Musik oft erst interessant. Im HipHop ist es auch spannend, wenn da auf einmal Jazz-Elemente reinkommen. Man muss über den Tellerrand hinausblicken.

Es ist lustig, was dann daraus geworden ist: Redakteure sagen oft, es erinnere sie an Bring Me The Horizon, Muse oder The 1975. Das alles ist aber nicht auf meinem Plattenteller. Vielleicht haben die ähnliche Einflüsse wie wir. The Doors gehört zu meinen Lieblingsbands, da würdest du wahrscheinlich nicht sofort drauf kommen, wenn du unser Album hörst. Gerade das macht unsere Musik vielleicht dann aber zu dem, was es ist.


equipment

Gibson Les Paul Standard, Fender Telecaster Deluxe. Squier Telecaster, Fender Telecaster (v.l.n.r.)
Fender Ed O’Brien Strat
Marios Pedalboard mit T-Rex Fuel Tank, Boss GEB-7, EHX B9 Organ, Ibanez TS9, Boss TU-3, Boss BF-3, Killswitch, JHS Deluxe Dual Speed Tremolo, Eventide Space Reverb und Boss DD-20

 

Pedals:
● Boss BF 3 Flanger
● Boss DD 20 Giga Delay
● Strymon Big Sky Reverb
● Eventide Space Reverb
● JHS Deluxe Dual Speed Tremolo
● OCD Full Tone V2
● Ibanez TS9
● Moog MF-Drive
● Darkglass Duality Fuzz
● MXR Booster
● Friedmann Dirty Shirley
● Electro Harmonix Synth9
● Electro Harmonix B9 Organ
● Boss SL-20 Slicer

Gitarren Mario:
● Fender Telecaster Deluxe mit Humbucker
● Fender Telecaster Deluxe mit P90
● Fender Strat Ed O’Brien mit Sustainer-Pickup
● Squier Telecaster modifiziert mit einem Gibson-Humbucker-Nachbau und P90

Gitarren Moritz:
● Epiphone Tom Delonge
● Fender Stratocaster USA Vintage
● Les Paul Gibson Standard
● Fender Telecaster

Amps & Cabinets:
● Engl Thunder 50
● Mesa Roadster 2×12
● Vox AC15HW
● Roland Jazz Chorus Stereo
● Marshall Plexi
● Fender Bassman
● Orange 4×12

Die Kemper-Profile gibt es hier zum Download: www.gitarrebass/blackoutproblems

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