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Test: Victory Amplification V130 / The Super Countess

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In den Anfängen der Pop- und Rockmusik war England für lange Zeit nicht nur musikalisch richtungsweisend, sondern auch auf dem Sektor der Verstärkerelektronik. Die Gewichtung hat sich verschoben, aber die Insel entwickelt in der Hinsicht nach wie vor viel Energie. Eine der Marke der jungen Garde ist Victory Amplification. Ein engagierter,  aufstrebender Hersteller, dem Status des Geheimtipps inzwischen entwachsen, der nicht nur im United Kingdom immer mehr Anerkennung erfährt.

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Daheim im Reich der Queen ist Victory Amplification offenbar schon eine große Nummer. Was sich im vielfältigen Produktsortiment widerspiegelt. Dreizehn Verstärkertopteile, fünf Combos, zwölf Cabinets – um das zu stemmen, muss man schon einen recht großen Laden am Laufen halten. Und Victory Amplification hält mutig die analoge Fahne hoch, es geht ausschließlich um Röhrentechnik. Nach eigenen Angaben fertigt das Unternehmen alles in England unter Einsatz von viel Handarbeit. Dementsprechend gestalten sich die Preise.

Bei den Amps bildet der BD-1, ein 3-Knöpfe-Lunchbox-Amp, die Unterkante. Er kostet knapp unter € 800. Das obere Ende bildet der Silverback, ein aufwendiger Zweikanaler, dem unser Testkandidat recht nahe kommt. Die Cabinets liegen im Preis zwischen ca. € 430 für die 1×12-Box V112C (Celestion G12-65) bis ca. € 950 für das 4×12″-Cab mit der Typenbezeichnung 412S. Weit im Handel verbreitet sind die Produkte von Victory Amplification leider (noch?) nicht.

Es gibt sie momentan nur bei einigen ausgesuchten großen Einzelhändlern, als da sind: DDD Music in Freiburg, Just Music Flagship Store in Berlin, Musik Produktiv in Ibbenbüren, Music Store/Köln, Session Music in Frankfurt/Main, und Thomann in Burgebrach.

Victory V130
Gedrängter, aber solider, hochwertiger Aufbau (Bild: Dieter Stork)

komplex

Ein Zweikanalverstärker mit vier Soundmodes – so ist der ist der im Untertitel „The Super Countess“ genannte V130 offiziell definiert (ob die Benennung im Jahre der Verlobung des Prinzen Harry von prophetischer Bedeutung war ist nicht überliefert). Indes sehen wir lediglich eine einzige konventionelle 3-Band Klangregelsektion?! Das kann ja heiter werden. Wird es hoffentlich. Jedenfalls ist es ein anspruchsvoller Ansatz, mit einer derart sparsamen Konzeption vier Sounds anzubieten.

Wie ist das gelöst? Zunächst gibt es insofern äußerlich erkennbar zwei Kanäle, als für die entsprechenden Sektionen Clean und Overdrive separate Gain- (Vorverstärkung, Verzerrungsgrad) und Master-Regler (Lautstärke) zur Verfügung stehen. Zusätzlich kann in jedem Kanal – mithilfe der Schalter neben dem Input – zwischen zwei Sound-Farben gewählt werden: Clean/Crunch, Voice 1/Voice 2.

Die Beschriftung des Toggleswitch rechts neben der Kontrollleuchte an der Frontplatte verrät, dass The Super Countess über eine Leistungsumschaltung verfügt. Maximal 110 oder nur 30 Watt liefern die beiden Betriebsarten laut Datenblatt.

An der Rückseite erlauben zwei Stereo-Klinkenbuchsen die Fernbedienung der Kanalumschaltung und des Sound-Wechsels in den Kanälen. Netterweise liefert Victory zwei passende Fußschaltpedale gleich mit (Achtung: Status-LED des OD/Voice-Fußschalters lichtschwach). Die fünf Lautsprecheranschlüsse lassen freie Wahl beim Anschluss unterschiedlicher Cabinets.

Außerdem findet sich an der Rückseite die Besonderheit, dass der Bias-Ruhestrom mittels dreier Messpunkte und eines versenkt angebrachten Potis von außen justiert werden kann. Streng genommen kann man den Arbeitspunkt zwar nur dann präzise bewerten, wenn man zusätzlich die Anodenspannung der Röhren misst/kennt, aber sinnvoll und praktisch ist so eine Bias-Sektion natürlich trotzdem.

Eine Besonderheit finden wir auch im FX Loop. Während eigentlich ja der 0dB-Pegel als Bezugspunkt für solche Insert-Signalwege als Norm gilt, sieht man schon seit längerer Zeit und inzwischen immer häufiger, dass die Hersteller eher auf -10dB heruntergehen. Ganz einfach, um dem Gebrauch von Pedalgeräten gerecht zu werden. Victory Amplification ging noch einen Schritt weiter und senkte hier beim V130 den Bezugspegel auf den Instrument-Level (ca. -20dB), was im Grunde technisch keine große Herausforderung darstellt. Im Zweifelsfalle muss man bei der Konzeption eben nur so viel Aufholverstärkung am Return einplanen, wie man am Send absenkt. Oder im Signalweg einen geschickten Punkt mit niedriger Signalstärke finden.

Substanz und Aufbau des V130 bergen keine Überraschungen, sie folgen den üblichen Standards der gehobenen Preisklasse. Schon die Specs des technischen Konzeptes verraten, dass die Elektronik einigermaßen aufwendig ausfallen muss, und sich demzufolge eine freie Verdrahtung verbietet. Rationelle, kostensparende Bauweise zählt, das Gros der Bauteile – inklusive der Potis und Röhrenfassungen – ist auf der großflächigen Platine kontaktiert, darunter sechs Relais, drei Feinsicherungen. Schalter, Klinkenbuchsen und einiges andere sind frei verdrahtet. Die Verarbeitung verrät Sorgfalt. Nettes Detail: die großen Toggle-/Knebelschalter sind mit unterlegten Zahnscheiben verlässlich und garantiert verdrehsicher montiert.

Last, but not least ein Wort zu den Röhren: Das Klischee sagt, dass bei britischen Amps ab 50 Watt aufwärts EL34 in einer Class-A/B-Gegentaktendstufe zu erwarten sind. Nö, ist hier anders. Letzteres ja, aber der V130 kommt ab Werk mit 6L6GC (von JJ-Electronics). Schade? Jemand anwesend, der partout EL34 will? Kein Problem, geht auch, denn hinter der Rückwand verbirgt sich ein Minischalter mit dem die internen Spannungen entsprechend gewählt werden können. Und dank der Bias-Sektion ist es ja auch ein Klacks, eine korrekte Einmessung vorzunehmen.

Victory V130
(Bild: Dieter Stork)

clean bis fettig

Gleich die ersten Töne im Clean-Kanal offenbaren, dass wir es mit einem Charakterkopf zu tun haben. Markantes Grundtimbre, der V130 entwickelt in den oberen Mitten einen intensiven Peak. Und er lässt zudem den Höhen freien Lauf. Das hat wenig bis nichts mit der allseits beliebten Ausrichtung auf voluminös schmeichelnden Fender-Clean-Ton zu tun. Der V130 wirkt insofern offensiv bis aggressiv. Eine Absage an Schöngeister.

Der Amp will da mitmischen, wo harte Töne angeschlagen werden. Das soll aber nicht heißen, dass er unangenehm giftig klingt, klirrig oder gar blechern. Die Attitüde hat Kultur, unterstützt von ausgeprägter Transparenz. Wirklich richtig Clean ist dabei gar nicht sein favorisiertes Thema, sondern der Grenzbereich zur Sättigung. Sehr feinfühlig geht er in den „haarigen“ Bereich, macht Einzelnoten mit der speziellen Mittenfarbe lebendig und durchsetzungsstark. Für Blues zum Beispiel bestens geeignet.

Was erst recht zutrifft, wenn man in den Crunch-Modus wechselt. Die Wiedergabe wird fetter, bleibt aber durchsichtig, in den oberen Frequenzen passt sich das Klangbild so an, dass Schärfe und Biss homogen ins Bild passen. Sensibel für den Anschlag, ergibt sich eine ausdrucksstarke Dynamik. Fühlt sich für den Spieler angenehm an, weil er die Zerrintensität sozusagen in den Fingern hat.

Schon im Overdrive-Kanal/Voice 1 liegen das Gain-Niveau und die Gain-Reserven ungleich höher. Die Textur der Verzerrungen ist dicht und wiederum ausgesprochen lebendig. So satt und kräftig die Tonformung ist, steckt dahinter kein „gewalttätiger“ Druck. In den unteren Frequenzen entwickelt sich nur verhalten Energie. Die oben beschriebene Mittenüberhöhung prägt den Ton, ohne aufdringlich oder unangenehm zu werden. Im Gegenteil, das ist markant und im Sinne starken musikalischen Ausdrucks förderlich.

Die Klangformung ist sensibel und spürt quasi mit der Lupe jedes kleinste Detail auf. Hhmm, kennen wir dieses ganze Benehmen nicht von einem Prominenten? Allerdings, der DV130 gleicht in seiner Attitüde dem ebenfalls intensiv höhenreichen AFD100, den Marshall für Slash gebaut hat. Der Vorteil solchen Klangverhaltens ist, dass das Obertonspektrum intensiv ausgeleuchtet wird und damit die Strahlkraft und das Durchsetzungsvermögen der Gitarre eine eigene Note gewinnen. Bestimmt nicht jedermanns Sache, denn damit geht einher, dass der Amp Spielgeräusche, eben auch die unerwünschten, in den Vordergrund rückt. Aber diese Sound-Prägung hat einen speziellen Charme.

Und auch spieltechnisch bilden sich dadurch Eigenheiten aus. Wie zum Beispiel, dass sich Obertonflageolettes besonders leicht provozieren lassen und bei heißerem Gain, ab ca. zwei Drittel bis Vollaussteuerung, Sololinien in ihrer Vokalität „iiieeehhhh…“ und „üüühhhh…“ singen und dabei kräftig im Sustain unterstützt werden. Abgesehen von Slash, erinnern die Klangfarben auch immer wieder an Poppa Chubby, der seinen Blues ja auch gerne mit betont höhenreichem Sound spielt.

Wir schalten im Overdrive-Kanal um auf Voice 2. Womit der DV130 auf der Stelle den Gain-Turbo zündet. Er legt nochmal in der Verzerrungintensität nach, zischelt noch mehr in den Höhen, und ertastet nun schier hypersensibel die Tonformung des Spielers. Großer Unterschied zu Voice 1: der Ton gewinnt hier erheblich an Druck und Fülle in den unteren Mitten und Bässen. Jetzt kann man gedämpfte Linien auf den Saiten E6 und A5 tatsächlich mit satten Schub spielen.

Voice 1 tönt dafür zu schlank. Trotz der intensiven Übersteuerungen werden die einzelnen Töne eines Akkordes noch immer (überraschend) sauber dargestellt, und der Klangeindruck ist obendrein harmonisch. Der Charakter ist wohl am besten umschrieben wenn man von einer Retro-Tonalität mit an die moderne angepasste Gain-Intensität und -Sensibilität spricht. Retro unter anderem deswegen, weil Voice 2 sicher in allen Arten der Rock- und Hardrock-Musik brillieren kann, die Bedürfnisse von Metal-Gitarristen werden dagegen kaum bedient. Es kann ordentlich laut zugehen, wenn es drauf ankommt, es fehlt aber die Energie heruntergestimmte Saiten machtvoll zu verstärken. Auch im übrigen Frequenzspektrum dürfte Voice 2 den meisten Metallern zu „brav“ sein.

Victory V130
(Bild: Dieter Stork)

Apropos laut. Die Leistungsangaben treffen nur bedingt zu. Die Messungen ergaben, dass die maximale Leistung den Nennwert von 110 Watt nicht ganz erreicht. Und schon weit vorher verlässt die Endstufe den linearen Bereich der Verstärkung, sprich sie beginnt schon ein gutes Stück vorher zu verzerren. Ähnliches gilt für den Low-Modus, der ab ca. 20 Watt die Signale verfärbt und bei 30 Watt sehr deutlich im Clipping arbeitet.

Stellt sich in Bezug auf Klang-Formung noch die Frage, wie gut die vier Sound-Modes damit harmonieren, dass nur eine Klangregelung vorhanden ist. Die Antwort ist angesichts der komplexen Anforderungen erstaunlich. Victory Amplification hat es tatsächlich geschafft, eine absolut homogene Balance herzustellen. Allerdings orientiert sich alles am Overdrive-Kanal/Voice 2. Dünnt man dort den Ton aus, nimmt die Bässe zurück, sodass der eben beschriebene Punch reduziert wird, verschlanken sich die ohnehin ja nicht eben fetten anderen drei Sound-Modes ebenfalls. Man sollte also vor dem Kauf unbedingt prüfen, inwieweit der DV 130 in dieser Hinsicht den persönlichen Ansprüchen genügt.

Bleibt noch zu klären, ob sich die Konzeption des FX Weges bewährt. Das muss ich nachdrücklich bejahen. Pedalgeräte, und nicht nur die, finden hier quasi beste Voraussetzungen vor (mit Blick auf die Verwendung von 19″-/Studio-/Rack-Prozessoren, wäre eine Pegelumschaltung dennoch wünschenswert). In dieses positive Bild passt auch, dass die Schaltfunktionen trotz Relaistechnik dezent, unauffällig, ohne vordergründige Schaltklicks vonstattengehen.

alternativen

Ich empfehle im Zweifelsfalle folgende Produkte in Erwägung zu ziehen: von Engl die Modelle Retro Tube und Artist Edition, außerdem Blackstars Series One 104. Wenn es etwas mehr kosten darf und/oder 50 Watt reichen, kämen Engls Marty Friedman Head und von Friedman Amplification der Runt 50 in Frage. Aber: Ganz und gar deckungsgleich sind diese alternativen Empfehlungen nicht, weil die Sound-Charaktere doch variieren und es Unterschiede in der Ausstattung gibt – der V130 ist halt schon ein Sonderling, was ganz und gar positiv gemeint ist.

resümee

The Super Countess schlägt einigermaßen hartgesottene Töne an und singt gleichzeitig harmonisch und elegant, mit Strahlkraft im Obertonspektrum und hochcharmanter austrainierter Stimme. In der Tat, das tonale Potential des V130 liegt auf höchstem Niveau und das komprimierte Konzept kann in der Praxis funktional einwandfrei bestehen. Ein sehr gewichtiges Pro-Argument für diesen Vollröhren-Amp ist vor allem anderen seine Charakterstärke im Sound. Rar. Sehr empfehlenswert. Und nicht zuletzt wegen seiner soliden Verarbeitung und hochwertigen Substanz sicherlich seinen Preis wert.

Victory V130

Victory V130


Hinweise zu den Soundfiles

Für die Aufnahmen kamen zwei Kondensatormikrofone mit Großflächen-membran zum Einsatz, ein AM11 von Groove-Tubes/Alesis und ein C414 von AKG, beide nahe platziert vor einer konventionellen 4×12-Box bestückt mit Celestion Vintage 30.

Die Clips wurden pur, ohne Kompressor und EQ-Bearbeitung über das Audio-Interface Pro-24DSP von Focusrite in Logic Pro eingespielt und abgemischt. Das Plug-In „Platinum-Reverb“ steuert die Raumsimulationen bei.

Die Instrumente sind eine Fender-CS-Relic-Strat-1956 (m. JB-Humbucker v. Seymour Duncan am Steg), eine 1957-Signature-Les-Paul „Lee Roy Parnell“ aus dem Gibson-Custom-Shop, sowie (clean) eine Steinberger GL4T.

Bedeutung der Buchstabenkürzel:

  • CL: Clean.
  • CR: Crunchsound, etwas mehr Gain als bei Overdrive.
  • FB: Feedback-Sustain.
  • OD: Overdrive, geringe Anzerrungen.
  • LP: Les Paul / Humbucker.

Der Clean-Channel ist ziemlich variabel, wie man hört. Und sensibel im Ton: Im Clip 3 wechseln die Klangfarben bzw. die Höhenanteile nur aus der Reaktion auf den Anschlag heraus.

Der Overdrive-Kanal kann „crunchen“ aber auch sehr viel Gain servieren. Dabei nimmt man die Übersteuerungen nicht vordergründig als intensiver werdende Verzerrungen wahr, sondern das obertonreiche Singen der Noten verstärkt sich zunehmend. Klangregelung erfreulich variabel, wir hören Clips mit viel Höhen oder gedeckterem Klangcharakter.

Im Clip 9 spiele ich über den Clean-Channel zweimal eine wiederkehrende Passage während ich in den Pausen die Pickup-Schaltpositionen der Reihe nach anwähle. Beginnend beim (heißen) Steg-TA. Der V130 zeigt den jeweiligen Charakter sehr deutlich.

Clip 10 präsentiert mein Referenz-Riff“ (RefRiff), das ich mit jedem Test-Amp/-Distortion-Pedal einspiele, damit man den Charakter (die Verzerrungen selbst sind hier gemeint, nicht die Frequenzkurve) der von uns getesteten Produkte quasi auf einer neutralen Ebene vergleichen kann. Erst ist der Clean-Channel zu hören, dann der Overdrive-Channel.

Ich wünsche viel Vergnügen, und…,  wenn möglich, bitte laut anhören, über Boxen, nicht Kopfhörer! ;-).

Fragen, Anregungen  und  ja, auch Kritik sind wie stets willkommen. Nachrichten bitte an frag.ebo@gitarrebass.de.  Es klappt nicht immer,  aber ich werde mich bemühen möglichst kurzfristig zu antworten.

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(erschienen in Gitarre & Bass 03/2018)

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