Mesa/Boogie Royal Atlantic RA-100 im Test

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Combo-Gitarrenverstärker von Mesa/Boogie, schwarz/grau
(Bild: Dieter Stork)

 

Erst tat mir der Speditionsfahrer leid, dann ich mir selbst. Warum? Nun ja, dieser angebliche Koffer von einem Verstärker ist tatsächlich eher eine Verstärkertruhe. Nettogewicht des Stückguts über 40 Kilogramm, da zieht es einem echt den Arm lang. Wollen hoffen, dass sich das Schleppen lohnt und Mesa neuester Geniestreich uns mit gar engelsgleichem Singsang erfreut.

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Ein marktführendes Unternehmen ist dazu Verdammt, seine Vorrangstellung immer wieder zu untermauern. So vergeht kein Jahr, ohne dass Mesa der Gitarrenwelt eine innovative Neuheit präsentiert. Hier wieder, ein offensichtlich komplett neuer Amp, man sieht dem Royal Atlantic seine speziellen Fähigkeiten aber nicht an der Nasenspitze an. Nein, an der Rückseite lauert das Vergnügen, in Form dreier unscheinbarer Drehschalter. Power-Soak heißt das Zauberwort: Der RA-100 kann für jede Sound-Betriebsart automatisch ein vom Benutzter vorgewähltes Preset aktivieren, das im gewünschten Rahmen die Endstufenleistung partiell zu Wärme verbrät und damit reduziert. Multi-Soak, holla, das ist Stoff von dem man bisher kaum zu träumen wagte.

 

Konstruktion des Mesa/Boogie Royal Atlantic RA-100

Mit dem TransAtlantic-Modell TA-15 hat Mesa eine neue Richtung eingeschlagen. Traditionelle britische Tugenden standen im Focus der R&D-Abteilung. Das Projekt findet 2011 seine Fortsetzung. Zum einen mit dem kraftvolleren TA-30, zum anderen eben mit diesem unserem Testkandidaten. Den Firmeninfos nach treffen sich hier zwei Welten. Den Clean-Kanal soll eine traditionellamerikanische Sound-Ausrichtung prägen, während im Lead-Kanal zwei wechselweise abrufbare Gain-Ebenen (LO/HI) britische Klangfarben erzeugen. Abgerundet wird das Konzept mit einem röhrengetriebenen Federhalleffekt. Zwischen Preamp- und Power-Sektion liegt außerdem ein serieller Einschleifweg, der automatisch im Hard-Bypass-Modus ist, wenn seine Anschlüsse nicht belegt sind. Dem Konzept entsprechend ist die 100 Watt starke Endstufe mit vier EL34 bestückt, die im Class-AB-Betrieb arbeiten. Ein Schalter an der Rückseite des Amp-Chassis erlaubt es, alternativ 6L6-Röhren zu benutzen. Wobei einem Mesas Fixed-Bias-Philosophie das Leben leicht macht: So lange man passende Röhren aus dem Mesa-Katalog verwendet – die übrigens nicht besonders teuer gehandelt werden – ist ein Einmessen bzw. Service beim Techniker nicht (zwingend) notwendig.

Zur weiteren Ausstattung des Royal Atlantic gehört ein regelbarer Slave-Out, der das Speaker-Signal in abgeschwächter Form anbietet. Damit kann man Endstufen füttern, oder ein Effektesystem bzw. jedes andere Gerät, das auf Line-Level arbeitet. Damit der Lastwiderstand der Multi-Soak-Einheit nicht überhitzt, fächelt ihm ein dezent laufender Lüfter konstant Frischluft zu, schaltbar in zwei Stärken, wobei Low natürlich nur genutzt werden sollte wenn der RA-100 mit mäßiger Leistung betrieben wird.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Ein Fußpedal samt ca. 7,5 Meter langem Kabel für die Anwahl der Soundmodes gehört, wie auch eine hochwertige Schutzhülle, zum Lieferumfang. Das Schaltmuster erlaubt leider keinen Direktzugriff, sondern einerseits den Wechsel zwischen Clean und Lead, zum zweiten das Alternieren von Lead-LO und -HI. Zwei praxisgerecht hell leuchtende LED, rot und blau, verdeutlichen optisch die Schaltzustände. Allerdings kann man vor dem Wechsel vom Clean- auf den Lead-Kanal nicht sehen, welcher von den beiden Sounds aktiv werden wird: muss sich das Hirnschmalz merken ob zuletzt HI oder LO am Start war. Wird irgendwie schon gehen, oder? Trotzdem ist das Schaltlayout mindestens ungeschickt. Das muss man leider auch von der Position des Reverb-Schaltanschlusses sagen. Er liegt versteckt und schlecht zugänglich zwischen Netzbuchse und Netztrafo hinter der angeschraubten Rückwand.

Die beiden Kanäle sind mit jeweils einer Dreibandklangregelung sowie Gain- und Master-Potis identisch ausgestattet. Der Mini-Switch neben dem Input erlaubt die manuelle Kanalanwahl, gegenüber auf der rechten Seite, neben der Pilot-Lampe kann man die Multi-Soak-Einheit ein-/ausschalten. Deren Aktionsradius erweitert sich noch dadurch, dass am Power-Switch als Maximalleistung 100 oder 50 Watt (zwei Röhren abgeschaltet) gewählt werden können.

Angesichts der Features wundert es nicht, dass der technische Aufwand einigermaßen ausufert. Nicht weniger als sieben Novalröhren bereiten das Signal im Preamp auf. Das Chassis ist proppevoll, wobei, wie bei Mesa gewohnt, hochsolide Platinenbauweise das Zepter führt. Sämtliche Potis und einige weitere große Bauteile sind jedoch frei verdrahtet. Über die Verarbeitung brauchen wir ansonsten nicht lange debattieren: Wir sehen Serienfertigung auf höchstem Qualitätsniveau, nichts anderes sind wir von Mesa gewöhnt, und erwarten es natürlich auch, bei dem Preis.

Interessant ist am Rande, dass das stabil verschweißte Amp-Chassis nicht aus Stahlblech besteht, sondern aus Aluminium geformt ist. Das sieht man in der Branche inzwischen häufiger. Hat man weitläufiger die elektrischen Vorteile des Materials erkannt, setzt sich das Material noch weiter durch? Nun, das bleibt abzuwarten. Hören wir erst einmal, ob es dem RA-100 gut tut. Aber Moment, ich muss doch noch kurz ein bisschen meckern. Es ist ja erfreulich, dass der Combokoffer besonders stabil aus relativ starken Schichtholzplatten (ca. 22 mm) gefertigt ist und auch hier die Konstruktion und Verarbeitung inklusive der Steckrollen Maßstäbe setzt. Aber wäre es nicht angebracht, bei dem hohen Gewicht seitlich Griffe anzubringen?! Den Combo hievt man nicht ohne weiteres alleine auf ein Podest oder über eine Treppe. Aber wenn einer hilft, wo packt man dann zu zweit an, unten am Gehäuse neben den Rollen, wo man sich die Finger schön aufreißen kann!?

 

Praxis

Ausgepackt, aufgebaut, uff, suuupi, jetzt hab? ich erst mal schlechte Laune. Na gut, und los. Power-On, klar 100 Watt, nicht gleich mit der Half-Power-Weicheinummer anfangen, warten, Finger-trommel-auf- Computertisch, aufwärmen lassen, warten…, zwei Minuten? Schluuutz, hörenwill, klock, den EL34 schießt die Hochspannung ins Gebälk, was sie augenblicklich zu massivem Schaffensdrang animiert, wie das erste fette E-Dur anzeigt. Krawumm, Clean-Kanal, aaahhh, das versöhnt doch auf der Stelle für die Schlepperei. Mein Güte, das ist ein Ami-Cleansound wie aus dem Bilderbuch, raumgreifend, großartig, plastisch dreidimensional, freundlich und warmherzig, aber trotzdem durchsetzungskräftig. Darüber hinaus gesegnet mit einer wunderbaren Balance aus Gegenwehr und Nachgiebigkeit. Und das mit EL34 in der Endstufe, Respekt. Startpunkt könnte/sollte eine Einstellung mit Treble 11 – 12 Uhr, Gain, Middle und Bass 12 – 14 Uhr sein. Master bitte auch einigermaßen aufdrehen, sonst kommt der Kreislauf des RA-100 nicht ordentlich in Schwung. Alle Klangregelbereiche bieten gute Reserven und daher im Zusammenspiel beste Voraussetzungen zur Formung verschiedener Sounds. Hierbei spielt auch eine Rolle, welche Leistungsebene gewählt wird. Die kraftstrotzende Power bei 100 Watt weicht einem milderen Klangbild mit sanfteren Höhen und luftigeren Mitten wenn nur 50 Watt zur Verfügung stehen. Schon so dürfte man mit der Leistung des Clean-Kanals höchst zufrieden, um nicht zu sagen begeistert sein. Aber da wartet ja noch die Multi-Soak-Einheit auf ihr Coming-Out. Mal zwei Stufen runtergehen, minus acht Dezibel, das macht in der Lautstärke bereits einen großen Unterschied. Und in der Wiedergabe? Da verändert sich wenig, abgesehen von leichten Veränderungen im Höhenspektrum, die sich mit dem Treble-Poti leicht nachführen lassen. Außerdem muss die Anwendung ja auch so verstanden werden, dass man nicht einen eingestellten Sound leiser machen will, sondern den Arbeitspunkt, das Aussteuerungsniveau der gesamten Verstärkungsstrecke vorwählt und von dort aus die Klangabstimmung vornimmt. Natürlich um durch höhere Signalpegel der Endstufe Dampf zu machen, ihre organische Dynamik zu nutzen. Und das gelingt mit dem Multi-Soak ganz vorzüglich. Zum Beispiel indem der Clean-Kanal mit weit offenem Gain und Master bei ganz ziviler Lautstärke zu schönem harmonischem Overdrive provoziert werden kann. Das funktioniert schlicht genial.

 

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(Bild: Dieter Stork)

 

Wenngleich bei 50 Watt und der maximalen 18-dB-Absenkung der Royal Transatlantic schon ziemlich dezent wird, wäre es falsch, das Multi-Soak-Feature als Mach-leise-Werkzeug fürs Wohnzimmer zu verstehen. Nein, noch zu laut, und man würde auch feststellen, dass einfach alles aufzureißen längst nicht zu sämigen Hörerlebnissen führt. Natürlich kann es tonal Charme haben, wenn sich die EL34 nahezu übergeben, in der Regel ist jedoch maßvolles Auspegeln sinniger. Die Nutzung des Multi-Soak ist also in erster Linie im Live-Einsatz auf der Bühne sinnvoll.

Es versteht sich von selbst, dass die beiden Leadsounds erst recht von dem innovativen Feature profitieren. Weitgehend unabhängig von der Lautstärke lässt sich die Preamp-Distortion mit den Sättigungsverzerrungen der Endstufe nach Belieben auspendeln. Im Prinzip hat der RA-100 allerdings soviel Gain, dass er auch ohne dies bestens zurechtkäme. Praxisgerecht abgestuft bewegt sich Lead-LO auf einer herzhaften Crunch-Ebene, während Lead-HI namensgerecht sehr fette High-Gain-Verzerrungen erreicht. Und tatsächlich, die beiden sprechen englisch, strecken im Charakter markant und aussagestark die Fühler nach den großen M-Insignien des Königsreichs aus. Mit einer eigenen Klangprägung. Der RA-100 ist weit entfernt von einem heiß gemachten JCM800 oder ähnlichem. Fett in den unteren Mitten, kraftvoll, herb sägend in den Höhen ist die Wiedergabe, und wird geprägt von einer notorisch sägenden Hochmittenspitze, die doch einige Rectifier-Gene vermuten lassen. Obwohl Treble und Middle sehr nachhaltig arbeiten, bleibt genau diese Eigenheit immer Teil des Ganzen.

Die recht betonte Höhenschärfe im Lead-Grund-Sound dürfte Kalkül für die Multi-Soak-Nutzung sein. Unter ihrem Einsatz mildert sich der Höhenanteil nämlich etwas ab, sodass sich schon in der ersten Dämpfungsstufe ein wohligerer Brown-Sound einstellt. Genau, das ist ein gutes Schlüsselwort. Das tragfähige Zerrverhalten der beiden Lead-Modi darf dieses so häufig für einen ideal spielbaren und mächtigen Brit-Sound benutzte Synonym völlig berechtigt für sich in Anspruch nehmen. Lebendig in den Obertönen, impulsfester Schub bei gedämpft gespielten Basslinien, der Ton wird sicher viele begeistern. Zumal eben dank des Multi-Soak der Arbeitspunkt in vier Stufen wählbar ist. Ansprache und Tonentfaltung wie ein voll im Futter stehendes Stack, inklusive Feedback-Rückmeldungen, der Schalldruck aber höchst verträglich – freut man sich selbst ein Loch in den Bauch, aber wie erst Kollegen und Audienz?!

Daneben tut sich der Lead-Kanal mit variablen Klangfarben hervor. Hierbei spielt die Gain-Regelung eine entscheidende Rolle. Bis etwa zur Hälfte aufgedreht bleiben die Verzerrungen sehr durchsichtig, ja sie haben sogar eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Klang eines alten AC30. Die Mitten weit raus und der Eindruck wird verstärkt. Ab Gain ca. 14 Uhr nehmen massiv die Mittenanteile zu und es entwickelt sich eine zweite Ebene, die oben zitierte mit dem Marshall-Faktor. Ein Mangel an klanglicher Flexibilität wird so kaum aufkommen.

Der recht lang ausklingende und brillante Federhall ist qualitativ eine entscheidende Bereicherung – der feingliedrige Clean-Kanal lechzt förmlich danach. Im Wechsel zur Lead-Sektion bleiben gesunde Verhältnisse bewahrt. Ein willkommenes Extra ist, dass Mesa mit einem Schalter Preset-Optionen vorgesehen hat. Der Reverb kann generell in alle Kanälen aktiv sein, oder nur bei Clean und Lead-LO, oder nur im Clean-Kanal. Zusätzlich besteht mit einem weiteren Schalter die Möglichkeit, den gesamten Reverb-Schaltkreis aus dem Signalweg herauszunehmen. Das geschieht dem Einschleifweg wie gesagt automatisch, wenn seine Anschlussbuchsen nicht belegt sind. Beides ist natürlich extra für Puristen vorgesehen, die zumindest optional eine gradlinige Signalbearbeitung zur Verfügung haben möchten. Funktional kann man dem Einschleifweg aber nichts Negatives nachsagen. Er arbeitet hochpegelig bei ca. 0 dB/775 mVrms absolut elegant, ohne das Klanggeschehen zu beeinträchtigen. Allerdings darf man sich nicht wundern, wenn bei sehr hohen Aussteuerungen der eingespeiste Effekt die Fassung verliert, denn er gerät ja unter Umständen in die Fänge einer zerrenden Endstufe und kann nicht anders als dabei mitzumachen. Das nur als Tipp für technisch unerfahrene Kollegen.

Zum Abschluss noch ein Kommentar zu den Speakern. Der 2×12-Combo erzeugt mit den Vintage 30 eine artgerechte Homogenität und großes Volumen. Trotzdem zwackte mich natürlich wieder die Frage, wie der RA-100 denn mit anderen Typen klarkommt. Richtig gut und vielseitig. Greenbacks im Quartett passen gut zu ihm und dirigieren die Wiedergabe in eine traditionellere Richtung. Auch Alnicos sind eine Erwägung wert. Was zeigt, dass der Amp keine ungesunden, penetranten Mitten und Höhen von sich gibt. Tja, maximal kultiviert der royale Bursche.

 

Resümee

Mesas neueste Erfindung ist richtungsweisend. Ein wesentliches Problem im Umgang mit Röhrenvertärkern ist beim Royal Atlantic elegant gelöst. Die Multi-Soak-Einheit lässt freie Hand bei der Wahl des Arbeitspunktes und erlaubt damit, so komfortabel wie nie Endröhrensättigungen zu nutzen. Aber natürlich hat der Schwergewichts-Combo nicht nur deswegen den Test mit Bravour bestanden. Er vollzieht vorbildlich den Spagat zwischen US-Clean und Brit- Lead. Allein das macht ihn schon äußerst attraktiv. Die Klangeigenschaften des RA-100 stehen auch insgesamt gesehen auf höchstem Niveau. Seine Leistungsfähigkeit wird durch smarte Ausstattungsmerkmale weiter aufgewertet. In der Endabrechnung zählen auch die besonders hochwertige Substanz und die sehr gute Verarbeitung; Mesa ist weiterhin der Daimler unter den Großserien-Amps. Auch unter diesem Aspekt muss man die Kostenseite sehen. Dann stehen Preis und Leistung in einem gut vertretbaren Verhältnis.

 

Plus

  • Sound & Variabilität
  • extreme Dynamik
  • hohe Transparenz
  • Durchsetzungsvermögen
  • Ansprechverhalten & Detaildarstellung
  • markante, sehr harmonische Verzerrungen
  • hoher Schalldruck
  • Multi-Soak
  • Ausstattung
  • eleganter Federhall mit Preset-Optionen
  • geringe Nebengeräusche
  • Verarbeitung
  • Qualität der Bauteile

 

Minus

  • seitliche Griffe fehlen
  • Layout der Sound-Wahl per Fußschalter
  • Reverb-Footswitch-Buchse schlecht zugänglich
Produkt: BluGuitar Amp1
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