Intelligain

Test: Neunaber Neuron

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Ganz gegen den Trend zu analogen Effektpedalen hat sich Brian Neunaber (sprich: New-Neighbour) seit der Gründung von Neunaber Audio vor 10 Jahren auf digitale Hi-End-Effektgeräte spezialisiert. Sämtliche Produkte werden im südkalifornischen Orange County primär maschinell hergestellt, weil „moderne Maschinen das präziser können als Hände“. Also reiner Pragmatismus, no Voodoo!

Erst der Untertitel „Gain Intelligence“ lässt das angedachte Einsatzgebiet des Neuron erahnen. Preamp, Overdrive und Distortion stehen ganz oben auf dessen Agenda, während Noise Gate, Kompressor, Speaker Simulator und umfangreiche EQ-Bearbeitung überaus nützliches Beiwerk darstellen. Dass das Pedal auch noch programmierbar und voll MIDI-tauglich ist, gibt es erst bei genauer Inaugenscheinnahme seines kompakten Alu-Gussgehäuses zu erkennen: Die traditionellen 5-poligen In- und Out/Thru-Anschlüsse hat Neunaber aus Platzgründen durch 2,5 mm Stereoklinken ersetzt und liefert selbstverständlich entsprechende Adapterkabel mit. Trotz der digitalen Signalerzeugung bleibt das direkte Gitarrensignal stets analog.

Anzeige

2,5 mm TRS MIDI-Anschlüsse (Bild: Dieter Stork)

Kontaktaufnahme

Sechs wunderbar smooth aber keineswegs leichtgängige Potis mit griffig gummierten Knöpfen machen sich auf der hinteren Hälfte der Bedienfläche breit, zwei robuste Fußtaster und Multicolor- LEDs teilen sich die vordere Reihe. Um versehentliches Verstellen per Fuß zu erschweren, hat man die Regler trotz des knappen Platzangebots möglichst weit weg von den Tastern platziert. Input links, Output rechts am Gehäuse, Netzteil- und MIDI-Anschlüsse finden sich auf der Stirnseite. Während die Audio-Klinkenbuchsen verschraubt sind, werden die Netzteil- und MIDI-Anschlüsse von ihren Gehäuseöffnungen und der Hauptplatine gehalten. Entfernt man die Bodenwanne und eine schwarze Isolierpappe sind lediglich die Rückseite der Platine und teilweise die Fußtaster zu sehen.

Mangels Platz und wegen des Stromverbrauchs von 70 mA ist Batteriebetrieb nicht vorgesehen. Für die Primärfunktionen stehen die Regler Gain, Compressor (Single-Knob-Prinzip), Level (Output), Low, Mid und High zur Verfügung. Der passive 3-Band-EQ arbeitet, anders als die Klangreglungen der meisten Verstärker, nicht interaktiv.

Wie kontrolliert man nun derart viele Funktionen mit nur sechs Reglern und zwei Fußtastern? Natürlich durch Doppelbelegungen der Bedienelemente. So schaltet der rechte Fußtaster nicht nur den Effekt an bzw. aus (True Bypass), sondern gewährt auch Zugang zu den Sekundärfunktionen durch Drücken und Halten. Beispielsweise legt man mit der Zweitfunktion des Gain-Potis den Treshold für die Rauschunterdrückung fest.

Nach erfolgtem Setting gibt man den rechten Fußtaster wieder frei. Auf die gleiche Weise lassen sich Tight (Pre-Gain-Hochpassfilter), Presence, Speaker-Simulation (on/off) und Tilt EQ editieren. Letztere beiden agieren ausschließlich global und sind nicht programmierbar.

Bedienfläche mit Alt-Funktionen (Bild: Dieter Stork)

Hinein ins Vergnügen

Betrachten wir zunächst das angebotene Gain-Spektrum. Der Regler arbeitet pegelkompensiert und steigert zwar die Verzerrung, den Ausgangspegel indes nur geringfügig. Bei Vintage-Strat-Einspulern und intensivem Attack ist etwa ab Gain-Stellung 11 Uhr erstes Anzerren festzustellen, welches sich bis 17 Uhr kontinuierlich zu einem satten High Gain Lead mit sahnig harmonischer Distortion steigert. Derweil liegt mit PAFs die erste Sättigung bei ca. Gain 10 Uhr.

Voll ausgesteuert endet das mit einem fetten, überraschend transparenten High-Gain-Brett, schier endlosem Sustain und beachtlichem Durchsetzungsvermögen, erwartungsgemäß aber auch mit erhöhtem Rauschen. Dem rückt das Neuron mit seinem Gate zuleibe, das effizient wenn auch für meinen Geschmack etwas auffällig arbeitet. Ich empfehle, es für jeden Verzerrungsgrad und Pickup-Typ feinfühlig und individuell einzustellen und dessen Setting je Preset zu speichern. Mittels Daumen (Engage-Taster gedrückt halten) und Finger am griffig gummierten Reglerknopf kann sogar einhändig editiert werden – wie übrigens bei allen anderen Alternate-Parametern auch.

Mit beiden Pickup-Typen interagiert das Neuron beeindruckend, denn allein per Gitarren- Volume und/oder variablem Anschlag lässt sich von Clean über Crunch bis zu High Gain eine breite Zerrpalette on-the-fly abrufen. Klasse. Während Mid und High einigermaßen wirkungsvoll ins Klanggeschehen eingreifen, geben sich Low und Presence (Post Gain) eher nuanciert. Der Einknopf-Kompressor bearbeitet Parameter wie Treshold, Ratio und Level gleichzeitig. Je höher dessen Einstellung, umso geringer der Treshold und umso höher die Kompression und das Output Level. Der Kompressor agiert effizient, zugleich aber auch eher unauffällig, von erhöhtem Rauschen mal abgesehen. Während nämlich hohe Settings Klarklängen einen Clean-Boost spendieren, nehmen niedrige Einstellungen stärkeren Einfluss auf Overdrive und Sustain.

Auch Level arbeitet kontinuierlich und gleicht Pegelunterschiede zwischen einund ausgeschaltetem Neuron und die Output Levels der einzelnen Presets an. Das Tightness-Poti bearbeitet die Bässe im High-Gain-Bereich und verleiht ihnen mehr Definition und Straffheit. Eventuell daraus resultierende Verluste der tiefen Frequenzen können per Low-Regler wieder ausgeglichen werden. Allerdings geben sich auch diese beiden Regelmöglichkeiten eher nuanciert. Der globale nicht speicherbare Tilt-EQ dient zur klanglichen Anpassung an unterschiedliche Verstärkungssituationen wie z. B. Combo Amp, Top + Box, P.A., Direct Recording usw. Beim Erstellen von Presets empfiehlt es sich, den Tilt-Regler in die lineare Mittelstellung zu bringen, um je nach Einsatzgebiet Klangkorrekturen vornehmen zu können.

Bliebe noch der Speaker Simulator, der außer On/Off keine Einstellmöglichkeiten bietet. Ob dieser aktiv ist, signalisiert die Status-LED des Engage-Tasters bei eingeschaltetem Neuron: Gelb = Simulator aus, Blau = Simulator aktiv. Als klangliches Vorbild für die Simulation diente das hauseigene Iconoclast (G&B Test 09/2017) mit Standard- Setting und allen Tonreglern in Mittelposition. Der aktive Speaker Simulator senkt den Ausgangspegel und die Bässe etwas ab, behält den Mittenbereich nahezu bei und bedämpft die Höhen nur unwesentlich, sodass insgesamt ein kompakteres, dem Frequenzspektrum eines Gitarrenlautsprechers angeglichenes Klangbild entsteht. Als kompletter Preamp funktioniert das Neunaber Neuron natürlich auch an einer Endstufe oder am seriellen FX-Return-Eingang eines Verstärkers.

Presets & Midi

Wie viele programmierbare Multieffektgeräte bietet auch das Neuron Manualund Preset-Betriebsarten. Bei Ersterer erlischt die Preset-LED und alle aktuellen und zuletzt veränderten alternativen Reglereinstellungen werden übernommen. Im Preset Mode können bis zu sechs Klangprogramme, die die LED anhand sechs verschiedener Farben anzeigt, gespeichert und abgerufen werden, via MIDI sogar bis zu 24. Dabei wird die Reihenfolge der Farben Rot, Blau, Grün, Gelb, Magenta und Cyan einfach wiederholt. Hier wäre ein kleines Nummern-Display sicherlich praktikabler gewesen.

Bei Verwendung eines entsprechend ausgestatteten MIDI-Controllers lassen sich die Nummern jedoch an dessen Display ablesen. Bevor man den Preset Mode nutzen möchte, muss die Anzahl der gewünschten Presets festgelegt werden. Das geht folgendermaßen: Netzteilstecker ziehen, Engage-Taster gedrückt halten, Stecker wieder anschließen, Preset-Taster entsprechend der Anzahl der gewünschten Presets mehrmals drücken, Engage-Taster wieder loslassen. Sowohl die Farben der einzelnen Presets als auch alle Bedienelemente können auch mittels MIDI-System- Exclusive-Befehlen editiert werden. Leider bietet Neunaber für das Neuron aktuell keine Editor Software an.

Verwendet man lediglich Preset 1, können die Settings aus dem Manual Mode dorthin übernommen werden. Dazu hält man den Preset-Fußtaster zwei Sekunden lang gedrückt, die LED leuchtet zur Bestätigung der Speicherung weiß. Wurden mehrere Presets angelegt, lassen sich Veränderungen nur am jeweiligen Preset selbst vornehmen und auch nur dort abspeichern. Dreht man an einem Poti, springt der Parameterwert sofort auf die aktuelle Reglerposition, muss also nicht durch Links- und Rechtsdrehen initialisiert werden.

Um eine gespeicherte Einstellung wiederzufinden, dreht man den Knopf bis die Preset-LED kurz cyanfarben aufblinkt. Entsprechen alle Settings wieder denen des Presets, leuchtet die LED weiß. Sollen mehr als sechs Presets zum Einsatz kommen, müssen diese per MIDI Controller abgerufen werden. MIDI Programm #1 aktiviert den Manual Mode, Programm #2 wählt Preset 1, #3 Preset 2 usw. Program #25 aktiviert somit Preset 24.

Werksseitig ist das Neuron auf MIDI-Kanal 1 eingestellt. Per System- Exclusive-Befehle bzw. durch Empfang eines MIDI-Befehls mit der gewünschten Kanalnummer lassen sich die Kanäle 2-16 einstellen. Wer tiefer in die MIDI-Details eintauchen möchte, wird unter neunaber.net/pages/neuron-userguide fündig.

Wie man sieht, sieht man wenig. (Bild: Dieter Stork)

Resümee

Mit dem Neuron Gain Intelligence präsentiert Neunaber einen ultra kompakten, luxuriös ausgestatteten Komplett-Preamp für unterschiedlichste Einsatzgebiete. Basis des Pedals sind exzellente Clean- bis High-Gain-Sounds mit allen erdenklichen stufenlos und fein dosierbaren Verzerrungen. Kaum zu glauben, dass die Klangerzeugung digitalen Ursprungs ist, denn Clean, Overdrive und Distortion tönen nicht zuletzt dank umfangreicher EQ-Möglichkeiten nach Röhren- Amps jeglicher Couleur bzw. nach den üblichen Verdächtigen jenseits und diesseits des Atlantiks.

Noise Gate, Speaker Simulator, Kompressor, uneingeschränkte MIDI-Tauglichkeit und bis zu 24 frei belegbare Presets komplettieren den Allrounder, der nicht nur am Gitarrenverstärker sondern dank gelungener Speaker- Simulation auch im Live- und Recording-Einsatz am Mischpult punktet. Seine geschmackvollen Clean- und harmonisch sahnigen Cruch- und Overdrive-Sounds, ausgezeichnete Dynamik und gesundes Durchsetzungsvermögen lassen die digitale Klangerzeugung schlichtweg vergessen. Auszusetzen gibt es nichts, außer, dass ein leuchtendes Nummern-Display die Presets eindeutiger anzeigen würde als die Multi-Color-LED.

PLUS

  • Zerr-Sounds & -Qualität
  • Dynamik
  • Effektangebot & EQ-Ausstattung
  • programmierbar
  • voll MIDI-tauglich
  • kompaktes Format
  • Verarbeitung

 MINUS

  • Presets ausschließlich an LED-Farben erkennbar

 (erschienen Gitarre & Bass 08/2019)

Produkt: Treble Booster im Test
Treble Booster im Test
Der Treble Booster war in den 60er und 70er Jahren das Effektgerät schlechthin. Hol dir jetzt 4 Gratis-Testberichte zum Sound-Wunder!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren