Extended Range Guitars:

Custom Shop vs. Production Model

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Die Auswahl an Extended Range Gitarren wächst jedes Jahr. Dies ist unter anderem einer Vielzahl innovationswütiger Custom Shops zu verdanken, die stetig neue Trends setzen, welche dann munter (aber oft mit etwas Verzug) von den großen Herstellern adaptiert und in Serie produziert werden. Doch wie trifft man nun die richtige Wahl zwischen der Gitarre von der Stange und der Custom-Shop-Sonderanfertigung? Gibt es gute Kompromisslösungen? Dazu hier und heute mehr.

Die legendären Blackmachines
Die legendären Blackmachines (Bild: Simon Hawemann/Francesco Filigo)

 

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Die neue Generation

Ich habe in einer Zeit angefangen Gitarre zu spielen, in denen Custom Shops nur etwas für gut betuchte Gitarristen waren – Leute außerhalb meiner Altersklasse und mit „richtigen“ Jobs also. Von Hand gefertigte Gitarren kamen für mich und mein Sommerjob-Budget schlichtweg überhaupt nicht in Frage. Und um ehrlich zu sein, spielte das damals für junge Metal-Gitarristen auch generell einfach keine Rolle. Aber Zeiten ändern sich.

Die Zielgruppe für Extended Range Gitarren ist zwar jung, begnügt sich aber oft nicht mehr mit in Serie produzierten Gitarren. Das dürfte vor allem damit zu begründen sein, dass viele der populären Gitarristen im ERG-Bereich anfangs auf Custom Modelle zurückgreifen mussten, da auf dem Markt für in Masse produzierte Gitarren schlicht keine Instrumente mit den gewünschten Spezifikationen erhältlich waren. Die darüber hinaus oft exotischen Tonholz-Kombinationen dieser Sonderanfertigungen trafen offensichtlich damals einen Nerv und die daraus entstandene Nachfrage ist über die Jahre nicht abgerissen, obwohl die großen Hersteller heute deutlich mehr auf die Wünsche der entsprechenden Zielgruppe hören. Dennoch hat die Nachfrage nach Sonderanfertigungen eine nie dagewesene Anzahl von Custom Shops zutage gefördert.

Zu den Populärsten im Extended Range Bereich dürften wohl die von Doug Campbell in England gebauten Blackmachines gehören. Die besonders schlanke S-Style-Form mit dem Schliff an der oberen Zarge und der ikonische Headstock haben maßgeblich die Ästhetik der ERGs beeinflusst und über die Jahre viele Nachahmer auf den Plan gerufen. Das Design wurde nicht selten 1 zu 1 von anderen Custom Shops adaptiert, die von dem Hype und der nicht erfüllten Nachfrage profitieren wollten. Denn Blackmachine Gitarren werden in extrem limitierter Auflage und zu horrenden Preisen gebaut.

Lediglich die Version mit 6 Saiten hat es zu einer Art Produktionsmodell geschafft, welches allerdings nicht in House gebaut wird und für uns an dieser Stelle ja auch uninteressant ist. Dennoch, ohne die Lücke der nicht erfüllten Nachfrage auf Blackmachines würde es heute viele der auf den ERG Markt spezialisierten Custom Schmieden wohl gar nicht geben. Darunter auch Skervesen Guitars, einer der populärsten europäischen Custom Shops. Eine der ersten Gitarren aus dem Hause Skervesen war, wie sollte es auch anders sein, ein nahezu identischer Nachbau einer Blackmachine 7-String.

Das Design wurde kurz darauf etwas überholt und seitdem unter dem Namen „Raptor“ bis heute, neben einer ständig wachsenden Anzahl anderer Modelle, erfolgreich produziert. Aber ohne die Aufmerksamkeit um die Blackmachine-Replik wäre den Polen wahrscheinlich nicht von vorn herein so viel Interesse geschenkt worden. Und hier kommen wir auch schon zu einem symptomatischen Problem dieses Marktes: Custom Shops, die den ästhetischen Nerv der Extended-Range-Zielgruppe treffen, gab und gibt es viele – aber die Seriosität ist leider nicht immer gewährleistet.

Die Anzahl an Horror Stories von gescheiterten Gitarrenbauern ist lang und die Probleme reichen von schlichtweg katastrophaler Qualität bis hin zu kompletter Überforderung aufgrund von plötzlichen Popularitätsschüben. Dieses Risikos sollte man sich vor einer Kaufentscheidung bewusst sein. Man muss, wie man so schön sagt, seine Hausaufgaben machen.

 

Die Qual der Wahl

Die Entscheidung für eine Custom Gitarre sollte nach reiflicher Überlegung und ausführlicher Recherche getroffen werden. Dabei gilt es viele Punkte zu beachten:

– Wie lange existiert der Wunsch-Custom-Shop schon?

– Wie viele Gitarren hat dieser ungefähr gebaut?

– Wie lange dauert die Fertigung des Instruments?

– Wie hoch ist die Zufriedenheit der Kunden? – Besteht die Möglichkeit, vorher ein Instrument anzuspielen? – Gibt es bekannte, Custom-Shop-spezifische Mängel?

Ein weiterer wichtiger Punkt, der meiner Ansicht nach von vielen unterschätzt wird, ist der Standort. Die Möglichkeit persönlich vorbeizuschauen, sich die Werkstatt sowie sich gerade im Fertigungsprozess befindende Gitarren ansehen zu können, ist ein großer Bonus. Natürlich trifft das nicht immer auf den gewünschten Custom Shop zu, aber nachdem ich selbst schlechte Erfahrungen mit einem Gitarrenbauer am anderen Ende der Welt gemacht habe, war mein nächster Anlaufpunkt für ein Custom Instrument Hapas Guitars in meiner Heimatstadt Berlin.

Gitarrenbauer Robert und ich haben uns vor dem Bau regelmäßig getroffen und schlussendlich sogar ein komplett neues Modell namens „Sludge“ zusammen entworfen. Die Zusammenarbeit war schlichtweg deutlich persönlicher und unmittelbarer, als sie mit einem Gitarrenbauer am anderen Ende der Welt jemals hätte sein können – und vor allem konnte ich eine seiner Gitarren vorher anspielen.

Sollte all das nicht auf den Wunsch-Luthier zutreffen, kann ich nur auf die oben angeführte Liste verweisen. Es gibt zahlreiche Foren, in denen sich die Extended-Range-Szene über ihre Erfahrungen mit populären Custom Shops austauscht (u. a. www.sevenstring.org) und oft hilft auch schon eine ausführliche Google-Suche. Also, macht unbedingt eure Hausaufgaben. Oder geht auf Nummer sicher und kauft euch eine Gitarre von der Stange! Denn sollte es ein Produktionsmodell mit den Spezifikationen geben, die euren Wünschen entsprechen, kann man eigentlich nicht viel falsch machen. Das Qualitätsniveau der großen Hersteller ist hinreichend dokumentiert und im Gegensatz zu den meisten Custom Shops gibt es Garantie-Ansprüche.

Sollte an der ausgelieferten Gitarre also mal etwas nicht in Ordnung sein, kann man sie problemlos zurückschicken und sich ein identisches, mangelfreies Modell als Ersatz schicken lassen. Wenn ihr hingegen eine Gitarre von einem kleinen Custom Shop aus Australien geliefert bekommt und etwas nicht in Ordnung ist, wird sich schnell herausstellen, ob eure Wahl so schlau war oder nicht. Wie schon gesagt, ich spreche aus schmerzhafter Erfahrung. Und die populären Hersteller schlafen nicht. Konzepte, die einst Custom Shops vorbehalten waren, werden aufgrund der großen Nachfrage längst in Serie gebaut. So hat z. B. Ibanez längst RG 7- und 8-Strings mit gefächerten Bünden auf den Markt gebracht, es gibt neunsaitige Gitarren von Schecter, Bariton 7-Saiter von Jackson, et cetera.

Vor ein paar Jahren war all das noch als kurzlebiger Trend verschrien und in dem Ausmaß an Angebot undenkbar – heute ist die Auswahl schier gigantisch. Der einzige Haken ist, dass die Umsetzung solcher Konzepte in Massenproduktion manchmal mit gewissen Abstrichen einhergeht. Der Winkel der gefächerten Bünde der Ibanez Modelle ist zum Beispiel etwas unausgewogen, die Pickups sind eine Nummer größer (die Siebensaiter hat angewinkelte EMGs im 8-String Format) und das Fretboard geht über die angewinkelte Nut hinaus, was ästhetisch nicht den besten Eindruck macht.
Fairerweise muss man sagen, dass Letzteres allerdings auch auf einige richtig teure Custom Hersteller zutrifft – und vor allem darf man nicht den Preis von unter € 1000 vergessen. Dafür bekommt man mit Sicherheit keine Custom Gitarre mit ebenbürtigen Spezifikationen. Für diejenigen unter euch, die sich jetzt noch immer nicht zwischen Custom Shop und Produktionsmodell entscheiden können, gibt es glücklicherweise noch ein paar Alternativen.

 

Der Mittelweg

Gibt es eine goldene Mitte? Aber sicher! Viele populäre Custom Shops haben unlängst Produktionsserien zu ihrem Angebot hinzugefügt: Ormsby Guitars haben den „GTR Run“, *strandberg die „Boden“-Serie – beides bezahlbare und in Asien produzierte Varianten der um ein vielfaches teureren, von Hand gefertigten Custom-Instrumente. Und die Berliner Hapas Guitars haben 2015 die „WrkHrs“-Serie vorgestellt, die im Gegensatz zu den letzten beiden Beispielen in House und auf dem Qualitätsstandard der Custom-Gitarren gebaut wird, allerdings mit einer begrenzteren Auswahl an Spezifikationen und mit weniger Features. Dies ermöglicht einen einfacheren und schnelleren Produktionsprozess und resultiert in sehr bezahlbaren Preisen.

Das prominenteste Beispiel dürfte allerdings die Semi-Custom Schmiede Kiesel/ Carvin Guitars sein. Das Konzept ist so einfach wie genial: Vorgegeben sind lediglich die Korpusform und, je nach Modell, gewisse Spezifikationen – von den Tonhölzern übers Finish bis hin zur Form des Headstocks wählt der Kunde allerdings alles Weitere selbst aus. Und die Bandbreite an Modellen und Materialien ist schier unendlich. Ob am Ende ein Headless-Modell mit gefächerten Bünden, exotischer Decke und siebenteiligem Hals oder eine schwarze Super-Strat-Style mit Maple-Hals und Rosewood-Fretboard herauskommt, ist ganz dem Geschmack (und Geldbeutel) des Kunden überlassen. Die Basispreise sind fair und die Qualität durch die Bank konsistent – ob man nun $1300 oder $3000 ausgibt.

Und obendrein ist die Reputation von Kiesel/Carvin Guitars seit Jahren enorm hoch. Ich selbst besitze eine Kiesel Aries 7-String Multiscale und eine von Jeff Kiesel persönlich gebaute 8-Saiter und beide Gitarren sind qualitativ und klanglich über jeden Zweifel erhaben. Zu guter Letzt hat man natürlich auch immer die Möglichkeit, ein Produktionsmodell nach den eigenen Wünschen zu modifizieren. In den vielen Jahren in denen ich überwiegend Ibanez-Gitarren gespielt habe, blieb eigentlich kaum ein Instrument im Urzustand – vom Pickup Upgrade bis hin zum neuen Korpus habe ich mir da wenig Grenzen gesetzt.

Eine Ibanez RGA8 mit neuem Korpus vom lokalen Gitarrenbauer
Eine Ibanez RGA8 mit neuem Korpus vom lokalen Gitarrenbauer (Bild: Simon Hawemann/Francesco Filigo)

 

Fazit

Während man bei einer Gitarre von der Stange zumindest aufgrund von Rückgaberecht und Garantieansprüchen grundsätzlich wenig falsch machen kann, ist die Auswahl an für den Extended Range-Gitarristen wichtigen Spezifikationen am Ende des Tages bei diesen noch immer begrenzt – oder ggf. nicht immer ideal umgesetzt. Das A und O bei der Entscheidung für ein Semi-Custom- oder Custom-Shop-Instrument ist, dass man seine Hausaufgaben macht! Es ist verlockend, einen Luthier nach ästhetischen Motiven auszuwählen, aber ein populärer Look und ein exotisches Top bedeuten nicht gleich, dass die Qualität stimmt.

Dafür gibt es genügend abschreckende Beispiele: Belest euch online über das Debakel von Bernie Rico Junior‘s Custom Shop – oder die qualitativen Mängel der futuristisch aussehenden Etherial Guitars und lernt daraus. Ein langlebiger Custom Shop mit einer guten Reputation ist deutlich mehr wert, als der Custom-Hype der Woche. Überlegt euch also gut, wo ihr euer hart verdientes Geld investiert. Trefft ihr die richtige Wahl, werdet ihr mit einem Einzelstück belohnt, dass bis ins kleinste Detail euren Anforderungen entspricht und qualitativ die Massenware locker in den Schatten stellt. Im nächsten Teil erwartet euch ein Review zu einer Extended Range Gitarre. Bis dahin …

 

Wer noch mehr über ERGs erfahren möchte, findet hier einen weiteren höchst interessanten Artikel!

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