Jazzy Twang!

Unbekannte Helden: Jim Campilongo

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(Bild: Joe Ferrucci)

Pfeilschnelle Tele-Picker gibt es viele. Leider gerät im Country-Shred-Genre die Musik oft zur Nebensache. Die Anschläge pro Minute scheinen mehr zu zählen als ein musikalisches Konzept. Dass man eine Tele virtuos spielen, aber trotzdem auf Ton, spannende Harmonien und tolle Kompositionen zwischen Country, Jazz und allen Spielarten amerikanischer Musik Wert legen kann, zeigt der in New York ansässige Gitarrist Jim Campilongo. Trotz viel Anerkennung in Gitarristenkreisen ist ihm der kommerzielle Durchbruch noch nicht so recht gelungen, was ihn dafür prädestiniert, in dieser Reihe vorgestellt zu werden.

Leben

Jim wurde am 8. Juli 1958 im Süden von San Francisco geboren und wuchs auch dort auf. Seine ersten musikalischen Schritte unternahm er mit Hilfe seiner Lehrerin Bunny Gregoire. Den Rest brachte sich Jim selbst bei: „Ich habe gelernt, indem ich es einfach gemacht habe. Ich bin in den 70ern und 80ern aufgewachsen, und wenn du ein bisschen spielen konntest, warst du in einer Band. Ich war in einer Country- und Top-40-Band, und wir haben ständig gespielt!“

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Erst Mitte der 90er-Jahre begann Jim seine eigene Musik aufzunehmen. Mit den 10 Gallon Cats veröffentlichte er mehrere Alben, die nach einer Mischung aus Jimmie Bryants Western Swing, Jazz, Country und Tele-Twang klingen. Neben Jims eigenen Kompositionen wurden auch Klassiker wie ‚Harlem Nocturne‘ oder ‚Mr. Sandman‘ neu interpretiert. Auf den Alben ‚Table For One‘ und ‚Live At Du Nord‘ wandte sich Jim etwas vom nervösen Sound der 10 Gallon Cats ab und experimentierte mit einer jazzigeren, ruhigeren Variante seines Stils.

New York

2002 zog Jim nach New York: „Das war eines der furchteinflößendsten Dinge, die ich je gemacht habe! San Francisco war mein Zuhause, aber ich kam dort nicht mehr weiter. New York hat eine tolle Arbeitsethik. Es ist näher an Europa und du hast diesen Status als New-York-Musiker. Ich habe mit Norah Jones, Dan Rieser, Tim Luntzel, Tony Mason, Josh Dion und Chris Morrisey gearbeitet. Diese Gelegenheit gibt es nur hier, nicht irgendwo in Kansas.“ (lacht)

Neben regelmäßigen, wöchentlichen Auftritten mit seinem Trio schreibt Jim für den Guitar Player, unterrichtet per Zoom und in echt und betreibt einen Patreon-Account, auf dem er wöchentlich neue Inhalte bereitstellt: „Als ich 16 Jahre alt war, dachte ich, ein Musiker schläft bis zwei, raucht einen Joint und trinkt eine Tasse Tee, übt ein bisschen und fährt dann zum Gig, wo ihm Leute zujubeln. Ich hatte keine Ahnung!“

Die vielfältigen Tätigkeiten stören ihn heute nicht: „Als Profi musst du tun, was du tun musst, und ich bin stolz darauf! Mein Vater war Truck Driver, meine Mutter arbeitete in einer Bank und von daher habe ich ein gewisses Arbeitsethos!“ Schon 2002 bot Jim Unterrichtseinheiten zum Download an: „Das beste Geld verdienst du mit Sachen, wo du nicht anwesend sein musst. Mittlerweile habe ich über hundert Download-Lessons und 13 Alben, die ich selbst veröffentlicht habe. Das macht mich nicht unverwundbar, bringt mich aber gut durch die Corona-Krise.“

Trotzdem sind die Auftritte das, worum es ihm geht: „Niemand wird reich, indem er Club-Gigs spielt, aber ich vermisse es, live zu spielen, meine Mitmusiker zu sehen, nicht zu denken und einfach zu spielen. Es passiert einfach, das Publikum gibt uns Energie zurück, das ist das Hauptziel! Aber die anderen Sachen machen mir auch Spaß.“

Üben & Komponieren

Trotz seines hohen spielerischen Levels arbeitet Jim weiter kontinuierlich an seinem Spiel und seiner Musik: „Ich versuche, jeden Tag um 10 Uhr morgens zu üben, zu einer festen Zeit und lege mir da auch keine Termine hin. Im Moment übe ich, Akkordverbindung durch Arpeggios darzustellen. Ich versuche, etwas zu üben, was keine Inspiration benötigt und dann arbeite ich an einem kleinen Projekt, wie einem Jimmy-Rivers-Solo oder Chet-Atkins-Song. Ich versuche, immer etwas zu finden, das ich benutzen kann, wie dieses clevere Begleit-Riff hier (siehe Beispiel 1). Es muss nicht immer Giant Steps in allen Tonarten sein.

Einer der wichtigsten Typen für mich war Jimmy Rivers und sein Album ‚Brisbane Bop‘. Das ist fantastisches Swing-Spiel. Er war ein Genie darin, komplexe Sachen auf ein einfaches Konzept herunterzubrechen. Ich hatte Probleme mit Rhythmuswechseln und fragte ihn: ‚Was denkst du, damit du schnell drüberspielen kannst?‘ Und er sagte: ‚Ich denke einfach von der I zur V.‘ Ich hatte auch all diese Standards aus dem Real Book gelernt, mit den Akkord-Substitutionen und er sagte: ‚Das ist einfach C und G7. Als die Stücke herauskamen, hatten sie nicht diese komplizierten Harmonien.‘ Das hat mich total befreit!“

Auch beim Songwriting steht nicht die Gitarre im Vordergrund: „Ich fange meist mit Akkorden an und singe eine Melodie dazu. Ich versuche, etwas zu finden, was echt ist. Und ich vollende meine Stücke. Ich habe mal einen Freund gefragt, ob er mir dabei helfen kann, einen halbfertigen Song zu vollenden und er sagte: ‚Einen halbfertigen Song hat jeder.‘ Das hat mich nachdenklich gemacht. Wenn du einen Song vollendest, ist er geboren und hat eine Chance zu leben, Bass und Drums können etwas Spannendes dazu finden. Meine Musik hat eine Jazz-Mentalität. Ich erlaube es anderen Leuten, in meiner Musik sie selbst zu sein. Das lässt meine Musik wachsen und sich verändern.“ Die Qualität seiner Mitmusiker ist natürlich hilfreich: „Ich liebe es, mit guten Musikern zu proben! Dinge passieren schnell, alle sind sich einig. Es gibt nicht diese 80s-Hair-Band-Diskussionen.“

Stil

Trotz typischer Country-Techniken in seinem Stil, wie Double Stops, Pedal-Steel- und Behind-The-Nut-Bendings oder Travis Picking, ist Jims Spiel von einem sehr offenen Ansatz geprägt: „Ich nenne meine Musik Guitar Music, das ist meine Nische. Ich halte es mit Duke Ellington, der sagte: ‚Es gibt nur zwei Arten von Musik – gute und schlechte.‘ Ich schätze den Merle Haggard der Sixties, Bill Connors, John McLaughlin, Jimi Hendrix, Andrés Segovia und Django Reinhardt. Das erscheint mir total natürlich.“ Ein weiterer wichtiger Einfluss ist Roy Buchanan, dessen Ton-Ansatz man in vielen Campilongo-Stücken heraushören kann. Hinzu kommen eine Freude an chromatischen Melodien und der sehr subtilen Variation einfacher Melodien mit verschiedenen Phrasierungselementen wie Mikro-Bendings und Anschlags- bzw. Dynamikvariationen.

Equipment

Jim bevorzugt ein einfaches Setup, das aus einer 1959er Toploader-Tele und einem Princeton Reverb besteht. Jim besitzt zwar diverse Amps, hat aber zwei Verstärker, die „superleise sind und perfekt arbeiten“: Ein Blackface Princeton aus den Sechzigern und ein Silverface aus den frühen Siebzigern. „Manchmal vermisse ich den Headroom eines Deluxe, der Princeton ist ein Kompromiss, aber er funktioniert. Wenn ich Unmengen an Sachen zum Gig bringen muss, ruiniert das den Auftritt für mich. Mir geht es mehr um die Musik als um den Ton. Meine Tele funktioniert, sie bleibt in Stimmung, ich kann Behind-The-Nut-Bendings drauf machen, und außerdem sind Teles unterschätzte Jazz-Gitarren. Zuhause spiele ich auch gerne eine Gibson ES-225 und eine Fender Duo-Sonic.”

Zum endlosen Ausprobieren neuer Instrumente und Pedale meint Jim: „Damit drückst du dich vor der echten Arbeit, dem Spielen, Analysieren und Weiterentwickeln. Darauf wird viel zu viel Wert gelegt.“ Trotzdem ist Jim auch im Equipment-Sektor tätig. Fender hat ein Signature-Tele-Modell in einer Auflage von 50 Stück produziert: „Die sind wie afrikanische Diamanten, sehr rar.“ Zudem hat Jim in Zusammenarbeit mit Hahn Guitars eine preiswertere Tele für ca. 1500 Dollar entwickelt, die in Kleinserien von 20 Stück gebaut wird.

Klassisches Bühnenbesteck: Tele + Fender Deluxe Reverb
Fender Blackface Princeton Reverb-Amp
Fender Siverface Princeton Reverb
Jims Hahn Tele

 

Play it!

Um Jims Stil näher zu kommen, gibt es hier drei Beispiele zum Nachspielen. Beispiel 1 zeigt ein kurzes Begleit-Pattern für einen E7-Akkord, das eine Boogie-Bassline mit kurzen Akkordeinwürfen verbindet. In Beispiel 2 siehts du das Thema des Songs ‚Above Paradise‘. Der Song ist eine Art Cowboy-Jazz. Geschickt verbindet Jim Arpeggios, Jazzchords und chromatische Passagen zu einer sehr relaxten Melodie.

Beispiel 3 öffnet die Country-Trickkiste mit Double Stops, Chicken-Picking und einer Menge Humor. Am besten spielst du die Melodie von ‚Twister‘ mit einer Hybrid-Technik der rechten Hand aus Plektrum und Mittel- und Ringfinger. Es empfiehlt sich, die Licks erst einzeln in Abschnitten von ein oder zwei Takten zu üben und dann zusammensetzen. Jim geht sehr genau auf die Akkordfolge ein, und es macht Sinn zu analysieren, wie er die Akkorde in seinen Linien darstellt. Viel Spaß beim Üben und nachdenken!

 

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)

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