Suicidal Tendencies:

Gitarrist Dean Pleasants im Interview

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Obwohl man Suicidal Tendencies hierzulande nicht allzu häufig zu Gesicht bekommt, hat die amerikanische Crossover-Metal-Band in Deutschland eine überaus treue und fanatische Anhängerschaft. Kein Wunder: Wie man bei ihrem Auftritt im Rahmen des „Rock im Revier“-Festivals in der Westfalenhalle Ende Mai 2016 hautnah erleben konnte, fackelt die fünfköpfige Formation auf der Bühne ein spektakuläres Live-Feuerwerk ab, wie man es in dieser Vitalität nur selten geboten bekommt. Zudem hat die Gruppe eine Reihe echter Metal-Klassiker im Gepäck, sodass der Auftritt in Dortmund zu einem wahren Triumphzug avancierte.

Wir verabredeten uns unmittelbar nach der Show mit Gitarrist Dean Pleasants und befragten ihn zu seiner Geschichte, seinem Equipment und zum besonderen Reiz, als Musiker von Suicidal Tendencies und Infectious Grooves auf ganz unterschiedliche Weise gefordert zu sein.

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Dean, war die Gitarre eigentlich deine erste große Liebe?

Dean Pleasants: Nein, mein allererstes Instrument war ein Schlagzeug. Ich hätte gerne im Schulchor gesungen, traf aber leider keinen Ton. Deshalb setzte unser Lehrer mich an die Drums. Vom Schlagzeug wechselte ich dann erst mal zur Trompete …

Stammst du aus einer musikalischen Familie?

Dean Pleasants: Ja, meine Geschwister und auch einige meiner Verwandten spielen Geige, zudem spielte einer meiner Brüder Trompete, der andere Posaune. Meine Eltern ermutigten uns, möglichst viel auszuprobieren. Wir haben häufig Sport getrieben, gejoggt, ich habe Football gespielt, aber die Musik bekam irgendwann einen höheren Stellenwert für mich. Ich liebte immer schon Bassisten, vor allem Bootsy Collins und Larry Graham, mochte aber von Beginn an auch harte Musik. Lange bevor meine Freunde diese Bands überhaupt kannten, stand ich bereits auf Judas Priest, Ronnie James Dio, Kiss oder Van Halen, gleichzeitig aber auch auf Parliament und Prince. Ich war wirklich für alles offen.

Wann und wie bist du zur Gitarre gekommen?

Dean Pleasants: Unser Musiklehrer an der Senior High School brachte eines Tages eine Gitarre mit in den Unterricht und fragte: „Kann jemand spielen?“ Ich hob sofort meine Hand und log: „Ich kann spielen!“ Unser Lehrer war skeptisch: „Sagst du auch die Wahrheit?“ Und ich: „Ja, ehrlich, ich kann Gitarre spielen.“ Er darauf: „Okay, wenn du es mir in zwei Wochen beweisen kannst, darfst du in der Schul-Band spielen.“ So fing alles an. Ich übte Tag und Nacht, brachte mir Akkorde bei und lernte Noten lesen. Zwei Wochen später, es war ein Montag, spielte ich ihm etwas vor. Meine Finger bluteten vom ständigen Üben, aber er sagte: „Okay, ich sehe, du wirst es lernen, deshalb darfst du in unserer Schul-Band die Gitarre spielen.“ Es war wirklich eine riesengroße Herausforderung für mich, aber ich wollte unbedingt Gitarre spielen, weil ich es cool fand, wie Gitarristen aussehen. Ich sah Jimi Hendrix und war von seiner coolen Aura fasziniert. Mir gefielen Gitarren, übrigens auch als Kunstobjekt, die Form, der Hals, ich liebte Stratocaster vom ersten Tag an.

Damit waren Schlagzeug und Trompete vergessen?

Dean Pleasants: Ja, obwohl ich bis dahin auch sehr gerne Trompete gespielt hatte, war die Gitarre genau mein Ding. Ich bekam einen Fender Twin, ich hatte ein Vibrato, ein Reverb, ein Cry Baby Wah und konnte damit die verrücktesten Klänge erzeugen; Töne, die auf einer Trompete nicht möglich sind.

Wie sah dein erstes eigenes professionelles Equipment aus?

Dean Pleasants: 1993 kaufte ich mir in einem ortsansässigen Musikgeschäft in Texas für 500 Dollar eine rote Aria Pro II Destroyer, die bekanntlich ein wenig wie eine Explorer aussieht, also eine richtige Heavy-Metal-Gitarre mit DiMarzio-Pickups. Dazu hatte ich einen Roland-Jazz-Chorus-Combo, eigentlich genau der falsche Amp für das, was ich spielen wollte. Aber ich war damals gerade erst 17 und spielte in kleinen Clubs mit deutlich älteren Musikern überwiegend Rhythm’n’Blues und Funk. In manchen Clubs hätten wir eigentlich gar nicht auftreten dürfen, weil sie dort Alkohol ausschenkten, ich aber noch minderjährig war. Meine Band-Kollegen schmuggelten mich also auf die Bühne und sagten: „Wehe, du trinkst auch nur einen Tropfen! Wir bringen dich um!“ (lacht) Also musste ich heimlich trinken … (lacht noch lauter) Ich liebte die Nachtclub-Szene, außerdem verdiente ich damit etwas Geld. Es machte echt Spaß!

War der Wechsel von Funk, Soul und Motown zu Crossover-Metal ein großer Schritt für dich?

Dean Pleasants: Nein, für mich war es die logische Fortsetzung. Ich wollte unbedingt diese Musik machen. Damals wurde ich stark von MTV beeinflusst, zu einer Zeit, als sie dort noch Musikvideos zeigten. Mich faszinierten die Bands, ihr Aussehen, ihre Musik, ich wollte unbedingt mit dieser Art Songs auf die Bühne. Doch meine Freunde hatten Bedenken: „Du hast doch einen ganz anderen Spielstil!“ Ich spürte, dass ich nach Kalifornien gehen musste. Dort traf ich einen Typen namens Robert Trujillo, wir spielten in der gleichen Gruppe, einer Funk-Band. Ein paar Jahre später wechselte Robert zu Suicidal Tendencies und machte dort einen tollen Job. Einen solchen Bassisten hatten Sucidal Tendencies noch nie erlebt. Dann gründeten Robert und Mike Muir die Band Infectious Grooves und riefen mich an, ob ich mitmachen will. Ich spielte die erste Scheibe ein, auf der ein Typ namens Ozzy Osbourne als Gastsänger zu hören ist. Ozzy lud uns dann ein, mit ihm auf Tournee zu gehen, obwohl seine Plattenfirma strikt dagegen war.

Weshalb?

Dean Pleasants: Weil sie unbedingt Prong auf der Tour haben wollten. Aber Ozzy ließ sich nicht erweichen, er sagte: „Nö, ich nehme diese Jungs mit.“

Cool!

Dean Pleasants: Ja, Ozzy ist wirklich cool. Die Ozzy-Tour war meine allererste Tournee überhaupt. Eine tolle Erfahrung, ich lernte eine Menge von Robert und Mike und Stephen Perkins von Jane’s Addiction. Ich merkte, dass dies meine Leben ist. Von Infectious Grooves kam ich dann schließlich zu Suicidal Tendencies. Weißt du: Als Musiker hat man nie ausgelernt. Ich mochte zwar auch den unverzerrten Sound einer Klampfe, aber ich wollte unbedingt Rock und Metal und Thrash spielen und mit meiner Gitarre richtig harte Töne erzeugen. Es ist wie eine Rakete, die man in den Händen hält: Der Verstärker ist voll aufgerissen, es ist laut und hart und das Publikum wird förmlich umgeblasen. So muss es sein!

Du hattest also nie Gitarrenunterricht?

Dean Pleasants: Nein, ich bin reiner Autodidakt, kenne mich allerdings durch das Trompete-Spielen ganz gut in Musiktheorie aus. Ich habe häufig mit Freunden gespielt, hab mir ihre Tricks abgeschaut, mir Arpeggios und Sweep-Picking und all die Sachen selbst beigebracht. Ständig fragte ich irgendwelche Freunde nach ihren Tipps: „Was ist das, was du da gerade spielst? Kannst du es mir zeigen?“

Bist du als Gitarrist stärker Melodie oder Rhythmus-orientiert?

Dean Pleasants: Ich denke, ich bin von beidem etwas. Ich liebe Rhythmen, aber wenn man mich auf unseren Alben spielen hört, entdeckt man auch viele Melodien, viele Themen und auch ein paar verrückte Sachen. Gleichzeitig liebe ich es, mich rhythmisch beim Schlagzeuger einzuklinken. Es gibt wirklich nichts Kraftvolleres, als ein 100 Prozent profundes Bass/Schlagzeug-Fundament.

Welche Hand ist in erster Linie für deinen Ton verantwortlich, die linke oder die rechte?

Dean Pleasants: Vermutlich beide. Die Art, wie ich anschlage und wie ich mit der anderen Hand Akkorde greife, bildet quasi eine Einheit. Ich mag es, möglichst exakt zu spielen, verlasse mich aber auch gerne auf mein intuitives Gefühl. Ich halte das Plektrum unterschiedlich, je nachdem, was ich gerade spielen will. Im Grunde genommen ändere ich ständig die Plektrum-Haltung. Früher dachte ich, dass ich der Einzige sei, der es so handhabt. Aber dann sah ich Videos von Paul Gilbert und Marty Friedman und wusste, dass viele Gitarristen es so machen. Ich denke, dass meine Vielseitigkeit dazu führt, dass ich mich immer auf meine Musik konzentrieren kann, weil ich ständig auf mein Plektrum und auf meine Hand achte. Und wenn meine Hände mal ein bisschen steif sind, habe ich eine Möglichkeit gefunden, dieses durch eine andere Haltung des Plektrums zu kompensieren. Es gibt in der Musik ja sowieso kein Falsch oder Richtig, sondern nur die Frage, ob man so spielt, wie man es selbst möchte.

Gitarrist Jeff Pogans Ibanez RG (Bild: Mineur)

Übst du jeden Tag?

Dean Pleasants: Nur wenn ich zu Hause bin, zumindest versuche ich es dann. Ich mache Fingerübungen und versuche, mir unterschiedliche Akkorde beizubringen, übrigens auch aus Country oder Folk oder wonach mir gerade der Sinn steht. Kurz vor einer Tour konzentriere ich mich dann allerdings wieder mehr auf meine rechte Hand, auf die Anschlagtechnik und so weiter. Aber es ist nicht mehr so wie früher, als ich fast jeden Tag sechs Stunden lang konzentriert geübt habe. Ich saß so lange in meinem Zimmer und fiedelte herum, bis mein Dad reinkam und brüllte: „Schluss jetzt! Wir wollen unsere Ruhe haben!“ (lacht) Heutzutage begrenze ich das Üben meistens auf ein bis eineinhalb Stunden. Ich sitze vor dem Fernsehen, schaue mir irgendwelche Wissenschaftssendungen an und mache Fingerübungen.

Díaz’ Spector Coda 5 RAD5 Deluxe Custom (Bild: Mineur)

Kannst du mir etwas über dein heutiges Equipment erzählen und unter welchen Gesichtspunkten du es zusammengestellt hast?

Dean Pleasants: Klar, gerne. Als Amp spiele ich meistens einen VHT Pittbull 100 Watt, einer der am besten klingenden Verstärker, die ich jemals gespielt habe. Ich weiß, dass VHT verkauft wurde und Steven Fryette seine Amps jetzt unter eigenem Namen produziert. Mein VHT-Amp gehört noch zur alten Serie. Ich vergleiche seinen Sound immer mit einem weichen Teppich, auf dem man sitzt, sehr warm, nicht zu spitz oder zu hart. Auf Tour in Europa setze ich einen Marshall TSL 100 Triple Super Lead ein. Jeder Gitarrist liebt Marshall Amps, der TSL hat einen knalligen Leadsound, einen wunderbar klaren Clean-Kanal und einen homogen klingenden Rhythmuskanal. Er klingt zwar völlig anders als ein VHT, aber ich muss zugeben, dass ich mich mittlerweile an den Marshall gewöhnt habe.

Es war also eine Umstellung?

Dean Pleasants: Ja, sowohl akustisch als auch vom Spielgefühl. Zu Beginn fühlte ich mich noch etwas unwohl, aber jetzt ist es absolut okay. An Gitarren habe ich eine 57er Gibson Gold Top und ein paar Fender Telecaster. Bei Suicidal Tendencies spiele ich allerdings fast ausschließlich Fernandes-Gitarren. Leider gibt es die Firma ja nicht mehr, aber ich liebe ihre Gitarren und besitze zum Glück einige Modelle. Ein Freund von mir, Alex Lagos, hat sie damals bei Fernandes als Custom-Versionen gebaut. Alex hat die VHawk und die Vortex entwickelt und kümmert sich jetzt um meine Modelle. Er hält die Sustainer, die Locking-Bridge und alles andere in Ordnung. Mittlerweile spiele ich zum ersten Mal in meinem Leben aktive EMG-Pickups, ich finde, sie passen perfekt zu Sucidal Tendencies: sehr kraftvoll und crunchy, für jeden Amp geeignet. Die Gitarren haben 24 Bünde, ich spiele Dunlop „Light Top Heavy Bottom“-Saiten, .010 auf .052. Die etwas dickeren, tiefen Saiten erzeugen den Rhythmus-Sound und bleiben griffig und in Stimmung, auch wenn wir wild über die Bühne rennen. Fernandes- Gitarren sind meines Erachtens die besten Rock-Gitarren überhaupt, auch wenn es sie nicht mehr zu kaufen gibt.

Am Bass: Ra Díaz (Bild: Mineur)

Letzte Frage: Wie darf man sich den Privatmann Dean Pleasants vorstellen?

Dean Pleasants: Ich lebe in Kalifornien in der Nähe von San Marcos, habe eine Freundin und besuche gelegentlich meinen Vater in San Antonio, Texas. Ich habe Geschwister und Neffen, fahre gerne Fahrrad und manchmal Skateboard, spiele gelegentlich Basketball, was für die Hände natürlich nicht gerade ungefährlich ist, weswegen ich dabei höllisch aufpassen muss. Ich mag Tiere und stehe auf alte Autos. Ich habe mir kürzlich einen alten Volvo PT 100 restauriert, übrigens auch nicht ganz ungefährlich für die Finger. Ich bin gerne zu Hause, lebe ein kleines, unauffälliges Leben und mag es auch unterwegs möglichst normal. Ach, eines habe ich noch vergessen: Ich esse für mein Leben gern, deswegen muss ich mein Gewicht immer im Auge behalten, wenn es auf Tournee geht. (lacht)


Aus Gitarre & Bass 12/2016

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