Im Interview

Joe Satriani: Auf Marsmission

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(Bild: Eduardo Pena Dolhun)

Mit seinem neuen Album ‚The Elephants Of Mars‘ wird der amerikanische Saitenhexer Joe Satriani die Fans sicherlich ein wenig überraschen. Denn die Zeiten instrumentalen Classic Rocks sind weitestgehend vorbei, Satriani hat die Lust am Experimentieren (wieder-) entdeckt. Dass dies nicht nur stilistisch, sondern teilweise auch produktionstechnisch gilt, hat uns der 66-Jährige in einem langen, spannenden Gespräch verraten.

Außerdem gewährt er interessante Einblicke in seine nun 30-jährige Kooperation mit der japanischen Instrumentenschmiede Ibanez, aus der eine Reihe echter Klassiker hervorgegangen ist. Offenbar jedoch auch ein paar vermeintliche Fehlgriffe, wie Satriani offen zugibt. Hier nun das Interview mit einem der virtuosesten und zugleich nettesten Gitarristen der Rockgeschichte!

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Joe, waren die zurückliegenden zwei Jahre wegen des Lockdowns die entspanntesten oder die langweiligsten Monate deiner Karriere?

Wie für die gesamte Musikindustrie waren es auch für mich zwei schreckliche Jahre. Alles stand still, durch die schlimme Krankheit habe ich enge Freunde verloren, es war alles andere als eine gute Zeit. Corona ist eine Tragödie für die gesamte Menschheit. Ich selbst bin zum Glück bislang verschont geblieben, aber auch ich habe natürlich emotionale Probleme mit der dramatischen Situation. Wir befinden uns in einer herausfordernden Lage – auch wenn das ganze Leben eine Herausforderung ist –, dennoch habe ich die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nicht aufgegeben. Mein Team und ich haben versucht, diese merkwürdige Zeit so gut wie möglich zu nutzen und neue Musik zu kreieren. Ich habe eine Menge Songs komponiert und viele davon aufgenommen. Außerdem habe ich häufig und ausgiebig gemalt. Jetzt hoffe ich, dass wir in den kommenden Monaten wieder loslegen, auf Tour gehen und andere Menschen treffen können.

Trotz deiner Malerei hattest du aber offenbar noch Zeit, ein paar neue Signature-Gitarren zu designen.

Das stimmt. In Zusammenarbeit mit dem Ibanez Custom Shop in Los Angeles und meinem Instrumentenbauer Hoshino in Japan habe ich, wie eigentlich durchgehend, an weiteren Varianten meines JS-Signature-Modells gearbeitet. Es wird zwei oder drei neue Modelle geben, die im Laufe dieses Jahres veröffentlicht werden. Bekanntlich hat so etwas immer einen langen Vorlauf, sodass ich vermutlich erst im Laufe dieses Sommers die konkreten Details bekanntgeben kann. Es gibt ein paar wundervolle Designänderungen, plus ein paar technische Verbesserungen, die wir uns zunutze gemacht haben. Voraussichtlich wird es in einigen Monaten die ersten Fotos geben, und wenn du möchtest, können wir dann ja noch einmal darüber sprechen. Im Moment ist es dafür noch ein wenig zu früh.

Sprechen wir über 6-, 7- oder sogar 8-Saiter?

Wie du weißt, bin ich überzeugter Sixstringer! Das war immer schon so und hat mein gesamtes Leben geprägt. Natürlich ist auf meinem neuen Album auch eine 7-String zu hören, insgesamt besitze ich aber nur drei siebensaitige Exemplare. Zwei sind meine eigenen Ibanez-7-String-Prototypen, die dritte ist eine Steve Vai Universe. Ehrlich gesagt: Über eine 8-String oder sogar 10-String habe ich noch nicht einmal nachgedacht, das wäre mir eine zu große Bandbreite. Hinzu kommt, dass mir der Klang einer 6-String am besten gefällt.

Eine sechssaitige Gitarre hat einen ganz bestimmten Charakter, der sich mit nur einer zusätzlichen Saite bereits spürbar verändert und mit jeder weiteren Saite noch extremer wird. Ich weiß nicht, wie ich die richtigen Worte finden soll, aber wenn ich Jimmy Page oder Jimi Hendrix spielen höre, weiß ich, dass sie das für sie perfekte Werkzeug in den Händen halten. Für mich sind Sixstrings einfach die ultimative Version dieses Werkzeugs.

Hat Ibanez niemals danach gefragt, ob du auch eine 8-String entwickeln möchtest?

Nein. Die Ibanez-Leute in Japan fragen immer nur: „Worauf hast du Lust? Was gefällt dir am besten? Was möchtest du in den kommenden Jahren spielen? Sag an, wir bauen es dir!“ Sie versuchen gar nicht erst, besonders clever zu sein und zu sagen: „Nimm doch bitte mal diese oder jene Gitarre in die Hand und tue so, als ob du damit spielst, wir möchten davon ein paar Fotos machen! Und vielleicht möchtest du die Gitarre dann ja auch tatsächlich spielen!“ So etwas haben sie noch nie gemacht.

Sie beginnen jede Unterhaltung mit ihren Künstlern mit den Worten: „Was möchtest du? Was sollen wir nach deinen Vorstellungen entwickeln? Was können wir bauen, damit du wirklich damit spielst?“ So sollte es zwischen einem Künstler und seinem Endorser ja auch sein. Oft nehme ich brandneue Gitarren mit auf Tour und spiele sie, um dem Publikum zu zeigen, dass ich zu 100% hinter diesen Produkten stehe und sie auch selbst einsetze. Das ist der Teil, den ich zur Kooperation mit Ibanez beisteuern kann: eine möglichst perfekte Demonstration, wie diese Gitarren klingen und sich spielen lassen.

Welches deiner Modelle ist eigentlich das kommerziell erfolgreichste? Und auf welches oder welche bist du am stolzesten?

Nun, die allerneuesten Exemplare mit 24 Bünden, Humbucker in der Bridge- und einem Sustainiac in der Hals-Position, die mit der Muscle-Car-Serie in Muscle Car Orange anfing und die es dann auch in Rot, in Lila, in Schwarz und mit Erle- und Linde-Korpus mit leicht unterschiedlichem Sound gibt, sind einfach großartig zu spielen. Ich habe eine von ihnen gerade heute Morgen aus dem Koffer geholt und erneut festgestellt, wie wunderbar sie sich spielen lässt. Wie leicht einem mit dieser Gitarre die Ideen von der Hand gehen. Und wie inspirierend dies ist, sodass man plötzlich Dinge spielt, die man auf einem der anderen Modelle vermutlich nicht gespielt hätte. Dies gilt auch für mein chromfarbenes Modell, ebenfalls eine Gitarre, die mir besonders am Herzen liegt.

Ich muss gestehen, dass ich mich mit den einzelnen Modellnummern nicht so genau auskenne, aber sie alle heißen in etwa 2480, 2450 und ganz ähnlich. Es sind einfach zu viele Nummern, die ich in den 30 Jahren JS-Modelle mitentwickelt habe und mir deshalb nicht alle merken kann. (lacht) Es sind immer JS-Modelle, die mit der Zahl 24 beginnen, stellvertretend für die 24 Bünde der Gitarre. In diesem Jahr wird es eine kleine Anniversary-Retro-Serie geben, um das 50-jährige Jubiläum von Hoshino und Ibanez zu feiern. Ich freue mich schon sehr darauf!

(Bild: Eduardo Pena Dolhun)

Gibt es unter den vielen Modellen, die mit deinem Namen verbunden sind, auch missratene Exemplare? Gitarren, die du in dieser Form heute nicht mehr veröffentlichen würdest?

Nun, vielleicht müsste ich es anders formulieren: Ich besitze einen All-Mahagony-7-String-Prototypen. Ich liebe diese Gitarre, sie klingt fantastisch. Für mein Empfinden ist es die am besten klingende 7-String, die Ibanez jemals gebaut hat. Aber sie ging nie in Serienproduktion, denn 7-Strings sind nun einmal – wie schon erörtert – nicht meine Lieblingsgitarren. Deshalb blieb es bei diesem einen Prototypen.

Ein anderes Beispiel: Wir haben günstigere JS-Modelle entwickelt, für ein Preissegment von unter 500 Dollar, gezielt für ganz junge Anfänger. So in der Art von Fender, die mit Squier auch kostengünstigere Varianten im Angebot haben, um jungen Musikern die hohen Preise zu ersparen. Eine gute Idee, wie ich finde, aber einige der Lackierungen, die sie verwendet haben, sagten mir überhaupt nicht zu. Andererseits wohne ich auch nicht dort, wo diese Gitarren verkauft wurden und kann es daher eventuell nicht richtig beurteilen, was der dortige Markt wünscht.

Ich erinnere mich, dass Ibanez vor einigen Jahren ein JS-Modell in Translucent Blue im Sortiment hatte, das ich nie in die Hände bekam und wohl auch nie in die Hände genommen hätte. Der Grund dafür ist allerdings ganz einfach: Ich bin ein Performer, ich stehe auf der Bühne, und die Gitarre, die ich spiele, muss auffallen. Ich spiele in großen Hallen, und das was ich brauche, sind Modelle wie meine chromfarbige JS oder Versionen mit einem auffallenden Design, das auch von den hinteren Rängen cool aussieht. Die Version in Translucent Blue sah von Nahem betrachtet sicherlich sehr schön aus, aber für die Bühne in einem großen Club wäre sie denkbar ungeeignet. Wenn jemand auf die Bühne kommt, will das Publikum von ihm eine bunte Show erleben, auch hinsichtlich der Farben. Rock’n’Roll is show business …

Hast du einen Überblick, wie viele unterschiedliche Gitarren du auf ‚The Elephants Of Mars‘ gespielt hast?

Hm, nicht allzu viele. Es waren ein paar meiner Erle-JS-Modelle, nämlich die Chromgitarre, die No. 3 und meine Muscle-Car-rote. Plus mein neu designter Paisley-Prototyp, eine schwarze JS mit weißem Paisley-Muster, die meine Frau designt hat. Hinzu kam bei ein paar Songs der erwähnte All-Mahagony-7-String-Prototyp, sowie ein JS-Prototyp aus dem Jahr 1998 mit 20 Bünden, Humbucker und zwei Singlecoils, die einen super cleanen Strat-Sound liefern.

Darüber hinaus habe ich eine Telecaster und eine Stratocaster aus dem Fender Custom Shop gespielt, des Weiteren im Song ‚Sahara‘ eine Ibanez Electric 12-String zusammen mit einer alten 1966 Fender Electric XII als Rhythmusgitarren. Dann noch eine Jerry-Jones-Sitar im Stück ‚Doors Of Perception‘, und meine Ibanez-Signature-Acoustic zusammen mit einer etwa sechs Jahre alten Martin HD-28. Das Verrückteste war: Obwohl du gerade im Hintergrund des Raumes eine Reihe Tops und Combos sehen kannst, habe ich auf dem Album keinen einzigen traditionellen Amp benutzt.

„Chrome Boy“ - die JS-Signature im Chrome-Finish
Ibanez JS2410 Muscle Car Orange mit Erle-Korpus, Baujahr 2011
Ibanez Signature JSA 10 Acoustic
JS mit Purple-Finish
Ibanez Custom Shop mit Di-Marzio-Tonezone-PU (designt für die 2010er Jimi-Hendrix-Tour

 

Ich hörte, es sollen eine Menge Spuren mit einem SansAmp-Plugin eingespielt worden sein.

Nicht nur eine Menge, sondern wirklich komplett alles, sämtliche Gitarren. Ich habe keinen Röhren-Amp, keinen Modelling-Amp, keinen Profiler eingesetzt, sondern alle Spuren direkt in den Computer gespielt. Übrigens mit dem ursprünglichen Ziel, diese Spuren anschließend mit unterschiedlichen Verstärkern zu reampen. Doch während wir dabei waren, die Gitarren zu reampen, stellten wir fest, dass nichts so cool klang wie die originalen Spuren mit dem SansAmp-Plugin. Wir mussten zwar erstmal schlucken, dass der beste Sound aus einem Plugin stammte, aber weil es nun einmal so war, haben wir uns schnell darauf eingestellt.

Greg Koller, der die neue Scheibe gemischt hat, nahm den Sound aus meinem Pro-Tools-System, schickte ihn durch allerlei alte Limiter, Kompressoren und EQs und von dort zurück in Pro Tools. Dieser letzte Schritt veredelte den Sound. Das SansAmp-Plugin folgte wirklich jeder kleinen Nuance, die ich mit meinen Fingern auf den Saiten spielte, und klang deutlich besser, als wenn wir es mit einem Mikrofon vor einer Lautsprecherbox aufgenommen hätten. Für mich stand damit fest, dass wir es genauso machen werden, denn das Ziel der Scheibe war, dem Zuhörer meine Interaktion zwischen Fingern und Saiten so nah wie möglich zu bringen. Ich war vom SansAmp wirklich überrascht, vom cleansten bis zum verzerrtesten Sound war er perfekt.

Apropos Interaktion: Während deine vorherigen Alben überwiegend mit Classic-Rock-Songs bestückt waren, fällt ‚The Elephants Of Mars‘ deutlich vielschichtiger und variantenreicher aus. Was sind die Gründe für diesen Schritt?

Ich hatte das Gefühl, dass ich mit ‚Shapeshifting‘ das natürliche Ende meiner Liebesbriefe an den Classic Rock erreicht hatte, die 1992 mit ‚The Extremist‘ begonnen hatten. ‚The Extremist‘ war purer Classic Rock, und das inmitten der Grunge-Ära. Viel weiter als ich hätte man sich damals nicht aus dem Fenster lehnen können. (lacht) Mein Album ‚Joe Satriani‘ (1995) oder die 2000er-Scheibe ‚Engines Of Creation‘ mit seinen transelektrischen Songs waren zwar etwas vielschichtiger, basierten aber letztendlich auf einem ähnlichen Fundament. Ich habe immer schon nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Dabei folge ich ausschließlich meiner künstlerischen Inspiration und mache mir erst anschließend Sorgen, ob und wie das in die heutige Musikindustrie passen könnte.

Als die ‚Shapeshifting‘- Tour wegen Corona das erste Mal gecancelt werden musste, saß ich zuhause und dachte: Irgendwie ist dies das Ende eines Kapitels meiner Karriere. Mit ‚What Happens Next‘ und ‚Shapeshifting‘ hatte ich das Konzept ausgereizt, mit allen Musikern im gleichen Raum aufzunehmen, um einen wirklich authentischen Classic-Rock-Studio-Sound zu bekommen. Ganz ähnlich haben wir seinerzeit ja auch mit Chickenfoot gearbeitet: alles spontan, in wenigen Stunden komponiert, arrangiert, sofort die Basics aufgenommen und anschließend lediglich ein paar Overdubs hinzugefügt. So etwas macht natürlich einen Heidenspaß und liefert ja auch sehr vitale Ergebnisse.

Aber: Es gehen dabei viele coole Ideen verloren, weil man sich permanent auf das Wesentliche fokussiert. Bei diesem Konzept hat man keine Möglichkeit, noch einmal einen Schritt zurückzugehen und zu sagen: „Moment mal, ich hätte da noch einen cooleren Rhythmuspart, eine noch bessere Hookline, ein noch homogeneres Arrangement parat.“ Denn wenn man live und ohne Clicktrack aufnimmt, lassen sich wesentliche Dinge anschließend nicht mehr verändern. Deswegen war mein Plan diesmal: Ich möchte etwas anderes ausprobieren, auch weil sich mein eigener Standard für das, was ich als Instrumentalgitarrist erreichen möchte, erhöht hat. Deshalb wollte ich mich zuerst komplett auf das Songwriting konzentrieren, auf die jeweils stärkste Version für jeden einzelnen Part.

Mein Toningenieur Eric Caudieux ist dafür der perfekte Partner, denn er kann produktionstechnisch exakt den richtigen Rahmen schaffen, um solche Dinge auszuprobieren. Nur so war es möglich, den Titelsong, der eigentlich aus einer Reihe verrückter Snippets besteht, zu strukturieren. Daneben gibt es aber auch sehr simple Songs, die lediglich auf einem starken Riff und einem coolen Groove basieren. Hinzu kam, dass meine Band diesmal völlig ohne Zeitdruck arbeiten konnte, weil eben keine fiktive Studiouhr tickte und weil jeder für sich ganz alleine aufnehmen konnte, ohne das Gefühl zu haben, die Anwesenden beeindrucken zu müssen.

Letzte Frage: Was passiert mit deinem angekündigten Gesangsalbum?

Das ist nicht vom Tisch. Ich habe meinen Songschreibpartner Ned Evett, mit dem ich auch schon das ‚Crystal Planet Comic Book‘ realisiert habe, angerufen und gefragt: „Es gibt ein paar Vocal-Songs von mir, was hältst du davon, wenn wir sie zusammen fertigstellen?“ Ned ist ein toller Gitarrist und auch ein starker Sänger. Ich hatte angefangen, nur mit Akustikgitarre und meiner zugegeben schrecklichen Gesangsstimme, ein paar Songs zu schreiben. Ned und ich haben daraus ein Album gemacht, das bislang aber nur als Demo existiert. Es zeigt eine völlig andere Seite von mir und von Ned. Ich hoffe, dass ich in Zukunft auch andere Künstler von meiner Idee überzeugen kann und dass daraus vielleicht sogar eine richtige Band wird. Derzeit sind aber nur Ned und ich daran beteiligt. Vielleicht bleibt es auch dabei. Man wird sehen!

Jetzt bin ich richtig neugierig geworden! Vielen Dank Joe, bis zum nächsten Mal!

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2022)

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