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Interview: Herman Li von Dragonforce

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Als Herman Li Mitte der Siebziger in Hongkong geboren wurde, begann gerade in Europa und Amerika die Ära der großen Gitarrenvirtuosen mit kommenden Lichtgestalten wie Yngwie Malmsteen, Eddie Van Halen, Jason Becker oder Vinnie Moore. Wenig später emigrierte der heutige Dragonforce-Gitarrist Li mit seiner Familie nach England, wurde dort als 16-Jähriger zum Musiker und gilt heute, knapp 25 Jahre später, selbst als Metal-Shredder-Ikone.

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Mit seiner Band zelebriert der heute 40-Jährige atemberaubende Hochgeschwindigkeits-Riffs und -Licks, die das Publikum immer wieder in Staunen versetzen. Nach dem Dragonforce-Debüt ,Valley Of The Damned‘ (2003) dauerte es nur wenige Jahre, bis die Fachwelt auf den virtuosen Musiker aufmerksam wurde und ihn mit Lobeshymnen und allerlei Preisen geradezu überschüttete. Die Auszeichnungen reichten von „Best Shredder“ und „Best New Talent“ über „Best Metal“, „Best Riff“ und „Best Solo“ (für den Song ,Through The Fire And Flames‘ ) bis zu „Best Musician“ sowie zur Aufnahme in eine Liste der 50 schnellsten Gitarristen der Welt.

Das Besondere an Li: Obwohl er Linkshänder ist, spielt er seine Gitarren rechtshändig. Auf der 2017er Musikmesse in Frankfurt war Herman Li jeden Tag in der sogenannten „Sweat, Blood & Tears“-Box zusehen, in der er für jeweils 30 Minuten seine außergewöhnlichen Fingerfertigkeiten demonstrierte. Wir schauten uns eine dieser Performances an und unterhielten uns anschließend mit ihm über seine erstaunliche Technik.

Herman, hast du in deinem Leben jemals langsam gespielt?

Nur für ganz kurze Zeit. Als ich mit der Musik anfing, wollte ich eigentlich nur Rhythmusgitarre spielen, und vielleicht mal ein paar langsamere Soli von Bryan Adams. Denn ich dachte, dass seine Soli total einfach zu lernen sind. Aber da hatte ich mich natürlich gründlich getäuscht, denn in Bryan Adams’ Soli gibt es viele schwierige Bendings und trickreiche Vibrato-Parts, die man nicht einfach locker aus dem Ärmel schüttelt.

Wie hast du das Problem gelöst?

Gar nicht. (lacht) Ich entdeckte relativ schnell die Scheiben des Shrapnel-Labels von Mike Varney, also Vinnie Moore und Tony MacAlpine, und war total fasziniert. Ich fing an, mir aus einem benachbarten Instrumenten-Shop Videos von Frank Gambale, Michael Angelo und Steve Morse zu leihen und ihre Übungsstücke zu lernen. Mit der Entdeckung des Sweep-Pickings änderte sich mein Stil rasant. Ich hatte ja erst als Jugendlicher überhaupt angefangen zu spielen, eigentlich vergleichsweise spät für einen Musiker. Zu Anfang lernte ich Skalen und Akkorde, aber mit dem Sweep-Picking kam dann das Tempo hinzu. Ich kannte Marty Friedman, Steve Vai und Joe Satriani von früher, hatte mit ihrer Musik zunächst aber nicht viel anfangen können, weil ich sie nicht verstand. Aber je besser ich Gitarre spielte, umso mehr kam ich dahinter, was ihren Reiz ausmacht. Entscheidend waren schließlich Dream Theater, durch die ich den Sinn dieser schnellen Spieltechnik kapierte. John Petrucci spielte auf ,Images And Words‘ so unglaublich akkurat …

Du bist Autodidakt, nicht wahr?

Na ja, jedenfalls weitestgehend. Ich hatte an der Schule drei oder vier Unterrichtsstunden in Akustikgitarre, die der Musikkurs für interessierte Schüler anbot. Danach hieß es jedoch: „Es macht keinen Sinn für dich, Herman, denn du willst ja sowieso nur E-Gitarre spielen.“ Diskriminierend, nicht wahr? (lacht)

Aber in deinem Fall vermutlich die richtige Entscheidung.

Ja, kann gut sein. Ich wollte sowieso lieber zu den Scheiben anderer Künstler spielen: Ich ließ die Songs laufen und improvisierte dazu. Andere Gitarristen lernen Pentatonik und Skalen, ich dagegen dudelte einfach drauflos, ohne zu wissen, was ich da harmonisch überhaupt machte. Aber es schulte mich trotzdem, vor allem meine Fingertechnik. Speziell in den ersten drei Jahren habe ich unglaublich viel gelernt. Alles war neu und aufregend und faszinierte mich. Von da an setzte ich mir immer neue Ziele und wurde dadurch schnell besser.

Ich habe letztens ein frühes Foto von dir mit einer Ibanez EX 360 gesehen. War das deine allererste Gitarre?

Nein, meine erste Gitarre war eine Squier-Strat. Sie ist allerdings nicht mehr in meinem Besitz. Ich verkaufte sie, um mir die besagte EX 360 leisten zu können, denn ich wollte diese abgefahrenen Gitarrentricks von Joe Satriani oder Van Halen spielen, und dafür brauchte ich eine andere, modernere Gitarre.

Die EX 360 besitzt du noch?

Oh ja, und ich habe sie signieren lassen von John Petrucci, Marty Friedman, Steve Vai, Tony MacAlpine, Joe Satriani … (lacht)

Aufgrund der EX 360 kam sicherlich auch die Zusammenarbeit mit Ibanez zustande. Wann haben sie dir eine Kooperation angeboten?

Nun, zunächst einmal musste ich Ibanez fragen, ob sie Interesse an mir haben. Ich kam mit Paul Allender, dem Gitarristen von Cradle Of Filth, ins Gespräch. Dragonforce hatten damals zwei Scheiben draußen und ich besaß bereits vier oder fünf Ibanez-Gitarren. Ich brauchte also eigentlich gar keinen Endorsement-Deal. Aber Paul sagte, dass Ibanez für ihre Endorser auch Custom-Shop-Modelle anbot, und das interessierte mich natürlich. Also fragte ich sie, ob sie Interesse an mir haben. 2005 habe ich einen Vertrag unterzeichnet und gut ein Jahr später kam mein Signature-Modell EGEN18-DRG auf den Markt. Danach musste ich mich um nichts mehr kümmern.

Hast du dein übriges Equipment auch gezielt auf diese Gitarre mit ihrem Sound justieren müssen?

Nun, ich spiele ja seit einiger Zeit Kemper-Amps, allerdings auf Tournee ohne Boxen, sondern stattdessen mit einem In-Ear-System von 64 Audio, das einen fantastischen, klaren Sound erzeugt. Der Sound ist deutlich weniger komprimiert als bei anderen Herstellern.

Herman-Li-Setup
Hermans Kemper-Amp und Line 6-Sender an Mesa-Box. Foto ganz oben: Li mit seiner Hauptgitarre, einer Ibanez EGEN18-DRG Custom (Bild: Matthias Mineur)

Deine Fußpedale sind ein Whammy und ein WahWah…

… die parallel geschaltet und immer off sind, wenn ich sie nicht spiele. Sie sind nicht in den normalen Kreislauf eingespeist. Ich schalte sie per MIDI-Loop ein oder aus. Als Sender spiele ich zur Zeit ein Line6-G90-Digital-Wireless. Allerdings brauche ich zusätzlich noch ein analoges System, denn die vielen WiFi-Geräte im Publikum erzeugen riesige Probleme. Wenn wir in Japan spielen, müssen wir das Publikum bitten, ihre Handys auszuschalten, um Störungen zu vermeiden.

Letzte Frage: Machst du musikalisch noch etwas anderes als Dragonforce?

Dafür habe ich überhaupt keine Zeit. Ich habe ja sogar meine Gitarre hier auf die Messe mitgebracht, um die Dragonforce-Songs für die anstehende Tournee zu lernen. Die Arbeiten an einem neuen Album, das Artwork, das Bonusmaterial, die Videos, die Fotos, das alles kostet so viel Zeit, dass mir daneben gar kein Freiraum für andere Projekte bleibt. [1308]

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Kommentar zu diesem Artikel

  1. Was ich besonders spannend fand, ist, dass er wie ich als Linkshänder eine Rechtshändergitarre spielt. Ich habe es von Anfang an noch nie anders probiert (freiwillig!) und habe dabei auch nie Probleme gehabt. Schließlich braucht man zum Spielen beide Hände. Für Rock-Sologitarre könnte – im Gegensatz zu klassischer Gitarre – eine stärkere linke Hand evtl. sogar ein Vorteil sein? Gibt es ähnliche oder andere Erfahrungen?

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