Schweres Erbe

Interview: Mammoth WVH – Wolfgang Van Halen

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(Bild: TRAVIS SHINN)

Er sieht sich als Drummer, der aber auch noch weitere Instrumente beherrscht. Er möchte nicht reiner Erbverwalter sein, sondern auf eigenen Beinen stehen. Und: Er versteht sich vorzugsweise als Einzelgänger denn Teil einer Band. Willkommen in der Welt von Wolfgang Van Halen, einem 30-Jährigen, der bislang als Bassist von Van Halen und Tremonti in Erscheinung getreten ist. Jetzt – acht Monate nach dem Tod seines Vaters Eddie – startet er eine Solo-Karriere. Ein schwieriges Unterfangen, selbst wenn sich „Wolfie“, wie ihn seine Freunde nennen, als ebenso ambitionierter wie sympathischer Gesprächspartner erweist.

Ein Montag-Abend in Hollywood. Wolfgang William Van Halen empfängt via Zoom in seinem Heimstudio. Ein in Rot und Blau getauchter Raum, der ein großes Mischpult, ein Gitarren-Rack und ein Keyboard erahnen lässt, und indem der Spross von Gitarrengott Eddie an seinen Demos bastelt. „Ich verbringe hier vor allem meine Abende“, verrät der große, stämmige Junge mit dem Vollbart und der Kurzhaarfrisur.

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„Es ist der perfekte Ort, um runterzukommen, noch ein paar Ideen festzuhalten und das Gefühl zu haben, den Tag auf kreative Weise genutzt zu haben, selbst wenn letztlich kein kompletter Song dabei herauskommt.“

Aber im Schreibmodus ist der 30-Jährige derzeit ohnehin nicht. Er promotet vielmehr sein Debütalbum, das genauso heißt, wie sein Solo-Projekt: Mammoth WVH. Eine 1-Mann-Band, zu der Van Halen sämtliche Instrumente sowie den Gesang beisteuert und mit einem imposanten 14-Song-Parcours aufwartet, der sich stilistisch am Grunge der frühen 90er und am Alternative-Rock der 2000er orientiert.

One Man Band: Das Musikvideo zu ‚Don’t Back Down‘ (Bild: YouTube)

Der auf einen kraftvollen, aber auch melodischen Sound samt tief-therapeutische Texte setzt. Darin besingt der Multiinstrumentalist den Verlust von Freunden und Beziehungen, spricht sich (und allen, die es hören wollen) Mut und Zuversicht zu und verarbeitet damit gleichwohl den Tod seines Vaters, der im Oktober 2020 einem Krebsleiden erlag. Zugleich das Ende der Band Van Halen, der Wolfie (offiziell) seit 2006 als Bassist angehörte. Eine Rolle, die ihn nie vollends ausgefüllt hat.

INTERVIEW

Wolfgang, warum ein Solo-Projekt statt einer richtigen Band – was willst du damit beweisen?

(lacht) Ich schätze, ich wollte einfach sehen, ob ich das hinkriege. Also ein Album, auf dem ich alle Instrumente spiele und das eigenständig und in sich geschlossen klingt. Schließlich bin ich jetzt 30 und habe bislang noch nichts in der Art gemacht. Genau deshalb wollte ich das versuchen. So ähnlich wie Dave Grohl mit dem ersten Album der Foo Fighters.

Warum verwendest du nicht deinen eigenen Namen? Empfindest du Van Halen als zu große Belastung? Wären die Erwartungen dann schlichtweg zu groß?

Es ist eher so, dass ich gerne Mammoth verwenden wollte. Denn so hießen Van Halen ehe sie sich umbenannt haben. Ich habe den Namen immer geliebt und mir vorgenommen, ihn irgendwann zu verwenden. Ganz abgesehen davon, dass er eine nette kleine Referenz an die Band-Geschichte darstellt, zu der ich ein enges Verhältnis habe.

Angeblich hast du schon 2015 mit dem Album begonnen und die Aufnahmen im Sommer 2019 abgeschlossen. Warum erscheint das Ganze erst jetzt?

Ich hatte sogar schon 2013 angefangen Songideen zu entwickeln. Aber die Aufnahmen gingen erst 2015 los – und wurden immer wieder durch meine Arbeit mit Van Halen und Tremonti unterbrochen. Fertig war das Album Ende 2018. Nur: Zu der Zeit hat die Gesundheit meines Vaters nachgelassen und insofern habe ich die Musik erst einmal zurückgestellt und mich um ihn gekümmert. Das war dann mein Ding bis zu seinem Tod. Alles andere war mir erst einmal egal.

Deine Musik weist ein starkes akustisches Element auf. Woher kommt das und wie wichtig ist dir das?

Normalerweise beginnen alle Songideen, die ich entwickle, auf der akustischen Gitarre. Und deshalb ist sie bei den finalen Versionen der meisten Stücke immer noch präsent. Denn sie ist der Ausgangspunkt für alles. Das ist einfach die Art, wie ich schreibe. Und abhängig von den Riffs, die ich verwende, wechsle ich dann entweder zur elektrischen oder bleibe bei der akustischen Gitarre. Je nach dem, was besser klingt.

Gleichzeitig ist da ein starker Grunge-Einfluss: Nirvana, Alice In Chains und Soundgarden. Bands, deren Höhepunkt du gar nicht erlebt haben dürftest …

Stimmt. Ich bin Jahrgang 1991 – aber halt ein riesiger Fan von Alice In Chains. Einfach, weil sie mich schon das ganze Leben begleiten.

Lief das bei dir zu Hause? Oder womit hat dich dein Dad konfrontiert?

Unser gemeinsames Ding war AC/DC. Mein Vater konnte gar nicht genug von ihnen kriegen. Genau wie von Peter Gabriel. Als Teenager habe ich dann noch Blink-182, Jimmy Eat World und System Of A Down entdeckt. Das sind große Bands für mich – und Travis Barker von Blink-182 ist auch mein Vorbild als Drummer.

Wie hat Eddie auf System Of A Down reagiert? Hat er das ernst genommen oder sich eher darüber amüsiert?

Er hat den Gesang geliebt – und er hat ihn immer zum Lachen gebracht. Vor allem Sachen wie ‚B.Y.O.B.‘ fand er toll. Sprich: Er hat das als lustig empfunden, aber halt auch ernst genommen. Und er war sehr wählerisch in dem, was ihm gefiel. 2019 waren wir z. B. zusammen auf einem Konzert von Tool. Nach der Show haben wir Justin Chancellor, den Bassisten, getroffen und Dad meinte zu ihm: „Du bist der Beste, Mann. Was du da spielst, ist einfach Wahnsinn.“ Es war toll zu erkennen, wie mein Dad verstanden hat, warum ich Tool liebe. Das war ein großer Moment für mich – er gab mir das Gefühl, dass er auf einer Wellenlänge mit mir ist.

Trotzdem scheint dein Gitarrensound eher von Tony Iommi geprägt als von Eddie van Halen. Wie kommt’s?

Weil ich ihn gut kenne. Er war ein Freund meines Vaters und war mir gegenüber immer sehr nett. Ich finde, er ist einer der wichtigsten und einflussreichsten Rock-Gitarristen aller Zeiten. Und natürlich ist diese Erkenntnis, die ich irgendwann als Teenager hatte, nicht spurlos an mir vorbeigegangen. (lacht)

Warum dagegen kaum Van-Halen-Einflüsse? Ist das Absicht oder Zufall?

Ganz ehrlich? Ich habe mir nie große Gedanken darüber gemacht, wie ich es vermeiden könnte, wie Van Halen zu klingen. Sondern: Mein Hauptinteresse war immer, meinen eigenen Sound zu finden. Und ich hoffe, dass mir das halbwegs gelungen ist. Ich habe mir aber nicht jeden einzelnen Song vorgenommen, nach dem Motto: „Klingt er zu sehr nach meinem Vater?“ Ich habe einfach gemacht, was mir in den Sinn kam und was sich richtig anfühlte. Dafür habe ich ein breites Instrumentarium verwendet, um einen vielschichtigen Sound zu erzielen und nicht denselben Boden zu beackern wie Van Halen.

Was Gitarren betrifft: Was verwendest du auf deinem Album? Greifst du auf die Wolfgang-Serie deines Vaters zurück oder versuchst du, seine Signature-Modelle eher zu vermeiden – selbst, wenn sie deinen Namen tragen?

Ich habe schon eine Wolfgang, auf die ich ständig zurückgreife. Und sie ist auf dem gesamten Album zum Einsatz gekommen. Aber ich versuche halt, meinen eigenen Sound zu finden, und deshalb habe ich jede Menge Semi-Hollow-Gitarren eingesetzt. Genau wie eine Mischung aus Marshalls und den 5150s meines Vaters – aus denen ich aber auch etwas Anderes, Eigenes hervorzuholen versucht habe.

Wolfgang mit Fender Starcaster (Bild: YouTube)

Das Interessante an Eddies Signature-Gitarren ist ja, dass sie oft von Leuten gespielt werden, die einen ganz anderen musikalischen Background aufweisen und die man von daher nie mit diesen Instrumenten assoziieren würde. Wie etwa Jack White…

Ja, seine Custom-Wolfgang ist der Hammer. Ein Wahnsinns-Teil. Aber um zur ursprünglichen Frage zurückzukommen: Auf dem Album ist auch noch eine Gibson ES-335 am Start. Eine Gitarre, für die ich mich eigentlich nie sonderlich interessiert habe – bis ich die von meinem Dad gespielt habe: Eine ES-335 von 1958 oder 1959. Ein Traum, aber leider auch so alt, dass einer der Tuner in meinen Fingern zerbröckelt ist, als ich sie zu stimmen versucht habe.

Insofern musste ich das erst einmal reparieren lassen. Nach dem Motto: „Sorry, Dad, das soll nie wieder vorkommen.“ Aber der warme Ton dieser Semi-Hollow hat mir die Augen geöffnet, was die Basis für den Sound sein könnte, den ich für dieses Projekt gesucht habe. Insofern habe ich sie wirklich oft eingesetzt – aber nicht sonderlich viele Effekte, mal abgesehen von einem gelegentlichen Flanger. Auf ‚Don’t Back Down‘ habe ich ein Foxx-Tone-Fuzz-Pedal benutzt. Und auf diese Weise, also mit all dem Kram, bin ich bei etwas gelandet, mit dem ich wirklich zufrieden bin. Etwas, das ich als durchaus eigenständig bezeichnen würde.

Hat dein Vater dir je Gitarrenunterricht gegeben?

Ganz ehrlich? Er war zwar ein fantastischer Gitarrist, aber leider kein allzu guter Lehrer. (lacht) Also ähnlich wie bei Einstein, der sich angeblich nicht alleine die Schnürsenkel zubinden konnte. Solchen hochintelligenten oder talentierten Menschen fallen ganz simple Dinge scheinbar sehr schwer – genau wie ihr Wissen an andere weiterzugeben. Mein Vater hat mir zwar hier und da Hinweise gegeben, aber sich nie die Zeit genommen, um mir zu sagen: „OK mein Sohn, setzen wir uns mal hin und ich bringe dir bei, wie man Gitarre spielt.“ Das hat er nie getan – was ich sehr bedauere. Er hat mir zwar mal ein Lick gezeigt oder ich habe ihn gefragt, wie man einen bestimmten Song spielt. Doch dann hat er ihn meistens so schnell runtergespielt, dass ich ihn unterbrechen musste: „Mach das mal ein bisschen langsamer. Ich komme nicht mit.“ Was bedeutet, dass er sich nicht wirklich bemüht hat, etwas von seinem Wissen oder Können weiterzuvermitteln. Ich würde sagen: Nicht, weil er nicht wollte, sondern weil er nicht wusste, wie. Von daher ist es lustig, dass jeder zu denken scheint, ich hätte Schlagzeugunterricht von meinem Onkel und Gitarrenunterricht von meinem Vater bekommen. Das war nie der Fall.

Hat dein Vater eigentlich nach ‚A Different Kind Of Truth‘, dem letzten Album mit Dave, noch neues Material eingespielt?

Er war ständig im Studio und hat immer an irgendetwas gearbeitet.

Was hast du damit vor? Gedenkst du das irgendwann zu veröffentlichen?

Eher nicht. Einfach, weil es mich fertig macht, was da bei Prince und Michael Jackson passiert. Ich meine, von Michael wurden seit seinem Ableben schon acht Alben veröffentlicht und bei Prince sind es auch immer wieder neue. Für mich fühlt sich das nicht richtig an, einen finanziellen Vorteil aus so einer traurigen Situation zu ziehen. Das finde ich respektlos. Denn: Es gibt ja einen Grund, warum ein Künstler bestimmte Sachen zu Lebzeiten nicht veröffentlichen möchte. Etwa, weil er damit nicht zufrieden war. Von daher werde ich das, was ich da finde, bestimmt digitalisieren, um es zu bewahren. Aber was eine Veröffentlichung betrifft, glaube ich nicht, dass es so weit kommen wird.

(Bild: TRAVIS SHINN)

Also wirst du dich um Eddies Andenken und Erbe kümmern?

Das ist mein Job – dafür bin ich hier. Ich weiß, dass das ein tougher Job sein kann, aber darauf bin ich eingestellt.

Was hast du mit all seinen Gitarren vor?

Ich werde sie behalten. Also ich habe nicht vor, mich von irgendetwas zu trennen, das meinem Vater gehört hat. Ich möchte sein Andenken bewahren, nicht mich daran bereichern. Und deswegen werde ich auch das Studio 5150 fortsetzen. Ich werde es für meine zukünftigen Projekte nutzen.

Was ist mit seiner Firma EVH – führst du die ebenfalls fort?

Unbedingt. Ich bin da so sehr involviert, wie ich nur kann. Einfach, weil ich ihm das versprochen habe. Und ich weiß zwar, dass das ein tougher Job werden kann, aber ich stelle mich der Aufgabe. Ich bin bereit, alles zu geben.

(erschienen in Gitarre & Bass 07/2021)

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