Die Wüste lebt!

Josh Homme’s The Desert Sessions

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(Bild: Beggars)

Nach 16-jähriger Pause reaktiviert Josh Homme, Sänger, Gitarrist und Mastermind von Queens Of The Stone Age, die legendären The Desert Sessions in der kalifornischen Wüste. Ein konspiratives Zusammenkommen von befreundeten Musikern, die ein verlängertes Wochenende mit bewusstseinserweiternden Jams, kruden Klangexperimenten und unkonventionellen Songideen verbringen. Das Ergebnis: Ein Album mit acht Stücken, die zum Verrücktesten, Durchgeknalltesten und Mutigsten zählen, was 2019 an neuer Musik erschienen ist.

Entstanden ist das mit ‚Vols. 11 & 12‘ betitelte Album in den entlegenen Rancho de la Luna Studios von Gitarrist Dave Catching (Queens, Eagles Of Death Metal). Die befinden sich in Joshua Tree, drei Autostunden östlich von Los Angeles und haben schon viele großartige Alben hervorgebracht. Hier bat Homme im letzten Dezember zu einem ungezwungenen Stelldichein: Vier Tage essen, trinken, Wüste bestaunen und musizieren im kleinen Kreis.

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Zu diesem zählten u. a. Billy Gibbons von ZZ Top, Les Claypool von Primus, Carla Azar von Jack Whites Band, Stella Mogazwa von Warpaint, Mike Kerr von Royal Blood und Session-Gitarrist Matt Sweeney. Eine illustre Runde, die sich auf ‚Vols. 11 & 12‘ so richtig austobt und einen herzerfrischenden Gegenpol zum sterilen Einheitssound der aktuellen Musikwelt liefert. Was er damit bezweckt, warum ihm das Projekt so wichtig ist und warum er es nach langer Pause wieder aufgreift, erklärt Homme im ausführlichen Gespräch.

Das etwas andere Mannschaftsfoto (Bild: Beggars)

Josh, was hat dich 1997 dazu veranlasst, die Desert Sessions zu starten – zu einer Zeit, als du gerade erst mit Queens Of The Stone Age angefangen hattest? Warum zwei Sachen auf einmal?

Mit den Sessions hatte ich schon vor den Queens angefangen. Das war zu einer Zeit, als es noch etwas Verpöntes hatte, Musik mit Leuten zu machen, die festes Mitglied einer anderen Band waren. Das wurde in etwa so aufgefasst als würde man seine Freundin betrügen. Doch nach dem Ende von Kyuss wollte ich nicht gleich die nächste Band starten, sondern erst einmal mehr darüber erfahren, wie andere Gruppen funktionieren. Und da es keine Schule gab, auf der man das lernen konnte und kein Handbuch, in dem sich das nachschlagen ließ, fand ich die Idee, einfach für kurze Zeit mit anderen Leuten zusammenzukommen und ein bisschen zu jammen, sehr reizvoll. Das hat dann den Weg für das geebnet, was zu den Queens und den Eagles Of Death Metal geworden ist.

Also eine Selbstfindungsphase zwischen Kyuss und den Queens?

Ja, und in der habe ich mich auch den Screaming Trees angeschlossen. Einfach, um zu sehen wie es ist, irgendwo auszuhelfen. Das war ein kurzes Engagement und es hat mir tiefe Einblicke dahingehend gewährt, wie andere Bands agieren. Wobei alle, die mich kannten, das für ein merkwürdiges Vorgehen hielten – sie konnten sich nicht vorstellen, dass es funktionieren würde. Und sie hatten Recht. Dagegen fand ich die Idee, in die Wüste zu gehen und meine Vorteile aus der Zusammenarbeit mit anderen zu ziehen, umso interessanter. Es war, als würde man sich gegenseitig auf positive Weise ausnutzen. Nach dem Motto: „Ich zeige dir, wer ich bin, und du zeigst mir, wer du bist. Das kriegt hier draußen in der Wüste eh keiner mit.“ Es hatte etwas von einem faszinierenden kleinen, sexuellen Spielchen.

Aber auch von einer Art Reminder, warum man tut, was man tut?

Genau. Und die einzige Frage, die ich jedem gestellt habe, der bislang mitgemacht hat, war: „Weißt du noch, warum du angefangen hast, Musik zu machen?“ Denn Kyuss war so idealistisch und ideologisch. Alles, was wir taten, musste aus den richtigen Gründen erfolgen. Und je weiter wir es in der Musikindustrie gebracht hatten, desto mehr fühlten wir uns davon angewidert. Gerade ich. Diese Sessions waren eine Methode, die Wurzel des Problems zu fassen und zu behandeln. Dadurch habe ich nicht nur mich, sondern auch alle Beteiligten daran erinnert, was wichtig ist. Ganz nebenbei habe ich noch einen Weg gefunden, um meine künstlerische Batterie aufzuladen.

Unter welchen Gesichtspunkten hast du die Künstler für diese Session zusammengestellt? Sind das alles Buddies von dir?

Ich habe über die Jahre wahnsinnig viele Leute kennengelernt. Und ich mag eine leicht verrückte Chemie, also eine wilde Mischung von Leuten. Insofern lege ich Listen mit Namen an und wenn das lustig oder verrückt aussieht, habe ich einen guten Ausgangspunkt. Denn es wäre ja ziemlich langweilig, wenn es nur Rock’n’Roll- oder Country-Künstler wären. Ich finde es spannender, Leute in einem Kontext zu platzieren, der ihnen völlig unbekannt sein dürfte. Wie zum Beispiel Billy Gibbons. Für mich ist der Typ ein Gesamtkunstwerk, aber halt eins, das nicht in jedem Rahmen funktioniert. Es birgt eine gewisse Gefahr, ihn da herauszufordern – aber das mag ich. Und ich mag es, dass wir über die Jahre genug Vertrauen zueinander aufgebaut haben, dass er dabei mitmacht.

Gab es so etwas wie eine Wunschliste an Leuten, die du gerne dabeigehabt hättest?

Natürlich. Aber ich bin da geduldig, ich mache keinen Druck und ich laufe niemandem hinterher. Schließlich ist es mein Ziel, mit den Sessions so etwas wie das ultimative Mixtape der Musikgeschichte zu erschaffen. Was ein weiterer Grund ist, warum ich das wieder aufgegriffen habe. Eben, damit es jede andere Band übertrifft, in der ich je gespielt habe. Und es gibt auch keinen Grund, warum es jemals aufhören sollte, denn es ist ja nichts Festes. Es ist immer nur die Gruppe von Leuten, die gerade daran beteiligt ist. Und es muss nicht viele Platten verkaufen. Das Wichtige ist das Ergebnis, das dabei entsteht – und die Vorfreude der Leute, die auf die Veröffentlichung warten. Kann sein, dass das alles ein bisschen idealistisch klingt … (lacht)

(Bild: Beggars)

Die ersten Desert Sessions waren EPs mit je 15-20 Minuten Spielzeit. Warum fasst du Vol. 11 und 12 jetzt auf einem Album zusammen?

Es hat nichts damit zu tun, irgendeinem Format gerecht zu werden – also weder Vinyl noch CDs, die meiner Meinung nach sowieso keiner mehr kauft. Es war eher so, dass ich nach der langen Pause eine Zäsur machen und zeigen wollte, dass Nummer 1 bis 10 eine Sache für sich waren – und jetzt, da es weitergeht, soll das auch als deutlicher Neubeginn gekennzeichnet sein. Allein schon, weil Nummer 1 bis 10 solche Sammlerstücke sind und ich die Leute, die sie gekauft haben – bildlich gesprochen – nicht betrügen will. Ich möchte, dass sie für sich stehen.

Auch, wenn ich Teil 1 und 2 im Grunde genauso aufgenommen habe wie Teil 11 und 12. Sprich: An den Stücken habe ich gleichzeitig gearbeitet, sie dann aber separat veröffentlicht. Jetzt hatte ich das Gefühl: „OK, nennen wir sie einfach Session 11 und 12, aber diesmal werden sie länger sein.“ Einfach, weil ich die Nase voll vom ständigen Umdrehen habe. Vielleicht liegt es am Alter, aber das verdammte Umdrehen bei einer Single oder EP geht mir auf die Nerven.

Warum sind die Desert Sessions so auf das Rancho de la Luna Studio in Joshua Tree fixiert? Was ist so besonders an dem Studio – ist es das Equipment oder eher die Atmosphäre?

Es ist ein Haus. Und es wurde wirklich jeder Fauxpas begangen, den man sich bei der Einrichtung eines Heimstudios vorstellen kann. Da ist wirklich alles falsch gemacht worden. Und zwei Mal falsch ergibt zwar noch kein richtig, aber 40 Mal falsch macht es zumindest ziemlich verrückt. Das ist die beste Art, wie ich es beschreiben kann. Da ist alles so inkorrekt, wie es nur sein könnte: Man spielt Schlagzeug im Badezimmer, singt in der Küche und benutzt das Kissen, auf dem man später schläft, um einen der Verstärker zu umhüllen. Außerdem habe ich schon auf dem Dach und auf der Veranda gesungen.

Und es gibt kein Equipment, das all die Probleme nachträglich lösen könnte. Das sind Bedingungen, mit denen man erst einmal klarkommen muss. Das Anwesen an sich besteht aus drei Häusern, und wenn du von einem Haus zum anderen gehst, etwa zum Essen, haben diese 200 Meter hin und zurück etwas geradezu Magisches. Denn man findet quasi immer Antworten im Dreck. Man findet immer Lösungen für Dinge, mit denen man sich rumschlägt. Man nimmt z. B. seinen Gesang auf, während Autos über den nahegelegenen Highway brettern, was wie das Rauschen eines Ozeans klingt. Das versucht man aber gar nicht erst herauszufiltern, man belässt es einfach so. Wodurch man irgendwie auch die Hosen runterlässt. Man tut sein Bestes und das war’s.

Hört euch doch mal den modernen Kram an, der so perfekt klingt und wer weiß wie oft korrigiert wurde. Ich schwöre bei Gott: Das erste, was man da feststellt ist doch, wie langweilig er ist und wie sehr er auf Sicherheit bedacht ist. Da ist keine Reibung. Aber Reibung ist das, was dieses Universum erschaffen hat. Was mich und dich hervorgebracht hat. Und genau das ist der Schlüssel für gute Musik und eine gute Zusammenarbeit. Insofern: Perfektion ist zwar etwas, nach dem man streben kann, aber man sollte sich von der Idee verabschieden, die Technik alles korrigieren zu lassen. Denn das ist einfach fürchterlich langweilig. Viel wichtiger ist die positive Reibung, die zwischen Menschen entsteht. Das ist das Beste, was es gibt.

Was für Gitarren und Amps verwendest du bei den Desert Sessions – und inwiefern unterscheidet sich das vom Equipment, das du bei den Queens benutzt?

Ich versuche schon, das etwas anders anzugehen – einfach, weil ich die Gelegenheit dazu habe. Und weil mir bewusst ist, wie wenig ich wirklich weiß. Im Ernst: Die Sessions sind die beste Möglichkeit, um etwas Neues zu lernen. Sei es durch die Leute, mit denen man spielt, oder durch die Instrumente, die man dort verwendet und mit denen man noch nie zuvor gearbeitet hat. Was mir großen Spaß macht – ich liebe es, ständig etwas Neues zu probieren. Ganz abgesehen davon, gibt es dir ein Gefühl der Unsicherheit und des Unwohlseins, das aber auch einen regelrechten Kick darstellt. Und danach bin ich geradezu süchtig geworden. Es ist mein Ding, so lange zu arbeiten, bis dieses Gefühl des Unwohlseins in Zufriedenheit umschlägt. Ich halte das für eine gute, eine wichtige Reise, die man zu meistern wissen sollte.

Was bedeutet das in Bezug auf das Instrumentarium, das dabei zum Einsatz gekommen ist?

Eine Menge klappriger, alter Fender-Tweed-Amps und Mutanten-Gitarren, die aus wer weiß wie vielen Parts zusammengestückelt wurden. Also schrottige Fenders, Gibsons und Ovations, die man sonst nicht einmal mit der Kneifzange anfassen würde, aber die in diesem Kontext genau das Richtige sind. Und ich vergleiche das Aufnehmen in Rancho de la Luna gerne mit Rollschuhlaufen – weil es etwas Elegantes und Geschmeidiges haben kann, aber man sich zugleich auch fürchterlich auf die Fresse legen kann. Es ist, als ob man zwischen Regentropfen, Autounfällen und Faustkämpfen hin und her skatet.

Wobei es nicht so sehr darum geht, ein Ziel zu erreichen – die Jagd ist die Reise. Und wenn ich unüberwindbare Hindernisse vorfinde, bin ich dabei. Also wenn es wie ein aussichtsloses Unterfangen erscheint, denke ich: „Das ist genau das Richtige für mich.“ Es hat etwas sehr Aufreizendes, wenn ich weiß, dass ich eigentlich keine Chance habe, es aber trotzdem versuche. Das ist der Kick.

Könntest du dir ein zweites Album von Them Crooked Vultures, deiner Band mit Dave Grohl und John Paul Jones, vorstellen? Oder eine weitere Desert Session im kommenden Dezember/ Januar?

Es wäre verdammt kurzfristig für eine weitere Desert Session, aber vielleicht wäre es gerade deshalb eine gute Idee. Und ich wäre immer für ein weiteres Album von Them Crooked Vultures zu haben. Nur: Das hängt davon ab, was die anderen beiden so tun, also wie beschäftigt sie gerade sind. In dem Fall wäre es Dave, der sich melden müsste. Denn so war es beim letzten Mal, und ich mache da keinen Druck. Sollte Dave je so weit sein, bin ich es auch. Und was Jones betrifft, liebe ich den Kerl so sehr, dass ich jede Chance nutzen würde, um etwas mit ihm zu machen. Ich würde mich auch einfach mit ihm in ein Café setzen und Pudding löffeln. Alles, was er will. Also: Wenn Dave sagt, dass es losgeht, bin ich bereit.


Discografie

Volume 1: Instrumental Driving Music For Felons (1997)
Volume 2: Status: Ships Commander Butchered (1998)
Volume 3: Set Coordinates For The White Dwarf!!! (1998)
Volume 4: Hard Walls And Little Trips (1998)
Volume 5: Poetry For The Masses (1999)
Volume 6: Black Anvil Ego (1999)
Volume 7: Gypsy Marches (2001)
Volume 8: Can You See Under My Thumb?
There You Are (2001)
Volume 9: I See You Hearin’ Me (2003)
Volume 10: I Heart Disco (2003)
Volume 11: Arrivederci Despair (2019)
Volume 12: Tightwads & Nitwits &
Critics & Heels (2019)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. 3 Stunden westlich von LA? Im Pazifik oder was?

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    1. Danke für den Hinweis! Da hat sich ein Fehler eingeschlichen, es muss natürlich östlich heißen.
      Beste Grüße aus der Redaktion

      Auf diesen Kommentar antworten
  2. Echt coole Mucke, höre mir sie gerade auf Spotify an😊

    Auf diesen Kommentar antworten

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