Der Synth-Gitarrist

Interview: John Victor & Gengahr

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(Bild: Jay Whitehead)

John Victor ist ein im besten Sinne ungewöhnlicher Gitarrist. Dabei sind es nur zum Teil die Akkorde und Linien, mit denen er die Songs der britischen Indierocker Gengahr veredelt, sondern vor allem sein Umgang mit Effekten, der aufhorchen lässt. Mitunter ist seine Gitarre gar nicht als solche zu erkennen, sondern öffnet Räume, kratzt und stört oder imitiert 80er-Jahre-Trademark-Synthies.

Und diese Rolle als Wandler zwischen den Welten des Analogen und des Synthetischen füllt der Londoner vor allem auf dem aktuellen, dritten Album ,Sanctuary‘ mit einer sympathischen Mischung aus Detailverliebtheit und Unbekümmertheit aus, dass es einfach Spaß macht, ihm zuzuhören und in diesen eigenwilligen und zugleich enorm songdienlichen Kosmos einzutauchen. Bei John Victor ist alles erlaubt und er beweist dabei ein tolles Gespür für hookige, mit Pitch-Shifting und Delay verfremdete Fuzz-Sounds. Wir trafen den Anfang Dreißigjährigen zum Pedalboard-Talk und mehr vor einem Konzert seiner Band Ende Februar diesen Jahres in Köln.

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John, man liest immer wieder über euch, ihr wärt eine Do-It-Yourself-Band. Was bedeutet das? Und trifft das nicht auf nahezu jede Band zu?

Ja, natürlich. Aber wir haben auch noch unser Label, dadurch fühlt es sich schon so an, als würden wir die meiste Arbeit selbst verrichten. Wir waren auch immer schon in alle Prozesse wie Produktion, Engineering u. ä. sehr stark involviert. Und bei dieser Tour haben wir zum ersten Mal einen Mischer und einen Tourmanager dabei. Vorher hatten wir weder noch.

Ihr beschreibt eure Musik selbst als Easy-Listening-Indie. Meint ihr das ernst?

Nein! Das würde ich nie behaupten. Von mir kommt das nicht. Schließlich benutze ich ein paar grausige Fuzz-Pedale. (lacht) Aber die kommen natürlich auch nicht in jedem Song vor. Es gibt also durchaus Nummern, die ein leichter zugängliches Sound-Gewand haben.

Was war euer Ziel mit diesem dritten Album? Und habt ihr es erreicht?

Das Hauptziel war es, etwas komplett anderes zu machen. Die ersten beiden Alben haben wir komplett im Proberaum geschrieben und arrangiert. Das neue Album haben wir selbst finanziert, worauf wir sehr stolz sind. Und wir haben mit Jack Steadman von Bombay Bicycle Club zum ersten Mal mit einem Produzenten zusammengearbeitet. Die einzelnen Instrumente und Parts wurden zum größten Teil am Computer entwickelt und die Spuren dann weitergeschickt, damit der nächste daran arbeiten konnte. Da musste ich mich erstmal drauf einstellen, aber irgendwann hat mir auch diese Arbeitsweise richtig Spaß gemacht. Und für mein Empfinden klingt das Album deutlich anders als die beiden Vorgänger.

Ist diese Arbeitsweise einfach so passiert oder habt ihr das vorher abgesprochen?

Die ersten beiden Alben sind auf dieselbe Weise entstanden: Wir haben sie geschrieben, aufgenommen und sind dann damit auf Tour gegangen. Die Vorstellung, den gleichen Weg ein drittes Mal zu gehen, hat uns nicht gefallen. Also haben wir überlegt, wie wir diese Routine der letzten fünf Jahre durchbrechen können. Ich sage nicht, dass die Musik dadurch radikal anders klingt, es ist immer noch ein Indie-Album. Aber es ist definitiv anders geworden, dadurch dass wir den Entstehungsprozess verändert haben.

(Bild: Marian Menge)

Manche Leute sagen, dass ein guter Song auch nur mit einer Akustikgitarre gespielt, funktioniert. Warum entscheidet ihr euch für einen derart komplexen und eigenen Sound?

Wahrscheinlich weil uns sonst langweilig würde. Uns haben immer schon die Indie-Bands interessiert, die Synthesizer verwendet haben, wie Tame Impala oder Metronomy. Aus irgendwelchen Gründen war ich immer dagegen Synthesizer einzusetzen. Ich dachte, es könnte cool sein, wenn ich mit meiner Gitarre diese Rolle einnehme und versuche Synth-Sounds zu imitieren. So ging es los. Inzwischen verwenden wir auch echte Synthies, Drum Machines und Samples. Live wird das Ganze dann ein bisschen gitarrenlastiger. Mich hat früher mehr die Atmosphäre und das Sound-Gewand eines Songs interessiert als die lyrische Komponente. Da bin ich nicht mehr so festgefahren, aber ich denke immer noch, wenn etwas nicht so gut klingt, dann pack halt einen Pitch Shifter und Delay drauf, das hilft. (lacht)

Ihr kennt euch schon aus Schulzeiten, richtig?

Die anderen drei ja. Ich bin erst vor sieben Jahren dazugestoßen.

Wie wichtig ist eine so lange gemeinsame Vergangenheit für den kreativen Prozess?

Es hat auf jeden Fall einen positiven Einfluss. Ich meine, immerhin haben wir es geschafft, drei Alben fertigzustellen. Ich habe vorher in vielen Bands gespielt, wo ich eher ein Session-Player war, und das hat einen sehr anderen Vibe, aber ich kann dir gar nicht genau sagen, warum. Es hat auf jeden Fall mit Vertrauen zu tun. Auch wenn ich mit den anderen drei nicht zur Schule gegangen bin, kenne ich sie durch das viele Touren in- und auswendig.

Wo kommst du denn musikalisch her?

Ich mag immer noch Punk Rock, Metal auch, aber nicht mehr so sehr. Auf der Schule, auf der ich war, haben die meisten Grunge, Punk und Metal gehört. Da stach ich dann schon ein bisschen raus, weil ich auch Indie mochte. Gleichzeitig höre ich aber auch gern Aphex Twin, Squarepusher und Ceephax Acid Crew, also elektronische Musik.

In den Credits der Platte steht, dass du Additional Production gemacht hast. Was genau heißt das in diesem Fall?

Ich habe die meisten Gitarren alleine aufgenommen mit einem digitalen Amp-Modeler. Das war eine interessante Erfahrung. Ich bin mit dem Ergebnis zufrieden, würde es aber vermutlich nicht nochmal so machen. Es hat mir einfach nicht so viel Spaß gemacht, weil mir der Amp, die Mikrofone, die Preamps fehlten. Ich bin also über mein Pedalboard und einen Yamaha THR10 direkt in Logic gegangen und dadurch hatte ich zum ersten Mal bei einer Albumaufnahme alleine die volle Kontrolle über meine Gitarrenspuren. Deswegen sind einige der Synth-Sounds, die man auf dem Album hört, eigentlich Gitarrenspuren, die ich aber bis zur Unkenntlichkeit verfremdet und bearbeitet habe. Teilweise ist die Gitarre nur noch mein Controller und der ursprüngliche Sound, also das was in die Effekte reingeht, könnte genauso gut ein Midi-Keyboard sein. Zum Teil habe ich die Gitarre hoch- und runtergepitcht, dann wieder zurück zur Ursprungstonhöhe, bis es nach digitalem Müll klang. Dann ganz viel Delay und ganz viel Reverb und noch den Soundtoys Tremolator drauf usw., das nennen wir dann „additional production“.

Statt des üblichen Stereo-Setups muss diesmal ein Mesa/Boogie F-50 Combo herhalten. (Bild: Marian Menge)

War es schwierig diese Sounds für die Anwendung auf der Bühne nachzubauen?

Ja, das war es, bis ich mir den Line 6 HX Stomp geholt habe. Bei den Aufnahmen zur zweiten Platte hatte ich schon das Line 6 M9 mit diesem präzisen Tremolo, dem Space Echo und dem Reverse-Delay entdeckt. Das ist allerdings vor ,Sanctuaryʻ kaputt gegangen.

Dann erklär doch mal dein aktuelles FX-Setup.

Ich habe immer noch dasselbe Pedalboard wie beim ersten Album. Da ändert sich bei mir nicht viel. Nach dem ersten Album kamen der Bit Quest und ein selbstgebautes Fuzz, das erstaunlicherweise funktioniert, dazu. Es klingt wie ein Tone Bender, nur fetter. Mein Signalweg ist heute ein wenig unnötig kompliziert.

Johns Pedalboard mit DIY-Fuzz, Buffer (unter dem Board), Line 6 HX Stomp, in dessen FX-Weg hängen: ZVEX Box Of Rock, Electro Harmonix Hog, Subdecay Prometheus, Malekko B:Assmaster, modifiziertes Behringer Vibrato, Boss PS-3, Dr. Scientist BitQuest Reverb. (Bild: Marian Menge)

Zuerst kommt das Fuzz, weil das nur als erstes in der Effektkette funktioniert. Danach kommt ein Buffer, den ich unter dem Pedalboard installiert habe. Von da aus geht es weiter in das Line 6 HX Stomp und von da aus direkt in den Amp. Normalerweise benutze ich ein Stereo-Setup mit zwei Verstärkern. Alle anderen Effekte auf dem Board sind in den FX-Loop des Stomp eingeschliffen. So kann ich die Effekte wie zum Beispiel Pitch-Shifting und Fuzz aus dem Stomp vor meine Pedale schalten, während die Delays und Reverbs dahinter platziert sind.

In welcher Reihenfolge sind die anderen Pedale geschaltet?

Zuerst kommt die ZVEX Box Of Rock, dann der Electro Harmonix Hog, der für 90 Prozent der interessanten Sounds verantwortlich ist. Von da aus geht es in ein Subdecay Prometheus Filter-Pedal und dann einen Malekko B:Assmaster, ein Brassmaster-Clone, also ein Octave-Up-Fuzz. Dahinter kommt ein Boss-Vibrato-Clone von Behringer, das in ein neues Gehäuse gesetzt wurde und einen Slow-Schalter verpasst bekommen hat. Dadurch kann es so klingen wie eine kaputte Schallplatte. Von da aus geht das Signal in den Boss PS-3 Digital Pitch Shifter/Delay. Ich mag Pitch-Shifting sehr, deswegen habe ich gleich mehrere. Und danach kommt dann das Dr. Scientist BitQuest Reverb und dann geht es zurück in den Stomp.

Auf welche Weise setzt du den Hog ein?

Den benutze ich vor allem für Whammy-artige Sounds. Es hat eine Freeze-Funktion und das damit „eingefrorene“ Signal kann man dann wiederum pitch-shiften, und mit dem Expression-Pedal kann man einen Glissando-Effekt erzeugen, ähnlich wie beim EHX Superego. Für manche Melodien verwende ich auch den Step-Bending-Effekt, weil ich es mag, wenn es digital klingt.

Und all diese Sounds funktionieren im Bandkontext?

In diesem Bandkontext schon. Die anderen lassen mich machen, was ich will. Sie ermutigen mich sogar zu verrückten Sounds, sagen mir dann aber auch, wenn es ihnen zu viel ist.

Was für eine Gitarre spielst du?

Eine Yamaha SGV 300, bei der ich den Volume-Regler mit einem Treble Bleed versehen habe, was einen großen Unterschied macht. Außerdem habe ich die Elektronik abgeschirmt, weil sie sehr viele Nebengeräusche produziert hat. In England war das in Ordnung, aber sobald man sie mit aufs Festland nimmt, fängt sie an zu brummen. Das ist einer der vielen Gründe dafür, dass ich jedem davon abraten würde, sich so eine Gitarre zu kaufen.

John Victors in einigen Belangen modifizierte Yamaha SGV-300. (Bild: Marian Menge)

An dieser Gitarre ist einiges eigenartig. Sie hat einen Graphtech-Sattel und eine Brücke, die gleichzeitig an Mustang und Strat erinnert. Allerdings werden die Saiten nicht durch den Body aufgezogen. Dadurch ist mir tatsächlich noch nie eine Saite gerissen – und das nach sechs Jahren touren. Das ist beeindruckend, aber die Kehrseite ist, dass diese Gitarre kein Sustain hat. Darum habe ich ja so viele Pedale, nämlich um diese schrecklich verarbeitete Gitarre zu kompensieren. (lacht)

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2020)

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