Aus dem neuen Heft

Interview: John Scofield

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(Bild: Scofield)

Auf seinem aktuellen Album ‚Swallow Tales‘ setzt der US-Jazz-Gitarrist John Scofield auf Bewährtes und geht doch neue Wege. Sein Trio mit seinem Mentor, dem legendären Jazz-Bass-Pionier Steve Swallow und dem Meister-Schlagzeuger Bill Stewart gibt es schon seit vielen Jahren und ist nach zahlreichen CDs und unzähligen Gigs zu einer organisch eingespielten Einheit zusammengewachsen.

Aber zum ersten Mal spielt John keine eigenen Kompositionen, vielmehr finden sich auf dem neuesten Werk ausschließlich Stücke aus der Feder von Steve Swallow.

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INTERVIEW

John, wenn man der Website Allmusic glauben kann, ist ‚Swallow Tales‘ deine 51ste CD als Leader.

Echt? Mein Gott!

Du hast ja als Sideman schon Platten für ECM aufgenommen, aber erst jetzt die erste unter deinem Namen. Wie kam es dazu?

Mein Plattenvertrag mit Universal Music ist ausgelaufen. Zuerst war ich bei Blue Note, dann bei Verve, Emarcy, Impulse und wieder bei Verve. All diese Labels gehören zu Universal Music. Aber auf einen Schlag ging das zu Ende. Ich hatte die Musik mit Steve schon aufgenommen und dachte mir, dass sie perfekt zu ECM passt. Ich schickte also das Band zu Manfred Eicher, dem Chef von ECM, und der sagte: Ja!

Jeff Berlin erzählte die Geschichte, dass Steve Swallow mit Gary Burton als Opening Act für Cream spielte. Steve war ganz hin und weg, als Jack Bruce seinen Bass in die Stacks einstöpselte, was ihn letztlich dazu brachte, zum E-Bass zu wechseln.

Ja, das ist wahr. In den späten 60ern spielte die Band viele Gigs in New York und San Francisco. Und Steve hat mir erzählt, dass er sehr auf das Bass-Spiel von Jack Bruce stand. Der spielte einen Gibson EB-3-Solidbody, während Steve den semiakustischen EB-2 bevorzugte. Genau in diese Zeit fielen die Anfänge der Verbindung von Jazz und Rock. Das Gary Burton Quartet war eine der ersten Jazz-Bands überhaupt, die Elemente des Rock integrierte. Steve war dieser Entwicklung gegenüber sehr aufgeschlossen, spielte aber zunächst noch Kontra- und E-Bass. Als wir uns kennenlernten, hatte er gerade begonnen, ausschließlich E-Bass zu spielen.

Er kam zu der Überzeugung, dass dem E-Bass die Zukunft gehörte, und widmete sich ausschließlich diesem Instrument. Man darf nicht vergessen, dass das die Bass-Welt vor Jaco Pastorius war. Steves Ansatz ist gitarristisch, und so spielt er mit Pick. Trotzdem brachte er seine langen musikalischen Erfahrungen als Kontrabassist mit in sein Spiel ein und kreierte so einen absolut eigenen Stil.

John Scofield (vorne) mit Schlagzeuger Bill Stewart (hinten links) und Bassist Steve Swallow (hinten rechts). (Bild: Roberto Cifarelli)

Ihr habt euch in Berklee kennengelernt. Wie lange bist du dort geblieben?

Zweieinhalb Jahre. Aber als ich Steve begegnete, war diese Zeit schon fast zu Ende.

Was war im Rückblick das Wichtigste, was du in Berklee gelernt hast?

Ich habe dort sehr viel gelernt. Als ich anfing, war ich umgeben von lauter Kindern, und nur wenige konnten überhaupt Jazz spielen. Ich wollte lernen, hatte aber noch nie mit Jazz-Musikern zusammengespielt. So musste ich jeden Tag mit den Kids musizieren und ab und zu auch mit den Lehrern, z.B. mit Gary Burton. Alleine zu üben ist okay, aber erst im Ensemble lernt man, die Musik richtig zu spielen. All das Lehrmaterial über Musiktheorie war sehr gut, aber das Wichtigste waren die Menschen: Die Lehrer waren selbst professionelle Jazz-Musiker, und manche meiner Mitstudenten waren viel besser als ich. Begegnungen mit Gary Burton, Steve Swallow und mit Studienfreunden wie Joe Lovano, Abe Laboriel oder Pat Metheny waren eine wunderbare Erfahrung.

Heute ist die Jazz-Ausbildung hochgradig akademisiert, und manche schreiben ihre Doktorarbeit über Coltranes ‚Giant Steps‘. Auf der anderen Seite hat Wes Montgomery in seinem Leben nie eine einzige Note gelesen, lernte Jazz autodidaktisch nur über das Gehör und wurde einer der größten Musiker aller Zeiten. Hat die Verwissenschaftlichung des Jazz der Musik geholfen?

Zunächst muss ich sagen, dass die Jazz-Erziehung komplett außer Kontrolle ist, aber möglicherweise aus einem anderen Grund, als du denkst. Da gibt es so viele, die Jazz studieren wollen, und es gibt für all diese Aspiranten keine Möglichkeiten mehr aufzutreten. Sich Jazz zu nähern, ist immer ein wissenschaftlicher Prozess, egal ob du autodidaktisch oder an einer Schule lernst. Natürlich musst du lernen, nach Gehör zu spielen. Das macht jeder, der es im Jazz zu etwas bringen will. Du kannst dich der Musik nicht nur wissenschaftlich annähern, weil du gar nicht schnell genug denken kannst, um Jazz zu spielen. Du musst es im Bruchteil einer Sekunde hören, denn die Musik ist schneller als jeder Gedanke.

 

Wes Montgomery hat viel Zeit in die Analyse investiert, halt auf seine eigene Art, um die Geometrie der Musik zu begreifen. Er wusste vielleicht nicht, was die Noten auf dem Blatt bedeuten. Aber er lernte, wie Musik gemacht wird, aus Tonfolgen und Akkorden, die miteinander in Beziehung stehen, und wie Rhythmus funktioniert. Ich bin mir sicher, dass er alles analysiert hat. Wes Montgomery kam aus einer hochmusikalischen Familie. Buddy und Monk Montgomery waren fantastische Musiker aus der Jazz-Szene von Indianapolis, die damals überwiegend schwarz war. Jazz war das große Geschenk, das das schwarze Amerika der Welt machte. Damals war eine andere Zeit, aber die Musiker lernten durch intensives Studium, und es herrschte ein großer Wettbewerb.

Heute ist alles ganz anders. Ich verstehe, warum junge Musiker eine Jazz-Schule besuchen wollen, das machte ich auch und ich war einer der ersten überhaupt. Ein paar Straßen weiter in Berklee gab es einen Club namens Jazz Workshop. Dort spielten jede Nacht großartige Jazz-Bands aus New York und internationale Acts, meist für eine ganze Woche. So hörte ich George Benson, Joe Henderson, Miles Davis, Jimmy Smith, in dessen Band Thornel Schwartz spielte, ein großartiger Gitarrist. Die Bands spielten drei Sets pro Nacht. Wir Studenten zahlten nur den halben Eintritt und tranken Coca-Cola. Dann hörten wir die Platten und studierten sie, diskutierten sie mit unseren Freunden. Und an der Schule lernten wir Musiktheorie, was großartig ist und dir helfen kann, wirklich gute Musik zu machen.

(Bild: Scofield)

Ich verließ dann die Schule, einfach um mehr Zeit zum Üben zu haben. Ich hatte kleine Gigs in der Gegend von Boston, die mich über Wasser hielten. Dann kamen die besseren Jobs, z.B. mit Gerry Mulligan, mit dem ich meine allererste Platte eingespielt habe. Von dieser Zeit bis hinein in die 80er-Jahre habe ich konstant geübt, um die Musiktheorie auf die Gitarre zu übertragen. Man darf das Ganze aber nicht technisch sehen. Erst dann kannst du richtig improvisieren und deine Tools in voller Freiheit einsetzen. Dann kannst du dein Vokabular ausdehnen, als wenn du sprechen würdest. Wie ein Schriftsteller, der seinen Wortschatz vergrößert, um anschaulicher erzählen zu können.

Lass uns über ‚Swallow Tales‘ sprechen. Erzähl uns doch die Vorgeschichte.

Steves Kompositionen kenne ich schon lange. Ich lernte sie, als ich 1977 in Gary Burtons Band spielte. So spielten wir diese Songs bei Soundchecks und manchmal auch bei den Gigs. Es fiel uns leicht, sie zu spielen, weil wir so vertraut mit ihnen waren. So, als würden wir eine Platte mit Jazz-Standards einspielen. Wir konnten uns entspannen und die Musik einfach passieren lassen. Also mietete ich ein Studio in New York, und wir haben alle Songs an einem Tag eingespielt.

Du hast gesagt, Steve Swallows Akkordfolgen seien „immer interessant“, aber nicht „zu interessant“. Kannst du erklären, was du damit meinst?

In meiner Musik sind mir Spontaneität und Improvisation sehr wichtig. Eine der wunderbaren Sachen, die Miles Davis und John Coltrane machten, war, dass sie irgendwann aufhörten, Songs mit schwierigen Akkordfolgen zu spielen. Coltrane spielte ‚My Favourite Things‘ und Miles ‚So What‘ mit zwei Akkorden. Miles spielte funky und Coltrane free, um aus dem akademischen Gefängnis auszubrechen.

Was kannst du uns über den Aufnahmeprozess selbst erzählen?

Weil wir die Musik gut kannten, ging alles ganz schnell. Am Tag vor der Aufnahme kam Steve zu mir und wir machten eine kleine Probe zu zweit. Am nächsten Tag machten wir dann einen Soundcheck im Trio, unser Sound-Engineer Tyler McDiarmid ist fantastisch. Wir spielten von jedem Song zwei Versionen ein, ohne uns die Aufnahmen danach anzuhören. An diesem Punkt war ich mir noch gar nicht sicher, ob daraus eine CD werden sollte. Ich habe das Geld für die Aufnahme aus purer Neugier investiert. Tyler nahm die Aufnahmen mit zu sich nach Hause und erstellte einen Rough Mix. Den schickte er uns, und was wir hörten, gefiel uns sehr. Manfred Eicher und ECM waren dann die erste Wahl.

Kannst du uns erzählen, welches Equipment am Start war?

Ich spielte meine 1986er Ibanez AS-200, in der Voodoo-Pickups – Nachbauten der alten Gibson-Humbucker – die Werkstonabnehmer ersetzen. Ich brachte keinen eigenen Amp mit, sondern mietete mir einen Fender-Deluxe-Reverb-Combo von 1964. Bei ‚Portsmouth Figurations‘ kam noch ein Boomerang Phrase Sampler für Backwards-Effekte zum Einsatz, und das war’s auch schon. Ich muss noch erwähnen, dass ich ein Vovox-Kabel verwendet habe, das sehr, sehr gut ist.

Hast du Tipps für junge Gitarristen, wie sie ihre eigene Stimme finden können?

Denke als erstes daran, wie du auf keinen Fall klingen willst! Was dann übrigbleibt, ist dein eigener Sound! Klar, du kopierst andere Musiker, das mache auch ich die ganze Zeit. Ich habe viel von anderen Gitarristen übernommen. Und ich liebe Bläser. So wollte ich einen Sound, der in Richtung Saxophon und Trompete geht und auch vokale Qualitäten hat. Du lernst also ein Lick von jemand anderem, vergisst im Laufe der Zeit das Original und spielst es auf deine eigene Weise, ohne groß darüber nachzudenken. Wirklich richtig kopieren können wir doch eigentlich eh niemanden. Die zentrale Erkenntnis auf dem Weg zu deinem eigenen Sound ist, zu akzeptieren, dass du einzigartig bist. Wenn du musikalisch wie jemand anderes sein willst, wirst du nur Enttäuschungen erleben. Versuche nie, jemand anderes zu sein und besinne dich auf deine Stärken.

TRANSKRIPTION

Awful Coffee‘ basiert auf den Akkord-Changes des Jazz-Standards ‚I Fall In Love Too Easily‘: „Der Pop-Song aus dem Jahr 1944 wurde von Jule Styne geschrieben, und der Text stammt von Sammy Cahn, übrigens der Vater des Jazz-Gitarristen Steve Khan.“ Steve Swallow modifizierte die Changes leicht und machte aus der Ballade einen Uptempo-Song. John Scofield entschied sich jedoch für relaxten Medium Swing.

Die Transkription dokumentiert den letzten Chorus des Gitarren-Solos und bietet eine Fundgrube an inspirierenden Lines. Die ersten acht Takte entsprechen der Harmoniefolge von ‚Autumn Leaves‘. Im B-, C- und D-Teil begegnen wir vielem, was Jazz harmonisch spannend macht: II-V-Kadenzen in Moll, alterierten Dominanten und Tritonus-Substitutionen. Ein Playalong für die Changes von ‚Awful Coffee‘ steht auf unserer Website zum Download bereit.

(erschienen in Gitarre & Bass 09/2020)

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Kommentare zu diesem Artikel

  1. Danke für das schöne Interview mit diesem Super Musiker.
    Das erwähnte Playalong kann ich allerdings leider nicht finden. Könnt ihr mir bitte helfen?

    Auf diesen Kommentar antworten
  2. Zu einem tollen Interview gehören immer zwei, und hier stimmt wieder einmal alles. Danke an Wolfgang Kehle an dieser Stelle, selbst ein Meister seines Fachs. Sehr interessant finde ich die abschließenden Worte Sco’s, sinngemäß “Lerne von anderen, aber spiele Dich selbst!”

    Auf diesen Kommentar antworten

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