Leben und Touren als Selfmade-Musiker

Interview: Flemming Borby

Anzeige
(Bild: Flemming Borby)

Mit der eigenen Band lokal Konzerte zu „ergattern“, erscheint Herausforderung genug. Mancher hegt gar den Traum einer eigenen Tour – aber: Wie sollte ich mich organisieren? Lässt sich auch im kleinen Maßstab der Lebensunterhalt mit eigenen Songs erfolgreich gestalten? Ein Gespräch mit dem selbstorganisierten Gitarristen Flemming Borby, der in Berlin wohnt und mindestens 70 Solo-Konzerte pro Jahr spielt.

Der dänische Indie-Musiker lebt seit 15 Jahren in Deutschland, davon bereits einige Jahre in Berlin. Früher spielte er in Alternative- Bands, trat mehrmals auf dem dänischen Roskilde-Festival auf. 2015 beschloss er, von eigener Musik leben zu wollen, mit Solo-Konzerten. Dazu gibt er gelegentlich Workshops beim Berliner „Music Pool“ zum Thema Booking. Ein Blick in den Alltag eines Berufsmusikers, der sein Leben bewusst gewählt hat und individuell umsetzt.

Anzeige

Interview

Du bist sehr umtriebig als „Ein-Mann-Firma“, spielst viel live, organisierst dein Booking selbst, veröffentlichst deine und die Alben anderer Künstler auf deinem eigenen kleinen Label… Was hat dich zu dieser Arbeitsweise verleitet?

Alles was ich mache, ist grundsätzlich Do-It-Yourself, aber ich arbeite mit anderen bei Vertrieb und Publishing zusammen. Beim Booking musst du als Künstler unter Umständen auf Agenturen oder Labels warten, und nichts passiert. Zwei Jahre später sitzt du da und hast in dem Zeitraum keinen Gig gespielt. Das ist nichts für mich, dafür bin ich zu ungeduldig. Dazu kommt das angenehme Gefühl, Herr meines Schicksals zu sein, wenn ich morgens aufstehe und daran arbeiten kann. Natürlich hegen viele den Traum von großen Tourneen durch Stadien. Das passiert auch, aber nur bei wenigen.

Seinen Lebensunterhalt als unbekannter Do-It-Yourself-Musiker mit eigenen Songs zu verdienen, ist ebenfalls möglich! Ich mache mein „Live-Business“ als Singer/Songwriter, schreibe neue Songs und muss natürlich regelmäßig Alben herausbringen. Mein Ziel besteht aktuell darin, 70 bis 80 Konzerte pro Jahr zu spielen. Das klingt viel, wenn du’s aber herunterbrichst: 35 pro Halbjahr, das wirkt überschaubarer.

Wie organisierst du dein Booking?

Ich buche ein halbes Jahr im Voraus. Dafür muss ich mich rund zwei Monate lang jeden Tag um das Booking kümmern. Im Moment habe ich 31 der 35 Konzerte gebucht, innerhalb einer Woche sollte ich den Rest haben. Danach habe ich zwei Monate Pause. Irgendwann wird das Booking zur Routine und läuft automatisch mit.

Welche Links sollte eine Band mitschicken?

Zum Beispiel welche zu YouTube-Videos von Live-Auftritten. Du willst ja schließlich live spielen. „Traditionelle“ Musikvideos funktionieren dagegen meines Erachtens weniger gut, da sich dann das Personal im Club die Frage stellt, ob und wie das auf der Bühne funktioniert. Klar, ein flüchtiger Konzertmitschnitt per Handykamera wirkt unprofessionell, aber es gibt kleine Dienstleister, die anbieten, dein Konzert mit vier bis fünf Kameras zu filmen. Daraus lassen sich ein, zwei Lieder als Promo-Shot zusammenstellen. Das darf auch gut aussehen, man sollte die Inszenierung allerdings nicht übertreiben.

Für deine Konzerte suchst du praktisch Bars, Cafés und kleine Clubs aus, und fragst ein konkretes Datum an?

Ja, mit einer Kapazität unter 100 Leuten. Die Clubs suche ich möglichst entlang einer Route aus. Inzwischen kenne ich viele Läden und muss nicht alle neu akquirieren. Für mich ist eine Reihe aus drei, vier Konzerten ideal – statt einem Konzert weit weg und wieder zurück. Lieber ein verlängertes Wochenende von Donnerstag bis Sonntag oder gar Montag.

Wie viele Booking-Anfragen musst du in etwa pro Auftritt verschicken?

Weniger ist mehr: Davor hilft gute Recherche, wo ich mit meiner Musik reinpasse. Es bringt nichts, mich als Singer/Songwriter bei einem Hardcore-Metal-Club zu bewerben. In meinen Workshops empfehle ich den Leuten, einen musikalisch ähnlichen Künstler zu finden, dessen Bekanntheitsgrad und Erfolg auf derselben Stufe stehen, und dann zu schauen, wo die- oder derjenige spielt. Wenn Größe und Musik dafür passt, kann ich dort auch spielen. Dann liegt die Erfolgsrate bei zwei bis drei von zehn Anfragen. Hakt man telefonisch nach, steigt das Resultat. Es können tausend Gründe sein, warum keine Antwort kam. Ich empfehle auch, dass Künstler in verschiedenen Städten Gigs „tauschen“, also zusammen auftreten.

Der dänische Indie-Gitarrist und Sänger Flemming Borby verdient seinen Lebensunterhalt, indem er mit eigenen Songs tourt. (Bild: Flemming Borby)

Wo sollten Newcomer anfangen, die sich nach ihren ersten Gigs steigern wollen?

Als junge Band würde ich einen Fünf-Jahresplan machen und langsam höhere Ziele anstreben. Die sollten realistisch sein: Im ersten Jahr vielleicht eine bestimmte Anzahl an kleinen Clubs spielen, im Folgejahr ein paar nächstgrößere. Vielleicht in fünf Jahren auf größeren Festival-Bühnen stehen wollen, aber nicht sofort Rock am Ring anstreben. Wer unrealisierbar plant, wird demotiviert, das bestätigt Selbstzweifel, alle sind gefrustet und hören auf. Auch mögliche Ziele: Im ersten Jahr mit zehn Konzerten starten, im nächsten Jahr dann 20, oder ein Label finden.

Hattest du einen langfristigen Plan mit deinen Solo-Auftritten?

Ich habe um 2015 beschlossen, allein als Singer-/Songwriter aufzutreten, und den Beruf ernstzunehmen. Mein Plan besteht darin, in zehn Jahren zehn Alben zu veröffentlichen – pro Jahr eines. Zu Beginn hatte ich 30, 40 Konzerte im Jahr gespielt, letztes Jahr ist das Ziel auf 70 angewachsen. 100 wären mir zu viel, aber die angestrebten 70 habe ich tatsächlich geschafft. Das fühlt sich für mich wie ein Erfolg an.

In 70 bis 80 Prozent der Fälle kann ich von den Auftritten leben, selbst wenn es nur Kulturcafés und kleine Locations sind. Ich habe natürlich auch mal „größere“ Träume gehabt, wie wahrscheinlich jeder Musiker. Das können auch falsche Vorstellungen sein: Im Musik-Business arbeiten viele Leute mit dir, weil sie ein Geschäft machen wollen. Klappt das nicht, wirst du ersetzt – dann können 100 andere die Lücke füllen. Dahinter steht nicht der inhaltliche Traum – vielleicht für zwei bis fünf Prozent der professionellen Bands! Auch das ist hart: Dann musst du touren, touren, touren – das Label schickt dich raus, sie wollen schließlich Platten verkaufen.

Je bekannter eine Band wird, desto größer werden auch die Zwänge, die entstehen …

Jeder muss für sich selbst entscheiden, was ihn wirklich glücklich macht. Wenn ich den Leuten früher erzählt habe, dass ich Musiker bin, lautete die erste Frage immer: „Kannst du davon leben?“ Das wirkt abwertend. Im Endeffekt hat das mehr mit deren Ängsten zu tun als mit meinen.

Im künstlerischen Bereich existiert Druck von außen: Bist du nicht berühmt, bist du niemand. Aber es geht darum, zu definieren, wann ich Erfolg habe. Was bedeutet Erfolg für mich persönlich, außerhalb einer allgemeinen Definition oder eines Hypes? Hype dient dazu, dass Musikmagazine mehr Exemplare verkaufen, Festivals mehr Tickets absetzen und Radiosender mehr Hörer gewinnen können.

Derjenige, der gehypt wird, ist eigentlich austauschbar. Der Traum, den Leute vom Ruhm haben, steckt in dieser Vorstellung fest. Wer die eigenen Jahresziele erreicht, ist für sich erfolgreich. Die kleinen Schritte sollten als Erfolg zählen, nicht lediglich ein endgültiges Ziel. Dann bist du in der Gegenwart erfolgreich und hast Spaß an dem, was du machst, weil es so läuft, wie du möchtest.

Du versuchst, jedes Jahr ein Album zu veröffentlichen – um auf Tour neues Material und ein neues Merchandising- Produkt bieten zu können?

Ja! Hinter der Idee mit den zehn Alben steckt auch, als Künstler im „Flow“ zu bleiben und schlicht zu produzieren. Irgendwann entsteht vielleicht etwas Großartiges. Es geht um den Prozess. Wer von vornherein nur Meisterwerke erschaffen will, setzt sich selbst zu sehr unter Druck. Picasso hat seine großen Werke auch erst im Laufe der Zeit geschaffen. Im Live-Spielen wird man auch nur gut, indem man auftritt.

Mich hat übrigens das Buch ,The One Thing‘ der Amerikaner Gary Keller und Jay Papasan sehr inspiriert, das mir empfohlen wurde. Es geht darum, sich zu organisieren und auf das Wesentliche zu konzentrieren – herauszufinden, was das zentrale Element in deinem Leben ist, und ihm alles andere unterordnen. Dazu kommt, jeden Tag an zwei Aspekten dieser „Sache“ zu arbeiten. In meinem Fall geht es darum, von eigener Musik leben zu können, und dabei täglich an neuem Songmaterial zu arbeiten und Konzerte zu buchen. Das ist mein Dreh- und Angelpunkt.

(Bild: Flemming Borby)

(erschienen in Gitarre & Bass 10/2019)

Produkt: Singer Songwriter Special
Singer Songwriter Special
Dieser Download ist eine Zusammenfassung aller 6 Teile unserer Singer Songwriter Workshops.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren