Story & Transkription

Frieder Klein: Von den Ärzten zum Jazz

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(Bild: HEAZmusic)

Am 24. April 2020 erschien beim renommierten deutschen Jazz-Label ACT Music mit ‚Natural Energy‘ das Debüt-Album des Jakob Manz Project. Das Quartett um den hochbegabten zwanzigjährigen Alt-Saxophonisten Jakob Manz, der schon mit dem legendären Trompeter Randy Brecker auf der Bühne stand, begeistert sein Publikum regelmäßig durch virtuosen, lebendigen Fusion-Jazz.

Mit dem Pianisten Hannes Stollsteimer und dem Schlagzeuger Paul Albrecht bildet Frieder Klein eine energetische Rhythmus-Gruppe, deren Groove, Interaktion und solistische Brillanz tief beeindruckt.

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INTERVIEW

Frieder, wie bist du zur Musik und dann speziell zum Bass gekommen?

So mit vier oder fünf Jahren habe ich auf einem Mini-Flügel – eigentlich ein verkapptes Glockenspiel – geklimpert und war davon nur ganz schwer zu trennen. Also kauften meine Eltern ein Klavier, und ich hatte von fünf Jahren bis zum Abitur durchgehend bei Rolf-Peter Barth, einem sehr guten Pianisten, Unterricht. Der hatte das absolute Gehör und konnte alles sofort spielen, was ihm in den Sinn kam, konnte mir aber nicht erklären, wie er das machte. Er war auch ein sehr guter Blattleser, und ihm verdanke ich meine Basic-Skills in diesem Feld.

Später habe ich verschiedene Blechblasinstrumente ausprobiert, angefangen mit dem Bariton, einer Art Tenorhorn mit vier Ventilen. Zur Konfirmation habe ich mir dann bei Thomann eine Ventilposaune gekauft und mit ihr in der Schul-Bigband erste Erfahrungen mit Jazz gemacht. Dann habe ich auch noch mit der Tuba angefangen, und mit der konnte ich zum ersten Mal auf Sessions gehen. Bei regelmäßigen Dixie-Sessions im Glasperlenspiel, einer Kneipe in Asperg, habe ich dann die ganzen Oldschool-Standards gelernt. Mit der Ventilposaune habe ich dann auch in klassischen Orchestern gespielt.

Frieder Klein am Sousaphon (Bild: Probst Stuckmann / Albrecht / Manthei)

Übrigens spiele ich immer noch Sousaphon in der Brassband Louisiana Funky Butts. Zum E-Bass kam ich aber über meinen Bruder, der ein großer Ärzte- und Farin-Urlaub-Fan war. Mir gefiel die Musik auch sehr, und weil mein Bruder viel E-Gitarre spielte, dachte er sich, es wäre doch praktisch, noch E-Bass dabei zu haben. Und im Keller meines Vaters lag tatsächlich noch ein alter E-Bass, eine Fender-Kopie, wohl aus den 80ern, eigentlich ziemlicher Schrott. Aber ich wollte den ausprobieren und ließ mir von meinem Bruder zeigen, wo das G liegt, und die restlichen Töne habe ich dann selbst lokalisiert. Dann habe ich alle Ärzte-Basslines gelernt, und danach in kleineren Bigbands Bass gespielt.

Aber dann rückte der Bass immer mehr in deinen Fokus.

Ernsthafter wurde es, als ich an der Musikschule in Vaihingen-Enz in die Jazzband von Gerhard Mornhinweg einstieg. Da spielten wir Standards und auch schon Eigenkompositionen. Da, und auch in der Bigband dieser Musikschule unter Leitung von Andreas Bader, spielte ich schon mit Hannes Stollsteimer, dem Pianisten des Jakob Manz Project, zusammen. Der Saxophonist Klaus Graf drückte uns einen Flyer zu einem Jazz-Workshop in Ochsenhausen in die Hand. Da sind Hannes, den ich am Gymnasium kennengelernt habe, und ich zwei oder dreimal hingegangen, und da haben wir auch Jakob kennengelernt. Der war damals elf Jahre alt!

Hattest du vor deinem Studium in Stuttgart Unterricht?

Vor der Aufnahmeprüfung hatte ich zwei Stunden bei Christoph Dangelmaier, die sehr wichtig waren.

In deiner Entwicklung sind dann doch sicher stilprägende Bassisten wie James Jamerson oder Jaco Pastorius für dich wichtig geworden? Gab es eine Platte, die dich geflasht hat?

Geflasht haben mich erstmal auch die Ärzte, einfach, weil ich den E-Bass-Sound so geil finde. Auf Jaco Pastorius kam ich erst später. Ich habe mir das Bassspielen selbst beigebracht, indem ich ziemlich viele Dinge auf YouTube angeschaut habe. Das war damals, was Masterclasses und Workshops angeht, noch nicht die Diamantenhöhle, die es heute ist. Aber um die Basics zu lernen, war YouTube perfekt. Wenn man da nach „Bass-Solo“ suchte, poppte als erster Victor Wooten auf. Ich habe mich ab dann auch mit der Slapping-Technik beschäftigt, wurde da aber nie besonders gut drin.

Wichtiger für mich waren die ersten Videos von Dirty Loops. Der Bassist Henrik Linder war einfach so ein „bad ass“, denn er spielte Slap-Grooves, die nichts mit Victor Wooten oder Marcus Miller zu tun hatten. Wegen ihm wollte ich dann auch einen Sechssaiter-Bass haben, woraufhin mein Vater mir einen Ibanez SDGR Premium Six-String geschenkt hat, als ich 18 Jahre alt war. Zu Anfang musste ich mich auf dem breiteren Hals natürlich völlig neu orientieren und mich an die zusätzlichen Saiten gewöhnen.

Ist deine spezielle Spielhaltung inspiriert von Hadrien Feraud?

Ein wenig schon. Ich habe es nicht direkt bei ihm gesehen, fragte mich aber immer, wie er an die hohen Lagen herankommt, ohne dass da viel Kraftaufwand oder auch Verkrampfung am Start ist. Ich bin dann selbst während des Studiums darauf gekommen, den Bass auf den linken Oberschenkel zu positionieren, und dessen Position durch eine Fußbank wie ein klassischer Gitarrist anzuheben. Diese Haltung, extrem steil, und ein wenig vom Körper weg, ist meiner Meinung nach für die Haltung beider Hände das Beste.

Aber Hadrien hat dich schon fasziniert?

Ja klar. Henrik Mumm, mein Bassdozent an der Stuttgarter Hochschule, zeigte mir einen Videoclip, auf dem er ‚Cherokee‘ spielt. Da habe ich zum ersten Mal gesehen, dass man auf dem Bass interessante Lines spielen kann, die nicht nach Gimmick klingen, so wie ein Bläser.

Bei der Improvisation ist es ja entscheidend wichtig, die Sprache zu lernen und sich ein Vokabular anzueignen. Wie war dein Weg dorthin?

Eine Zeit lang habe ich komplette Soli transkribiert, von Feraud und auch von Jaco. Dann bemerkte ich, dass das gar nicht so viel bringt, und ich habe mich eher auf die Takte konzentriert, bei denen ich zuerst nicht wusste, was da passiert. Mein Bebop-Vokabular habe ich durch Charlie-Parker-Soli und die Musik von Michel Petrucciani und Joe Pass aufgebaut.

Chick Corea hat einmal gesagt, dass in der Musik zwar Grundelemente wie Akkorde, Arpeggien und Skalen die Basis sind, von der jeder ausgeht, dass aber jeder seinen eigenen Weg finden muss, durch diese ungeheure Komplexität zu navigieren. Stimmst du dem zu?

Ganz bestimmt. Bei mir war das Gehör das Wichtigste. Am Anfang meines Studiums fehlte mir das Vorstellungsvermögen, was möglich ist und was gut klingt. Am Anfang war für mich etwa ‚Autumn Leaves‘ in einer bestimmten Tonart, in der ich dann spielte. Das hat zunächst gereicht, und wenn man die Ohren aufmachte, spielte man wenigstens keinen totalen Müll. Aber nur in C-Moll zu bleiben, war dann doch zu wenig. Da hat mir das Studium mit Harmonielehre und Gehörbildung schon geholfen.

Über die Gehörbildung kommt man zur praktischen Anwendung dessen, was man in der Harmonielehre lernt. Im Studium lief dann ein Aebersold-Playalong eines Standards, und jeder musste zwei Chorusse scatten. Am Anfang sagte mir der Gehörbildungsdozent Steffen Kistner, auch ein Bassist: „I feel your pain!“, weil ich immer grundtonbasiert gedacht und gehört habe. Und ich musste den basstypischen Grundtonbezug erst einmal überwinden und lernen, wie z. B. eine Terz oder eine None klingt.

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Also ist für dich vor allem das Ohr die Chefinstanz?

Ja genau! Das Ohr bildet sich auch durch Dinge, die man sich selbst vorspielt. Du kannst dich ja nicht hinsetzen und dir überlegen, wie Alteriert funktioniert und es dann hören. Du musst es dir selbst vorspielen und ein Gefühl dafür entwickeln, welche Gravitation jeder einzelne Ton dieser dichten und Tension-reichen Skala hat, und wie er klingt und wirkt.

In der Band habt ihr ja großartige Solisten. Inspiriert ihr euch gegenseitig? Wenn z. B. Jakob eine Line spielt, und du fragst, wow, was war das gerade?

Das passiert auf jeden Fall, klar. Es geht ja schon los damit, dass jeder von uns Stücke schreibt, die die anderen dann spielen müssen. Da kommen Akkord-Progressionen, bei denen Jakob nicht sieht, was an denen so schwer sein soll bei der Improvisation. Dann muss er erst einmal erklären, was Sache ist. Und es gibt Unisono-Passagen, wie z. B. bei meiner Komposition ‚Bombylius‘. Da spielen Hannes und ich eine lange Sechzehntel-Line. Das musste er auch erst mal üben, weil die Line auf dem Bass geschrieben wurde, wo sie gut liegt, während das am Piano schon ganz anders aussieht.

Setzt du Raking ein?

Absolut, aber nicht immer. Der Wechselschlag hat erst einmal Priorität. Raking ist das, was Gitarristen als Economy-Picking bezeichnen. Immer zu raken, wäre Overkill und schwierig.

Hast du da Regeln?

Nicht wirklich, aber es gibt ein paar ungeschriebene Regeln: Wenn du zwei Saiten abwechselnd spielst, eine hohe und eine tiefere, womöglich mit einer oder zwei Saiten dazwischen, dann ist in der Regel der Zeigefinger für die tiefere und der Mittelfinger für die höhere zuständig aus dem einfachen Grund, weil der Zeigefinger kürzer ist. Man kann das auch umkehren, aber dann kommt automatisch die Schulter mit ins Spiel, weil sich die ganze Hand vertikal bewegen muss. Deswegen praktiziere ich ganz striktes Alternate Picking nicht durchgängig, weil es physiologische Limits gibt.

Hast du speziell die Technik der rechten Hand geübt?

Mein Prinzip ist eher, dass die linke Hand fit sein muss, und die rechte Hand muss das dann bedienen können. Es wäre kontraproduktiv, wenn die rechte Hand der linken davonrennen würde. Ich habe also immer mit beiden Händen gespielt und darauf geachtet, dass alles synchron ist.

Ein großes Problem bei Fünf- oder Sechssaitern ist immer das Dämpfen.

Ja, Henrik Mumm hat mir die Floating-Thumb-Technik gezeigt, bei der der Daumen nicht fest verankert ist, sondern parallel zu den Pickups mitwandert und alle nicht gespielten, tieferen Saiten abdämpft. Das Konzept ist sehr clean, aber mir fehlt da der Punch im Anschlag, weil man die Finger krümmen muss. Ich habe meinen Daumen als Anker, der dann meistens zwei Saiten zuverlässig dämpft, und mit geraden Fingern bekommt man einfach mehr Druck in den Anschlag.

Was hast du für deine Time geübt?

Ganz klassisch mit dem Metronom, und durch Aufnehmen. Man nimmt sich zum Click auf mit einer DAW und schaut dann, wie genau man spielt, wie es sich anfühlt, genau auf dem Beat zu sitzen, oder auch etwas vor oder hinter dem Beat. Und Henrik Mumm hat mich in ungeraden Taktarten extrem gedrillt.

Kommen wir zum Equipment. Was spielst du für einen Bass?

Einen Le-Fay-Herr-Schwarz-Sechssaiter. Den spielte auch mein Basslehrer in Stuttgart, und ich habe ihn ein paar Mal in der Hand gehabt und fand ihn super. Dann habe ich auf Facebook gesehen, dass einer der Le-Fay-Endorser einen Herr-Schwarz-Sechssaiter verkauft, und ich habe dieses fast ungespielte Instrument dann sofort gekauft. Zu Le Fay habe ich regen Kontakt.

Le Fay Herr Schwarz Bass (Bild: Probst Stuckmann / Albrecht / Manthei)

TRANSKRIPTION

Frieders wunderbares Solo über ‚Fog Light‘, eine Komposition von Jakob Manz im 7/4-Takt, wurde im Original auf dem Le-Fay-Sechssaiter eingespielt. Die hier vorliegende Transkription ist aber auch auf einem Viersaiter spielbar.

(zum Vergrößern klicken!)

Die Fingersätze zeigen, wie Frieders linke Hand agiert. Im A-Teil spielt er über die ersten drei Akkorde die Ab-Dur-Hexatonik oder die Eb-Dur-Hexatonik (= Dur-Pentatonik + maj7) und über Bbsusb9 Bb-Melodisch-Moll 2 (= Ab-Melodisch-Moll).

Im A2-Teil hören wir die E-Dur- und A-Dur-Hexatonik. Über Bbm7b5 hören wir Bb-Lokrisch 9 (= Db-Melodisch-Moll), über C7alt spielt er dann C-Alteriert (= Db-Melodisch-Moll), also praktischerweise das gleiche Tonmaterial über beide Akkorde.

Hier das Original-Playback von der CD ‚Natural Energy‘:


(erschienen in Gitarre & Bass 10/2021)

Produkt: Gitarre & Bass 5/2022 Digital
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