Die Platten des Monats: Locals Special

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PAUL PREM: WHO AM I!

„All I ever did was to follow the voice in my head“ heißt es direkt im Opener von Paul Prems wirklich spannendem neuen Album, das er selbst als seine „Definition der musikalischen Komfortzone“ bezeichnet. Was man also hier zu hören bekommt, ist ein Paul Prem in Bestform und in einer Umgebung, die explizit auf ihn als Gitarristen zugeschnitten ist. Ein Gewächshaus mit optimalen Bedingungen für seine Kunst quasi – und darin wächst so einiges. Vor allem sind das Pflanzen, die in dieser Art sonst eher in nordamerikanischen Gefilden beheimatet sind: Soul, Folk, Rock, etwas Blues, ein wenig Jazz, melodische Hooks, eingängige Songs mit viel Gitarre.

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Man merkt, wie wohl sich der sonst eher im Pop-Dienstleistungsgewerbe tätige Musiker im selbstgewählten Kosmos fühlt, und wieviel Respekt er auch hier den Songs entgegenbringt, sie nicht überfrachtet, nicht überspielt, sondern ihnen genau das gibt, was sie brauchen und nur gelegentlich geschmackvoll und pointiert zeigt, wo der gitarristische Hammer hängt. Geschrieben und aufgenommen hat Prem die Songs selbst, allerdings holte er sich für den Gesang sowie Bass, Drums, Keys etc. alte und neue überzeugende Weggefährten ins Boot bzw. in die Cloud, denn aufgenommen wurde das Ganze coronakonform räumlich voneinander getrennt.

Und damit noch ein Wort zum Klang der Platte: Erstaunlich! Deshalb, weil Prem alle seine Gitarren im heimischen Kämmerlein bei nachbartauglicher Lautstärke aufnehmen musste. Einer IsolationCab sei Dank, dass Prems Strats, Semi-Acoustics, Les Pauls, SG und und und (eine detaillierte Equipment-Liste gibt es auf www.paulprem.de, wo auch die Platte erworben werden kann) so klar, warm, vintage und ausgewogen klingen, wie sie es hier tun. Dolles Ding!

www.paulprem.de

HENRIK FREISCHLADER BAND: MISSING PIECES

Die tadellosen Fähigkeiten des deutschen Blues-Spezialisten Henrik Freischlader anzupreisen, hieße Eulen nach Athen zu tragen: Der 38-Jährige ist der wohl authentischste und ideenreichste deutsche Bluesrock-Musiker, mit ganz eigener Handschrift und dem großen Gary Moore als erklärtes Vorbild. Beides – die eigene Handschrift und Moores Einfluss – erstrahlt auch auf seiner neuesten Scheibe ‚Missing Pieces‘.

Im Gegensatz zum Vorgänger ‚Hands On The Puzzle‘ (2018) hat Freischlader seinen stilistischen Bewegungsradius wieder etwas stärker eingegrenzt, wildert weniger in Jazz und Soul, sondern konzentriert sich überwiegend auf seine naturgegebenen Kernkompetenzen, nämlich mehr oder weniger rockigen Blues, den er mit seiner exquisiten Band zu einem wahren Ohrenschmaus macht. Mal sind es die kleinen, feinen Licks, die einen Song so außergewöhnlich machen, mal ist es Freischladers ruhige, bisweilen sonore Stimme, an anderer Stelle eine rhythmische Besonderheit oder ein besonders gelungenes Solo (wie etwa in ‚New Beginning‘), die den Zuhörer geradezu anspringen. Die größte Errungenschaft dieser Scheibe ist aber ihre Lebendigkeit und ihr erdiger Sound. Großes Kino!

www.henrikfreischlader.com

MARCUS KLOSSEK ELECTRIC TRIO: TIME WAS NOW

„Telecaster Jazz Guitar Noire“ nennt der Gitarrist und Lehrer aus Berlin seine TrioMusik – und wenn man Marcus Klossek (g), Carsten Hein (b) und Derek Scherzer (dr) hört, dann klingt seine schmatzig angezerrte Tele wirklich ein bisschen anders als die von Mike Stern, Ed Bickert, Jim Campilongo, Jakob Bro oder des Gelegenheitstelianers John Scofield. Ein wunderbares Instrument eben, aus dem Klossek auf seinem neuen Album eine ganze Menge rausholt. Vor allem hat er auf diesem Viertwerk in eigener Trio-Besetzung inzwischen seinen Trademark-Sound gefunden, den er nur gelegentlich mit leicht veränderten Raumanteilen variiert.

Im vergangenen Jahr schrieb ich zu dem noch in verschiedenste Richtungen ausbrechenden Vorgänger-Album ,Taken From The Skies‘: „Marcus Klosseks Musik hat Potenzial für mehr als nur ein Album und mehr als nur eine Band. Wirklich vielseitig!“ Diesmal hat er sein Potenzial gebündelt, sich stilistisch konzentriert, und die Musik kommt jetzt wirklich auch klanglich aus einer Hand, hat Identität und Sound.

Die oft die Crunch-Grenze überschreitende Verzerrung ist Stilmittel, und wenn Klossek mal, wie in ,One Of Us‘, ganz clean bebopt, vermisst man fast schon etwas. Auch das ganz ruhige Finale ,August 30‘ fängt so an, aber ganz langsam beginnt Marcus’ Tele zu atmen und immer stärker mit dem übersteuernden Amp zu interagieren. Das hat was! Ein absolut gelungenes und unterhaltsames Jazz-Gitarren-Album.

www.marcusklossek.de

KLAUS MICHEL: PRIMAVERA

Klaus Michel ist einer der produktivsten Musiker dieses Landes, und ich habe aufgehört zu zählen, wie viele Veröffentlichungen ich in den vergangenen knapp zweieinhalb Dekaden von seinen Bands Tunes For The Takin’, Red Hill und seinen Soloprojekten angesammelt habe. Jetzt hat Klaus Michel wieder ein neues Album mit zwölf Songs veröffentlicht, das auf allen bekannten digitalen Kanälen und/oder als CD auch direkt beim Künstler zu haben ist. Musik, die Wärme ins Leben bringt, denke ich beim Anhören, während ich umzugsbedingt in einer halbleeren Wohnung sitze.

Die klangliche Transparenz und Räumlichkeit kenne ich von anderen Produktionen dieses Künstlers, auch die sehr geschmackvoll aufgenommenen Gitarren, die immer individuell klingen. So einen eigenen, schwebenden, in alternative Country-Sphären driftenden Band-Sound hatte ich aber nicht erwartet. Auffallend ist, dass mit Martin Huch, Jürgen Schmidt, Mark Horn und Dietmar Wächtler gleich vier verschiedene Pedal-Steel-Gitarristen beteiligt waren – keine Angst: alle einzeln!

Und auch diesmal tauchen MusikerInnen auf, mit denen Michel schon seit Jahren immer wieder gearbeitet hat: darunter Pablo Lachmann und Kay Zingler (Bass), Oliver Kölsch (Drums), Tunes-For-The-Takin’-Sängerin Catherine Klier, außerdem die Keyboarder Tim Greiner und Thomas Jung sowie Ina & Wolfgang Behm, Susan Zerfas und Jutta Spang für die Backing-Vocals. Klaus Michel selbst ist als Sänger, Songwriter, Gitarrist und auch mal an Percussion, Drums oder Bass zu hören.

Produziert hat Michel die durchgehend englischsprachigen Songs von ,Primavera‘ gemeinsam mit Kay Zingler und Peter Dümmler (der auch ein tolles Gitarrensolo in ,Life Away‘ abliefert) zwischen März und September 2020. Ein großartiges Album! Klaus Michel, der Musiker aus dem Hunsrück und sein kreatives Umfeld gehören ganz sicher zu den besten Geheimtipps, die ich in meinem Job kennengelernt habe. Entdecken!

www.klaus-michel-music.com

ANDREAS SCHULZ: POEM FOR A GLACIER

Nachhaltigkeit ist ein großes Thema unserer Zeit. Möglichst nichts wegwerfen, sondern wiederverwenden. Und so stehen Wiederverwertung und Recycling auch im Mittelpunkt des Entstehungsprozesses von Andreas Schulz’ neuem Instrumentalalbum ,Poem For A Glacier‘: In einem anderen Leben ist Schulz nämlich u.a. Gitarrentester für das Magazin Akustik Gitarre und dementsprechend häufig von neuen, inspirierenden Instrumenten umgeben. Da fällt beim Probespielen und Produkt-Video-Aufnehmen dann schon mal die eine oder andere Idee ab, die es sich lohnt weiterzuverfolgen und zweitzuverwerten.

Und so basiert der Grundstock der 15 Nummern auf ebensolchen Ideen, die Schulz weitergesponnen, ausgearbeitet und schließlich mit Ralf Göldner an Drums und Percussion aufgenommen hat. Das Ergebnis klingt zurückhaltend, gar nicht so rein akustisch wie vermutet, aber immer spannend und trotz seiner dezenten Art immer unterhaltsam. Mal sphärisch mit gitarrenerzeugten Ambient-Sounds, mal jazzig-beschwingt mit Archtop, und dann wieder folkig-verspielt mit Nylon- oder Westerngitarre. Der Südhesse kennt sein Instrument und seine Instrumente – und hat dem bedrohten Naturphänomen Gletscher hier ein schönes Gedicht gewidmet.

www.andreasschulz.de

KAI STRAUSS: IN MY PRIME

Der Sänger und Gitarrist aus Lengerich präsentiert auf seinem sechsten Album klassischen Blues, der stilmäßig irgendwo zwischen Texas und Chicago verortet werden kann. Viele Songs fallen von Bläsern befeuert funky aus, mit Reminiszenzen etwa an Albert King. Eine großartige Ballade wie ,Keep Your Happy Home‘ erinnert auch mal an Bobby „Blue“ Bland. Tolle Shuffle-Nummern gibt‘s mit dem Titelstück und dem ,World Crisis Blues‘. Stets beeindrucken scharfe Bends, Fingervibrati und die Phrasierung von Strauss.

Für den cleanen bis angezerrten Sound, so teilt Kai mit, kamen eine 1968er Gibson ES-345, eine 2000er Squier Bullet Strat und ein Mesa Boogie Studio 22 zum Einsatz, Pedale gab es nicht. Apropos, überhaupt ist der organische lebendige Klang dieses Albums wirklich toll. ,In My Prime‘ zählt sicher zu den stärksten Blues-Veröffentlichungen des ausgehenden Jahres 2020, in dem man schließlich auch nur den Blues bekommen konnte.

www.kaistrauss.com

Produkt: Gitarre & Bass 1/2023 Digital
Gitarre & Bass 1/2023 Digital
Im Test: Mooer GTRS W 800 WH Headless +++ Soldano Super Lead Overdrive Pedal +++ Epiphone Noel Gallagher Riviera +++ Fender American Vintage II 1975 Telecaster Deluxe +++ LTD Phoenix 1000 Fishman +++ Orange Sustain, Distortion & Phaser +++ Ibanez Tom Quayle Signature +++ Maestro Sustainer, Envelope Filter, Phaser, Tremolo +++ Fender American Vintage II 1960 Precision Bass +++ Eventide H90 Harmonizer

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Kai Strauss hat mit seinem Song „In my Prime“ einen echten Volltreffer gelandet! Tolle Nummer,swingt und bluest so richtig schön flüssig,daß man einfach viel mehr davon hören möchte!

    Gut,daß es in einer öden Zeit der nervigen Corona Pandemie auch wieder mal ein Highlight gibt.

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