Im Interview

Billy Gibbons: Wüsten-Blues

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Billy Gibbons(Bild: Roger Kisby)

Billy Gibbons ist ein wahres Schätzchen, ein Mann, den man als Musikerkollege sicherlich gerne um sich hat und als Journalist immer wieder mit besonderer Freude befragt. Gibbons ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Elder Statesman des Bluesrock, mit typisch texanischer Gelassenheit, massenhaft Lebenserfahrung und der sicheren Gewissheit, dass er zu den ganz großen Legenden der Rockmusikgeschichte zählt.

Doch Unterredungen mit dem 71-Jährigen haben häufig einen Haken, jedenfalls für Medienvertreter: Gibbons ist zwar von entwaffnendem Charme und unendlicher Freundlichkeit, aber genau genommen beantwortet er die an ihn gestellten Fragen nur beiläufig und eigentlich auch nur vage. Nicht dass Gibbons unhöflich, maulfaul oder gar mürrisch ist, auch möchte er nicht etwa vermeintlich unangenehmen Themen aus dem Weg gehen. Nein, Gibbons lebt mit jeder Strähne seines langen Rauschebarts im Hier und Jetzt, erzählt das, was ihm gerade am Herzen liegt und schlägt mitunter erst im Nachgang den Bogen zur gestellten Frage.

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Als Journalist hat man dann zwei Möglichkeiten: Man unterbricht den ZZ-Top-Frontmann unhöflich und bittet um konkretere Auskunft. Oder man folgt seiner ausschweifenden Erzähllust, um festzustellen, dass die Geschichten deutlich interessanter werden, als wenn man auf die Beantwortung seiner Frage beharrt hätte.

Soweit die kleine Vorbemerkung, jetzt zum Anlass des Gesprächs: Gibbons hat drei Jahre nach seinem Album ‚Big Bad Blues‘ ein weiteres Soloalbum produziert. Titel: ‚Hardware‘. Aufnahmeort: eine kleine Musikoase namens Escape Studio irgendwo in der kalifornischen Wüste zwischen Joshua Tree, Palm Springs und El Paso. Dort verschanzte sich der Gitarrist und Sänger drei Monate lang mit zwei Begleitmusikern (darunter Guns-N’- Roses-Drummer Matt Sorum) und zwei Toningenieuren, um nun ein Album zu präsentieren, das seine reinen Blues-Roots ebenso freilegt wie die Mainstream-Phase mit ZZ Top. Und auf dem er so manches Gimmick eingebaut hat (darunter auch eine Kooperation mit Megan und Rebecca Lovell von Larkin Poe), wie er uns in einem gewohnt kurzweiligen Gespräch verriet.

Billy, zunächst einmal: Welche wichtigen Erfahrungen hast du von den Arbeiten an ‚Big Bad Blues‘ für die Produktion von ‚Hardware‘ mitnehmen können?

Es gibt einen sehr interessanten und für mich neuen Aspekt. Den allerersten Anruf bekam ich von meinem Freund, dem großartigen Schlagzeuger Matt Sorum. Er sagte: „Nun, ich habe den Eindruck, so wie wir alle hier, dass wir endlich wieder arbeiten sollten.“ Ich antwortete: „Ja, du hast Recht.“ Matt darauf: „Ich habe ein neues Studio entdeckt, ganz in der Nähe von Joshua Tree.“ Ich entgegnete: „Okay, dann sollten wir es uns ja wohl mal anschauen. Das wird ja voraussichtlich nicht allzu lange dauern, vermutlich doch nur 40 Minuten bis zu einer Stunde.“ Also fuhren wir zu besagtem Studio, und aus den geplanten 40 Minuten wurden am Ende drei Monate. Wir gingen einfach rein und kamen nicht wieder heraus. Wir hatten nichts dabei, nur einen Zettel und einen Stift, hahaha.

Wir schauten uns im Studio um, in einer Ecke stand ein Schlagzeug, in einer anderen eine sehr alte Gitarre, außerdem entdeckte ich eine sehr alte Fender Reverb Unit. Ich stöpselte die Gitarre ein und hatte sofort diesen typischen, alten Sound von Surf-Gitarren, den man jetzt auch auf der ersten Single ‚West Coast Junkie‘ hören kann. Mir persönlich gefiel der Sound auf Anhieb, denn er klingt wirklich ganz ungewöhnlich. Interessant war: Er wurde schnell die Quelle einer kontroversen Auseinandersetzung.

Mir gefiel der Klang, aber die beiden Toningenieure des Studios sagten zu mir: „Billy, du bist mit Jimi Hendrix gereist und wurdest sein Freund. Aber erinnerst du dich, was er auf seinem ersten Album erklärt hat? You will never hear Surf music again!“ Ich musste lachen und entgegnete: „Na, dann ist es wohl dringend an der Zeit, sie zurück an die Öffentlichkeit zu bringen.“ Es klingt sehr ungewöhnlich. Also ließen wir es drauf. So fing alles an. Es war wirklich aufregend, in einem Tonstudio mitten in der Wüste. Außer uns gab es dort quasi nichts. Man musste 30 Minuten mit dem Auto fahren, um die nächstmögliche Ortschaft zu erreichen.

Das berühmte „In the middle of nowhere“, also.

Hahaha, exakt. Und wenn man nichts hat, gibt es nur eine Möglichkeit: nämlich mit etwas zu beginnen (der wunderbare O-Ton: „When you have nothing the only thing to do is to start something”). Und genauso ist dieses Album entstanden.

Bevor wir weiter ins Detail gehen, erkläre bitte noch kurz, was mit dem angekündigten ZZ-Top-Album geworden ist, über dessen Entstehung du mir bei unserem letzten Interview vor drei Jahren erzählt hast. Angeblich sollte das doch parallel zu ‚Big Bad Blues‘ entstehen, oder nicht?

Sehr gute Frage, mein Lieber! Während der Aufnahmen zu meinem neuen Soloalbum ‚Hardware‘ konnte ich fast jeden Tag mit Frank und Dusty sprechen. Sie sagten: „Oh Billy, du musst dein Soloalbum unbedingt fertigstellen, denn es wird eine großartige Scheibe werden.“ Ich dachte eigentlich, dass sie zurzeit meinen Instruktionen folgen und sich schon mal um das nächste ZZ-Top-Album kümmern. Aber nein, stattdessen forderten sie mich auf zu arbeiten, während sie selbst Fernsehen schauten und ihre Tage auf dem Golfplatz verbrachten. Aber die gute Nachricht ist, dass sie jetzt angefangen haben, die ersten Vorbereitungen zu treffen.

Wie du vielleicht weißt oder schon einmal gehört hast, arbeiteten Frank und Dusty schon seit Teenager-Zeiten zusammen, bevor ich sie damals zum ersten Mal traf. Ich habe die zwei als grundsolide Rhythmusgruppe quasi geerbt. Und nachdem ich ‚Hardware‘ fertiggestellt hatte, ging ich direkt zur Produktion des neuen ZZ-Top-Albums über, was in der Tat das reinste Vergnügen war. Sie haben eine wirklich erstklassige Grundlage geschaffen, die es mir erlaubt hat, direkt darauf einzusteigen.

Billy Gibbons(Bild: Gerardo Ortiz)

Interessant finde ich, dass du auf ‚Hardware‘ mit Austin Hanks einen zweiten Gitarristen an deiner Seite hattest. So etwas kennst du von ZZ Top ja nicht. Was war seine Aufgabe?

Ich bin mit Austin schon seit längerem befreundet. Außerdem finde ich sein Gitarrenspiel außerordentlich inspirierend. Er spielt in der Art wie Jimi Hendrix oder Albert King. Austin ist Linkshänder, spielt also seitenverkehrt und verwendet häufig sehr obskure Tunings. Das ist mitunter so verwirrend, dass es für mich besser ist, beim Zusammenspielen nicht auf seine Finger zu schauen. Ich werde verrückt, wenn ich ihm zuschaue.

Als wir uns im Studio trafen, sagte ich: „Austin, ich mag dein Spiel sehr, und mir gefällt auch deine Stimme außerordentlich gut.“ Er antwortete: „Nun, wenn wir zusammen spielen, gehen deine Finger auf der Gitarre in die eine Richtung und meine in die entgegengesetzte. Ich finde das ist eine tolle Kombination, auch in visueller Hinsicht.“ So fing unsere Zusammenarbeit an. Ein wenig so wie bei der Jimi Hendrix Experience, bei der Jimi Linkshänder und Noel Redding Rechtshänder war.

Ist Austin der Co-Komponist aller Songs?

Nein. Er stieß erst später dazu. Wie schon anfangs erwähnt: Wir fingen im Studio bei Null an, Matt Sorum, ich und die beiden Toningenieure Mike Fiorentino und Chad Shlosser, nur mit einem Blatt Papier und einem Stift. Die Songs entstanden nach und nach, Tag für Tag. Es war wirklich lustig: Jeder Tag begann mit einer langen Fahrt vom Studio zu einem kleinen mexikanischen Restaurant in die nächstgelegene kleine Ortschaft. In diesem Restaurant gab es ein junges mexikanisches Mädel, sie war die Besitzerin, die Köchin, sie bediente, machte sauber, einfach alles.

Eines Morgens betraten wir den Laden, suchten uns einen Platz, und die Küche des Restaurants stand buchstäblich in Flammen. Sie kam zu unserem Tisch und sagte: „Keine Sorge, ich werde euer Frühstück nicht verkohlen lassen, ich habe einen Blick darauf.“ Zum Glück konnte sie das Feuer wieder löschen, und als wir nach dem Frühstück wieder zurück zum Studio fuhren, hatten wir den Titel für einen neuen Song: ‚She’s On Fire‘. Der Song handelt allerdings nicht zwangsläufig von einem hübschen Mädchen, sondern mehr von Tortillas und Enchiladas über offenem Feuer. (lacht)

Da wir gerade bei Songtiteln sind: Was bedeutet das „B.B.R.“ in dem Song ‚Some girls love my B.B.R.‘?

Es gibt einen Song von Eric Clapton, Jack Bruce und Ginger Baker, als sie zusammen bei Cream spielten. Sie hatten einen Song namens ‚S.W.L.A.B.R.‘. Ich fand es immer sehr schwierig auszusprechen und fragte „Was ist dieses ‚schwlabber‘?“ Irgendwann später erklärte mir jemand: „Du musst es selbst herausfinden. Wir verraten dir nur, was die drei ersten Buchstaben bedeuten, nämlich: Some Women Like …“ Wir alle sind riesige Fans von dem, was Cream gemacht haben, und entschieden, die Idee dieses Kürzels ein Stückchen weiterzutreiben. Deshalb überlasse ich es deiner Fantasie, das Kürzel zu entschlüsseln.

Kannst du bitte mal erklären, mit welchen Instrumenten du – neben deiner legendären Pearly Gates Les Paul und deinem Marshall-Amp, dem Fender-Combo und deinem Magnatone Super 59 – an ‚Hardware‘ gearbeitet hast?

Ich hatte gehofft, dass du mich als Vertreter einer Musikerzeitschrift darauf ansprichst. Jemand sagte zu mir: „Billy, für die Produktion von ‚Hardware‘ gilt: Wir kennen Matt Sorum, er ist ein toller Schlagzeuger. Wir kennen dein Gitarrenspiel, wir brauchen also lediglich zwei weitere Menschen, um diese Scheibe aufzunehmen, sprich: nur zwei Musiker und zwei Toningenieure.“

Und jetzt fragen sich die Leute, wer denn die Bass-Spuren aufgenommen hat. Die Antwort lautet: Wir alle haben sie unter uns aufgeteilt. Das Überraschendste war: Jeder kennt Matt Sorum als großartigen Drummer, aber er ist auch ein grandioser Gitarrist und ein fast noch besserer Bassist. Ein paar Mal habe ich den Bass gespielt, einige Male hat dies Matt übernommen, und auch die beiden Toningenieure Mike und Chad haben einen Bass in die Hände genommen.

Wenn du mich nach meinem Equipment fragst: Am Anfang der Produktion nahmen wir einfach nur das Equipment, das sowieso im Studio vorhanden war. Die erste Nummer war ‚Westcoast Junkie‘, die ich mit einer Fender Jazzmaster eingespielt und über eine Fender Reverb Unit verstärkt habe. Erst einige Tage später brachte ein Truck mein reguläres Equipment mit der Pearly Gates, dem Magnatone-Amp und das Schlagzeug von Matt. Außerdem stand im Studio ein 1961er Fender Tremolux mit zwei 10“-Speakern. Dieses alte Teil klang absolut großartig, ich habe versucht, es mit nach Hause zu nehmen, hahaha.

Du hast versucht, es dem Studio abzukaufen?

Nein, ich habe versucht, es heimlich mitgehen zu lassen. (lacht) Wir haben einfach alles in die Hand genommen, was man im Studio finden konnte. Das Studio ist wirklich sehr interessant. Es ist kein Ort, an dem man einfach mal so vorbeischaut, denn es liegt, wie gesagt, eine halbe Stunde von der nächsten Ortschaft entfernt. Aber es hat dennoch eine sehr elegante Einrichtung, alles ist ungemein geschmackvoll designt. Irgendjemand sagte zu mir: „Billy, du stehst da also in diesen hoch modern eingerichteten Räumen und spielst dennoch so archaische Musik!“ Hahaha … nun, es war wirklich eine außergewöhnlich gute Kombination.

Billy Gibbons(Bild: Matthias Mineur)

Auf ‚Hardware‘ gibt es auch eine Kooperation mit den beiden jungen Gitarristinnen von Larkin Poe, quasi eine neue Generation von Bluesmusikern. Gibt es Unterschiede zwischen ihrem und deinem musikalischen Ansatz?

Ich muss dazu erklären, dass ich Larkin Poe während einer ZZ-Top-Tour kennengelernt habe. Sie hingen ständig backstage ab und saßen in der Garderobe. Ich dachte zunächst, dass es sich einfach um zwei sehr attraktive ZZ-Top-Fans handeln würde. Ich wunderte mich zwar, wie sie es geschafft hatten, in den Garderobenbereich zu kommen, aber naja. Dann fand ich heraus, dass sie zum Tross unserer Vorband von Tyler Bryant gehören. Zunächst wusste ich nicht, dass Tyler mit Megan liiert ist, mittlerweile sind die beiden ja sogar verheiratet.

Eines Tages sagte ich: „Tyler, da hängen immer zwei Frauen bei dir in der Garderobe ab, wer sind die beiden?“ Er antwortete: „Oh, es handelt sich um meine Freundin und ihre Schwester.“ Ich entgegnete: „Sie sind ziemlich oft bei deinen Gitarren anzutreffen.“ Er sagte: „Oh, du weißt es also nicht: Die beiden haben eine Band.“ Ich darauf: „Sie sind also Background-Sängerinnen.“ Und Tyler: „Oh nein, sie singen und spielen Gitarre.“

Eines nachmittags kam ich in die Halle und die beiden Frauen spielten und sangen mit Tylers Band während des Soundchecks. Ich war fassungslos! Ich dachte: Wow, das ist ja der reine Wahnsinn! Und noch verrückter war: Als erstes sah ich Megan Lovell mit einer Stratocaster spielen, dann schaute ich etwas genauer hin, weil ich Lapsteelgitarre gehört hatte. Und als ich um die Ecke blickte, sah ich Rebecca an der Lapsteel.

Wenn man sich ihre Performance anhört, stellt man fest, dass sie ihr Handwerk wirklich verstehen. Ich war wirklich überrascht, wie perfekt die beiden in eine Musikrichtung passen, die ja eigentlich von Männern dominiert wird. Es gibt wirklich keinen Unterschied. Vielleicht behauptet jemand, dass er Unterschiede erkennen kann, ob Larkin Poe oder irgendein männlicher Bluesmusiker einen Song spielt. Ich finde jedoch, es gibt keinen Unterschied.

Letzte Frage: Würdest du zustimmen, dass der Song ‚Shuffle, Step & Slide‘ wie eine Zusammenfassung deines musikalischen Lebens betitelt ist?

Oh ja, absolut. Im Titel befindet sich ja auch das Wort Shuffle, eine der tollsten Taktarten im Blues. Slide wiederum ist eines der großartigsten Blues-Statements auf der Gitarre. Und wenn man beides zusammenfügt und hoffentlich jemandem begegnet, der dazu Tanzschritte findet, dann setzt man ganze Massen in Bewegung, movin’ and groovin’! Insofern trifft deine Frage den Nagel auf den Kopf.

Danke Billy, für das nette Gespräch, und hoffentlich sehen wir dich auch bald wieder in Deutschland.

Oh ja, das wäre wundervoll. Ich kann dir hier aus Texas nur zurufen: Wir wollen unbedingt so schnell wie möglich wieder nach Deutschland kommen, weil Deutschland eines unserer Lieblingsländer in der ganzen Welt ist.

Kein Wunder: Die allererste ZZ-Top-Show außerhalb Amerikas fand 1980 in Deutschland statt und wurde live vom deutschen Fernsehen europaweit übertragen.

Exakt. Deshalb gab es bei euch immer ein riesiges Interesse an dem, was wir machen. Ich hoffe, dass dies auch zukünftig so bleiben wird.

(erschienen in Gitarre & Bass 08/2021)

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