Wieder was zu feiern ...

Test: Sandberg California ST-S & ST-H Baritone

Anzeige
(Bild: Dieter Stork)

Auch die G&B-Gitarrenfraktion möchte es sich nicht nehmen lassen, der Braunschweiger Firma herzlichst zum 35sten zu gratulieren. Obwohl Holger Stonjek und sein Team schon immer unter Sandberg Guitars firmieren, sind sie ja in erster Linie wegen ihrer Bässe weltweit erfolgreich.

Nachdem vor 11 Jahren die erste California-ST-Gitarre das Licht der Welt erblickte und im Laufe der Jahre auf zunehmend positives Echo stieß, versucht Sandberg seine von der Öffentlichkeit weniger wahrgenommene Produktlinie wieder in den Fokus zu holen. Welchem legendären Vorbild die ST-S offensichtlich nacheifert, dürfte halbwegs musikalisch Ambitionierten klar sein. Beim ST-H-Modell mag zunächst der Steg-Humbucker auffallen, bei näherer Betrachtung bleibt aber auch die Mensurzugabe von 38 mm nicht verborgen. Aha, Baritone = Low Tunings! Hier geht es also tonal tief in den Keller oder zumindest ins Soutterain …

Anzeige

BASICS

Da Sandberg-Interessenten ihre Gitarren anhand der Optionen im Online Configurator individuell zusammenstellen können, ist das Endprodukt quasi stets ein Custom-Instrument, das standardmäßig mit hauseigenen Pickups bestückt ist. Die Bodies unserer beiden ST-Modelle bestehen aus Erle. Die hardcore malträtierten hauchdünnen Polyurethan-Finishes – Fiesta Red bzw. Lake Placid Blue (Metallic) – lassen an Armauflage, Rückseite und einigen Kanten das Holz durchscheinen, dessen leicht dunkle Einfärbung bei der Bariton auf Thermobehandlung (Roasting) schließen lässt. Letztere gehört zum „hardcore aged reserve“-Aging.

Solide montiert: Göldo Deluxe Buchsentopf (Bild: Dieter Stork)

In jedem Fall hinterlässt das gelungene Aging authentische Abnutzungsspuren. Zargenseitig montierte schwarze Deluxe-Buchsentöpfe tragen die Klinkenbuchsen, und security-lock-kompatible Strap Pins – beides von Göldo – sichern den Gurt.

Stufenförmiger Halsübergang (Bild: Dieter Stork)

Die Hälse aus kanadischem Hardrock Maple sitzen stramm in ihren präzise gefrästen Taschen. Vier Holzschrauben und einzeln eingelassene Töpfe garantieren zuverlässige Verbindung und die großen Kontaktflächen optimale Schwingungsübertragung. Um das Spiel in den höchsten Lagen zu erleichtern, sind Korpusübergänge stufenförmig abgeflacht.

Das Palisandergriffbrett der ST-S wie auch das Ahorn-Cap der ST-H besitzen 10″-12″ Compound-Radien und tragen 22 Vintage-Bünde sowie Sättel aus einem Graphitgemisch. Mit Unterstützung des PLEK-Verfahrens wurden Bünde und Sättel vorbildlich abgerichtet, verrundet und poliert. Helle bzw. schwarze Punkt-Inlays und Sidedots markieren die Lagen. Die frontseitigen Schraubmechanismen der präzise und geschmeidig arbeitenden Kluson Modern Toplock Tuner lassen sich mittels einer 5-Euro-Cent-Münze o.ä. festziehen.

Kluson Modern Toplock Tuner
Kopfplatte mit Zigarettenbrandstelle

 

Über die offenen Zugänge oberhalb der Sättel lassen sich die Halsjustierstäbe problemlos einstellen. Notfalls muss man die beiden mittleren Saiten in die jeweils benachbarten Kerben umbetten, um Platz zu schaffen. Je zwei Butterfly Stringtrees erhöhen den Druck der E1/ H2- bzw. G3/D4-Saiten auf die Sättel. Unterhalb der E6-Tuner fallen die gefaketen Brandstellen von Zigaretten ins Auge. Ob Sandberg auch Nichtrauchermodelle anbietet?

Truss-Rod-Zugang (Bild: Dieter Stork)

Als Stege kommen Wilkinson Wave Knife Edge Vibratos mit Stahlblöcken zum Einsatz, die an zwei Schraubbolzen aufgehängt sind. Große rechteckige Öffnungen in den Federkammerdeckeln erleichtern das Einfädeln der Saiten. Das Drehmoment der absolut wackelfrei gelagerten Steckhebel lässt sich jeweils über eine kleine Inbusschraube einstellen. Wie das anhängende „S“ in der Modellbezeichnung vermuten lässt, wandeln bei der ST-S drei Singlecoils die Saitenschwingungen, und zwar Sandberg „60s Vintage Power“.

Wilkinson Wave Knife Edge Vibrato (Bild: Dieter Stork)

Kontrolliert werden sie per Fünf-Weg-Schalter mit zwei Schaltebenen, Master-Volume, Master-Tone für Hals- und Mittel-PU sowie einem Tone-Regler für den Stegeinspuler. Zieht man Letzteren nach oben, werden Mittel- und Steg-PU seriell aktiviert und sollen mit Unterstützung von Kondensatoren Humbuckerähnliche Sounds liefern. Brummgeräusche werden jedoch nicht unterdrückt. Mit Ausnahme der Klinkenbuchse trägt das geagte mint-grüne Pickguard die komplette Elektrik.

Die metallic-blaue Schönheit kommt indes mit einem geagten parchmentfarbenen Schlagbrett. Das „H“ in der langmensurigen Sandberg ST deutet auf den Vintage-Power-Steg-Humbucker hin. Bis auf den hinteren Tone-Regler, der den Humbucker kontrolliert und durch Ziehen dessen Stegspule verstummen lässt, ist die Schaltung mit der der ST-S identisch. Die schicken Reglerknöpfe, ebenso authentisch geaged wie die Pickguards, Pickup-Kappen und die gesamte Hardware, besitzen angedeutete Zeiger und lassen sich dank Rändelung und butterweich rotierender Potis komfortabel handhaben.

SPIELBETRIEB

Beide Californias zeigen sowohl am Gurt als auch auf dem Bein beste Balance. Die ST-H verdankt dies ihrem verlängerten oberen Cutaway-Horn und dem um etwa 1 cm näher zum unteren Korpusrand platzierten Vibrato. Die lackierten Oberflächen besitzen eine angenehme Haptik, zumal der Hals der ST-H ein Stück weit über die Griffbrettflanken hinaus „abgespielt“ wurde.

Insgesamt genieße ich typische Strat-Ergonomie, komfortable C-Profile und den Bonus optimierter Halsübergänge. Trotz des längeren Baritone-Halses lassen sich dessen untersten Lagen bequem auch mit Barré-Akkorden spielen ohne die Hand allzu sehr verdrehen zu müssen. Klanglich und schwingungstechnisch rangieren beide Sandberg-Gitarren auf hohem Niveau. Sie resonieren intensiv – die Lake Placid noch mehr als die Fiesta-Rote, was wohl der Thermobehandlung geschuldet ist – und klingen kraftvoll, voluminös, ausgewogen, luftig, obertonreich, spritzig.

Die ST-S spricht spontan und direkt an, zeigt rekordverdächtige Tonentfaltung und exzellentes Sustain. Obgleich langmensurige Instrumente in diesen Disziplinen meist etwas hinterherhinken, überraschen mich die Vitalität, die dynamischen Qualitäten und das Sustain der ST-H.

Die „60s Vintage Power“-Singlecoils beider Protagonistinnen tragen ihre Modellbezeichnung zu Recht, liefern sie doch Klänge, die sich eindrucksvoll an Originalen der frühen 60er-Jahre orientieren. Insgesamt liefern sie etwas mehr Output und auch ein leicht fülligeres Fundament, punkten aber auch mit Transparenz, Drahtig- und Spritzigkeit und präziser Saitentrennung. Bei leicht angehobener Ausgangsleistung hat man die meist aufdringliche Schärfe und übermäßige Bissigkeit des Steg-Pickups gezähmt und ihm damit mehr Ausgewogenheit verliehen.

Authentisch kehlig und nasal dringen auch die Paarungen der Einspuler in den Schalterpositionen 2 und 4 ans Ohr, wobei der mittlere Pickup vom Typ RW/RP etwaige Einstreugeräusche verstummen lässt. Der per Pull-Poti aktivierte „Humbucker Mode“ liefert eine eher dezente Anhebung der Mitten und Tiefmitten, die vor allem Zerr-Sounds einen gewissen Schub und erhöhte Durchschlagskraft verleiht, gleichzeitig aber auch Brummgeräusche eindämmt, allerdings weniger effizient als in den Zwischenpositionen.

Unterm Strich hält die California ST-S eine breite Palette an Klangfarben bereit, die nicht nur im Clean-Betrieb, sondern auch bei High-Gain-Leadsounds überzeugen und von bester Dynamik und überdurchschnittlichem Sustain unterstützt werden. Obwohl Sandberg die ST-H Baritone standardmäßig mit D-Tuning ausliefert, habe ich interessehalber mal komplett auf C herunter gestimmt, was weder ihre Funktionalität und Schwingungseigenschaften noch ihren Klang beeinträchtigt.

Problemlos übertragen die Sandberg-Pickups auch das nach unten verlagerte Klangspektrum. Deren vintage-orientierte Strat-Sounds zeigen bei D- oder gar C-Tunings beeindruckende Klangfülle und definierten Druck in den unteren Frequenzgefilden. Gleichzeitig überzeugen die Pickups durch Klarheit und Transparenz. Beim hinteren In-Between-Sound sind der mittlere Einspuler und der komplette Humbucker aktiv. Das gezogene Tone-Poti lässt dessen Stegspule verstummen, was der Kombi mit dem RW/RP-Mittel-Pickup charaktervolle Nasal-Klänge entlockt. Die Qualitäten der cleanen Klänge bleiben nahezu uneingeschränkt auch bei Low-, Mid- und High-Gain-Sounds inkl. Dynamik und Sustain erhalten, sodass ausdrucksstarkes, facettenreiches Spiel und Tonbildung stets Unterstützung finden.

Während die Tone-Potis über ihre gesamten Regelbereiche Kontinuität zeigen, lassen die Master-Volumes die Ausgangspegel auf etwa der ersten Hälfte des Weges nur geringfügig ansteigen und legen bis zur Vollaussteuerung noch eine ordentliche Schüppe drauf. Die Locking-Mechaniken und der selbstschmierende Sattel verleihen dem Wilkinson-Vibrato auch nach heftigeren Einsätzen hohe Stimmstabilität. Da die Grundplatte in Ruheposition die Decke berührt, sind keine Up-Bendings möglich.

Zudem hat Sandberg die drei bzw. vier eingehängten Zugfedern so eingestellt, dass selbst extreme Finger-Bendings die Basis nicht anheben können. Dies verbessert die Intonation von Double Stops, erst Recht in Kombination mit Leersaiten, und behält auch die Stimmung, falls eine Saite reißen sollte. Wenn jedoch die Basis platte nach Loslassen des Vibratohebels die Decke kontaktiert, ist ein deutliches Klacken zu vernehmen, welches zum Glück nicht von den Pickups übertragen wird.

Schicke Reglerknöpfe (Bild: Dieter Stork)

RESÜMEE

Sandberg schickt mit der California ST-S eine moderne Strat-style Gitarre mit Vintage-Ambitionen ins Rennen und beweist gleichzeitig mit der California ST-H Baritone, dass man im eigenen Custom Shop gerne auch mal andere Wege einschlägt. Ein ST-Modell mit verlängerter Mensur für Tiefstimmungen, HSS-Pickup-Trio und stimmstabilem Vibrato ist alles andere als Standard, erst recht nicht, wenn es neben ziemlich authentischen Vintage-Singlecoil-Sounds auch einen Humbucker für härtere musikalische Genres und damit ein breites Klangspektrum bietet.

Beide Gitarren sind geschmackvoll designed und stark geaged, vorbildlich verarbeitet, Bünde und Sättel PLEK-optimiert. Ihre sehr guten Schwingungseigenschaften resultieren aus hochwertigen Tonhölzern und erstklassiger Hardware. Weitere Highlights der California STs sind Ergonomie, Haptik, Bespielbarkeit und stimmstabile Vibratos, auch wenn deren Grundplatten bei Rückkehr in die Ruheposition Geräusche erzeugen. Eine Moosgummiunterlage würde allerdings die Schwingungsübertragung beeinträchtigen. Unterm Strich präsentieren sich zwei erstklassige Gitarren zu überaus fairen Preisen.

(Bild: Dieter Stork)

PLUS

● Sounds (Vintage!)
● Wiedergabe von D- und tieferen Tunings (ST-H Baritone)
● Ansprache, Tonentfaltung & Sustain
● Qualität Hölzer & Hardware
● Optik & Aging
● Spielbarkeit & Haptik
● Verarbeitung
● Preis/Leistung

MINUS

● Aufsetzgeräusche beim Loslassen des Vibratohebels

(erschienen in Gitarre & Bass 04/2021)

Produkt: Gitarre & Bass 12/2023
Gitarre & Bass 12/2023
IM TEST: Nik Huber Piet +++ Jackson American Series Virtuoso +++ Guild Polara S-100 Kim Thayil +++ Squier Sonic Precision Bass +++ Fender Tone Master Pro +++ Blackstar HT Club 40 MK III +++ Aguilar SL 110 +++ Beetronics Seabee +++ 901SOUND Fulcrum EXP

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

Das könnte dich auch interessieren