DER THEORETISCHE VORGRIFF
Und nun sind wir mittendrin in einer äußerst schwierigen Materie. „Was ist guter Klang?“, und „Wie entsteht er?“.
Nach welchen Kriterien man sich in dieses Thema hineinbegibt, prägt natürlich auch die Art der Betrachtung. Mich begleiten diese Gedanken seit meinem Studium der Musikwissenschaften in den frühen Achtzigern. Und da die sogenannte E-Gitarre nun einmal elektrisch verstärkt wird, ruft es hier vor allem Physiker auf den Plan, die nach messbaren Beweisen rufen und für die alles nicht Messbare einfach nicht existiert. Doch genau so wenig wie unsere Sprache geeignet ist, Klänge zu beschreiben, versagt hier auch die Mathematik. Denn sie ist die Sprache der Physiker.
Natürlich benötigen wir Eckdaten, etwa was den Wert eines Tonkondensators angeht oder seitens der grundlegenden Parameter Frequenz und Amplitude. Aber das ist längst nicht genug. Sie vermischen sich vielmehr mit ästhetischen Ausprägungen, die kaum zu beschreiben sind. Begriffe wie „200 Hertz“ oder „20dB“ beschreiben noch lange keinen Klang, der scheinbar unendlich komplexer ist. Genauso wenig beschreiben Material-Begriffe wie Mahagoni, Palisander, Ahorn oder Bronze Klänge, sondern eben nur bestimmte Materialien, die im Fall von Holz sogar noch recht unbestimmt sind, denn jeder Baum ist schließlich etwas anders.
Ich habe auch noch nie einen Baum gesehen, der sich als „Klangholz“ oder „besonders geeignet für Les Pauls“ zu erkennen gab. Daher wird das mathematische Gitter, wenn man sich ausschließlich als Physiker nähert, recht dünn. Alle Messergebnisse scheinen in der reinen Beliebigkeit zu enden, denn sie zeigen kaum „was ist“, sondern können offenbar alles belegen „was nicht ist“. Aus Sicht des Physikers ist das auch durchaus legitim. Denn das ist schließlich sein Fach. Man benötigt für jede Theorie einen eindeutigen und wiederholbaren Beweis.
Das versucht beispielsweise der Regensburger Professor Dr. Manfred Zollner in seiner sehr ausführlichen Abhandlung „Die Physik der E-Gitarre“, die tatsächlich profunde Messergebnisse in großer Breite zur Verfügung stellt. Am Ende steht dann jeder Berichterstatter von Gitarrenklängen inklusive aller Musikjournalisten als absolut fehlbar da, denn auch das funktioniert eben nicht. Wir quälen uns durch allerlei zugegebenermaßen missverständliche (oder gar falsche) Begrifflichkeiten hindurch und treffen es doch nicht auf den Punkt, ja erzeugen sogar selbst das scheinbar reinste Chaos der Klangbeschreibungen: sahnig, cremig, funkelnd, spritzig, druckvoll, verführerisch, flüssig, mitreißend und so weiter … Was soll das sein? Und wenn einer ein Lied davon singen kann, dann bin ich es selbst.
Wir erzeugen mitunter – wie der Wuppertaler Kunstkritiker Bazon Brock es nennt – eine „normative Kraft des Kontrafaktischen“. Dicke Hälse klingen dick, dünne eben dünn, Mahagoni klingt warm, Ahorn dagegen kühl, geleimte Hälse bringen mehr Sustain als verschraubte, ein Knochensattel „klingt besser“ als einer aus Plastik. Woher wissen wir das alles, denn keine dieser vermeintlichen Fakten und daher längst zur Norm erhobenen Beschreibungen hält einer messbaren Physik stand? Denn natürlich gibt es auch dünne Hälse, die „dick“ klingen, und damit sind solche Dinge eben kontrafaktisch. Punkt.
Die Wissenschaft duldet nicht eine Ausnahme, wenn es um den Beweis geht. Und das ist auch gut so. Zurück nach Hamburg und unserem Burst-Vergleichstest. Wir waren uns alle einig darüber, dass zur Beurteilung der Klangbeispiele mehr gehört als Messergebnisse. Ein sogenannter theoretischer Vorgriff taugt in der musikalischen Semantik einfach nichts. Er wäre sogar tödlich für das eigentliche Wesen der Musik.
Das einzige Rezept dagegen ist, dass man immer offen für das Andere, den Widerspruch und die Ausnahme ist und sich die Bereitschaft zum Zurücksetzen aller vermeintlichen Erkenntnisse auf Null erhält. Normen gibt es vielleicht statistisch gesehen seitens der Qualität einer Stradivari, einer Pre-CBS-Stratocaster oder eben einer Burst. Aber auch hier gibt es genügend Ausnahmen, die aber die Besonderheiten bestimmter Instrumente keineswegs entkräften.
Daher bleiben uns nur Nachweise, Erfahrungen, die uns Experten weitergeben oder die wir persönlich gemacht haben. Und das sind vor allem ästhetische Parameter, die sich nun mal nicht in Zahlen übertragen lassen. Und daher sind wir Klangforscher auch gar nicht so „doof“ wie mancher denken mag. Meinetwegen schwelgen wir anstatt zu beweisen. Aber das ist eben das Wesen aller Künste. Über den historischen Partituren, die ich während meines Studiums zu sehen bekam, standen anweisende Sätze wie „beschwingt, aber nicht zu sehr…“ oder „kräftig, aber dennoch federnd…“ Da haben wir es wieder!
Heute steht da nur noch „Dreiviertel-Takt – Tempo 87“. Ich muss leider so weit ausholen, um dem, was nun folgen soll, ein gewisses Verständnis abzuringen. Klangbeschreibungen sind Näherungen, für die es offenbar weder eine Sprache noch eine Mathematik gibt. Und wenn man sich nun in den Kopf setzt, wissenschaftlich zu belegen, dass Holz für den Klang einer E-Gitarre keine Rolle spielt, dass Instrumente nur aus der Summe ihrer Teile zu verstehen und einfach nur Werkzeuge wie beispielsweise ein Hammer oder eine Dampfmaschine sind, dann wird das dem Wissenschaftler nach Formulierung der entsprechenden Vorgriffe auch gelingen. Aber dieses Raster ist viel zu groß. Und das hat jeder erfahren, der sich damit auseinandersetzt. Und nun tauchen wir in der nächsten Ausgabe endlich in die Welt der Burst-Klänge ein (die es wissenschaftlich beschreibbar ja gar nicht geben dürfte).
(erschienen in Gitarre & Bass 06/2023)