ERG-Kolumne

Extended Range Guitars: Der Bruch mit Konventionen

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Simon Hawemann
Live mit der Ibanez RG2228 (Bild: Mick Borzak, Eva Flix)

Zehn Jahre ist es her, dass Ibanez die erste in Serie produzierte 8-Saiter auf den Markt gebracht hat. Der Rest ist Geschichte: ERGs erleben seitdem nicht nur in der Gitarren-Landschaft, sondern auch in relativ jungen und sehr modernen Metal-Genres wie Djent einen kaum aufzuhaltenden Boom.

Trotz der vielen Möglichkeiten, die Extended-Range-Gitarren zumindest auf dem Papier mit sich bringen, haben sich doch schnell Konventionen in dieser Nische eingeschlichen. Diese dominieren heute das Bild von ERGs und nehmen der Sache etwas die Spannung – und das Risiko von Trends ist nun mal, dass dem rasanten Aufstieg ein tiefer Fall folgen kann. Mit dem Ende der New-Metal-Hochphase sind um die Jahrtausendwende auch die 7-Saiter vorübergehend wieder von der Bildfläche verschwunden und fristeten einige Jahre als weniger populäre Nischeninstrumente. Blüht ERGs bald wieder das gleiche Schicksal?

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Extended Range Guitars
(Bild: Simon Hawemann)

Der Status Quo

Ich beobachte die ERG-Szene nun schon sehr lange und sehe mich bis zu einem gewissen Grad auch als Teil von ihr, aber spätestens beim Musikgeschmack scheiden sich die Geister der Szene mit den meinen. Das tonnenschwere Riff-Erbe von Meshuggahs Alben ‚Nothing‘, ‚Catch33‘ und ‚obZen‘, die auch für mich wichtige Referenzen sind, ist von jungen Extended-Range-Gitarristen seit den späten 2000ern vor allem mit melodischem Metalcore und poppigen Refrains verbunden worden. Das ganze hört auf den Namen „Djent“ und ist im Vergleich zu den viel düstereren und sperrigeren Meshuggah (je nach Perspektive) dadurch angenehm zugänglich gemacht oder eben verwässert worden.

Die Band Periphery ist dafür ein außerordentlich gutes Beispiel: Technisch eindrucksvoll und unumstritten mit sehr guten Songwriting-Skills ausgestattet, bauen die Vorreiter des Djents im Kontrast zu den tiefen Tunings und heavy Grooves vor allem auf gefällige Melodien und clean gesungene Refrains, die bis in Radio-Rock-Sphären vordringen. Nachdem die ersten Gehversuche auf 8-Saitern oftmals noch nach etwas flügellahmen Meshuggah-Kopien klangen, gaben Periphery dem neuen Gitarren-Trend den ersten wirklich eigenen Soundtrack und schlugen damit ein wie eine Bombe. Und auch wenn mir das alles persönlich nicht wahnsinnig gut gefällt, muss ich der Band dennoch zugestehen, dass sie damit nicht nur einen Nerv getroffen, sondern auch tatsächlich einen neuen Sound geprägt hat – auch wenn die Zutaten leicht auszumachen sind. Aber Periphery waren nun mal früh dran… und was folgte war eine Lawine von Trittbrettfahrern.

Extended Range Guitars
(Bild: Simon Hawemann)

Das Interessante an dieser Entwicklung ist, dass sich Extended-Range-Gitarren auch darüber hinaus überwiegend in sehr modernen und jungen Musikszenen etabliert haben. Neben Djent haben sie auch Genres wie Deathcore und Metalcore erobert und diese oft sogar noch mit New-Metal-Elementen angereichert. Für ein konsequentes New-Metal-Revival hat es nie gereicht, aber vielleicht wird die 7-Saiter noch immer so sehr mit der New-Metal-Welle um die Jahrtausendwende assoziiert, dass sich dieser Einfluss zwangsläufig etwas einschleichen musste. Und damit kommen wir so langsam zum Kern dieses Artikels: So untrennbar wie damals siebensaitige Gitarren nunmal mit dem New-Metal-Boom verbunden waren, so sehr werden heute 8-Strings und ERGs im Allgemeinen mit Djent und anderen modernen Genres verbunden. Damals wie heute werden Gitarren mit mehr als sechs Saiten von Traditionalisten oft mindestens mit Argwohn betrachtet, oder von vorn herein als überflüssig abgetan. In einer davon abgeschirmten jungen Szene mag das niemanden großartig stören, aber vielleicht lauern die Gefahren ja auch in den eigenen Reihen?

Das Schicksal des New Metal sollte den meisten von uns bekannt sein: Nach ein paar fetten Jahren schien irgendwann alles gesagt zu sein und das Genre wurde mit einer rasanten Talfahrt beendet. New Metal wurde in der Metal-Presse geradezu zum Unwort – und in Ansätzen sehen wir diese Entwicklung auch seit einer Weile bei dem Begriff Djent. Das wird besonders dadurch deutlich, dass sich selbst Bands, die man diesem Genre bisher zugeordnet hat, jetzt bevorzugt als „Progressive Metal“ bezeichnen. Solche Beschreibungen sind natürlich immer streitbar, aber es signalisiert eine gewisse Distanz zur eigenen Szene.

Das Ende des New Metals ging seinerzeit jedenfalls damit einher, dass die großen Gitarren-Firmen wie ESP, Ibanez und Co. auch ihr Angebot an 7-Strings wieder spürbar verkleinerten. Das nächste große Ding unter jungen Metal-Kids hieß nämlich Metalcore und bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. Unearth, waren 7-Saiter in diesem Genre bestenfalls unbedeutend. Erst dem wachsenden Interesse an Meshuggah und deren Ibanez-Custom-Shop-8-Strings ist es zu verdanken, dass ERGs ein paar Jahre später wieder salonfähig wurden. Aber wirklich schnell ging auch das nicht. Die Schweden hatten bereits zwei Alben mit ihren Achtsaitern aufgenommen, als man im Hause Ibanez 2007 endlich der immer größer werdenden Nachfrage nachgab und die RG2228 veröffentlichte.

Extended Range Guitars
Heute spiele ich mein 8-String-Tuning lieber auf einer Bariton 7-Saiter (Bild: Simon Hawemann)

querdenken

Zu dieser Zeit hatte ich gerade mit meiner alten Band War From A Harlots Mouth unser Debütalbum eingespielt – auf sechssaitigen in drop-C gestimmten Gitarren. Zu unseren Vorbildern zählten seinerzeit Grindcore- und Mathcore-Bands wie Ion Dissonance, The Dillinger Escape Plan, Cephalic Carnage und Between the Buried and Me. Der einzige Bezug zu 8-Strings bestand natürlich – wie sollte es auch anders sein – durch Meshuggah. Aber auch wenn wir alle bereits Fans der Band waren, spielten sie als Einfluss für uns keine Rolle. Unsere Musik war seinerzeit betont chaotisch und speiste sich aus einer großen Bandbreite von extremen und experimentellen Einflüssen aus dem Metal, Hardcore und sogar Jazz. Um Konventionen scherten wir uns nicht. Es ging uns einfach darum, Grenzen zu überschreiten und musikalische Szene-Codes auf den Kopf zu stellen – natürlich nicht ganz ohne jugendlichen Übermut.

Bei der Veröffentlichung der Ibanez RG2228 erschien mir diese Gitarre wie das perfekte Werkzeug, um unsere Musik noch weiter auf die Spitze zu treiben. Der Gedanke, stilistisch auf Meshuggahs Pfaden zu wandeln, kam mir dabei nicht in den Sinn und Djent gab es zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Der einzige Anhaltspunkt war also die eigene Musik und die Frage, wie diese durch ein so augenscheinlich extremes Instrument wie eine 8-Saiter nach vorn getrieben werden könnte. Leider waren nicht alle Bandmitglieder direkt mit an Bord und so musste ich noch bis 2010 betteln, bis wir endlich (auch dank der bezahlbareren Ibanez RGA8) den Versuch wagten und unser drittes Album ,MMX‘ teilweise auf achtsaitigen Gitarren schrieben. Diese Zeit war sehr aufregend, da ich die Gitarre nochmal als komplett neues Instrument für mich entdeckte. Nach jahrelangem spielen in Drop-Tunings, ging es mit der 8-String zurück ins Standard Tuning und gleichzeitig blieb ich meiner ursprünglichen Intention treu, aus dem Instrument möglichst extreme und ungewöhnliche Töne herauszukitzeln.

Extended Range Guitars
Von der 6-String direkt zur 8-String: Siebensaitige Gitarren habe ich anno 2010 erst mal übersprungen. (Bild: Simon Hawemann)

Seitdem und bis heute – sieben Jahre und eine Band später – verstehe ich Extended Range Gitarren auch noch immer genauso: Als perfektes Werkzeug für den Bruch mit Konventionen und das Vordringen in Sound-Welten, die noch nicht vollständig erschlossen sind. Das wird auch stark damit zusammen hängen, dass ich zeitgleich zu meiner Affinität für ERGs auch meine Vorliebe für dissonante Musik entdeckt habe. Für diese dürften besonders die Franzosen von Deathspell Omega ausschlaggebend gewesen sein – eine Black-Metal-Band, die sich in ihrem Genre seit Mitte der 2000er über alle Konventionen und Grenzen hinwegsetzt und mit Releases wie ‚Chaining the Katechon‘ und ‚Paracletus‘ wirklich wegweisendes Material veröffentlicht hat. Kurzum: Metal, wie ich ihn bis dahin einfach noch nicht gehört hatte.

Mit diesen sich parallel entwickelnden Vorlieben für Dissonanz und Extended Range Guitars kam ich jedenfalls gar nicht erst in die Verlegenheit, mich der in der Zwischenzeit entstehenden und weitaus populäreren ERG-Trends anzunehmen. Stattdessen versuchte ich meinen eigenen Sound auf der 8-Saiter zu finden. Dabei drang ich bis in Gefilde wie die Neue Musik und 12-Ton-Technik vor, die allesamt meine Herangehensweise an das Instrument und die Musik, die ich damit machen wollte, bis heute maßgeblich beeinflussten. Ein paar Clips aus dieser Zeit könnt ihr hier hören.

Ab den frühen 2010ern tat sich so langsam auch etwas im Metal-Underground. Seinen vorläufigen Höhepunkt fand die Melange aus ERGs und dissonantem, experimentellem Metal für mich persönlich in den Alben ,Colored Sands‘ von Gorguts und ,Vexovoid‘ von Portal, die ich natürlich allen Lesern besonders ans Herz legen möchte. Gorguts sind im Metal Underground ja wahrlich keine unbekannte Band und haben bereits in den späten 90ern mit ,Obscura‘ einen echten Meilenstein veröffentlicht, der damals den Death Metal quasi über Nacht neu definierte. Dass die Band nach 15 Jahren Pause nun mit einem neuen Lineup zurückkommt und das Genre wieder auf den Kopf stellen würde, war nicht abzusehen. Ausgestattet mit jeweils einer 7- und 6-String in unterschiedlichen Tunings, kreierte das kanadisch-amerikanische Kollektiv ein genauso dissonantes wie sprichwörtlich vielschichtiges Album, das diesem Stilmix dank etlicher Platzierungen in Jahres-Bestenlisten eine bisher nicht dagewesene Aufmerksamkeit bescherte.

ESP Horizon 7-String
Klassische ESP Horizon 7-String mit Floyd Rose Tremolo (Bild: Simon Hawemann)

Portal hingegen benutzten ihre 8-Strings ganz anders. Mit einem betont matschigen Gitarrensound, unbequemer Tiefton-Atonalität, Riffs die wie heulende Stürme klingen und einer wahrlich zähen Produktion waren die Australier auf ,Vexovoid‘ quasi das genaue Gegenteil von der polierten Ästhetik und weitaus zugänglicheren Musik von Periphery. Es geht also auch anders, aber wahr- oder gar angenommen werden solche Querdenker von der jungen ERG-Szene oft leider nur am Rande. Der Blick nach vorn Obwohl Extended-Range-Gitarren in den letzten zehn Jahren wirklich einen Senkrechtstart hingelegt haben und ein Absturz noch nicht in Sicht scheint, ist es doch bemerkenswert, dass sich mit ihnen auch rasant ein recht konkreter Sound entwickelt hat, der nun schon seit einer ganzen Weile klar im Fokus der Szene zu stehen scheint.

Man möchte meinen, ERGs wären besonders dazu prädestiniert, Grenzen einzureißen statt neue aufzustellen. Aber genau da sehe ich die Gefahr einer ähnlichen Entwicklung, wie sie schon beim New Metal zu beobachten war: Wenn sich die Szene nicht öffnet, ist eine Übersättigung nicht auszuschließen. Und mit dieser droht als Konsequenz vielleicht auch wieder ein deutlicher Rückgang an Extended Range Instrumenten. Das wäre schade. Ich versuche in dieser Kolumne eigentlich immer Bands zu empfehlen, die in der Extended-Range-Szene nicht wahnsinnig populär sind, und somit meinen Teil dazu beizutragen, dass ERGs auch außerhalb vom üblichen Djent-/Progressive-Kontext wahrgenommen werden. Klar, auch ich bewege mich dabei überwiegend in Metal-Gefilden, aber die sind ja durchaus sehr vielfältig. Und machen wir uns nichts vor: In anderen Genres haben sich Extended-Range-Gitarren in den letzten zehn Jahren auch nicht wirklich etablieren können. Ich werde jedenfalls weiter mit Spannung beobachten, wie sich die Szene in den nächsten Jahren entwickelt. Ein bisschen mehr Bewegung würde ihr definitiv gut tun und mit Sicherheit für ein langlebigeres Angebot von ERGs auf dem Markt sorgen. Und das dürfte ja unser aller Interesse sein…


Review: Ulsect – Ulsect

Ulsect - Ulsect

Bei Ulsect handelt es sich um eine wirklich interessante Band, die auf ihrem selbstbetitelten Debüt eine erstaunlich zugängliche Mischung aus zeitgemäßem Metal und giftig dissonanten Elementen spielt und dabei erstaunlich routiniert klingt. Dies kommt auch bei genauerem Hingucken nicht von ungefähr: Ulsect besteht aus Musikern, die bereits in Bands wie den Black-Metallern von Dodecahedron und den äußerst erfolgreichen Modern-Proggern von Textures Erfahrungen sammeln konnten. Und etwa wie eine Mischung aus diesen zwei Bands klingt schließlich auch Ulsect. Das Debüt ist wirklich heavy und in den richtigen Momenten auch außerordentlich giftig, macht aber immer wieder Platz für epische Riffs und breite Melodien, die niemals zu generisch klingen. Wer sich etwas zaghafter an dissonanten Extrem-Metal ranführen möchte, ist mit ‚Ulsect‘ wirklich gut beraten. Dieses Album könnte die perfekte Einstiegsdroge in eine neue musikalische Welt sein, die einige von euch mit Sicherheit noch nicht erschlossen haben.


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(erschienen in Gitarre & Bass 02/2018)

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