Ich liebe den Übergang zwischen meinen Kolumnen. Wenn ich eine abgegeben habe, dann ist ein paar Tage Ruhe im Gitarren-Frontallappen. Aber danach sind meine Sensoren wieder scharfgestellt und alles, was ich zum Thema „Guitar & Gear“ aufschnappe, wird auf seine Verwendbarkeit bei Till & Tone überprüft. Oft drängt sich ein dominantes Thema auf, manchmal bleiben aber auch viele kleine Gedanken und Themen in einer gemischten Tüte übrig, die ich diesmal zusammen in eine Kolumne packe.
Darunter ist z.B. etwas, was mich manchmal erheitert, selten verzweifeln und oft genug auch völlig kalt lässt: Kommentare auf Social Media wie Facebook, Instagram oder bei unserem allseits beliebten Videoportal YouTube. Dort lungere ich bekanntermaßen gerne rum – manchmal aber eben auch mit gemischten Gefühlen, denn wie so oft im Leben liegen Glanz und Elend ganz nah beieinander.
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NOBODY IS PERFECT!
Auch was mich angeht. Neulich rief mich ein Kumpel an und fragte mich scheinheilig besorgt: Hast du schon den unglaublichen Kommentar unter dem Video mit dir gelesen? Nein, hatte ich nicht. Vorsichtig fragte ich nach, wer mich denn diesmal anonym verflucht, verhöhnt oder geschnetzelt hat? Schon in meiner Zeit als Stern-Online-Kolumnist habe ich mir angewöhnt, Stinkstiefel-Kommentare weitestgehend zu ignorieren. Mein Buddy war hochgradig amüsiert: „Naja, es steht 1:1. Ein Kommentar lautet ‚Till ist ein unheimlich toller Musiker, wäre er Amerikaner, er wäre wahrscheinlich gaaanz groß rausgekommen!‘“ Ich ließ das sacken und wollte in einem kurzen Anfall von Hybris selbstgefällig zustimmen − aber ich widerstand und hörte mich laut sagen: „Nett gemeint, aber das ist natürlich absurd.“
(Bild: Ruhland)
Dann wurde ich mit dem zweiten Kommentar konfrontiert: „Nachdem was der in Gitarre & Bass von sich gibt, dachte ich einen geilen Gitarristen zu entdecken. Leider NICHT!“ Okay. Nicht nett gemeint, aber genauso absurd. Ich dankte meinem Kumpel für die Info und legte auf. Ich dachte amüsiert nach: Weil ich für Gitarre & Bass Kolumnen schreibe, muss ich ein geiler Gitarrist sein? Wer Auto testet, sollte in der Lage sein, Max Verstappen in der Schwimmbad-Schikane in Monaco innen zu überholen? Der Gedanke gefällt mir, ist aber eher unrealistisch. Das gibt mein altes W123 230 Coupé dann doch nicht her! Wer für „11 Freunde“ schreibt, muss mal Weltfußballer an der Eckfahne ausgetanzt haben? Ich weiß nicht, ob Lothar Matthäus unterhaltsame Kolumnen schreiben kann. Unterhaltsam ist er schon, man denke nur an unzählige Bonmots wie „man sollte jetzt nicht nur den Sand in den Kopf stecken“ oder „wäre, wäre, Fahrradkette!“.
Leute, ich bin der Ansicht: Generell kann man sehr gut mit Fachwissen über Sport, Kunst oder Musik schreiben, ohne ein exzellenter Ausübender des jeweiligen Genres zu sein. Ich sage allen Gitarristen gerne: Wer langsamer spielt, hat mehr von den Noten! Und mein Onkel Alfons hat immer zum Thema Fußball gesagt: „Ne Frikadelle is’ rund und Pils dauert 7 Minuten! Nobody is perfect.“
KNOW YOUR GEAR!
Ich habe schon viele versierte Gitarristen kennengelernt, die wirklich Ahnung von ihrem Gear haben. Und umgekehrt natürlich, exzellente Leute mit Desinteresse. Ich nenne keine Namen, aber ein Beispiel: Bei einer Session fragte ich einen hervorragenden Player, warum er seine Soli immer nur auf dem Hals-Pickup seiner wunderbaren Vintage-Gibson spielt. Seine Antwort: Der Bridge-Pickup klingt scheiße! Ich erwiderte vorsichtig, dass die Gitarre so gut klingt, dass das eigentlich nicht möglich ist. Zumindest wenn der originale Pickup nicht kaputt wäre. In der Pause drückte er mir das alte Prachtstück mit vorwurfsvollem Blick à la „ich bin ja nicht blöd, hör doch selbst“ in die Hand.
Die Gibson baumelt eine Minute später vor meiner kleinen Altherrenplauze und schon beim bloßen Runtergucken war alles klar: Der Bridge-Pickup war weit weg von den Seiten, fast schon Unterkante des Pickup-Rahmens.
So klingt kein Humbucker gut. (Bild: Hoheneder)
Dass der scheiße klingt, war so gesehen kein Wunder. Den Schraubenzieher genommen, den Pickup gefühlt eine halbe Stunde nach oben gedreht. Dabei wurde ich argwöhnisch beäugt, als ob ich Excalibur aus dem versifften Burgbrunnen hieven würde. Und siehe da – das gute Teil erwachte zu einem ordentlich fauchenden Humbuggie! Das ist nur eines von vielen Beispielen, wo ich erlebt habe, dass Gitarristen, die sehr gut spielen können, nicht zwangsläufig auch die besten Gear-Checker sind. Mein Ansatz war schon immer: Gerade weil ich kein Virtuose bin, möchte ich mein Spiel mit gutem Tone aufwerten. Deswegen propagiere ich immer wieder: Know your gear, darling!
OHNE PROBEN NACH OBEN?
Ein anderes Thema, das mich auch regelmäßig umtreibt, betrifft „die Probe“. Ich bedaure sehr, dass die Bandprojekte, mit denen ich auftrete, nicht noch viel mehr proben. Ich liebe Proben. Ich würde gerne mit jeder Band einmal pro Woche proben. Mit meinen Altobellis (2001 – 2017) haben wir jeden Dienstag geprobt. Egal, ob Gigs am Wochenende waren oder nicht. Selbst wenn ich z.B. mehrere Tage beruflich in Köln war, bin ich abends nach Hamm zur Probe gefahren und dann spät in der Nacht wieder zurück ins Hotel Savoy.
Es ist kein Gelaber, wenn ich hier behaupte: Ich habe alles getan, um mir 16 Jahre lang den Dienstagabend frei zu halten. Die Probe war heilig – und zwar allen in der Band. Nur wer nicht mal mehr auf allen Vieren kriechen konnte, ließ die Probe ausfallen. Aber dann haben wir uns meistens Ersatz besorgt, Gäste eingeladen und doch gespielt. Wir waren nicht virtuos, wir waren eine tighte, kleine, sehr gut aufeinander eingespielte Rockband. Jeder wusste, wann ich noch eine Runde drehen, leiser spielen, lauter werden oder aufhören wollte.
Live mit Gregor Hilden (Bild: Hinze)
Heute höre ich oft „jeder bereitet sich zu Hause vor“. Andere Projekte, Familie, viel Arbeit, weite Anreise, Bequemlichkeit. Auftreten immer gerne, Proben eher nicht. Ich verstehe das, habe aber zugleich dafür nur wenig Verständnis (hihi!): Denn eine gut eingespielte Band ist großartig! Für mich kann eine gute Probe befriedigender sein als ein guter Auftritt. Denn auf der Probe kann ich feilen, kann ein Stück so oft wiederholen, bis alle mit ihren Parts zufrieden sind. Okay, meine Jungs würden jetzt halb im Spaß, halb im Ernst sagen – bis wir zufrieden sind? Okay, ich gestehe: In meiner Band kann jeder machen, was ich will. Ich kann sehr bossy sein, mich in Details verlieren, weil ich einen bestimmten Band-Sound im Kopf habe. Meinen Gesang, meinen Gitarrensound, die Parts und Sounds der anderen.
Ich bin fixiert auf den Augenblick, bei dem die Räder der Band so einrasten, dass es dem Song gerecht wird und alle es spüren. Falls nicht – und das ist das Beste – kann man auf einer Probe stoppen und noch mal beginnen. Probt euch die Muffe wund, es lohnt sich! Welcher Amp, welches Pedal, welche Pickups setzen sich wie und wieso im Bandkontext besser durch als andere? Bei welcher Lautstärke lebt der Amp, wo ist sein Sweet Spot? Welche Gitarre für welchen Song? Welche Effekte? Welches Gesangsmikro passt zu meiner Stimme am besten? Und die uralte Bandfrage: Wer ist der bessere Mitmusiker? Der virtuose Unauffällige oder der solide Paradiesvogel? Ohne Hunderte von Proben hätte ich das alles nie rausgefunden.
WAS IST EUER DING?
Mein Mitmusiker Dominik ist ein studierter Jazzer, ich glaube er ist der Typ Gitarrist, über den Mark Knopfler in ‚Sultans of Swing‘ gesungen hat: „You check out Guitar-George, he knows all the chords“. Aber weil „Dominik“ sich nicht auf Chords reimt, hat er eben „George“ als Namen genommen. Dominik ist ein toller Musiker. Als er bei uns einstieg, saß er bei den Proben meistens über seine Gitarre versunken auf dem Amp und spielte mit geschlossenen Augen die irrsten Läufe, Skalen und sonderbare Akkorde. Aber irgendwie nur für sich. Irgendwann habe ich ihn gebeten, sich mit Körperspannung hinzustellen und die Gefühle, die er bei seinen Soli empfindet auch der Band und dem Publikum auch physisch mitzuteilen. Was er mittlerweile ganz formidabel macht. Natürlich spielt man auch immer „für sich“, aber warum nicht das Publikum akustisch und optisch bespielen?
Ich habe mal auf einem Gig zusammen mit Jerry Donahue und Tommy Emmanuel gespielt, bzw. ich habe gesungen. Jerry hat im Karohemd völlig unbeweglich die irrsten Sachen gespielt. Tommy auch (ohne Karohemd), hat dabei aber eine unglaubliche Show abgezogen. Nach der Show haben die Nichtmusiker, also die große Mehrheit im Publikum, nur über Tommy gesprochen. Das fand ich sehr schade. Klar, man macht aus einem Panda keinen hibbeligen Exzentriker. Es gibt auch Stoiker wie Malcolm Young – aber selbst der war in seiner Bewegungslosigkeit gleichzeitig auch wieder sensationell. Also: Versucht mal beim nächsten Solo mit Lautstärke und Körpersprache klarzumachen: hier bin ich, hier spielt die Musik! Auch auf der Probe. Wenn das nicht euer Ding ist, dann findet heraus was euer Ding ist und dann macht ihr eben das! ●