Über Jubilare, Backups und Inspiration

The Hirsch Effekt im Interview

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Nils Wittrock und Ilja Lappin von The Hirsch Effekt berichten über Gitarren als Nutzgegenstand, Equipment als Quelle der Inspiration und die Vorzüge moderner Technologie …

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INTERVIEW

Zunächst mal: Glückwunsch zum Zehnjährigen von ‚Anamnesis‘.

Nils: Danke!

Über so einen Zeitraum entwickelt man sich ja durchaus weiter. Wie würdet ihr eure musikalische Entwicklung beschreiben?

Ilja: Ich würde schon sagen, dass wir über die Jahre, gerade nach ‚Anamnesis‘, eine immer „metaligere“ Richtung angeschlagen haben, und die neueste EP meiner Meinung nach wirklich im Metal angekommen ist. Da ist wenig übrig geblieben von dem Tonus der ersten zwei Alben. Aber grundsätzlich würde ich behaupten, dass wir immer noch das machen, worauf wir Bock haben, und das bedeutet ja nicht, dass es in Zukunft nicht auch wieder dahin zurückgehen kann.

Nils: Es gibt Bands, die finde ich cool, aber da fehlt mir irgendwie das Testosteron, so brutale Nummern abzuliefern. Und dann haben wir eben auch, wie jetzt auf der Tour, die Nummer mit Cello und E-Piano. Sowas wird’s auf dem folgenden Album auch in der Art geben. Ich glaube, das unterscheidet uns dann schon noch so ein bisschen von „ganz klar Metal“.

Ilja: Emocore hat sich das ja früher genannt, davon gibt es immer noch viel in unserer Musik. Das schlägt sich nicht nur musikalisch nieder, sondern auch in den Texten.

Nils: Ich sehe das gar nicht so sehr im Emocore. Eher im Progressive. Porcupine Tree oder Anathema hört man da irgendwie raus. Gut, bei Between The Buried And Me gibt es auch Nummern mit Westerngitarre oder so, aber ich denke, wir reizen das ein bisschen mehr aus.

Haben sich über die Zeit die Quellen eurer Inspiration geändert?

Nils: Es gibt immer mal wieder so Einfluss-Bands, die wir dann bewusst als Referenz für einen Part nehmen. Da gibt es (intern) dann den Meshuggah-Part, den BTBAM-Part, Employed-To-Serve-Part etc.

Ilja: Manchmal ist es aber auch ganz andere Musik, die einen dazu inspiriert, beim Songwriting anders zu denken. Ich höre inzwischen viel weniger frickeligen Metal und sowas. Das wirkt sich dann auch auf unsere Musik aus. Natürlich ist die immer noch abgefahren, aber es gibt vielleicht dann mehr Parts, die mehr auf Sound gehen oder eine bestimmte Ästhetik repräsentieren. Da geht es dann mehr um Intensität als um Noten.

Beeinflusst Gear euer Songwriting?

Nils: Auf jeden Fall! Auf dem neuen Album z. B. wird es einen Song geben mit einem Synth-Bass. Bei ‚Inukshuk‘ vom Album ‚Eskapist‘ ist auch diese 80s Synth-Welt à la ‚Stranger Things‘ Inspiration gewesen. ‚Lysios‘ ist so ein Beispiel, wo das ganze Intro von dem The-Great-Destroyer-Pedal inspiriert war. Oder ‚Noja‘ ist davon inspiriert, das Delay mal nicht in den Loop einzuschleifen, sondern vor den Amp zu setzen. Ich hatte das bei Steven Wilson gesehen und der Kemper bot dann auch die Möglichkeit, das umsetzen zu können. Also, da gab es auf jeden Fall immer wieder Momente, die von Gear inspiriert worden sind.

Ilja: Bei mir sind es vor allem Synth-Spielereien oder irgendwelche coolen Sounds und plötzlich entsteht ein Song daraus. Manchmal macht auch ein Pedal auf einmal richtig Bock und dann entwickeln sich automatisch irgendwelche Figuren oder Riffs.

Nils verwendet live vier Gitarren: Drei unterschiedliche Tunings + Backup

Nils: Es ist schon so, dass unterschiedliche Gitarren zu einem anderen Song führen. Ich erinnere mich daran, dass ‚Mara‘ mit der Explorer entstanden ist oder ‚Kris‘ mit der Mustang. Für die ‚Kollaps‘ hatte ich mir auch eine Chapman-Baritone geholt, die ich für einen Song dann tatsächlich auch brauchte. Also hatte ich mir mal ganz bewusst eine Gitarre gekauft, weil ich dachte, die bräuchte ich noch für mein Repertoire. Für die ‚Agnosie‘ hatte ich mir eine Hagstrom Impala gekauft, weil ich Bock darauf hatte. Ich werde das aber wohl nicht für jedes neue Album machen, irgendwann werden es ja auch einfach zu viele Gitarren. (lacht)

Dein Setup − vor allem das Board − ist ja eher „punkig“. Moddet ihr euer Gear viel? Ilja, mit deinen Spectors wahrscheinlich eher weniger, oder?

Ilja: Genau, die funktionieren eigentlich durchgängig gut. Man entscheidet sich ja auch für dieses Instrument, weil es eben genau die Sounds bietet, die man haben möchte. Bei Instrumenten in der Klasse werkelt man eher weniger daran rum, meiner Meinung nach. Bei einem Spector habe ich gar keine Lust, etwas zu tauschen. Die sind geil, so wie sie sind.

Iljas Spector-Bässe
Iljas Spector-Bässe

Nils, bei dir sieht es ein bisschen anders aus …

Nils: Genau, bei den Gitarren gibt es schon ein paar Sachen. Ich habe aus der Explorer z. B. die Elektronik ausgebaut, weil ich die eh nicht benutzt habe. Ich kann noch zwischen den Tonabnehmern umschalten aber das wars. Bei der Strat war ein Humbucker drin, ich wollte aber unbedingt einen Split-Coil haben. Da habe ich dann statt des Tone-Reglers einen Switch für den Humbucker eingebaut. Bei meiner PRS Mira X habe ich den Tone-Regler direkt mitgetauscht, damit ich die neu eingebauten PUs splitten kann. Ich habe kein Problem damit, an den Instrumenten herumzuschrauben. Man sieht den Gitarren nach kürzester Zeit auf der Bühne eh an, dass sie benutzt worden sind und das ist auch ok so.

Das Board ist eigentlich nur für einen Pitch-Shifter, oder für einen Freezer und eben den Tuner. Außerdem ist da noch ein Notfall-Umschalter, falls mal wirklich die Midi-Kette ausfällt. Den habe ich zum Glück aber noch nie gebraucht. Mehr ist nicht auf meinem Board.

Ilja: Jetzt, wo ich darüber nachdenke, habe ich doch einiges gemacht. Bei meinen Instrumenten zuhause habe ich die Tonabnehmer gewechselt. Aber das war alles für Recording-Zwecke, das betrifft nicht mein Live-Setup. Da spiele ich nur noch die Spector. Früher habe ich ab und zu noch den Musicman dazugenommen. Und tatsächlich habe ich sowohl bei den Spectors als auch bei dem Musicman nie die Pickups gewechselt.

Das ist ein guter Punkt. Wie unterscheiden sich eure Live- und Recording-Setups?

Nils: Ich habe ganz lange nur eine Gitarre live genutzt und hatte dann eine als Backup, die möglichst identisch war. Das geht jetzt gerade nicht, weil wir drei verschiedene Tunings verwenden, deshalb habe ich auch vier Gitarren dabei. Beim Recording habe ich ein großes Arsenal an Gitarren, die ich auch alle nutze. Da geht dann live schon ein bisschen was verloren, weil die Kemper-Profile natürlich auf die einzelnen Gitarren angepasst sind. Außerdem layere ich sehr viel. Der Sound besteht eigentlich immer aus mindestens zwei Kemper-Profilen. Das ganze Layering kann ich live natürlich nicht so umsetzen, aber ich glaube, das ist auch gar nicht so wichtig. Einige andere nutzen ja zwei Kemper gleichzeitig. Wenn wir jetzt regelmäßig im Stadion spielen würden, könnte man da mal drüber nachdenken. (lacht)

Ilja: Bei mir ist es so, dass ich zuhause derzeit lieber über Pedale und Plug-ins spiele. Ich habe also ein anderes Recording-Setup als live.

Auf der Bühne setzen die beiden zwei Kemper Profiler ein, die via Midi gesteuert werden.

Inspirieren dich die Pedale eher als der Kemper oder woran liegt das?

Ilja: Ich mag die Kemper-Amps schon sehr gern, aber die machen einfach was anderes als z. B. so ein Darkglass-Pedal. Die färben anders, die funktionieren anders. Auf der anderen Seite funktionieren die DG-Pedals für unser Live-Setup gar nicht so gut. Die erzeugen einfach einen ganz anderen Sound als so ein Hiwatt-Kemper-Profile.

Nils: Der Kemper ist für uns total praktisch, weil wir alles mit Midi schalten und da gut mit umgehen können. Wenn Ilja ein anderes Gerät hätte, müsste man sich da einarbeiten. Das wäre schon erst einmal mehr Arbeit.

Nils’ Pedalboard u.a. mit Electro-Harmonix Superego, Boss Super Shifter PS-5, Bright Onion Pedals Triple Looper & TC Electronic PolyTune

Da geht es dann also vor allem um den Workflow.

Nils: Genau, das würde natürlich auch alles mit einem Axe-FX oder Quad Cortex gehen, aber das wäre erst einmal viel Arbeit. Außerdem ist das Backup beim Kemper über USB-Stick enorm praktisch.

Stimmt. Andere Geräte bieten das so nicht. Würdet ihr sagen, dass der Kemper das zentrale Stück eures Setups ist?

Nils: Ich habe keinen Backup-Kemper und auch keinen Backup-Amp. Sollte es mal hart auf hart kommen, kann ich meinen USB-Stick in Iljas Kemper stecken und den nutzen und Ilja geht dann direkt in die PA.

Ilja: Ich habe noch so eine Zerre auf dem Board für den Notfall, die würde ich dann nutzen.

Nils: Insofern hast du Recht, das ist schon ein sehr zentrales Stück. Vor allem aber zusammen mit dem Rechner. Der steuert das schließlich alles und feuert teilweise Samples ab.

Ilja: Es ist in der Hinsicht zum Glück noch nie etwas schief gegangen, also dass sich ein Gerät verabschiedet hätte.

Nils: Wobei ich auch noch einen Backup-Rechner dabeihabe, den man dann auch nutzen kann.

Habt ihr bei eurem durchgetakteten Setup noch Raum für spontane Soloparts oder etwas in die Richtung?

Ilja: Ganz früher hatten wir teils sogar Live-Jams, aus der irgendwann dann ‚Agitation‘ entstanden ist, aber das ist eigentlich vorbei. Und ehrlich gesagt, würde ich anstelle eines fünfminütigen Gitarren- oder Bass-Solos lieber noch einen Song mehr spielen.

Wie haltet ihr euch technisch fit? Gerade über die lange Corona-Zeit hinweg war die Notwendigkeit da ja nicht immer gegeben, oder?

Ilja: Ich habe gar keine Zeit mehr, jeden Tag so hart zu üben. Da sind inzwischen ganz andere Dinge, die an der Tagesordnung stehen. Wir Musiker hatten uns ja auch nicht gefreut, dass wir Monate lang „frei“ hatten. Da musste ein Plan B her und dieser Plan bestand zu weiten Teilen nicht daraus, stundenlang das Instrument zu üben.

Nils: Ich finde auch gar nicht, dass das so wichtig ist. Hirschfremde Sachen auf der Gitarre zu machen, hat mich immer deutlich mehr nach vorn gebracht und das habe ich während Corona tatsächlich weniger gemacht. Ich glaube, ich habe noch nie so wenig Gitarre gespielt wie seit Beginn der Pandemie. Da kann man auf jeden Fall nochmal wieder dran arbeiten.

Das ist jetzt wieder eure erste „normale“ Tour. Wie ist das für euch?

Nils: Das Thema ist natürlich immer noch ganz präsent, aber es ist die erste Tour mit normalem Publikum und ohne Abstand. Wir waren auch verunsichert, weil die Ticketvorverkäufe lange noch nicht auf dem Niveau von vor der Pandemie waren. Aber ich bin sehr froh, dass wir das durchgezogen haben, und das Feedback der Veranstaltenden war auch durchweg positiv. Für die ist es ja auch schwierig. Ich bin sehr positiv überrascht, wie viel Bock das Publikum hat.

Ilja: Die haben auf jeden Fall Bock. Da war gar kein Unterschied zu früher

Nils: So richtig „back to normal“ ist es noch nicht, aber man merkt, dass alle gemeinsam dahin arbeiten. Wir sehen auch bei allen Veranstaltenden, dass die mit Herzblut dabei sind und wieder dahin zurückwollen. Wir müssen den Leuten das Gefühl geben, dass das alles wieder geht.

Zum Schluss noch die Frage: Könnt ihr Slappin’ Lappin (Iljas eigens auf den Markt gebrachte Brutal Hot Sauce) als Fastfret-Ersatz empfehlen?

Ilja: (lacht) Ich würde einfach sagen, probiers doch aus!

Nils: Wir empfehlen das auf jeden Fall für alle Shouter, den Mikrokorb vor der Show einmal komplett mit der Soße zu behandeln.


(erschienen in Gitarre & Bass 01/2023)

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Über achtzig Gitarristen hat Bob Dylan bis dato auf seinen 36 Studio-Aufnahmen beschäftigt.

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