Im Interview

Rodrigo y Gabriela: Viva Electrico

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(Bild: Erick Sandoval)

Seit 23 Jahren und fünf Alben gelten die Mexikaner als das beste Akustik-Gitarren-Duo der Welt. Ein Ruf, der ihnen einen Grammy, imposante Album- wie Ticketverkäufe sowie jede Menge illustre Freunde beschert hat. Doch auf diesen Lorbeeren ruhen sich die beiden Endvierziger nicht aus: Auf ‚In Between Thoughts… A New World‘ experimentieren sie mit E-Gitarren, Keyboards, Orchester und Chören.

Ein Projekt, das als pandemischer Zeitvertreib begann und schließlich zum Soundtrack eines spirituellen Erwachens wurde. GITARRE & BASS besuchte Rodrigo Sanchez in seinem Lumbini-Studio in Ixtapa.

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Der 49-Jährige, der ursprünglich aus Mexico City stammt, aber schon eine Dekade an der Küste wohnt, ist ein spannender Typ: Athletisch und durchtrainiert wie ein Profisportler, sehr interessiert an fernöstlichen Lehren und Philosophien, aber eben auch ein Ausnahmegitarrist, der auf seinem Stamminstrument – der Akustik-Gitarre – ein echtes Feuerwerk abfackelt. Der filigran, virtuos und experimentell ist, jede erdenkliche Spieltechnik beherrscht, etwas von einem wandelnden Musiklexikon hat und – mit Partnerin Gabriela Quintero – das klassische Gitarren-Duo auf ein neues Level führt.

Gleichzeitig versucht er immer wieder etwas Neues. Etwas, das den eigenen künstlerischen Rahmen sprengt und in ungeahnte Bereiche vorstößt. Wie auf dem neuen Album, das den mystischen Titel ‚In Between Thoughts… A New World‘ trägt, und auf dem Rodrigo erstmals seit den frühen 90ern wieder zur E-Gitarre greift. Damals, so gesteht er lachend, war er ein Thrash-Metal-Fan, der auf Metallica, Sepultura, Testament und Death Angel stand und vor allem schnell und laut spielte. Damit hat seine aktuelle Rückkehr zur Elektrischen wenig zu tun.

Rod, warum ein Album, auf dem ihr akustische und elektrische Töne kombiniert – zum ersten Mal in eurer Karriere? Warum der Bruch mit der langjährigen Tradition des reinen Akustik-Duos?

Naja, das war eine Sache, die wir so nicht geplant hatten. Im Grunde hatten wir keine konkreten Vorstellungen, als wir mit dieser Musik anfingen. Einfach, weil es während der Pandemie war und wir im Grunde nur versucht haben, uns auf kreative Weise vom Weltgeschehen abzulenken.

Hattet ihr keine Bedenken in der Art: „Können wir das überhaupt tun? Stoßen wir unser Publikum nicht vor den Kopf?“ Oder: „Zerstören wir damit womöglich unsere Karriere?“

Doch, natürlich. Aber das war uns diesmal egal, weil wir das Ergebnis so toll fanden – und wirklich stolz darauf waren. Zudem ist es ja so, dass wir ursprünglich aus dem Metal kommen und mein erstes Instrument eine elektrische Gitarre war. Damals war ich dreizehn und habe anschließend zwölf Jahre lang nichts anderes gespielt. Eben mit unserer ersten Band Tierra Acida, die jedoch nicht sehr gut war. Wir haben nur imitiert, was Thrash-Bands in Kalifornien und Brasilien gemacht haben. Insofern sind wir damals auch nicht weit gekommen, aber es war eine wichtige Schule.

Danach habe ich – genau wie Gab, die meine Ex-Freundin ist – zur Akustischen gegriffen, und das ist bis heute mein Hauptinstrument. Aber obwohl Gab und ich bislang ein reines Akustik-Duo waren, habe ich nie aufgehört, zumindest privat immer mal wieder zur Elektrischen zu greifen. Denn: Das macht mir Spaß. Insofern war es ganz natürlich, das mal wieder einfließen zu lassen.

Unterscheidet sich dein akustisches vom elektrischen Spiel?

Ich denke, mein Songwriting hat sich generell über die letzten Jahre verändert, genauso wie mein Gitarrenspiel. Keine Frage. Und das nicht erst seit ‚Mettavolution‘, sondern schon kurz davor. Ich habe einfach irgendwann angefangen, weniger Noten zu spielen und gleichzeitig viel melodischer zu werden. Das setzt sich hier fort – wenn auch mit mehr Sounds. Ich habe das Gefühl, dass ich in meinem Leben schon zu viele Noten gespielt habe – also versuche ich es jetzt mit weniger.

Und dafür ist die Jaguar perfekt?

Das ist sie wirklich. Sie ist auch eine der elektrischen Gitarren, die ich bereits auf ‚Mettavolution‘ verwendet habe. Also damals war es dieses wunderbare Teil von Dave Sardy, unserem Produzenten. Er hatte eine Jaguar von 1965. Meine zwei Lacquers sind dagegen längst nicht so cool, aber ich liebe ihren Sound trotzdem. Und Dave Sardy hat mir damals gezeigt, was für besondere Töne ich damit erzeugen kann. Er meinte, er hätte dieselbe Gitarre auch bei den Aufnahmen von ‚One Hot Minute‘ von den Red Hot Chili Peppers eingesetzt. Also nicht mit John Frusciante, sondern mit Dave Navarro. Und ich habe diesen Sound geliebt. Was wahrscheinlich einfach daran liegt, dass er etwas völlig Neues für mich war. Ich meine, ich habe Les Pauls, ich habe SGs und diese anderen Teile… Mist, wie heißen die noch? Gib mir eine Sekunde – sie hängt da vorne an der Wand.

Was für eine Marke ist das?

Eine Heritage. Keine Ahnung, warum ich mir den Namen nicht merken kann. Dabei habe ich ein Original, von dem es nur hundert Stück gibt. Sie haben das Modell ganz schnell wieder eingestellt, weil sie es nicht mochten und dachten, da wäre etwas falsch. Sie hielten es für zu klein. Aber ich halte es für schlichtweg genial. Ein Freund von mir hat diese Gitarre von einem Sammler erworben, der sich auf Heritage spezialisiert hat – er hat sie mir anschließend vermacht. Ein wirklich wunderbares Instrument – und so bequem zu spielen. Es hat ein bisschen etwas von einer Baby-Gitarre. Sprich: Das Teil ist wirklich klein, aber genau deswegen angenehm zu spielen. Trotzdem hat man entschieden, das Ganze nicht weiter zu bauen, was ein Fehler war. Und dieses Modell ist extrem alt. Ich bin wahnsinnig froh, dass ich so eine tolle Gitarre habe.

Yamaha THR5 & THR10 + Orange Crush Mini (Bild: Erick Sandoval)

Wie groß ist deine Sammlung inzwischen – und würdest du dich selbst als Sammler bezeichnen?

Eher nicht. Zumal es doch so ist, dass wir viele Gitarren geschenkt oder auch geliehen bekommen. Und natürlich haben wir alle nur erdenklichen Yamaha-Gitarren, von denen etliche in irgendwelchen Lagerhäusern rund um den Globus stehen – eben für Tourneen in bestimmten Ländern oder auf einem Kontinent. Hier, im Studio, haben wir nur einige wenige davon – aber eben auch Bässe und Steel-String-Gitarren, die wir nicht für unser gemeinsames Duo nutzen, aber halt für andere Sachen. Ich habe eine Les Paul, ein paar Heritage-Gitarren, ein paar SGs, zwei Jaguars und eine Reihe von ausgefallenen Instrumenten. Wie eine Oud und noch ein paar andere Sachen.

Die Hauptgitarre auf dem neuen Album ist Rodrigos Fender Jaguar.
Yamaha NTX

 

Wie gehst du deine Soli auf der elektrischen Gitarre an? Sind sie spontan oder arbeitest du sie im Vorfeld exakt aus?

Ich bereite sie zumindest so vor, dass ich mir Gedanken mache, was da passen könnte. Aber ich versuche nicht, da wer weiß wie viele Soli mit unglaublich abgefahrenen Sachen unterzubringen. Das ist nicht mein Ding und der einzige Song, bei dem ich wirklich ein bisschen rockiger bin, ist der siebte auf dem Album – der Punk-Rock-Track, der tatsächlich mal ein richtiges Solo mit Bendings und Läufen aufweist.

Ansonsten ist alles ziemlich melodisch. Und ich habe kein Interesse, mich da in irgendeiner Form zu profilieren und zu zeigen, wie schnell ich sein kann. (lacht) Das ist mir nicht wichtig, sondern das zählt nur, wenn du jung bist und der Welt eigen willst, wie toll du bist. Oder wenn du wer weiß wie viele Clicks auf irgendwelchen Social-Media-Pattformen erreichen möchtest. Dann probst du nur eine Sache, bis du sie richtig draufhast. Anschließend postest du irgendwelche Videos und gibst den Kids da draußen das Gefühl, sie wären selbst zu dumm, um das genauso hinzukriegen. Was schade ist, denn so nimmt man ihnen die Lust am Spielen. Mehr nicht.

Dieses Rumgeprotze mit Fähigkeiten, die im Grunde völlig unwichtig sind, hat also einen negativen Effekt. Insofern beteilige ich mich nicht daran. Im Gegenteil: Ich spiele ganz bewusst weniger Noten und konzentriere mich mehr auf die Melodie.

Rod, vielen Dank für das Gespräch!

(erschienen in Gitarre & Bass 06/2023)

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