(Bild: Matthias Mineur)
Auch wenn man im künstlerischen Bereich mit vergleichenden Bewertungen wie „Best Musician“, „Best Singer“, „Best Songwriter“ oder „Musician Of The Year“ eher vorsichtig sein sollte, – Musik basiert bekanntlich auf Geschmack, nicht auf objektiven Qualitätskriterien – gebührt dem ostwestfälischen Bluesmusiker Richie Arndt sicherlich zu Recht so manche Auszeichnung. Der 64-Jährige spielt exzellent (Blues-)Gitarre, hat eine starke, einfühlsame Leadstimme und schreibt Songs, die seine Zuhörer bewegen, in vielerlei Hinsicht. Im September 2022 wurde ihm der sogenannte German Blues Award in der Kategorie „Gitarre“ verliehen. Ein Preis, den er bereits 2016 für die beste CD und 2018 in der Kategorie “Best Vocals, männlich” bekommen hat.
Gründe genug also, sich mit dem freundlichen Musiker zu verabreden und mit ihm über seine kreativen Ambitionen zu sprechen. Umso mehr, da zu seiner aktuellen Band auch der Münsteraner Gitarrist Gregor Hilden zählt. Wie Arndt ist auch der 58-jährige Hilden bekanntermaßen ein grandioser Saitenvirtuose, dessen Spiel etwas jazziger und traditioneller ist als das seines mehrfach ausgezeichneten Bandkollegen, und der gerade deshalb perfekt in das künstlerische Portfolio der Richie Arndt Band passt. Wir trafen Arndt (RA) und Hilden (GH) bei einem Gig im westfälischen Rheine und haben dabei viel über ihre Liebe zu Peter Green, Rory Gallagher, Larry Carlton oder auch Little Feat erfahren. Und natürlich so einiges über die wunderbaren Gitarren, die sie mit zum Gig gebracht hatten.
Richie und Gregor, könnt ihr bitte mal kurz erzählen, wie ihr euch kennengelernt habt?
GH: Zum ersten Mal miteinander gesprochen haben wir ungefähr im Jahr 2000 im Rahmen der Osnabrücker Blues Session, eine legendäre Veranstaltung, die schon seit vielen Jahren existiert und in der Region für reichlich Blues-Nachwuchs gesorgt hat.
RA: Ich hatte 1996 meine Band The Bluenatics gegründet, kümmere mich seither nur noch um den Blues, und bin daher viele Jahr lang jeden Montag zur Blues Session gefahren.
GH: Kleine Anekdote dazu: Ich hatte Richie ein paar Jahre zuvor mit einer Top-40-Band gesehen, in enger Streifenhose und ‚99 Luftballons‘ spielend. Jahre später treffe ich dann bei der erwähnten Blues Session den gleichen Richie Arndt, der sich aus diesem Metier vollends verabschiedet hat und Bluesmusiker geworden ist. Das hat mir ziemlich imponiert. Ich fand diesen radikalen Schnitt toll, auch dass Richie sich mit voller Leidenschaft auf dieses Thema gestürzt hat. Bei mir war es völlig anders, ich war immer schon im Blues beheimatet. Mir gefielen seine Konsequenz und Ernsthaftigkeit, deshalb habe ich mich sehr darüber gefreut, als Richie vorschlug, dass wir mal etwas zusammen machen sollten.
RA: Kleine Anmerkung meinerseits: Ich habe zehn Jahre lang in einer Top-40-Band gespielt, weil meine Lebensumstände mich dazu zwangen, Geld zu verdienen. Das war auch gut so, da ich dort sehr viel gelernt habe. Ursprünglich komme ich aber vom britischen Blues. Mein erster großer Held war Rory Gallagher. Mitte der Neunziger hatte ich von Top-40 die Nase gestrichen voll. Damals kam Techno groß auf, und als Gitarrist hatte man eh kaum noch etwas zu tun. Das sei aber nur am Rande erwähnt. Für mich war logisch, komplett mit Top-40 Schluss zu machen und dort wieder anzuknüpfen, wo ich mal aufgehört hatte, nämlich beim Bluesrock der englischen Schule, plus – später dann – auch bei dem der amerikanischen Bluesmusiker wie Stevie Ray Vaughan, den ja immer alle erwähnen, oder Flitzefinger Johnny Winter. Dessen legendäre Live-LP von 1971 mit ‚Rock And Roll, Hoochie Koo‘ usw. hatte ich natürlich. Diese Scheibe habe ich geliebt.
Gregor, mit welchen Bluesmusikern bist du aufgewachsen?
GH: Bei mir waren es weniger die Flitzefinger als eher die langsam spielenden Gitarristen, also vor allem Peter Green, B.B. King, speziell auch Mike Bloomfield, allesamt Gitarristen, die immer mit größtmöglicher Emotionalität gespielt haben. Ich habe natürlich versucht, dies auch in mein eigenes Spiel mit einfließen zu lassen. Später habe ich dann versucht, mich von meinen Vorbildern zu lösen, mehr jazzige Elemente einzubauen und dies zu meinem eigenen Brei zu rühren.
Eure erste Zusammenarbeit auf der Bühne fand also im Rahmen dieser Osnabrücker Blues Sessions statt?
RA: Exakt. Irgendwann habe ich Musikpädagogik studiert, dabei eine Menge auch über die sozialen Hintergründe dieser Musik gelernt und eine CD mit amerikanischen Train-Songs aufgenommen, bin der Frage nachgegangen, weshalb es in Amerika so viele davon gibt. Dazu existiert auch ein Hörbuch, dies zusammen wurde zu meinem bis dato erfolgreichsten Album. Mit diesem Programm war ich dann solo unterwegs, habe die Train-Songs gespielt und Geschichten über sie erzählt. Anschließend wollte ich eine neue CD machen, hatte aber keine Idee worüber. Ich brauchte ein Thema, nicht einfach nur „Richie Arndt macht ‘ne neue Bluesrock-CD“, sondern ein festes Konzept. Und so bin ich zu meinen Wurzeln zurückgekehrt und habe mit meiner Band ein Album mit meinen Lieblingssongs von Rory Gallagher aufgenommen. Das ist gitarristisch natürlich ein ziemlich anspruchsvolles Thema, zumal ich Gallagher nicht einfach nur covern, sondern eigene Versionen machen wollte.
Deshalb habe ich zunächst Gregor und dann Alex Conti und Henrik Freischlader gefragt, ob sie mitmachen wollen, auch um eine zusätzliche Farbe reinzubringen. Wir vier plus der Schlagzeuger und der Bassist meines Trios haben 2008 diese Scheibe aufgenommen und sind anschließend damit auf zwei amtliche Tourneen gegangen. Jeweils zehn Shows am Stück, immer in ausverkauften Hallen. Wir waren offensichtlich die Ersten, die sich dieses Themas angenommen hatten. Das war die erste richtig amtliche Kooperation zwischen Gregor und mir. Wir sind uns dann über die Jahre treu geblieben, zumal wir auch nicht allzu weit voneinander entfernt wohnen.
GH: Mittlerweile haben Richie und ich zwei weitere CDs aufgenommen, eine mit dem elektrischen Bandprojekt, das ja auch heute Abend spielen wird, und eine als akustisches Blues-Duo.
RA: Die Akustik-CD war die erste von beiden. Wir wollten mal etwas ganz Anderes machen, für einen kleineren Abend und ein anderes Publikum, etwa in Kulturzentren. Das läuft sehr gut, zumal in der Pandemie kleinere Konzerte eher möglich waren als größere Auftritte. Aber natürlich hoffen wir, dass auch die Band jetzt wieder in Fahrt kommt.
GH: Mir gefällt es deshalb so gut, weil ich in meinem Hauptprojekt mit dem Organ-Trio eher die soul-jazzige Blues-Variante spiele und mit Richie so richtig rocken kann.
Muss man bei zwei gleichberechtigten Sologitarristen in einer Band das Equipment aufeinander abstimmen? Damit es weder zu identisch noch zu unterschiedlich ist? Spielt ihr in euren sonstigen Projekten mit anderem Equipment?
RA: Nein. Du weißt ja: Der Sound entsteht im Kopf. Und irgendwann bekommt man aus jeder Gitarre seinen Sound. Aber natürlich spiele ich meistens Strats, also Gitarren mit Singlecoils, und es würde garantiert anders klingen, wenn ich eine Les Paul in die Hand nähme. Ich liebe nun einmal dieses Perkussive, was diese Gitarren haben und was Humbucker-Gitarren so nicht liefern. Aber letztendlich ist der Sound immer recht ähnlich, egal ob ich mit einer Strat, einer Telecaster oder sogar einer ES-335 spiele.
Das gilt aber nicht für deine Jaguar, oder?
RA: Die Jaguar ist eine ganz andere Sache. Die geht so tief runter, hat eine so dunkle Farbe, dass ich sie nur dann nehme, wenn ein Song mal wirklich ganz tief klingen soll.
Gregor, du spielst schwerpunktmäßig Gibson-Modelle, nicht wahr?
GH: Ja, das ist richtig. Und die Les Paul, die ich heute dabeihabe, ist tatsächlich meine Nummer-1- Gitarre. Ich besitze viele alten Gitarren, weil ich sie liebe. Und wenn ich dann mal eine Fender spiele, dann eher eine Tele- als eine Stratocaster.
Weil?
GH: Weil für mich eine Tele noch sehr viel markanter, kantiger und bissiger als eine Strat klingt. Ich mag auch die schnelle Ansprache der Tele. Heute habe ich allerdings keine alte Tele dabei, sondern eine Masterbuilt Custom Shop Telecaster, die mir auf der Bühne neben super Sounds vor allem einen tollen Komfort bietet. Sie hat einen für meine Hände ideal geformten Hals und kommt deshalb oft auf der Bühne zum Einsatz, weshalb dann die älteren, die ich auch sehr liebe, zugunsten der neuen zuhause bleiben müssen.
Spielt ihr durchgehend in Standard-Tuning?
RA: Nein. Wenn ich mit meiner Band Slide-Gitarre spiele, bringe ich eine Custom Shop Tele mit, die ich in Open E gestimmt habe. Viele stimmen ja in Open Es, was ich aber überhaupt nicht verstehen kann, weil es für mich automatisch falsch klingt. Ich habe es schon des Öfteren versucht, weil die Saiten in Es natürlich lockerer sind und sich anders spielen lassen, zumal ich dicke 11er-Sätze spiele, und da würde es sich positiv auswirken, wenn die Saitenspannung etwas loser wäre. Aber mir gefällt das Es nicht, die Stimmung klingt für mich falsch.
GH: Für mich übrigens auch.
RA: Ich bin so sehr auf E geeicht, dass Es für mich automatisch falsch klingt.
Ihr spielt in allen euren unterschiedlichen Projekten generell in Standard-Tuning?
RA: Ja, außer bei Slides. Ich bin zwar kein Derek Trucks, aber ich kann mit meinen Slides sehr gut Farben gestalten.
GH: Ich habe ehrlich gesagt nie mit Slide angefangen, obwohl dies ja eigentlich zum Standardrepertoire eines Bluesers gehört. Ich habe es auch nie ausprobiert, sondern mich immer auf „schmalbandige“ Sachen konzentriert. Klar, Blues und Jazz, aber das nur in einer bestimmten Bandbreite. Darüber hinaus gehen wollte ich nicht. Und schon gar nicht mit Dingen, die ich nur halb beherrsche.
RA: Bei mir fing das Slide-Spielen damit an, dass ich mich nach der Top-40-Zeit mit der Geschichte des amerikanischen Blues beschäftigt habe. Ich habe mir dann eine Resonator-Gitarre aus Metall gekauft, so wie es sich gehört, mich damit beschäftigt und die alten Dinger geübt. Ich wollte ein paar dieser Grundfertigkeiten draufhaben und sie z. B. in unserem Akustikset auch mal einsetzen.
Was haben deine Recherchen ansonsten ergeben: Hat sich der Blues über die Jahre signifikant verändert? Hat er durch Musiker wie Gary Moore oder Joe Bonamassa eine andere Färbung bekommen?
GH: Bluesrock-Gitarristen wie Bonamassa waren immer sehr erfolgreich und haben den ganzen Laden sehr gut aufgemischt. Das war ja schon mit Eric Clapton 1968 der Fall, beim ersten großen British-Blues-Boom, der durch ihn populär wurde.
Gary Moore wurde für seine Interpretation des Blues ja lange heftig angefeindet.
GH: Das ist genau der Punkt: Traditionelle Journalisten sehen das gar nicht gerne. Ich bin da etwas zwiegespalten und eher auf der Seite des Traditionalismus. Deswegen sagen mir ein Gary Clark Junior oder mitunter ein Derek Trucks deutlich mehr zu.
Sonny Landreth?
GH: Der hat einen ganz eigenen Stil und steht damit ganz außerhalb. Ich finde es gut, wenn diese Leute mehr auf die Tradition achten als die Bluesrocker, die Sachen nur perfekt nachahmen. Bei manchen Bluesrockern fehlt mir einfach die Originalität.
RA: Ich finde, dass es in den Siebzigern so viele verschiedene Formen von Blues gab, aus denen man unendlich viel Inspiration schöpfen kann. Denk nur mal an Little Feat. Aber natürlich bin ich fasziniert, wie exakt und genau Joe Bonamassa spielt.
GH: Beeindruckend professionell.
Zumal Joe Bonamassa dieser Musikrichtung zweifelsfrei zu neuem Aufschwung verholfen hat.
GH: Genau, das ist so.
RA: Das war aber auch schon bei Stevie Ray Vaughan der Fall.
GH: Und bei Eric Clapton ebenso.
RA: Es gab bereits so viele Gitarristen mit einem ganz eigenen Sound, einem eigenen Stil. Little Feat haben diese Südstaaten-Rhythmen und Second-Line-Sachen reingebracht, Sonny Landreth kommt aus Louisiana und hat diese Zydeco-Sachen in sein Spiel integriert. Mich interessiert so etwas viel mehr als ein weiterer neuer Bluesrocker, egal wie er heißt.
In welcher Hinsicht kann man in deinem Spiel noch immer Rory Gallagher entdecken?
RA: Na ja, zunächst mal durch die Strat. Zwar eine Maple-Neck-Strat, aber das ist jetzt ein anderes Thema. Mein Lieblingsalbum ist seine 1971er-Debütscheibe, die lief bei mir rauf und runter. Das Songwriting auf diesem Album ist total unterschiedlich, und genau das versuche ich bei meinen Songs auch immer. Also mich nicht zu geißeln, dass es immer unbedingt ein Zwölftakter werden muss. Sondern wenn ich eine Idee habe, ein Lick, dann entwickle ich daraus einen neuen Song. Genauso hat es Gallagher auch gemacht. Und wenn wir in unserem Set eine Gallagher-Nummer spielen und das Solo kommt, dann versuche ich natürlich ebenso dorisch zu spielen wie er.
Und vom Sound?
(schmunzelt) Ich finde, dass Gallagher gar keinen so tollen Sound hatte. Die Gitarre mit dem Vox AC30 klang immer knarzig. Ich fand es nie erstrebenswert so zu klingen. Gallagher hat sich und seinen Sound dennoch gefeiert. Man merkt, dass er voll dahinterstand. Später hat er dann mehr Verzerrer reingedreht, da wurde es etwas besser.
Gregor, wie viel Peter Green kann man in deinem Spiel und deinem Sound noch entdecken?
GH: Eigentlich habe ich in meiner gesamten Karriere immer sehr nach Peter Green geklungen, weil sein Einfluss auf mich natürlich riesengroß ist. Doch seit ein paar Jahren verschiebt sich das ein wenig, weil ich auch andere Blues- und mehr Jazz-Gitarristen höre. Dieser Einfluss nimmt immer noch zu, also Kenny Burrell, Wes Montgomery usw. Das hat dazu geführt, dass der Peter-Green-Einfluss heute nicht mehr so stark ist, wie er schon mal war. Und trotzdem ist er immer noch hörbar, ganz klar. Und auch Larry Carlton war immer schon ein großer Einfluss. Carlton war der erste, der mir vorgeführt hat, dass man mit sehr viel Feeling Blues und gleichzeitig Jazz spielen kann. Zuvor waren das immer zwei getrennte Welten. Die einen konnten keine Saiten ziehen, aber schnell spielen, die anderen konnten keine Noten lesen. (lacht) Und bei Larry Carlton kam alles zusammen. Auch seinen Sound und seine Eleganz fand ich immer toll. Eleganz im Spiel ist auch heute noch ein für mich ganz wichtiges Kriterium.
(erschienen in Gitarre & Bass 11/2022)