Im Interview

Richard Henshall: Gitarrist und digitaler Revolutionär bei Haken

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(Bild: Max Taylor Grant / Century Media)

Richard James „Hen“ Henshall gehört zu einer neuen Generation von Gitarristen, die den Progressive Rock und Metal des 21. Jahrhunderts maßgeblich prägen. Seine Band Haken gehört zu den bedeutendsten der Szene und zeigt auf ihrem siebten Album ‚Fauna‘, was heute alles möglich ist in diesem Genre, seien es mehrstimmige Gesänge im Geiste von Gentle Giant oder brutal verzerrte Riffs aus der rhythmisch komplexen Djent-Ecke.

Letztere beherrschen der 38-Jährige und sein Pendant Charles Griffiths genauso perfekt wie halsbrecherische Leads, doch reiner Griffbrettsport ist nicht Henshalls Ding. Klavierunterricht im Kindesalter sowie Schlagzeug- und Klarinettenstunden halfen ihm beim Schärfen eines ganzheitlichen Blicks auf Musik, der auch mit einigen nicht ganz alltäglichen Ansichten zu Gitarren und ihrem technischen Drumherum geführt hat.

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Wir trafen den redseligen Briten während Hakens laufender Europatournee als Co-Headliner neben ihren amerikanischen Geistesbrüdern Between The Buried And Me für ein ausführliches Interview.

Rich, erinnerst du dich noch an deine erste Begegnung mit Musik? Und wie du schließlich selbst Musiker geworden?

Ich wuchs in einem musikalischen Haushalt auf, meine Mutter war Klavierlehrerin. An Wochenenden wurde ich zu den Klängen von Bach oder Chopin wach, wenn Mom Unterricht gab, und das hat meine eigene Liebe zur Musik beflügelt. Mein Vater war hingegen ein großer Blues-, Pink-Floyd- und King-Crimson-Fan, was ebenfalls auf mich abgefärbt hat. Nachdem mir seine Vorlieben den Weg geebnet hatten, entwickelte ich einen eigenen Geschmack, der mich inspirierte, Klavier und Gitarre zu lernen.

Schlagzeug und Klarinette stehen außerdem in deinem Lebenslauf.

Bevor ich mit dem Gitarrenspiel ernst machte, versuchte ich mich ein paar Jahre lang am Schlagzeug, was mir gewisse Grundlagen vermittelte, die mir heute beim Komponieren helfen, zumal ich Rhythmusgefühl als entscheidend für gutes Songwriting empfinde. Mit der Klarinette kam ich nicht weit, mich durch klassische Stücke zu quälen, trug aber zumindest dazu bei, dass ich Noten lesen kann. zumindest dazu bei, dass ich Noten lesen kann.

Gab es den einen Gitarristen, der dir sozusagen den Rockstar-Traum in den Kopf setzte?

Mein Vater hatte eine Akustikgitarre und spielte immer ganz simple Folksongs, die auf drei, vier Akkorden beruhten. Damit fing ich an, hinzu kamen bald Lieder von Oasis und Ocean Colour Scene, die mich wiederum dazu brachten, zu den Beatles zurückzugehen. Dadurch entdeckte ich Led Zeppelin und landete irgendwann bei Radiohead. Ihr Gitarrist Johnny Greenwood hat mich umgehauen, ich liebe seine originelle Herangehensweise ans Spielen und an den Einsatz von Effekten.

Mit ungefähr 16 stieß ich dann auf Dream Theater; John Petrucci in ‚Erotomania‘ zu hören veränderte meine Einstellung zur Gitarre komplett, denn bis zu dem Zeitpunkt hätte ich mich einfach als Metalhead bezeichnet. Ich kannte vor allem Gitarristen, die Riffs schrubbten, und wäre nie darauf gekommen, dass man solche Sachen mit dem Instrument anstellen kann wie John. Er eröffnete mir die Prog-Welt mit Acts wie Pain Of Salvation und Opeth.

Übst du noch systematisch, oder ist Songwriting an sich heute Übung genug für dich?

Eine Zeitlang hatte ich eine strukturierte Übungsroutine, die ich jetzt nicht mehr durchziehen könnte, weil ich zu viel zu tun habe. Songwriting ist tatsächlich auch eine ernstzunehmende Möglichkeit, um sich zu verbessern, vor allem wenn man in allgemein musikalischen und nicht nur technischen Bahnen denkt. Je älter ich werde, desto mehr Freude bereitet mir das Komponieren.

Erst heute Vormittag unterhielt ich mich mit einem Gitarrenschüler über die Gefahr, sich zu wiederholen. Bestimmte Schreibmethoden schleifen sich ein, das ist völlig normal, doch ich habe festgestellt, dass es sich lohnt, die Gitarre aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, etwa indem man Klavierstücke adaptiert. So bin ich beispielsweise zum Acht-Finger-Tapping gekommen.

Der armenische Jazzpianist und Komponist Tigran Hamasyan hat es mir besonders angetan und auch mein 2019 erschienenes Soloalbum ‚The Cocoon‘ geprägt – zusammen mit Alternative-Prog-Acts wie Agent Fresco oder Karnivool. Wohingegen ich versuche, mehrstimmige Parts vom Manual aufs Griffbrett zu übertragen, hämmert Hamasyan oft so energetisch auf die Tasten ein, dass man meint, er würde einem Metal-Gitarristen nacheifern, der Riffs spielt.

MELODIEN FÜR DIE EWIGKEIT

Vor Haken hast du der Gruppe To-Mera angehört, die ähnlich eklektisch und hart war wie Haken. Beschreiben diese beiden Adjektive generell deine musikalischen Vorlieben?

Könnte man so sagen, ja. Mein Weg führte aber wie bei den Meisten durch verschiedene Schülerbands, die nicht sonderlich bemerkenswert waren. Haken-Sänger Ross Jennings, den ich seit meinem fünften Lebensjahr kenne, ist irgendwie immer dabei gewesen. So mit 13, 14 gründeten wir eine Band, mit der wir Sachen coverten, die wir in dem Alter mochten, vor allem Radiohead. Schließlich gingen wir zu eigenen Kompositionen über, woraus dann Haken entstanden.

Was genau faszinierte dich abgesehen von Johnny Greenwoods Spiel an Radiohead?

Durch sie lernte ich eine Menge über Songwriting und Arrangement, worin sie meiner Meinung nach Meister sind, denn in ihren Liedern gibt es keinen Part, der nicht einem bestimmten Zweck dient. Alle ihre Alben klingen wie aus einem Guss, obwohl sie im Lauf der Zeit immer wieder Wagnisse eingegangen sind, wenn du zum Beispiel ihr noch sehr auf die Gitarren ausgerichtetes Debüt ‚Pablo Honey‘ mit ihrer bis heute sehr fortschrittlich klingenden dritten Platte ‚OK Computer‘ vergleichst. Sie wirken immer noch zeitgemäß – genauso wie die Beatles – oder sogar moderner als manches, was in letzter Zeit erschienen ist, und sind eigentlich der Ursprung von Haken, wobei traditioneller Metal und Jazz natürlich ebenfalls wichtige Einflüsse waren und bleiben.

Haken zeichnen sich aber auch durch abenteuerliche Rhythmen aus. Liegt das vielleicht an einer Arbeitsteilung, wobei ein Mitglied die Melodien und ein anderes die rhythmische Seite übernimmt?

Auf jeden Fall behandeln wir die beiden Komponenten zunächst getrennt voneinander. Viele Melodien kommen von Ross, weil er eben Sänger und als solcher hauptverantwortlich dafür ist, den Hörer zu fesseln. Die besten Parts eines Songs sind schließlich diejenigen, die man mitsingen kann, und auf ‚Fauna‘ gibt es eine Menge davon.

(Bild: Max Taylor Grant / Century Media)

LEICHTES GEPÄCK

Erinnerst du dich noch an deine erste E-Gitarre?

Meine erste Band bestand aus Freunden und hatte schon einen Gitarristen. Da ich mitmachen wollte, schlug ich vor, den Bass zu übernehmen, also kaufte ich mir einen Fender Squier Precision, den ich umlackierte – gelbbraun, das würde mir heute nicht im Traum einfallen – und mit Stickern meiner Lieblingsbands beklebte. Als unser Gitarrist irgendwann ausstieg, besorgte ich mir eine Squier Telecaster, die günstig war, aber sehr gut klang und sich leicht spielen ließ. Darauf lernte ich die Grundlagen der E-Gitarre, denn die akustische war bis dahin doch etwas ganz anderes für mich gewesen. Tonabnehmer, Effekte, das Dämpfen der Saiten… All diese Dinge empfand ich als neu, doch sie mir anzueignen war ein Vergnügen. Diese beiden Instrumente hängen jetzt links und rechts neben dem Arbeitstisch meines Heimstudios – als Erinnerung daran, woher ich als Musiker komme.

Heutzutage sieht man dich meistens mit deinem Signature-Modell Boden NX 8 von Strandberg. Wie kam es zu deiner Zusammenarbeit mit dem Hersteller?

Ich darf mich glücklich schätzen, 2014 ein Endorsement von Strandberg bekommen zu haben, denn damals bestand große Nachfrage nach ihren Gitarren, weil die Firma innerhalb der Szene als innovative, aufstrebende Kraft wahrgenommen wurde. Mit meinen Custom-Wünschen stand ich deshalb zunächst auf einer längeren Warteliste, bis sich Chefinstrumentenbauer Ola Strandberg zurückmeldete und meinte, meine Gitarre sei fertig. Sie wurde mir zugeschickt und kam am Tag vor meiner Abreise nach Amerika an, wo Haken im Rahmen des Kreuzfahrt-Festivals Progressive Nation At Sea auftraten, das von ex-Dream-Theater-Drummer Mike Portnoy organisiert wurde.

Ich hatte noch keine Erfahrung mit achtsaitigen Instrumenten, dachte aber aus irgendeinem Grund, ich müsse die Strandberg quasi live einweihen. Während der Show machte ich natürlich viele Fehler, weil ich ständig die falschen Saiten anschlug, aber unterm Strich war das ein tolles Erlebnis. Mittlerweile beherrsche ich die Gitarre und würde sie nicht missen wollen, da sie mir gerade bei den Tapping-Sachen sehr entgegenkommt; und für den Fall, dass ich nicht auf ihren vollen Tonumfang zugreifen muss, habe ich gelernt, ohne die beiden zusätzlichen Saiten sauber zu spielen.

Die tiefe brauche ich regelmäßig für die düsteren Riffs bei Haken, wohingegen die Coil-Tapping-Funktion, mit der ich den Output des Tonabnehmers verringern kann, einen twangigen Telecaster-Sound ermöglicht. Generell finde ich die gekammerte Bauweise klasse; darum ist die Gitarre sehr leicht, was bedeutet, dass ich sie lange halten kann. So bringe ich zweieinhalbstündige Auftritte ohne Rückenschmerzen hinter mich, und der Hals ist auch entsprechend ergonomisch geformt.

Strandberg Boden NX 8 Richard Henshall Edition (Bild: Strandberg)

Kommen wir zu Verstärkern und Boxen. Welche Präferenzen hast du da?

Auch hier lege ich Wert auf Kompaktheit. Ich verwende das sehr kleine Quad Cortex von Neural DSP. Der Entwickler ist wegweisend für Amp-Simulationen, und ich benutze die Plug-ins seit etwa vier Jahren auf meinem Computer. Seitdem es diese Bodeneinheit gibt, hat sich mein Spiel verändert. Durch das leistungsstarke Motherboard kann man praktisch auf eine beliebige Anzahl von Effekten zugreifen und jeden gewünschten Verstärker auswählen. Die Modeling-Technologie ist überragend, und die Tatsache, dass man es an jedem Ort einsetzen beziehungsweise direkt an ein Mischpult anschließen kann, macht es zu einem idealen Gerät für uns. Der Sound bleibt beständig, egal wo wir sind.

Vintage-Equipment oder klassische Röhrenverstärker reizen dich gar nicht?

Solange etwas gut klingt und für uns in der Live-Situation praktisch ist, werde ich den einfachsten Weg wählen, und das schließt Röhrenverstärker in der Regel aus. Man muss auch sagen, dass das Publikum keinen Unterschied zwischen echten Amps und Simulationen bemerkt. Ich bleibe also bei der digitalen Revolution.

Du hast vorhin einen Schüler erwähnt: Siehst du Gitarrenunterricht langfristig als zweites Standbein an? Die Pandemie hat schließlich gezeigt, wie schnell man als Musiker in eine prekäre Lage gerät, wenn man keine Konzerte mehr geben kann.

Eigentlich bin ich erst richtig Gitarrenlehrer geworden, als Haken anfingen, über längere Perioden hinweg zu touren. Dabei hat man abgesehen vom Soundcheck und der eigentlichen Show eine Menge Freizeit, die ich gerne sinnvoll nutze. Unterricht erzeugt einen positiven Nebeneffekt, den ich nicht missen möchte, nämlich dass ich mich mit anderen Musikern unterhalten kann und selbst noch neue Dinge lerne. Gleichgesinnte zu treffen – und sei es nur online –, die ähnliche Ambitionen haben wie ich, ist einfach etwas, das ich sehr genieße. Ich würde auch weniger von einer Lehrer-Schüler-Beziehung sprechen, sondern es einen partnerschaftlichen Austausch auf Augenhöhe nennen.


(erschienen in Gitarre & Bass 07/2023)

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