Im Interview

Pixies: Surrealer Eskapismus

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(Bild: Tom Oxley)

Harte Zeiten erfordern eben harte Mittel. Wie ‚Doggerel‘, das achte Studio-Album der Kobolde, auf dem Black Francis & Co. eine surreale Gegenwelt zur aktuellen, dystopischen Lage servieren. Eine skurrile Art von musikalischem Eskapismus – genau so, wie man es von dieser Band erwartet.

Im Herbst 2021 verfasste Charles Thompson (Black Francis) in seinem Atelier in Amherst, Massachusetts, fast 40 Stücke, die er anschließend mit der Band (und Produzent Tom Dalgety) in Los Angeles aufnahm. Das Ergebnis: ‚Doggerel‘. Ein typisches Pixies-Album mit dem bewährten Wechselspiel aus laut und leise, akustisch und elektrisch sowie Punkrock, Noise, Surf und Folk. Aber auch mit abgedrehten Texten über religiöse Dogmen, übernatürliche Erscheinungen, verwunschene Orte, Erinnerungen an frühere Beziehungen bis hin zu den Auswirkungen des Vollmonds auf die Stimmung in der Bar seines Bruders.

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Er selbst bezeichnet seine aktuellen Kompositionen als moderne Knittelverse, als „Doggerels“. Eine humorvolle, dramatische Version der erzählenden Dichtung, wie sie zwischen dem 15. bis 17. Jahrhundert praktiziert wurde. Aber gehen wir in medias res …

Charles, wie entsteht eigentlich ein Pixies-Song? Beginnt alles bei dir und deiner akustischen Gitarre? Und ist das der Grund, warum sämtliche Stücke des neuen Albums so etwas wie einen akustischen Kern haben?

So haben die Pixies einst angefangen – also, die ersten vier Alben sind genau so entstanden. Doch als wir nach der Reunion mit Tom Dalgety und Paz Lenchantin gearbeitet haben, dachten wir: „Vielleicht ist es an der Zeit, uns ein bisschen neu zu erfinden – auf welche Weise auch immer. Wobei wir unsere ursprüngliche Art des Schreibens nicht komplett über Bord werfen dürfen.“ Also: Ich an der akustischen Rhythmusgitarre, Joey an der elektrischen Lead – und dann noch Bass, Schlagzeug, weiblicher Background-Gesang und mein Lead-Gesang. Das ist die Blaupause für diese Band. Genau wie laut-leise-laut oder was auch immer. Wir sind es auf ‚Head Carrier‘ (2016) etwas anders angegangen – und grandios gescheitert. Wir haben da jede Menge elektrische Gitarren eingesetzt, nur um uns nicht zu wiederholen. Denn es ist schon so, dass wir als Band jede Menge Regeln haben. Selbst, wenn das nicht sonderlich Rock’n’Roll ist, da zu strikt zu sein.

Und diesmal?

Waren es wieder mehr akustische Songs. Was sich einfach dadurch erklären lässt, dass wir uns wegen der Pandemie nicht treffen konnten, um zu proben oder zu schreiben. Wir leben schließlich nicht in derselben Stadt, sondern die Band ist im Großraum Los Angeles zu Hause, und ich an der Ostküste – unser Produzent sogar in Großbritannien. Von daher musste ich mit Songs aufwarten, die vollständig ausgearbeitet waren, quasi fertig. Eben, um es leichter für alle Beteiligten zu machen, denn auf diese Weise hatten wir eine Vorlage, einen Plan.

Greifst du denn auch mal zur Elektrischen?

Aber sicher! Und für dieses Album benutze ich für jeden einzelnen Song einen Kapodaster im dritten Bund. Einfach, weil ich alle Stücke so geschrieben habe. Ich musste ja eine Menge binnen kürzester Zeit hinkriegen. Da ich zum Schreiben gerne auf einem Stuhl in meinem Atelier sitze, hat mir das die Arbeit extrem erleichtert, weil ich meinen Arm nicht so weit strecken muss. Ich dachte mir: „Wenn es halbwegs okay klingt, schreibe ich alle Songs mit dem Kapo im dritten Bund.“ Aus reiner Bequemlichkeit. Genau das habe ich getan, und es hat sich gut angefühlt. Mir gefiel der Sound, aber mir fiel es so auch leichter, im Sitzen zu spielen.

Wenn du zu Hause schreibst: Zu welcher Gitarre greifst du dann?

Normalerweise zu einer Martin D-28. Ich habe ein paar davon, und für gewöhnlich verwende ich sie auch auf der Bühne. Also dieselben Gitarren, auf denen ich schreibe. Obwohl: Manchmal greife ich auch zu etwas anderem – weil ich im Atelier ziemlich viele Gitarren rumstehen habe. Viel zu viele … Ich habe unzählige Gitarren. Aber wenn es ans Aufnehmen geht, ist es immer dasselbe: „Wo ist die D-28?“

Gibt es einen Grund, warum du Martins bevorzugst?

Sie sind einfach gut gebaut. Wenn du zum ersten Mal Geld in der Tasche hast – richtiges Geld – und vorhast, eine Akustik-Gitarre zu erwerben, dann heißt es: „Geh in einen guten Laden und probiere eine Martin aus.“ Meine erste habe ich in Nashville erstanden, bei Gruhn Guitars, wo es alle erdenklichen, tollen Martins gibt. Du musst nur eine von der Wand nehmen und ihr Klang ist eine Offenbarung. Wenn du eine solche Erfahrung gemacht hast, denkst du dir halt: „Das ist die Gitarre für mich.“ Ich vermute, dass es vielen Musikerkollegen genauso gegangen ist. Dass sie dasselbe Erlebnis hatten. Wobei es aber auch eine Menge Leute gibt, die akustische Gitarren von Gibson bevorzugen. Ich schreibe oft und viel auf der Martin, manchmal aber auch auf einer klassischen Nylon-Gitarre. Und das aus demselben Grund, warum ich auf den Kapo zurückgreife: Aus reiner Bequemlichkeit.

Die elektrische Gitarre kommt erst später dazu, wenn die akustische Grundlage für einen Song vorhanden ist?

Ich schätze, in letzter Zeit gehen wir größtenteils so vor, dass die Akustikgitarre die Basis der Songs ist. Und die ergänzen wir mit der Elektrischen. Wenn wir es rockiger haben wollen, fügen wir mehr E-Gitarre hinzu. Wenn nicht, ist es mehr Akustikgitarre.

Wenn du elektrisch spielst, was verwendest du dann?

Meistens Fender Telecaster, ab und zu auch eine SG. Oder besser gesagt: Ich versuche mich an einer SG, denn ihr Hals ist etwas anders und ich mache da immer ziemlich viele Fehler beim Spielen. Trotzdem meinen die Soundleute bei unseren Gigs: „Das klingt doch prima, wenn du auf der SG spielst.“ Also setze ich sie regelmäßig bei unseren Shows ein und hoffe dadurch, ein bisschen besser an dem Instrument zu werden.

Bei der Telecaster fühle ich mich hingegen sehr, sehr wohl. Ich kann sie spielen ohne groß hinschauen zu müssen. Einfach, weil sie mein Hauptinstrument ist. Die Telecaster hat eine sehr gute Intonation, was sie zu einer hervorragenden Rhythmusgitarre macht. Und da ich kaum Lead-Gitarre spiele, ist sie einfach besser für mich. Ich weiß auch nicht so recht, ob ich ein guter Rhythmus-Gitarrist bin, aber viele Leute behaupten das. Ich mache da nicht wirklich viel: Ich stelle ein paar Akkorde hin, steuere die eine oder andere Nuance bei, aber auch nicht mehr. Im Grunde ist es eine ziemlich perkussive Sache.

Wer sind denn deine großen Helden?

Ich liebe Neil Young – sein Gitarrenspiel ist der Wahnsinn. Und sein Zusammenspiel mit Crazy Horse ist so etwas wie das Nonplusultra der Rockmusik. Ich weiß, dass das für viele Leute eher Hendrix mit der Experience oder der Band Of Gypsys ist. Und das verstehe ich auch – weil er ebenfalls ziemlich gut war. Aber ich persönlich lege Hendrix doch lieber in der Vocal-Schublade ab, also als Sänger. Ich finde seinen Gesang herausragend, also wirklich exzellent. Und dafür verdient er ein bisschen mehr Anerkennung als ihm gemeinhin zu Teil wird. Ich würde mich sogar soweit aus dem Fenster lehnen, dass ich sage: Ich ziehe seinen Gesang seinem Gitarrenspiel vor. Nicht, dass sein Spiel schlecht wäre, aber es ist nicht das, was mich wirklich umhaut. Das sind in erster Linie der Klang seiner Stimme und seine Songs.

Bei Neil Young ist es anders: Da ist es vor allem das Gitarrenspiel, das mich reizt und zu dem ich eine Beziehung aufbauen kann. Denn: Es ist wie Surf-Musik – sehr simpel, aber auch irgendwie elegant. Es ist also genau wie seine Songs; etwa ‚Ragged Glory‘. Es hat etwas von verwesender Elektrizität, von einer vermodernden Maschine. Und es hat einen industriellen Vibe. Selbst, wenn die meisten Leute bei Neil Young eher an Gitarren- als an Industrial-Alben denken, haben sie doch etwas davon. Und genau das ist es, was ich spannend finde. In dem Sinne sind seine Sachen sehr modern. Und sie sind keineswegs perfekt, sie stehen eher für das Unperfekte.

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2022)

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