Im Interview

Nile Rodgers: Neues vom Hitmaker

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(Bild: Fender)

Der (Spitz-)Name ist Programm: Als Nile Rodgers sich im Jahr 1973 auf Anraten seines Freundes und Kompagnon, dem Bassisten Bernard Edwards, seine Gibson Barney Kessel gegen eine Fender Stratocaster (Baujahr 1960) eintauschte und sie liebevoll ‚The Hitmaker‘ taufte, ahnte er sicherlich nicht, dass er mit dieser Gitarre 45 Jahre später für Hits in einem Gesamtwert von über drei Milliarden (!) Dollar verantwortlich sein würde.

Der 68-Jährige arbeitete mit David Bowie an dessen Welterfolgen ‚Let‘s Dance‘ und ‚China Girl‘, half Madonna bei ‚Like A Virgin‘ und ‚Material Girl‘, betreute Sister Sledge auf ‚We Are Family‘ und ‚Lost In Music‘, gilt als Ziehvater von Duran Durans Radionummer ‚Notorious‘ und von Diana Ross’ Klassiker ‚Upside Down‘. Zudem griff er weiteren Weltstars wie unter anderem Mick Jagger, Peter Gabriel, Bryan Ferry, Grace Jones, Debbie Harry, Laurie Anderson oder The B-52’s tatkräftig unter die Arme.

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Neben jüngeren Kollaborationen mit Künstlern wie Daft Punk, Avicii, Sam Smith und Pharrell Williams sind es aber vor allem die Siebziger-Jahre-Hits mit der Band Chic und ihren Tanznummern ‚Good Times‘, ‚Le Freak‘ oder ‚I Want Your Love‘, mit denen sich Rodgers unwiderruflich zum personifizierten Inbegriff der Disco-Epoche verewigt hat.

Natürlich durchlebte auch er schwierige Zeiten, mit persönlichen Abstürzen und Krankheiten, die zum Glück überwunden sind. Zudem hat sich Rodgers mit der Ernennung zum ‚Chief Creative Advisor‘, eine Art künstlerischer Berater der legendären ‚Abbey Road Studios‘ in London, einen Lebenstraum erfüllt. Und eine kaum weniger ehrenvolle Aufgabe wurde ihm erst vor kurzem zuteil: Rodgers ist offizieller Pate der neuen Fender American Acoustasonic Stratocaster.

Natürlich haben wir die Gelegenheit genutzt, uns mit Nile Rodgers zu einem interessanten und aufschlussreichen Gespräch zu verabreden und ihn über seine ersten Erfahrungen mit dem innovativen Fender-Hybrid zu befragen.

Nile, zunächst einmal: Darf man dich eigentlich als den Inbegriff des Pop-Hit-Gitarristen bezeichnen?

Man muss vorausschicken, dass ich als kleiner Junge Flöte und Klarinette gelernt und erst mit 16 die Gitarre entdeckt habe. Demzufolge waren meine Ohren zu Anfang auf Klassik geschult, weshalb ich auch auf meiner ersten Gitarre zunächst ausnahmslos klassische Stücke gespielt habe. Das alles lief quasi parallel ab, bis die Ära der Beatles begann. Ich fand das aufregend und total spannend, war aber zunächst ziemlich irritiert, weil ich in den Songbooks keine Noten finden konnte, sondern nur Tabs, mit Symbolen für die Akkorde und Bildtafeln für die Fingersätze. Für mich war diese Schreibweise völlig neu, dementsprechend dilettantisch waren meine erste Versuche, die Beatles-Songs mit Hilfe des Songbooks nachzuspielen.

Irgendwann zeigte mir jemand, wie Tabulaturen funktionieren und wie man die Songbooks lesen muss. Von da an war ich wie verwandelt und wollte nur noch Pop und Jazz anstatt Klassik spielen. So kam eines zum anderen, ich machte den nächsten Schritt, dann folgte der übernächste und der darauffolgende Schritt, alles nahm seinen natürlichen Lauf. Als ich die Entscheidung getroffen hatte, dass ich mit der Musik meinen Lebensunterhalt bestreiten möchte, stand gleichzeitig fest, dass ich damit auch die Songs anderer Künstler spielen können muss. Und dafür brauchte ich natürlich eine geeignete Gitarre, und zwar nicht ein Jazz-Modell wie meine Barney Kessel, sondern ein Solidbody-Instrument. 1973 fand ich mit der ‚Hitmaker‘ eine für mich perfekte E-Gitarre, die mir eine völlig neue Klangwelt eröffnete.

Du warst ganz am Anfang deiner Laufbahn also noch Semi-Acoustic-Gitarrist?

Ich hatte damals eine extreme Vorliebe für Jazz. Und weißt du weshalb?

Na?

Weil Jazzmusiker hinter die Kulissen schauen, neugierig sind, verschlossene Türen öffnen wollen. Ich war wie alle Jazzmusiker und versuchte das Beste aus meinem Instrument und meiner Technik herauszuholen.

Nile Rodgers live mit Chic (Bild: Drew de F Fawkes)

Wie hat sich dann anschließend dein eigener unnachahmlicher Stil entwickelt?

Letztendlich entstand er durch das, was man „false notes“ nennt und beispielsweise vom Saxophon kennt. Hör dir einmal frühe Aufnahmen von John Coltrane an, diese ständigen Zwischentöne, die aber eigentlich gar nicht als Töne im eigentlichen Sinne, sondern eher als Geräusche wahrnehmbar sind. Doch diese „false notes“ sind natürlich ungemein wichtig für den Gesamteindruck, für das, was das Instrument in seiner Gesamtheit ausmacht.

Ich fand das schon als Kind hochinteressant und wollte unbedingt hinter die Geheimnisse dieser „false notes“ kommen, vor allem auch übertragen auf eine Gitarre. Dort nennt man „false notes“ bekanntlich „ghost notes“, und die wiederum sind ungemein wichtig für den rhythmischen Aspekt des Gitarrenspielens.

Hör dir mal etwas genauer ‚Good Times‘ an, einen Song, den ich 1979 für die Band Chic komponiert und eingespielt habe. In ‚Good Times‘ entdeckt man zum ersten Mal dieses berühmte „tschicktschicktschick“ meiner Gitarre, diesen „chunky tone“, die rhythmischen „ghost notes“. Das Besondere daran: Sie sind genauso wichtig wie die „clear notes“ und meines Erachtens weitaus bedeutsamer als z. B. die Akkordfolge des Songs.

Ich sage immer: „The silence in my life is as important as the notes in my life”, und damit meine ich die „muted ghost notes”. Ich habe für diese Spielweise eine ganz eigene Technik entwickelt, die intuitiv festlegt, welche Noten für eine Nummer entscheidend sind und welche nicht. Ich kann einem Außenstehenden dieses Prinzip allerdings nur schwer erklären, es entsteht von ganz alleine. Ich habe sehr schnell feststellen dürfen, dass mein Stil in der Popmusik perfekt funktioniert.

Hast du eine Idee, woher diese Gabe kommt?

Nein, keine Ahnung, sie kam von ganz alleine. Ich hatte einen Manager, dem ich vertraute und der sagte: „Klingt super, mach weiter so!“

Würdest du sogar so weit gehen zu sagen, dass deine Spielweise die Popmusik revolutioniert hat?

Revolutioniert? Ein großes Wort! Am Anfang meiner Laufbahn habe ich einfach nur Songs komponiert und noch nicht sonderlich intensiv mit Sounds experimentiert. Allerdings haben mich immer schon die unterschiedlichen Funktionsmöglichkeiten einer Gitarre fasziniert. Ich war mir sicher, dass ich unbedingt alles ausprobieren möchte, was mit einer Gitarre möglich ist. Deshalb erforschte ich unterschiedliche Pickup-Konfigurationen, Positionen und Haltungen der Schlaghand, Positionen der Tonabnehmer, alles das, was einen Sound beeinflusst. Mich fasziniert so etwas, ich könnte den ganzen Tag damit verbringen.

Eines Tages stellte mir Philippe Saisse (Keyboarder von Chic, Anm. d. Verf.) ein kleines Lick vor und sagte: „Kannst du dazu die passenden Harmonien entwickeln?“ Ich nahm meine Gitarre, checkte unterschiedliche Sounds und Konfigurationen und kreierte etwas, worauf ich ohne Philippe vermutlich nie gekommen wäre. Es klang cool, mir gefiel es auf Anhieb. Ich hatte vorher noch nie so gespielt oder komponiert und kam plötzlich auf völlig neue Ideen.

(Bild: Majk Zanqrelle)

Würdest du sagen, dass die Fender Stratocaster generell und deine Fender „Hitmaker“ im Besonderen die perfekte Gitarre für deinen Spielstil sind? Oder wäre er auch mit anderen Modellen umsetzbar?

Ich denke, dass ich meinen Stil mit jeder anderen Gitarre ebenso realisieren könnte. Aber weshalb sollte ich? Berühmt geworden bin ich mit einer Strat, seit 1973 besitze ich meine „Hitmaker“, weshalb also sollte ich es mit einer anderen Gitarre versuchen? Es sei denn, sie ist so revolutionär wie die neue Fender-Serie Acoustasonic.

Was gefällt dir an dieser Neuentwicklung so besonders?

Sie fühlt sich für mich absolut natürlich an und erinnert mich stark an meine Jazzgitarren, mit denen ich jeden Tag spiele. Mein halbes Schlafzimmer steht voll damit. Natürlich besitze ich auch ein paar Gibson Les Pauls, aber zuhause und um mich zu entspannen spiele ich fast ausschließlich Jazz-Standards.

Und im Studio?

Seit einiger Zeit bin ich so genannter Chief Creative Advisor in den Londoner Abbey Road Studios und habe in diesem Zusammenhang auch einen neuen Popsong geschrieben. Dank der Acoustasonic-Strat kann man alles, was man möchte, mit nur einer einzigen Gitarre spielen. Die Acoustasonic ist die perfekte Gitarre für den universellen Einsatz. Sie ist leicht wie eine Feder und klingt unfassbar vielseitig. Mit ihr konnte ich all die alten Jazzstandards spielen.

Wobei ich dazu sagen muss, dass ich die Acoustasonic mit all ihren Möglichkeiten noch gar nicht zu Ende getestet habe. Ich vermute, dass es viele weitere Optionen gibt, die ich noch nicht kenne. Aber alles, was ich bislang mit ihr gespielt habe, klingt für mich total natürlich. Ich kann es technisch nicht bis ins kleinste Detail erklären, wie das möglich ist, aber es funktioniert und fasziniert mich.

(Bild: Fender)

Wird das auch Einfluss auf dich als Studioproduzent haben?

Ich weiß nicht, darüber müsste ich tatsächlich einmal explizit nachdenken. Fakt ist, dass ich im ersten Schritt als Gitarrist über die Möglichkeiten dieser neuartigen Gitarre nachgedacht habe, also wie ich mich mit einem solchen Instrument artikulieren und mich mit ihm ganz generell über Musik definieren kann. Man muss ja immer erst auch eine Beziehung zu einem Instrument und seinen Möglichkeiten aufbauen. Ich war mir mit der Gitarre zunächst nicht sicher, bis ich meinem neuen Song einen Titel gab: ‚Inside The Box‘. Damit hatte ich den Schlüssel gefunden und wusste, was zu tun ist.

Jahrelang hatte ich keine Talk Box mehr eingesetzt, sondern immer, wenn notwendig, ein WahWah gespielt. Jetzt plötzlich wurde ich durch dieses Instrument in diesem Prozess automatisch vom Musiker zum Produzenten. Ich war dermaßen begeistert, dass ich sofort einen Brief an Fender verfasste: „Ich wollte euch nur kurz mitteilen, wie ich die Sache sehe: Die Gitarre ist der Star und ich bin der Roadie! Und jetzt werde ich den Leuten zeigen, was diese Gitarre alles kann.“

Gibt es für die Acoustasonic, aber auch für eine reguläre Stratocaster deiner Meinung nach den optimalen Amp?

Oha, mit dieser Frage bringst du mich ein wenig in Beweisnot, denn so etwas ist natürlich höchst subjektiv. Aber was ich auf alle Fälle sagen kann: Ich bevorzuge Combos mit 10“-Speaker, egal ob für Jazz, Pop oder Rock’n’Roll. Und weshalb 10“-, und nicht etwa 12“-Speaker? Weil meiner Meinung nach die Resonanzqualität in dieser Größe am ausgewogensten ist, und weil mir der warme Klang am besten gefällt.

Natürlich besitze ich auch ganz reguläre Fender Twins und Marshall-Combos mit 12“-Speaker, but come on: give me 10“ and I‘m happy! Für mich ist ein Fender Champ mit 10“-Speaker einfach die ultimative Wahl. Seit vielen Jahren steht immer einer in meinem Studio direkt zum Spielen bereit neben meinem Computer. Übrigens: Diese Kombination funktioniert auch perfekt mit der Acoustasonic Stratocaster, aber ehrlich gesagt, spiele ich die Gitarre tatsächlich meistens ohne Verstärker, weil ich oft völlig vergesse, dass man sie ja auch einfach mal einstöpseln könnte. (lacht)

Danke Nile, für das nette und informative Gespräch!

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2020)

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