Im Interview

John Petrucci: Dream Theater Head Quarters

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(Bild: Rayon Richards)

Interviews mit John Petrucci sind immer wieder ausgesprochen erfreuliche Angelegenheiten. Einerseits weil der 54-Jährige ein ungewöhnlich angenehmer und auskunftsfreudiger Gesprächspartner ist. Andererseits gibt es bei ihm stets irgendwelche spannenden Neuigkeiten. In diesem Fall ist es das aktuelle Album ‚A View From The Top Of The World‘ seiner Band Dream Theater, das von ihm im frisch eingeweihten eigenen Tonstudio (zweite Neuerung!) produziert wurde, und ihn u.a. zum ersten Mal mit einer nagelneuen, achtsaitigen Music-Man-Majesty (dritte Neuerung!) zeigt.

Was es zu all diesen Dingen zu erzählen gibt, und weshalb ausgerechnet der vor elf Jahren im Streit ausgestiegene Schlagzeuger Mike Portnoy quasi als Versuchskaninchen für die Drum-Aufnahmen herhalten musste, erzählt der New Yorker Ausnahmegitarrist in einem spannenden und ausführlichen Gespräch.

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John, wie war es, zum ersten Mal ein Dream-Theater-Album im eigenen Studio aufzunehmen? Und wie fällt für dich der Vergleich zur Vorgängerscheibe ‚Distance Over Time‘ aus?

‚Distance Over Time‘ war ein für die Band eher ungewöhnliches Album, da wir zum ersten Mal aus New York ausgezogen und die Songs in der gleichen Scheune produziert haben, in der wir sie über den Sommer geschrieben hatten. Wir hingen dort ganz entspannt ab, machten Barbecue und werkelten an den Songs. Anschließend entschieden wir, die Scheibe in der wunderbaren alten Scheune auch aufzunehmen und unser mobiles Aufnahme-Equipment dorthin schaffen zu lassen.

Nach der Veröffentlichung des Albums haben wir dann angefangen, uns unser eigenes Studio in Long Island, New York einzurichten. Für Dream Theater ist das neue ‚DTHQ‘-Studio natürlich ein riesengroßer Schritt. Zunächst wurde hier mein Soloalbum ‚Terminal Velocity‘ aufgenommen, anschließend folgten ‚Liquid Tension Experiment III‘ und jetzt halt ‚A View From The Top Of The World‘. Es ist eine tolle Erfahrung, in seinem eigenen Studio arbeiten zu können. Hier gehört alles uns, die Mikrofone, die Preamps, die Lautsprecher. Equipment, das wir uns in den zurückliegenden Jahren sukzessive angeschafft haben.

Für mich als Produzent der Dream-Theater-Scheiben ist es natürlich ein toller Luxus, ein eigenes Studio, in dem ich jeden Tag arbeiten kann, ganz in der Nähe meines Hauses zu haben. Ich denke, dass ‚A View From The Top Of The World‘ ein so starkes Album geworden ist, hat sehr viel mit dieser privilegierten Situation zu tun, da ich all meine Zeit, all meine Kraft und meine Ideen komplett auf das Songwriting verwenden konnte. Wir mussten uns keinerlei Gedanken wegen etwaiger Terminabsprachen, aus dem Ruder laufender Kosten oder Ähnlichem machen, weil das Studio komplett uns gehört.

Ich vermute, dass ‚DTHQ‘ die Abkürzung für „Dream Theater Headquarters“ ist, richtig?

(lacht) Exakt. Ich weiß, dass der Name nicht übermäßig fantasievoll klingt, aber er spiegelt die Situation perfekt wider.

Ein eigenes Studio einzurichten, klingt nach einem recht teuren Unterfangen.

Na ja, ganz billig ist so etwas natürlich nie, aber wir haben in den zurückliegenden Jahren immer mal wieder Equipment gekauft, dadurch gab es bereits einen gewissen Fundus an Preamps, Aufnahmegeräten etc. Zunächst haben wir uns um das reine Gebäude gekümmert, anschließend übernahmen unser Tontechniker Jimmy T. (James Meslin, Anm. d. Verf.) und mein Gitarrentechniker Maddy Schieferstein den Einbau des Equipments. Die beiden statteten den Kontrollraum aus, verlegten Kabel, und so weiter. Wie gesagt, viele Geräte waren bereits in unserem Besitz, deshalb mussten wir nicht bei null anfangen. Aber natürlich war es trotzdem notwendig, noch etwas Geld in die Hand zu nehmen, um das Studio wirklich komplett auszurüsten. Vieles wurde in Eigenarbeit gemacht, Maddy und Jimmy T. haben einiges selbst gebaut und beispielsweise auch die Malerarbeiten übernommen. (lacht)

Ist das Studio nur Dream Theater und den Soloprojekten der einzelnen Bandmitglieder vorbehalten, oder werdet ihr dort auch andere Projekte produzieren?

Nun, über diese Frage haben wir uns tatsächlich unterhalten. Möglich wäre dies auf alle Fälle. Aber das Studio fühlt sich halt wie unser Zuhause an, deshalb wäre es vermutlich ein komisches Gefühl, wenn in unserer Abwesenheit dort auch andere Künstler ein- und ausgehen würden. Man weiß nie, was die Zukunft bringt, aber derzeit soll das DTHQ ausschließlich für Dream Theater und den Side-Projekten der Mitglieder zur Verfügung stehen.

(Bild: Rayon Richards)

Würdest du sagen, dass das DTHQ einen ganz eigenen Sound hat, der ‚A View From The Top Of The World‘ von vorherigen Dream-Theater-Scheiben unterscheidet?

Eine gute Frage, die ich mir vorher auch gestellt habe. Die Situation ist aber folgende: Durch die ungeheure Weiterentwicklung von Studioequipment sind riesige Aufnahmeräume mit hohen Decken, Holzfußböden und so weiter, wie man sie früher für einen guten Drumsound benötigte, heutzutage oft gar nicht mehr erforderlich. Ein großer Raum war ja auch einer der Gründe, weshalb wir 2018 ‚Distance Over Time‘ in dieser riesigen Scheune aufgenommen haben. Doch dann, als ich im DTHQ zum ersten Mal etwas produziert habe, nämlich mein aktuelles Soloalbum ‚Terminal Velocity‘, auf dem Mike Portnoy getrommelt hat, merkte ich, dass es auch anders geht.

Die Aufnahmen fanden, wie du dich sicherlich erinnerst, zu Beginn der Pandemie statt. Vieles war organisatorisch schwierig, also schleppte ich mein eigenes Drum-Kit von meinem Haus ins Studio und Mike trommelte darauf. Und weißt du was: Es klang großartig, keinen Deut schlechter als die Drums auf unseren früheren Scheiben, sondern sogar fast noch kraftvoller. Die heutige Aufnahmetechnik ist so viel besser als früher. Letztlich hängt es sowieso immer an den Menschen, die spielen und aufnehmen, wie gut etwas klingt.

Jimmy T. ist ein fantastischer Toningenieur, und Andy Sneap, der sowohl ‚Terminal Velocity‘ als auch ‚A View From The Top Of The World‘ gemischt hat, ist eine absolute Sound-Koryphäe. Ich denke, wenn man einen gut klingenden Amp hat und ihn richtig mikrofoniert, benötigt man diese großen Aufnahmeräume nicht, die früher üblich waren. Um zu deiner Frage zurückzukommen: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob das DTHQ einen eigenen Sound hat. Ich finde nur, dass alle drei bisherigen Produktionen, die dort gefahren wurden, also ‚Terminal Velocity‘, ‚Liquid Tension Experiment III‘ und ‚A View From The Top Of The World‘, großartig klingen. Insofern denke ich, dass man zwar nicht einen spezifischen Sound des Studios, sehr wohl aber die große Qualität der Aufnahmen hören kann.

Besteht das Equipment überwiegend aus modernen, digitalen Geräten, oder liegt der Schwerpunkt auf analogen, eher traditionellen Dingen?

Interessant ist, wie alles begann: Wir waren in dieser Scheune und wollten dort ‚Distance Over Time‘ aufnehmen. Also schleppten wir eine Menge mobiles Recording-Equipment dorthin, ausschließlich ziemlich neue, sehr moderne Geräte, wie beispielsweise Rupert-Neve-Channel-Strips und so weiter. Dieses Equipment haben wir nun auch im DTHQ eingebaut, es ist ein modulares, ziemlich modernes System – plus einige externe Preamps –, bei dem der überwiegende Teil der Datenverarbeitung, alle Plug-ins etc. „in the box“ stattfinden. In unserem Studio gibt es beispielsweise keine Mixing-Konsole, kein Neve- oder SSL-Board. Insofern würde ich die Ausstattung als eher modern bezeichnen.

Natürlich mikrofonieren wir weiterhin die Gitarren-Amps, wir mikrofonieren das gesamte Schlagzeug, setzen Orgel-Leslies ein. Das Ergebnis ging dann zu Andy Sneap nach England, der ein großes SSL-Mischpult besitzt, wodurch die Aufnahmen dann – quasi rückwärts – einem analogen Prozess unterzogen wurden. Sehr interessant und, wie ich finde, eine prima funktionierende Kombination.

Johns Amp- und Effect-Rack mit der 19“- Ver sion seines Dunlop Signature Cry Baby Wahs, zwei Mesa Boogie JP-2C Rack-Topteilen, einem Axe-Fx II XL+ sowie einem Axe-Fx III, einer Mesa Boogie 20/20-Endstufe und einem Furman Power Conditioner.
Petruccis Schaltzentrale: Der RJM Music Mastermind GT 22 Switcher

 

Ich hörte, dass du auf ‚A View From The Top Of The World‘ erstmals mit einer 8-String-Gitarre komponiert und aufgenommen hast. Es gibt jetzt also eine Music Man Majesty als Achtsaiter?

Das ist richtig! (strahlt) Wie du weißt, arbeite ich schon seit 20 Jahren mit Music Man zusammen. Ich habe dir ja vor einigen Monaten erzählt, dass eine 8-String-Gitarre schon seit längerem bei uns im Hinterkopf ist. In Kooperation mit Music Man sind mittlerweile so viele spannende und aufregende Dinge entstanden, dass für mich die Entwicklung eines 8-String-Modells quasi die folgerichtige Entscheidung ist. Ich hatte noch nie eine Achtsaiter gespielt und wusste überhaupt nicht, worauf es dabei ankommt.

Aber meine Überlegung war: Ich bin mit Sechssaitern aufgewachsen, habe irgendwann eine siebte Saite hinzugenommen, was sich ebenfalls sehr angenehm anfühlte. Was also spricht gegen eine weitere Saite? (lacht) Music Man fanden die Idee einer Majesty-8-String ebenfalls sehr reizvoll, und so haben wir zunächst einen Prototypen entwickelt, der auf ‚A View From The Top Of The World‘ zum Einsatz gekommen ist. Auf ihm habe ich den Song ‚Awaken The Master‘ komponiert, mein erster Versuch, mit einer 8-String zu arbeiten.

Schon jetzt ein Neo-Klassiker: John Petruccis Music Man Majesty – hier in der 7-Saiter-Version (Bild: Ernie Ball)

Wie fällt dein erstes Resümee aus?

Nun, unser Ziel war, aus einem bereits existierenden Modell, nämlich der Majesty-7-String, eine 8-String zu entwickeln, die sämtliche für Achtsaiter wichtigen Features hat, also Multiscale, Fanned Frets, ein stimmstabiles Tremolo, einen breiten Hals, und so weiter. In Zusammenarbeit mit dem Music-Man-Ingenieur Drew Montell habe ich sehr fokussiert an dieser Idee gearbeitet.

Wie waren die Reaktionen deines Toningenieurs Jimmy T. und von Mischer Andy Sneap auf den Sound der Gitarre?

Na ja, beide stellten schnell fest, dass die 8-String eine große Bandbreite an Frequenzen erzeugt, weshalb wir den Sound der Gitarre etwas an die anderen Gitarrenparts angleichen mussten. Andy bezeichnete den Sound als „angry pig hunting for troubles.“ (lacht) Spielerisch hatte ich keine allzu großen Probleme, mich an die Majesty8-String zu gewöhnen, denn sie ist ganz ähnlich aufgebaut wie die anderen Modelle der Serie, die ich bekanntlich schon seit Jahren spiele. Die einzige Umstellung war, dass der Hals breiter und die tiefen Saiten dicker sind, wodurch ein paar mir bislang unbekannte Handmuskeln trainiert wurden. (lacht) Aber die Gitarre ist wirklich extrem einfach zu spielen und beim Handling absolut komfortabel.

Musstest du die EQ-Einstellung deines Amps ändern, als du mit der 8-String aufgenommen hast?

Ja, das musste ich tatsächlich. Am Anfang versuchte ich es bei den Aufnahmen mit dem gleichen Amp-Setting wie sonst auch. Ich fand, dass es sehr gut klang, aber Jimmy T. meinte, dass er ein paar Schwierigkeiten mit dem Low-End hätte, also nahmen wir einen weiteren Amp aus meinem Bestand und änderten dort den EQ ein klein wenig. Als Andy dann den Song gemischt hat, musste auch er eine etwas andere EQ-Einstellung wählen, damit alles mit den übrigen Nummern zusammenpasst. Dennoch: Auch in der 8-String sind meine üblichen DiMarzio-Signature-Rainmaker- und Dreamcatcher-Pickups verbaut, die Gitarre klingt also zu 100% wie eine echte Majesty, nur die klangliche Bandbreite ist noch größer.

Wann kommt das Serienmodell auf den Markt?

Mitte September 2021 kam sie zunächst als spezielle Limited Edition auf den Markt, mit dem Mystic-Dream-Finish, das auch das allererste JP-Modell vor 20 Jahren hatte. Wir schauen mal, wie die Resonanz ist, und denken dann möglicherweise über weitere Farben nach.

Hat die 8-String auch dazu beigetragen, dass euch mit dem neuen Album das bislang komplexeste Dream-Theater-Werk gelungen ist? Oder hast du eine andere Einschätzung zur neuen Platte?

Ich würde dir zustimmen: Es ist tatsächlich eine unserer komplexesten und herausforderndsten Scheiben überhaupt. Es wird sicherlich spannend werden, wenn wir diese Songs irgendwann live spielen wollen. (lacht) Sogar die erste Single ‚The Alien‘ war sehr komplex, und auch der Titelsong hat einige wirklich verrückte Arrangements. Woran dies liegt? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Es muss mit der Stimmung während der Produktionsphase zusammenhängen. Rückblickend betrachtet, waren wir im vergangenen Herbst eigentlich nicht auf ein neues Album eingestellt. Normalerweise hätten wir die Tournee zu ‚Distance Over Time‘ beendet und dann im Sommer 2020 ein wenig Urlaub gemacht. Aber durch die Pandemie haben wir entschieden, mit den Arbeiten an neuen Songs früher als geplant zu starten.

Alle in der Band waren hocherfreut, sich wieder zu treffen, obwohl niemand wusste, was der richtige Zeitpunkt für die Veröffentlichung des neuen Albums sein würde, oder ob wir zunächst die abgebrochene Tour zu Ende spielen sollten. All dies stand im Herbst 2020 in den Sternen. Unsere Haltung dazu war: Wir lieben es, neue Songs zu schreiben, wir lieben es, kreativ zu sein, also lasst uns treffen und genau dies tun! Zumal die Möglichkeit, es nach einer langen orientierungslosen Phase mit voller Energie sozusagen in den eigenen vier Wänden zu machen, ungemein befreiend wirkte.

Es war toll, seine Freunde wieder zu treffen, gemeinsam zu essen und Kaffee zu trinken. Das alles hat ganz offensichtlich dazu geführt, dass die neuen Songs etwas komplexer und technisch noch anspruchsvoller ausgefallen sind. Wir haben dies vorher nicht explizit diskutiert oder sogar festgelegt. Es hieß nicht etwa „lasst uns das verrückteste Album unserer Karriere schreiben“, sondern die Songs entstanden auf ganz natürliche Weise.

Letzte Frage: Was steht in den kommenden Monaten bei Dream Theater und bei dir persönlich auf dem Zettel? Ich hörte, du arbeitest derzeit an einer kleinen Überraschung, die sogar für einen experimentierfreudigen Musiker wie dich neu ist.

Oh, du bist super informiert. Ja, es stimmt, dass es da etwas Überraschendes geben wird, etwas, das ich in dieser Form noch nie gemacht habe. Aber es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen. Sobald es offiziell bekanntgegeben wird, wirst du wissen, was ich meine.

Vielen Dank John, für das abermals sehr nette Gespräch, bis in Kürze!

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2021)

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